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Kaum haben wir unseren Truck erfolgreich aus dem Hafenzoll in Mumbai in Empfang genommen und uns auf den Weg durch Maharashtra nach Süden gemacht, werden wir am frühen Morgen wieder einmal in die unvergleichliche Kultur des unvergleichlichen Indiens hinein katapultiert. Aber wie hätte es auch anders sein können?
Nach achtstündiger, jungfräulicher Fahrt in unserem eigenen Truck im zu recht berüchtigten Straßenverkehr Indiens schlagen wir in einem kleinen beschaulichen Dorf direkt neben einem unbedeutenden Hindu Tempel unser Nachtlager auf. Wir sind fürchterlich erschöpft und durch die auf den Gefrierpunkt herunter kühlenden Klimaanlagen in Bombay beide schwer erkältet. Wir wollen nur noch eines: schlafen!
Da die Tür unseres Trucks aufgrund der Hitze allerdings noch offen steht, dauert es nicht lange bis wir laute, fordernde Stimmen vor unserer Trittleiter wahrnehmen. „Auntie! Uncle! Come out! Please, come out!“
Nun gut. Es ist schwer bis unmöglich mit einem 7,5 Tonnen Truck unentdeckt zu bleiben. Erschlagen und zerknittert raufen wir uns schließlich auf und blicken vor die Tür. Wir stehen mitten in einer kleinen Wohnsiedlung und wollen schließlich nicht unhöflich sein.
„Happy Diwali“ ruft – oder besser schreit – uns die mittlerweile kleine Ansammlung der indischen Anwohner immer wieder fröhlich zu und überreicht uns geschwind einen riesigen Teller orange glänzendes, frittiertes, klebrig süßes Gebäck! Es herrscht Diwali in Indien – das sind äußerst wichtige bunte, laute Feiertage im äußerst bunten, lauten Indien, die des nachts mit äußerst bunten, lauten Feuerwerkskörpern gefeiert werden.
Wie sich heraus stellt, gehören unsere Besucher einer einzigen großen Sippe an. Unter ihnen: der Bürgermeister des Dorfes. Spontan lädt uns die Familie zum Dinner ein, es sei doch Diwali, da müsse man essen und feiern und laute Musik hören und beisammen sein. Wir fühlen uns an die oft überraschend eintretende Nächstenliebe zur Weihnachtszeit in Deutschland erinnert. Aufgrund unserer kraftraubenden Erkältungen lehnen wir jedoch höflich ab, allerdings nicht ohne uns das Versprechen abnehmen zu lassen, am folgenden Vormittag – vor unserer Weiterfahrt gen Süden – zum kurzen Frühstück im Nachbarshaus vorbei zu schauen, westliche Touristen habe man hier schließlich noch nie gesehen.
Gesagt getan. Nach erholsamem Schlaf neben dem friedlichen Tempel und (wie schön) nur wenig Diwali Feuerwerk stehen wir ausgesprochen hungrig und pünktlich um neun auf Nachbars Matte. Doch es scheint niemand da zu sein. Sind denn alle ausgeflogen! Wie kann das sein?
Nach wiederholtem Klingeln, Klopfen und vorsichtigen Rufen wird uns geöffnet und wir werden sogleich in ein von hinduistischen Götterbildern überquellendes aber dennoch hübsch anzusehendes, einfaches Wohnzimmer gebeten. Sie befänden sich alle bereits auf der Einweihungsfeier einer neuen Kolonie des Dorfes, versucht uns die zuhause gebliebene Tante verständlich zu machen – man solle aber doch kurz dort vorbeischauen, dort gäbe es wie versprochen ein Frühstück für uns!
Gesagt getan. Nachdem man uns kurz mit einer sehr süßen aber dennoch köstlichen Kardamom-Milch gestärkt hat, fahren wir mit unserem Truck spontan zwei weiteren Nachbarn hinterher, nachdem man uns versichert hat, die Kolonie sei nur wenige hundert Meter entfernt. Uns aus früheren Indienbesuchen der indischen Größenangaben bewusst und auf eine Fahrt von mindestens einer Stunde eingestellt sind wir völlig überrascht, schon nach wenigen Minuten tatsächlich in der besagten Neubau-Kolonie zu stehen. Okay, da ist schon richtig was los! Doch warum schauen uns diese Menschen so erwartungsvoll an? Plötzlich schwant uns Böses …
Zögerlich steigen wir aus unserem Truck und werden sogleich im Spalier in die Mitte dieser völlig fremden Menschen geführt. Ohne Vorwarnung und ohne die Möglichkeit eines Protests wird Peter in Sekundenschnelle zum Hauptakt der Veranstaltung gemacht:
Er wird diese Kolonie einweihen. Er wird eine Blumengirlande über ein Schild mit der Aufschrift Anandvan hängen (Anan bedeute be happy). Er wird dieses besagte Schild äußerst ambitioniert mit verschieden farbigen Pudern, Klebereis und Glitzer betupfen. Todesmutig wird er eine zeremonielle und ausgesprochen feuchte Kokosnuss-Spaltung vornehmen (ich bin ganz überwältigt von den interkulturellen Fähigkeiten meines Mannes, der so etwas schon einmal gemacht haben muss). Und schließlich wird er sich selbst seine angstfeuchte Stirn mit sämtlichen Optionen des Leuchtfarbspektrums bemalen lassen. Dazu werden viele unverständliche, mantrenartige Verse gemurmelt. Doch nicht von Peter.
Endlich dürfen wir uns auf zwei in die Mitte des Geschehens platzierte Plastikstühle setzen – wenn auch als einzige Personen dieser Versammlung – während der Bürgermeister das Wort an die völlig hingerissenen Zuschauer ergreift.
Etwas benommen von der Geschwindigkeit dieses Schauspiels sitzen wir also in unseren thronartigen Stühlen inmitten all dieser Menschen und lauschen der für uns kryptischen Rede, in der wir nur etwa zehnmal den Ausdruck „these Germans“ vernehmen. Ob das etwas mit uns zu tun hat?
Peter und ich haben kaum die Gelegenheit, uns gegenseitig irritierte Blicke zuzuwerfen. Der lokale Pressefotograf fordert uns auf wieder aufzustehen und positioniert oder besser drapiert uns immer wieder neu, um unser erzwungenes Lächeln in die für irgendwen optimale Richtung zu drehen. Mehr verstehen wir nicht.
Kamerawirksam – und selbstverständlich handykamerawirksam – werden uns nun überaus bunte Blumengestecke überreicht, um uns anschließend mit fast jedem der Anwesenden einzeln – und in eigentümlich zusammengestellten Formationen zu fotografieren. Wir – mit allen Frauen. Wir – mit allen Männern. Wir – mit allen jüngeren Männern. Wir – mit allen Kindern. Wir – mit allen Kleinkindern auf dem Schoß. Wir – mit allen Jugendlichen gemischt. Wir – mit allen Schnurbartträgern. Wir – mit allen Mitvierzigern in heller Kleidung und braunen Schuhen. (Damn it! Ich hatte mir in der Früh die Haare nicht gemacht!)
Plötzlich dürfen [müssen/sollen] wir uns rühren, werden von den scheinbar wichtigeren Personen in einen Neubau eskortiert, um in einem recht engen Raum erneut sitzend mit weiteren Diwali Süßigkeiten verwöhnt zu werden … bis wir schließlich (na endlich!) ein Frühstück und köstlichen Chai erhalten. Dass uns die etwa 50 Inder nun gegenüber hockend, stehend und kniend beim Essen beobachten und weiter fotografieren, macht uns nun kaum noch nervös. Wir haben Hunger!
Kaum haben wir unseren Korianderreis aufgegessen, werden uns die Pappteller entrissen und wir etwas abrupt nach unseren Emailadressen, Heimatadressen, sämtlichen Adressen aller möglichen Social Media Kanäle und unseren indischen Telefonnummern gefragt. Gesagt getan.
Und ganz plötzlich stehen alle auf, es werden viele Hände geschüttelt, Freundschaften und Familienzugehörigkeiten bestätigt, sich mehrmals bedankt – und nach etwa zwei Stunden dieses Gesamtprozederes geleitet man uns – ebenso bestimmt und zügig wie man uns in dieses Geschehen hinein manövriert hat – zurück zu unserem Auto. Wir dürften jetzt gehen, uns stünde ja noch ein weiter Weg bevor.
Es dauert einige Zeit, bis wir auf der Fahrt die ersten Worte wechseln können. Zu dringend war unser Bedürfnis nach Stille sowie der Drang dieses Erlebnis sacken zu lassen. Nun ja. Eben ein ganz normaler Vormittag in einem indischen Dorf!
Welcome back to India!
Antworten
Indien ist auch ein großes Reiseziel von mir und ich hoffe, dass ich es dort auch bald hinschaffe. Die Freundlichkeit und Offenheit der Inder ist ja wirklich großartig und ich glaube, man bekommt erst einmal einen Kulturschock, beziehungsweise dann noch einmal wenn man zurück in Deutschland ist, wo man eher die kühle, distanzierte Kommunikation gewohnt ist. Bei dem Bericht über die verschiedenen Formationen die extra für ein Bild mit euch aufgestellt werden, musste ich natürlich schmunzeln, weil so etwas für deutsche Denkweisen ungewöhnlich ist, aber im Grunde ist es einfach nur eine tolle Geste, die zeigt, wie sehr sie sich über eure Anwesenheit gefreut haben.
Großartig! 🙂
Das war es in der Tat! 🙂
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