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Ein Grab, eine Beleidigung und eine Pralinenschachtel

Der Start unse­res Süd­ame­rika-Aben­teu­ers beginnt in Bue­nos Aires. Die Metro­pole am Río de la Plata ist das kul­tu­relle und kom­mer­zi­elle Zen­trum Argen­ti­ni­ens – und mit Kopf­stein­pflas­ter­gas­sen und Kolo­ni­al­bau­ten vie­ler­orts ein Hin­gu­cker. Ein Streif­zug durch die argen­ti­ni­sche Haupt­stadt – mit eini­gen Überraschungen.

Vor Rei­se­be­ginn hat­ten wir uns ein paar Nach­rich­ten (aller­dings ohne ganz kon­krete Abspra­chen) geschrie­ben. Und ein Foto von ihm (das ihn neben Hugo Cha­vez, dem mitt­ler­weile ver­stor­be­nen, ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten Vene­zue­las, zeigt) haben wir auch gese­hen. Als wir gegen 22 Uhr Orts­zeit erschöpft aus dem Ankunfts­be­reich des Flug­ha­fens Aeropuerto Inter­na­cio­nal Minis­tro Pis­ta­rini de Ezeiza kom­men, sind wir uns trotz­dem nicht ganz sicher, ob wir ihn in die­sem Getüm­mel fin­den wer­den. Doch Glück gehabt: Ein paar Schritte, nach­dem wir aus dem Gedränge her­aus sind, erbli­cken wir ein Schild auf dem unsere Namen ste­hen. Voll­tref­fer. Unser Gast­ge­ber für die nächs­ten Tage in Bue­nos Aires holt uns ab.

Und schon fah­ren wir in sei­nem vor kur­zem gekauf­ten Wagen über die auch zu die­ser Uhr­zeit noch gut gefüll­ten Stra­ßen. Zuerst ein paar Minu­ten auf der Auto­bahn. Dann geht es in die Stadt. Aus den Auto­laut­spre­chern dröhnt laute Musik. Eine Män­ner­stimme ist auf Quechua – eine indi­gene Spra­chen­gruppe, die in den Anden gespro­chen wird – zu hören. Danach sin­gen die Com­man­dan­tes – eine kom­mu­nis­ti­sche Punk­rock­band aus Bie­le­feld: „Wir sind der Zukunft getreue Kämp­fer, wir sind die Arbei­ter von Wien“. Unser Gast­ge­ber ist in sei­nem Ele­ment, er zün­det sich eine Ziga­rette an (das macht er unun­ter­bro­chen), trom­melt mit sei­nen Hän­den auf dem Lenk­rad herum und stimmt laut­stark in das Lied ein.

Bien­ve­ni­dos a Bue­nos Aires. Herz­lich will­kom­men in Bue­nos Aires. Wir füh­len uns auf Anhieb wohl.

Eine Woche blei­ben wir in der argen­ti­ni­schen Haupt­stadt, las­sen uns durch die geschäf­ti­gen Stra­ßen trei­ben und erkun­den nach und nach die Mil­lio­nen­stadt. Denn es gibt viel zu sehen.

San Telmo – der Anti­qui­tä­ten­markt und eine Hand­voll Empanadas

Ein Stand reiht sich an den nächs­ten. Hand­werk, Kla­mot­ten, Samm­ler­stü­cke wie alte Mün­zen oder Dosen wer­den auf der Feria de San Pedro Telmo ange­bo­ten. Men­schen­mas­sen drän­gen sich wie jeden Sonn­tag durch die Gas­sen des belieb­ten Vier­tels, auf der Suche nach einem Schnäpp­chen. Oder um ein­fach einen Blick auf die ange­bo­te­nen Waren zu werfen.

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Auch wir rei­hen uns ein – und blei­ben vor allem bei den Musik­grup­pen ste­hen, die den Tou­ris­ten mit ihrer Tan­go­mu­sik ein paar Pesos ent­lo­cken kön­nen, aber ins­be­son­dere Wer­bung für ihren nächs­ten Auf­tritt in einer Bar oder einem Restau­rant machen möch­ten. Wir lau­schen gebannt den gekonn­ten Klän­gen der Musi­ker – und hören dabei trotz­dem unsere Mägen knurren.

Es ist an der Zeit, etwas zu essen. Gehen wir doch in eines der Restau­rants rund um den Plaza Dor­rego? Wir ent­schei­den uns dage­gen. Ein paar Stra­ßen wei­ter wer­den wir dann fün­dig, las­sen uns leckere Empa­na­das schme­cken und füh­len uns bestä­tigt: für gutes und gleich­zei­tig preis­wer­tes Essen immer die Neben­stra­ßen aufsuchen.

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Reco­leta – am Grab von Eva Perón 

Wir hät­ten uns eine der Map­pen am Ein­gang des Fried­hofs Cemen­te­rio de la Reco­leta holen sol­len. In die­sen Plä­nen ist näm­lich ein­ge­zeich­net, wo sich das Grab von Eva Perón – auch als Evita bekannt – befin­det. Wir suchen also ohne Weg­be­schrei­bung nach der Ruhe­stätte der Frau des ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten Juan Perón, die die Armen zum Auf­stand auf­for­derte, sich für das Wahl­recht von Frauen ein­setzte und von den Ange­hö­ri­gen der Arbei­ter­klasse ver­ehrt wurde.

Mau­so­leen links, Mau­so­leen rechts. Mal aus wei­ßem, mal aus schwar­zem Mar­mor. Fast alle Grä­ber wei­sen zwar unter­schied­li­che Merk­male auf – auf dem einem ist zum Bei­spiel ein gro­ßer Engel zu sehen, auf dem nächs­ten hin­ge­gen eine Frau, die ein Baby auf dem Arm trägt. Doch unser ein­zi­ger Anhalts­punkt ist, dass das Grab von Evita aus schwar­zem Mar­mor ist (und sich höchst­wahr­schein­lich eine Horde von Tou­ris­ten um die Gedenk­stätte versammelt).

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Nach­dem wir circa eine Stunde ver­geb­lich gesucht haben (ja, so gut sind unsere Spür­na­sen), fra­gen wir doch lie­ber nach und kom­men ein paar Minu­ten spä­ter an unse­rem Ziel­ort an. Logisch, dort müs­sen wir uns erst ein­mal in eine war­tende Schlange ein­rei­hen, die Foto­ap­pa­rate der meis­ten Besu­cher sind bereits gezückt, auch wenn sie noch weit weg vom Ort des Gesche­hens ste­hen. Mir wird es zu bunt, ich ver­drü­cke mich. Aber Daniela harrt aus und macht ein Foto, das ich mir spä­ter auf dem Dis­play ihres Foto­ap­pa­rats anschaue – und das ist ja schließ­lich fast so gut, wie das berühmte Grab mit eige­nen Augen gese­hen zu haben…

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Innen­stadt – wer ist die­ser Typ namens Puto?

Die Ave­nida 9 de Julio, die mit ihrem Namen an den Tag der Unab­hän­gig­keit Argen­ti­ni­ens erin­nert, ist eine der Haupt­ver­kehrs­adern von Bue­nos Aires. Breit ist die Straße. So breit, dass einige Argen­ti­nier behaup­ten, es wäre die brei­teste Straße der Welt. Autos quet­schen sich auf rund 20 Fahr­strei­fen durch den Innen­stadt­ver­kehr und fah­ren unter ande­rem am in den Him­mel ragen­den Obe­lis­ken vor­bei. Und in der Mitte der Straße befin­det sich eine Bus­spur, auf der sich die gro­ßen Gefährte in Rich­tung der umlie­gen­den Stadt­teile fort­be­we­gen. Zahl­rei­che alte Bäume muss­ten dafür wei­chen – nicht alle Por­te­ños sind dar­über glücklich.

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Einer die­ser eher mies gestimm­ten Bewoh­ner der argen­ti­ni­schen Haupt­stadt (aller­dings sicher­lich aus ande­ren Grün­den) läuft uns schließ­lich auf der Ave­nida 9 de Julio über den Weg. Schwan­ken­der Gang, das ist schon von wei­tem zu erken­nen. „Puto“, schreit er in meine Rich­tung, als er an uns vor­bei­geht. Meine Spa­nisch­kennt­nisse müs­sen noch gehö­rig auf­po­liert wer­den, aber für die Über­set­zung die­ser Belei­di­gung muss ich kein Wör­ter­buch benut­zen. Ich gucke mich ver­dutzt um, bin mir kei­ner Schuld bewusst. ¿Qué pasa? frage ich mich. Was ist los? Mein neuer „Kum­pel“ ver­schwin­det der­weil bereits lang­sam aus unse­rem Blickfeld.

La Boca – die fas­zi­nie­rendste Pra­li­nen­schach­tel der Welt

Wir lau­fen die Straße Dr del Valle Ibe­r­lucea hoch. Ver­wahr­lost aus­se­hende Hunde streu­nen herum. Häu­ser, die schon ein­mal bes­sere Zei­ten gese­hen haben, pas­sie­ren wir. Der Putz brö­ckelt. Aber die Far­ben, die auf den meis­ten Wän­den auf­ge­tra­gen sind, sind noch deut­lich zu erken­nen. Blau und Gelb. Die Ver­eins­far­ben des berühm­tes­ten Fuß­ball­klubs der Stadt, die Ver­eins­far­ben der Boca Juni­ors. Kurze Zeit spä­ter ist es soweit: Wir ste­hen vor dem La Bom­bon­era. Doch warum wird das fast 60.000 Zuschauer fas­sende Sta­dion eigent­lich so genannt? Ganz ein­fach: Es hat eine recht­eckige Form und ähnelt somit einer Pralinenschachtel.

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Eng ist es rund um den Fuß­ball­tem­pel, der von kei­ner gro­ßen, freien Flä­che umschlos­sen wird, son­dern mit­ten in einem Wohn­ge­biet liegt. Ich stelle mir vor, wie die heiß­blü­ti­gen Fans der Boca Juni­ors mit Anhän­gern einer Gast­mann­schaft (als in Argen­ti­nien Fans noch ihr Team bei einem Aus­wärts­spiel unter­stüt­zen durf­ten) in den schma­len Stra­ßen auf­ein­an­der­ge­trof­fen sind. Ein Alp­traum für die Poli­zei und Ord­nungs­kräfte. Heute ist es aber ruhig rund um das La Bom­bon­era. So kön­nen wir an einem abge­schlos­se­nen Ein­gangs­tor einen Blick auf die stei­len Ränge des Sta­di­ons wer­fen. Und sind fas­zi­niert. Erle­gen sind wir der Fas­zi­na­tion Boca aller­dings nicht. Unser Fuß­ball-Herz schlägt schließ­lich für einen ande­ren Ver­ein die­ser Stadt.

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Cate­go­riesArgen­ti­nien
Christian & Daniela

Christian und Daniela tauschten ihren durchgeplanten Alltag in Deutschland gegen die ungewisse Freiheit einer langen Reise durch das holprig-schöne Südamerika. Langweilig wird es dem Journalisten und der (Hobby-)Fotografin dabei nicht. Denn im kunterbunten Ländermix des Abenteuerkontinents wandern sie über die längste Gebirgskette der Erde, verlaufen sich in Megastädten, schippern über den mächtigsten Strom der Welt und verschwinden tief im grünen, verworrenen Dschungel. Und da sie denken, dass sie nicht nur alleine etwas von diesen Erlebnissen haben sollten, drücken sie so oft wie möglich auf den Auslöser ihrer Kamera und tippen fleißig in die Tastatur ihres Laptops. Das Ergebnis: Geschichten von einer Reise.

  1. Bernd says:

    Super Bericht! Habe erst letzte Woche selbst ein Reise nach Bue­nos Aires gebucht und freue mich auch dank die­sen tol­len Berich­tes schon rie­sig :D

    1. Vie­len Dank, Bernd. Du kannst Dich wirk­lich sehr freuen. Wir wün­schen Dir ganz viel Spaß in die­ser auf­re­gen­den Stadt. Grüß Bue­nos Aires von uns ;-)

    1. Marvin says:

      Das ist gut =). Finde es nur schade das die schöns­ten Städte oft auch die gefähr­lichs­ten sind.

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