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Hai-Angriff im Overlook Hotel

Der Hai hatte gewil­dert, war aber längst ver­schwun­den. Spur­los. Nun erober­ten die Men­schen das Spiel­feld zurück. Sie kamen, um zu son­die­ren. Nach­se­hen, was gesche­hen war – und lie­ber noch: wit­tern, was wider­fah­ren könnte.

Ich war nicht beon­ders über­rascht. Schon bei mei­ner Ankunft im aus­tra­li­schen New­castle fühlte ich diese trost­lose end­gül­tige Aura des Todes, die wie ein blei­schwe­rer Tep­pich über dem Ort lag. Das Grauen bohrte sich durch meine Glie­der, als Jacky mich an der Rezep­tion des Hotels begrüßte, wie Jack Nichol­son in THE SHINING: Mit weit auf­ge­ris­se­nen Augen des Wahnsinns.

„Gday, mate! I am Jacky. Feel like home, we will take good care of you“, sagt sie und reicht mir die Schlüs­sel für Zim­mer 217. Unheim­lich. Ich schleppe mich die Treppe hin­auf und schließe die Tür hin­ter mir ab. Die Kette ras­tet ein und ich zerre an den grü­nen Vor­hän­gen, die vor dem Fens­ter bau­meln. Bewe­gungs­los liege ich auf dem Bett, dann schütte ich einen Gin Tonic hin­un­ter und ver­sinke end­lich in einen ängst­li­chen Schlaf.

Mor­gens sitze ich erschöpft am Strand von New­castle Beach auf einer Bank und rut­sche rast­los auf ihr hin und her. Die drei Frauen neben mir tra­gen schwarze Son­nen­bril­len und tun es mir gleich. Auf den Bän­ken sit­zen Aus­tra­lier an nor­ma­len Tagen, um hier ihrem gelieb­ten „Bar­bie“, dem Gril­len, am Strand nach­zu­hän­gen. Heute ist kein nor­ma­ler Tag. Heute die­nen die Bänke als Tri­bü­nen, wie bei einem Ten­nis­tur­nier am Strand. Dicht an dicht, wie Lege­hen­nen, lau­ern die Men­schen gespannt auf den Bän­ken, als wür­den sie die Ankunft ihres Mes­sias erseh­nen. In Dop­pel­rei­hen schie­ben schon wei­tere von hin­ten nach. Ein Sur­fer war ges­tern an die­ser Stelle ange­grif­fen wor­den. Der Hai hatte sich mit sei­nen Zäh­nen tief in das Bein des Sur­fers gegra­ben, das Fleisch von den Kno­chen genagt.

Die Drei haben sich heute mit fei­ner Mar­ken­ware verkleidet. 

Die Brü­nette und die Schwarz­haa­rige mit einem schwar­zen Kleid, dazu Hoch­ha­ckige, die Blonde mit einem Zebra-Kleid, gar­niert mit Schleife und Bal­le­ri­nas. Drei Engel für einen Hai. Nor­ma­ler­weise wür­den Haie das Ufer ja gar nicht errei­chen kön­nen, weil im Was­ser Netze gespannt sind. Ob das nicht fürch­ter­lich auf­re­gend sei, fragt die Blonde und lacht laut los. Ich weiß nicht, ob ich erregt oder besorgt sein soll. Auf eine gewisse Art ist mir die Blonde sym­pa­thisch. Wir wol­len uns beide zu Tode amü­sie­ren las­sen. Na klar wol­len wir das. Ein bes­se­rer Grund fällt mir gerade nicht ein, warum ich mich sagen höre: „Sehr aufregend!“

Der weiße Was­ser­schaum tanzt auf den meter­ho­hen Wel­len, die über die weni­gen muti­gen Men­schen walzt, die heute im wüten­den Meer baden und sur­fen. Kraft­vol­ler ist nur der Biß eines Hais, stelle ich mir vor. In den letz­ten 22 Jah­ren sind in Aus­tra­lien 27 Men­schen nach einem Hai­an­griff gestor­ben. Hub­schrau­ber jagen heute im Tief­flug den Strand rauf und wie­der run­ter und die Life Guards bli­cken kon­zen­triert durch ihre Fern­glä­ser, als sei ein erneu­ter Angriff der Japa­ner zu erwar­ten. Hin und wie­der quen­gelt sich eine Ansage aus dem Laut­spre­cher und durch­schnei­det die Ruhe oben am Strand, der von einer Lust nach Sen­sa­tion durch­flu­tet wird. Der blonde Engel lacht gerade wie­der laut auf und hält die Hände zu einem Dach gefal­tet über dem Kopf, als würde sie zum Party-Klas­si­ker YMCA anset­zen. Die bei­den ande­ren Engel kichern. Es ist das Zei­chen für Hai-Alarm.

Abrupt wird das hys­te­ri­sche Lachen abgeschnitten. 

Was ist das? War nicht gerade noch ein Jet­ski am Hori­zont ent­lang gebret­tert? Dort, ganz da hin­ten. Wie gefähr­lich weit drau­ßen das auch war. Dass war der Blon­den gleich klar. Nun war er plötz­lich am Hori­zont hin­ab­ge­fal­len. Huhuh­aha, jetzt wird es aber fürch­ter­lich und auf­re­gend! War das denk­bar? Der Hai? Er hatte also wie­der zuge­bis­sen! Ohne Gnade. Jet­ski und Besat­zung in die rau­schende Tiefe ver­senkt! In einem Land, dass sei­nen Pre­mier­mi­nis­ter spur­los beim Schwim­men im Meer ver­liert, ohne es zu bemer­ken, ist alles denkbar.

Für einen Augen­blick: Leben in Zeit­lupe. Doch im sel­ben Moment taucht der Jet­ski wie­der auf. Die meter­hohe See hatte ihn ein paar mas­ca­ra­ver­ne­belte Lid­schläge lang ver­schluckt und nun wie­der aus­ge­spuckt. Ich falle in ent­täuschte Engel­sau­gen. Die Schwarz­haa­rige fährt ihre Hand aus und legt sie beru­hi­gend auf den Unter­arm der Blon­den. Die reißt sich los und hebt dar­auf­hin ihre Hände über den Kopf und fal­tet ein Dach. Alle drei gag­gern los. Wel­che Engels­ge­duld hier auch geprüft wird! Unmensch­lich! Ein Tag am Strand – ohne Hai, Blut oder Sen­sa­tion. Leere Coffe-To-Go-Becher sta­peln sich. Nie­mand gibt hier sei­nen Platz frei­wil­lig auf. Nicht jetzt. Fuck you!

Dann plötz­lich scheint Wen­dung in ver­lo­cken­der Reichweite. 

An einem mör­de­risch hei­ßen Nach­mit­tag, der zu einem öden son­ni­gen Strand­tag zu ver­fau­len drohte. Ver­zwei­felte Hoff­nung ent­lädt sich wie ein Som­mer­ge­wit­ter. End­lich schwin­gen sich rote Bade­ho­sen auf eine Art Golf-Cart mit Surf­brett auf dem Dach, das mit rotem Blau­licht zum Ufer hin­un­ter bret­tert. Die Men­schen auf den Bän­ken ste­hen auf, recken ihre Köpfe. Auf den Bal­ko­nen der angren­zen­den Feri­en­ap­part­men­ents wer­den die Feld­ste­cher noch schär­fer ein­ge­stellt, als sie es ohne­hin schon waren.

Es ist eine Frau. Soviel ist zu erken­nen. Etwas muss da mit ihrem Bein sein, dass ist jedem klar. Es scheint, als würde es in einem unge­wohn­ten Win­kel abste­hen. Eine Men­schen­traube bil­det sich unten am Ufer. Unruhe macht sich oben auf den Bän­ken breit. Man sieht ja gar nichts! Die Blonde for­dert eine Ansage durch die Beschal­lungs­an­lage, wie durch einen Kom­men­ta­tor beim Superbowl.

Nur wenige Augen­bli­cke spä­ter raunt all­ge­mei­nes Ent­set­zen durch die Rei­hen: Die Frau kann allein, ohne jede Hilfe, auf­ste­hen! Offen­sicht­lich nur eine kleine Wunde am Ober­arm, die mit einem Pflas­ter ver­sorgt wurde. Die drei Engel schie­ben nun end­gül­tig ab. Absätze kla­cken auf dem Asphalt der Strand­pro­me­nade von New­castle Beach. Der Wind hat gedreht, weht leere Coffe-To-Go Becher davon und ver­schluckt gag­gernde Engels­stim­men. Und auch ich habe genug Auf­re­gung für heute. Im Hotel war­tet noch der Schre­cken von Zim­mer 217 auf mich.

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Markus Steiner

Es war 2011, als Markus das letzte Mal das dumpfe Klacken der Bürotür hinter sich hörte. Und beschloss Neues zu entdecken. Seitdem ist er in der Welt zu Hause. Markus schrieb 393 Reisetage auf, was er erinnerte und wie, um vom Leben zu erzählen. In seinem Blog vereint er seitdem seine Leidenschaften: Reisen und Schreiben. Markus erzählt Geschichten von unterwegs. Von den Menschen, der Schönheit der Welt und wie es sich anfühlt, in ihr zu reisen und mit ihr zu leben. Schöne Welt.

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