Was zuvor geschah: Heil dir im Sie­ger­kranz I

Als ich damals durch Papua Neu­gui­nea reiste, weilte ich eine Zeit lang in Gor­oka, der Haupt­stadt der Eas­tern High­lands. Gor­oka gehört trotz gerade ein­mal etwa  20.000 Ein­woh­nern zu den zehn größ­ten Städ­ten Papuas. Ich war bereits zwei Monate im Land, hatte erst kürz­lich eine schwere Mala­ria Tro­pica über­stan­den und zehn Kilo­gramm Gewicht ein­ge­büßt. Nicht gerade ideale Vor­aus­set­zun­gen für kör­per­lich anspruchs­vol­lere Touren.

Doch dann bot sich mir und mei­nem klei­nen Bud­get über­ra­schend die Mög­lich­keit den Mt. Wil­helm zu bestei­gen. Ich zögerte nicht einen Sekunde, denn mei­ner Erfah­rung nach erge­ben sich viele Gele­gen­hei­ten im Leben nur ein ein­zi­ges Mal und dann muss man laut “Hier!” rufen und sofort zugreifen…

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Son­nen­auf­gang zu Füßen des Bismarkmassivs

Müde stapfe ich den Weg bergan durch das Dorf und knab­bere dabei an mei­ner Kar­tof­fel. Die auf­ge­hende Sonne taucht die Berge in einen rot­gol­de­nen Glanz und ich genieße die Kühle und die anfäng­lich nur leichte Stei­gung, bin ich mor­gens doch grund­sätz­lich müde und wenig leistungsbereit.

Unser Weg wan­delt sich bald in einen schma­len, schlam­mi­gen Pfad und win­det sich durch den dunk­len Nebel­wald, der das Mas­siv wie einen grü­nern Gür­tel umgibt, lang­sam gipfelwärts.

Die wohl­schme­cken­den, kla­ren Was­ser klei­ner Quel­len spei­sen zahl­rei­che Bäche und bie­ten unter­wegs viel Gele­gen­heit, unsere Fla­schen zu fül­len. Über­haupt ist alles nass, Nebel wabert durch den Wald und die Luft so gesät­tigt, dass auch heroi­sches Schwit­zen mir kei­ner­lei Abküh­lung bietet.

Zu allem Über­fluss fällt Joseph nach einer Stunde Fuß­marsch ein, dass er seine nur gelie­hene Machete am Zugang zum Wald hatte lie­gen las­sen. Ver­le­gen rennt er den Weg zurück und taucht, ziem­lich erschöpft, 45 Minu­ten spä­ter wie­der an mei­ner Seite auf.

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Der erste Teil des Weges führte uns durch dich­ten Wald

Mein Guide, Josef, war mir von Bekann­ten in Gor­oka emp­foh­len wor­den. Ein freund­li­cher, klei­ner Mitt­zwan­zi­ger, der pas­sa­bel Eng­lisch spricht und schon einige Erfah­rung am Wil­helms­berg vor­wei­sen kann. Josef ist ein Chimbu, Ange­hö­ri­ger eines Stam­mes, der nicht unbe­dingt für seine Fried­fer­tig­keit, dafür für seine tem­pe­ra­ment­vol­len Aus­brü­che, denen oft Feuer und Blut­ver­gie­ßen fol­gen, berühmt ist. So wird mein Guide – ob zu Recht oder Unrecht mag ich nicht beur­tei­len –  von Ange­hö­ri­gen ande­rer Stämme gefürch­tet. Nun, es trägt zumin­dest zu mei­ner per­sön­li­chen Sicher­heit bei…

Ich kann mir den freund­li­chen, 1,65m gro­ßen Josef nur schwer als wil­den, mache­ten­schwin­gen­den Krie­ger vor­stel­len, doch aus Erfah­rung weiß ich, die Nigui­nis haben zwei Gesichter.

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Josef, mein Guide

Nach eini­gen Stun­den wech­selt die Land­schaft, Wald weicht wei­ten, sump­fi­gen Wie­sen, bestan­den nur von meter­ho­hen Baum­far­nen. Meine Gast­mut­ter unten im Dorf sagte mir, die Farne seien noch klein gewe­sen, als sie das letzte Mal hier oben war, vor etwa 30 Jah­ren. Nun über­ra­gen sie mich alle, teil­weise um meh­rere Meter.

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Die Land­schaft ist abwechslungsreich

Ich ver­flu­che mei­nen Hang zur Nost­al­gie, wäh­rend ich mit mei­nen 14 Jah­ren alten Meindl Island Schu­hen – bar jeg­li­chen Pro­fils – mehr schlit­ternd als gehend diese sump­fige Kari­ka­tur eines Weges bewäl­tige. Knö­chel­tief trete ich Schlamm, springe über bzw. in breite Was­ser­lö­cher und steige auf mehr als einen Meter hohe Absätze. Es ist nur ein Vor­ge­schmack auf das, was mir noch bevorsteht.

Eine gefühlte Ewig­keit spä­ter errei­chen wir unser Basis­la­ger auf 3.500 Meter Höhe. Unsere ein­fa­che Schutz­hütte liegt in alpi­nem Gelände, einen Stein­wurf vom Piunde See, dem nied­rigs­ten der Zwil­lings­seen, ent­fernt. Dort flie­ßen im Minu­ten­takt dichte Wol­ken von den nahen Gip­feln über die Ebene und hül­len uns in geis­ter­haf­ten Nebel, in dem ich kaum die Hand vor Augen sehen kann.

Selbst hier oben lässt Josef mich kei­nen Moment alleine, „es sei zu gefähr­lich“ meint er und hält die Machete dabei locker in der rech­ten Hand.

Im kla­ren Was­ser des See kann ich Wrack­teile des ame­ri­ka­ni­schen F‑7A Auf­klä­rers erken­nen, der 1944 bei schlech­ter Sicht zu nied­rig geflo­gen und am Berg zer­schellt war. Nur eines von zahl­rei­chen Opfern, die die­ses Mas­siv trotz ver­gleichs­weise nied­ri­ger Höhe und gerin­gem Schwie­rig­keits­grad gefor­dert hat.

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Der Piunde

Wie über­all auf PNG wird es auch hier schnell dun­kel und ich nutze die weni­gen ver­blei­ben­den Stun­den Tages­licht, um mich etwas zu ent­span­nen, eine große Deut­sche Zei­tung mit vier Buch­sta­ben zu lesen und zu schla­fen. Wir berei­ten unser Abend­essen, Reis, Gemüse und Dosen­fisch im Schein der Taschen­lampe zu und ruhen uns noch etwas aus.

Der Auf­stieg beginnt um 2 Uhr nachts, damit wir pünkt­lich zum Son­nen­auf­gang auf dem Gip­fel sind.

Mit der Kopf­lampe als ein­zige Licht­quelle erstei­gen wir bei fri­schen 4 °C und abso­lu­ter Dun­kel­heit über große, sump­fige Stu­fen die Berg­flanke. Vor­sich­tig tas­ten wir uns über weite Geröll­fel­der und klet­tern im Lam­pen­schein frei über steile, glatte Fels­hänge. Hin und wie­der stoppt Josef um sich zu ori­en­tie­ren. Wie er das tut, bleibt mir ein Rät­sel, ich hätte mich hier bin­nen weni­ger Minu­ten ver­lau­fen. Diese kur­zen Pau­sen blei­ben die ein­zi­gen Erho­lungs­mo­mente wäh­rend des Auf­stiegs und ich nutze den Moment um Josef zu fra­gen, was er im Falle mei­nes Abstur­zes unter­neh­men würde.

Mit ehr­li­chem Opti­mis­mus meint er, er könne Erste Hilfe und würde dann zum Dorf Kegl­sugl abstei­gen, um Hel­fer zu holen.

Wäh­rend ich mit bren­nen­den Bei­nen wei­ter­klet­tere, spinne ich, auf meine Erfah­rung als Arzt in PNG zurück­bli­ckend, den Gedan­ken wei­ter (ohne dabei jedoch den Weg aus den Augen zu verlieren)…

Bis zum Dorf bräuchte Josef bei Dun­kel­heit min­des­tens sechs bis acht Stun­den. Er müsste Hel­fer den Berg hin­auf füh­ren, min­des­tens zehn Stun­den. Mich auf einer der typi­schen, pro­vi­so­ri­schen Holz­tra­gen ins Tal zu brin­gen wäre sicher nicht unter zehn Stun­den mög­lich, viel­leicht eher zwölf. Das nächste Kran­ken­haus läge einige Stun­den per Jeep über schlechte Schlamm­pis­ten ent­fernt in Kun­diawa. Die Ver­sor­gung eines Schwer­ver­letz­ten wäre dort jedoch nicht mög­lich. Falls meine Kre­dit­karte genü­gend Deckung auf­weist, könnte mich bei Tages­licht ein Heli­ko­pter nach Gor­oka flie­gen, in das Kran­ken­haus der Pro­vinz­haupt­stadt. Da ich diese Kli­nik bereits von innen kenne, weiß ich, dass auch hier nicht annä­hernd eine adäquate Ver­sor­gung im euro­päi­schen Sinne mög­lich wäre, aber man könnte mich aus­flie­gen, nach Aus­tra­lien… Inner­halb von zwei Tagen nach dem Unfall könnte ich in einem Kran­ken­haus in Bris­bane lie­gen, falls ich so lange überlebe.

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Lebens­ret­ter – falls die Finan­zie­rung stimmt (Photo auf­ge­nom­men in der Mor­obe Pro­vinz, im Rah­men mei­ner ärzt­li­chen Tätigkeit)

„Ein­fach nicht abstür­zen!“ sage ich mir und klet­tere weiter.

Trotz der Höhe, wir sind bereits über 4.000 Meter hoch, komme ich gut voran, zwar schmer­zen die Beine und die Lunge brennt, aber es geht immer wei­ter. Im Vor­feld war ich etwas besorgt gewe­sen, war doch seit mei­ner Mala­ria-Che­mo­the­ra­pie nur eine Woche ver­gan­gen. Dazu hatte ich in den ver­gan­ge­nen Mona­ten bereits zehn Kilo Gewicht ver­lo­ren und mein Trai­nings­zu­stand war sicher sel­ten schlech­ter. Aber auch von der dün­ner wer­den­den Luft bemerke ich nichts.

End­lich, nach etwa drei Stun­den Schin­de­rei am Berg, kann ich sche­men­haft den Gip­fel des Mt. Wil­helm erken­nen… ich weiß, dass man den Gip­fel erst sieht, wenn man höchs­tens noch 15 Minu­ten davon ent­fernt ist und Eupho­rie erfüllt mich. Noch eine kurze Klet­ter­pas­sage und ich stehe oben, auf dem höchs­ten Punkt Papua Neu­gui­neas, auf 4.509 Meter Höhe.

Es ist schnei­dend kalt, ich friere erbärm­lich und meine Eupho­rie ver­fliegt, als ich sehe, dass der Son­nen­auf­gang mich erst in einer Stunde erlö­sen wird. Josef hat sich ver­kal­ku­liert und so haben den Gip­fel viel zu früh erreicht. Vor dem eisi­gen Wind ducken wir uns zwi­schen die Fel­sen, essen unse­ren kar­gen Pro­vi­ant und ich zähle die Minuten.

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Das Ziel der Mühen

Eine end­lose Stunde zit­tere ich in dün­nen Kla­mot­ten bei gefühl­ten Minus­gra­den, bis die auf­ge­hende Sonne mich end­lich aus mei­ner Starre erlöst. Die steif-gefro­re­nen Fin­ger ver­mö­gen kaum noch die Kamera zu bedie­nen und ich will eigent­lich nur noch zurück ins Tal, wo es warm ist.

Auch der Blick vom Gip­fel enttäuscht…Wolken bede­cken das Land, die Sonne ist nur Minu­ten zu sehen, dann ist sie bereits wie­der mei­nem Blick entschwunden.

Es ist ein Segen, end­lich wie­der den Rück­weg anzu­tre­ten. Doch es bedarf mehr als 30 Minu­ten müh­se­li­gen Abstiegs, bis mir end­lich wie­der eini­ger­ma­ßen warm wird.

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Der Abstieg offen­bart die Schön­heit die­ses Gebirges

Die Land­schaft, von der ich beim Auf­stieg im Dun­keln nicht sehen konnte als schwarze Sche­men, ist das eigent­li­che High­light des Gebir­ges. Gelb­lich-grü­nes Gras bedeckt die Berge aus schwar­zem Gestein und hoch­ge­le­gene Seen leuch­ten im Rot und Gelb ihrer Cya­no­bac­te­riaceae, die von den aus­ge­wa­sche­nen Schwer­me­tal­len leben.

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Cya­no­bak­te­rien fär­ben das Ufer des Sees

Wir stei­gen in einer Tour bis hin­un­ter ins Dorf ab, ras­ten ledig­lich kurz am Basis­la­ger um etwas zu essen und errei­chen so, ziem­lich erle­digt, am spä­ten Nach­mit­tag die Hütte von Josefs Ver­wand­ten. Das Essen dort ist aus­ge­zeich­net und reich­lich und in gesel­li­ger Runde geht der Abend in die Nacht über, die meine letzte sein soll am Fuße des Wilhelms.

Meine Rück­reise nach Gor­oka besteht aus frü­hem Auf­ste­hen, stun­den­lan­gem Ste­hen auf der Lade­flä­che diver­ser Pick­ups, zusam­men­bre­chen­den Brü­cken und ewi­ger War­te­rei. Rou­tine für den Rei­sen­den in die­sem Teil Papua Neuguineas.

Doch die Bestei­gung des Mt. Wil­helm bleibt mir unvergessen.

Panorama Mt Wilhelm Gipfel

Gip­fel­pan­orama

 

 

Cate­go­riesPapua-Neu­gui­nea
  1. Carsten says:

    Hallo Till Schönherr,
    ich habe vor die­ses Jahr im Nov-Dez PNG zu besu­chen. Ich bin da groß gewor­den als Sohn Deut­scher Mis­sio­nare, also back to ther roots.
    Dabei möchte ich auch den Mt. Wil­helm besteigen.

    Von wel­chem Jahr ist denn der Bericht?

    Grüße Cars­ten

  2. Tim Ha says:

    Moin Till,

    das ist ja mal ein Zufall. Bin heute über diese Seite gestol­pert und dann sehe ich auch noch einen bekann­ten Namen. Da hast du ja ein paar schöne Tou­ren unter­nom­men. Schaffst du eigent­lich was oder bist du nur unterwegs?
    Wie wäre es mit einem oder zwei Bier wenn du mal in der Gegend bist?

    Gruß aus Koblenz,
    Tim

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