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Grün, grün, grün sind alle Wanderrouten

Fotos von Jas­min Frey

Es hat ein bisschen Landschulheimfeeling, aber das muss ja auch nichts schlechtes sein. Mit einem verhaltenen Lachen gucken wir uns in unserer Pension im Örtchen Rathen um. Liebevoll eingerichtet ist das Zimmer wahrhaftig, selbst das Desinfektionsmittel wurde dekorativ platziert. Ein Wandtattoo schmiegt sich an eine hellgrün gestrichene Wand.

Tat­säch­lich war es gar nicht so ein­fach, über­haupt ein Zim­mer Mitte Juli in der Säch­si­schen Schweiz zu ergat­tern: Der deut­sche Teil des Elb­sand­stein­ge­bir­ges in Sach­sen war schon vor der Pan­de­mie, die Aus­lands­rei­sen gelinde aus­ge­drückt eher erschwer­ten, ein belieb­tes Rei­se­ziel für Fami­lien. Kein Wun­der: Wan­dern kann man in ganz Deutsch­land, aber so eine Kulisse fin­det man selten!

Wir befin­den uns eine Vier­tel­stunde von der Bas­tei, einer ein­drucks­vol­len Fels­for­ma­tion, ent­fernt. Bequem kön­nen wir in den Maler­weg ein­stei­gen – eine Route, die das gesamte Areal mit­ein­an­der ver­bin­det. Auf den meis­ten Weg­wei­sern ist das „l“ zu einem „i“ umge­stal­tet und so fol­gen wir eif­rig dem „Mai­er­weg“. Wer die Bas­tei, spe­zi­ell die 1851 errich­tete Sand­stein-Brü­cke, men­schen­leer erle­ben möchte, muss auf jeden Fall sehr früh auf­ste­hen. Für nur 2,50 Euro kann man die Fel­sen­burg Neu­r­a­then besich­ti­gen, was einen noch ein­mal in die Höhen und Tie­fen des Tals führt.

Von den Aus­sichts­platt­for­men aus sieht man aller­lei bizarr geformte Fel­sen­an­ord­nun­gen. Man könnte tage­lang wan­dern und bei jedem Ziel erstaunt sein über die Lau­nen der Natur (wie etwa die Affen­steine, die kleine und große Her­ku­les­säule und die Schramm­steine). Ein­zig der Lich­ten­hai­ner Was­ser­fall ist etwas ernüch­ternd. Wer den­noch mit dem Auto dort­hin unter­wegs ist und dann zu Fuß wei­ter zum „Kuh­stall“, dem zweit­größ­ten Fel­sen­tor der Säch­si­schen Schweiz: Die tra­di­tio­nell dort fah­rende Kir­nitzsch­tal­bahn ist eine unbe­re­chen­bar, unvor­her­seh­bare Kom­po­nente im Straßenverkehr.

Alles ist so wahn­sin­nig grün. Wir sind umge­ben von grün. Beson­ders beein­dru­ckend sind die 700 Stu­fen durch die Schwe­den­lö­cher. Die klamm­ar­ti­gen Fel­sen­gas­sen, klei­nere zu durch­que­rende Höh­len und zwei steile Eisen­lei­tern machen die Wan­de­rung zu einem Aben­teu­er­spa­zier­gang. Danach möch­ten wir uns mit einer Stär­kung beloh­nen – im ältes­ten Bier­gar­ten Deutsch­lands am Schloss Son­nen­stein in Pirna. Die­ser ent­täuscht lei­der mit sei­ner gerin­gen Größe (oder es liegt an unse­rer baye­ri­schen Her­kunft und den damit ein­her­ge­hen­den Erwartungen).

Wer sich nicht immer nach Pirna, Ver­wal­tungs­sitz des Land­krei­ses Säch­si­sche Schweiz-Ost­erz­ge­birge, zum Abend­essen auf­ma­chen möchte, bekommt lei­der schnell ein Pro­blem mit den Öff­nungs­zei­ten in den Kur­or­ten der Säch­si­schen Schweiz. Wan­dern macht ja bekannt­lich hung­rig, aber damit schei­nen die Restau­rant­be­sit­zer wenig Mit­leid zu haben. Unsere Wir­tin hat sich glück­li­cher­weise viel Mühe gege­ben, zumin­dest den feh­len­den Mini­bars auf den Zim­mern ent­ge­gen­zu­wir­ken: Ein Kühl­schrank beim Ein­gang ist stets prall gefüllt mit ein­hei­mi­schen Mar­ken. Kein Craft Beer, kein Schnick­schnack. Wäh­rend wir noch die Liste schrift­lich aus­fül­len, zu wel­chen Glas­fla­schen wir grei­fen, hören wir das laute Schnar­chen aus Zim­mer 1 und bemit­lei­den das Nach­bar­zim­mer 2.

Wir bemit­lei­den außer­dem die Jugend­li­chen, die zwar vor einer traum­haf­ten Kulisse auf­wach­sen, denen aber die Bord­steine unter den Füßen hoch­ge­klappt wer­den. Aller­dings ist Dres­den mit dem Zug nur eine halbe Stunde ent­fernt. Hier gilt es zu beach­ten, dass eine Fähre Ober­ra­then und Neu­r­a­then ver­bin­det. Und diese legt zu die­sem Zeit­punkt zuletzt um 22 Uhr ab. Wir las­sen den­noch Wan­der­schuhe und Trek­king­ruck­sack hin­ter uns und besich­ti­gen die prunk­volle Sem­per­oper und den pracht­vol­len Zwin­ger. Fol­ge­rich­tig zum Farb­schema die­ser Reise trinke ich Roku Gin mit grü­nem Matcha Tonic in der Dresd­ner Neu­stadt. Zuvor kaufe ich ein paar Ker­zen, die unser Land­schul­heim­zim­mer deko­ra­ti­ver gestal­ten als die Häkel­deck­chen auf dem Nachttisch.

Noch beein­dru­cken­der als die Schwe­den­lö­cher ist das in 25 Auto­fahr­mi­nu­ten zu errei­chende, tsche­chi­sche Hřensko – wenn­gleich die Infra­struk­tur zu wün­schen übrig lässt. Der Wan­der­bus zum sagen­haf­ten Pre­bisch­tor, dem größ­ten Fel­sen­tor Euro­pas, fährt nur ein­mal in der Stunde. Wenig Ambi­ente, dafür viel Geschmack bie­tet das Restau­rant Mezná Louka am Bus­s­top. Zu die­sem Zeit­punkt sind wir aller­dings schon so ver­liebt in die Edmunds­klamm und die Wilde Klamm, die man mit einem Boot durch­quert (das man sich extra her­an­k­lin­geln muss auf dem Rück­weg), dass uns die War­te­zeit auch nichts mehr aus­macht. Stun­den­lang wird man hier vom sat­ten Grün ver­schluckt und sieht tat­säch­lich zeit­weise keine andere Menschenseele.

Nur einen gefühl­ten Stein­wurf von der tsche­chi­schen Grenze ist das beliebte Bio-Restau­rant Strand­gut in Bad Schandau ent­fernt. Es ist nach 20 Uhr und es hätte noch offen, aber fast aus Pro­test ent­schlie­ßen wir uns gegen den Besuch. Wir ent­schei­den uns auch gegen die hip ein­ge­rich­tete Villa Thus­nelda mit dem Café Rich­ter und für schlech­tes Schnit­zel in dem ein­zig in Nähe unse­rer Pen­sion geöff­ne­ten Lokal – alles war bei die­sem Tages­aus­flug so gut, wir wol­len uns ärgern!

Zum Schluss unse­rer Reise besu­chen wir die Wehr­an­lage König­stein, eine beliebte Foto­lo­ca­tion für Hoch­zeits­paare. Uns begeg­net gefühlt jede exis­tente Hun­de­rasse. Der Ein­tritt von 12 Euro ist viel­leicht etwas zu eupho­risch ange­setzt, für das, was man tat­säch­lich bekommt. Auf dem Rück­weg, den Elb­rad­weg ent­lang, spei­sen wir in der sehr guten Klei­nen Ein­kehr. Wäre da keine dau­er­be­fah­rene Zug­stre­cke, wir hät­ten uns unter den grü­nen Son­nen­schir­men im Bier­gar­ten erneut im Grü­nen verloren.

Als wir zurück­fah­ren, begin­nen die Ferien in Sach­sen. Die Radio­sen­der war­nen – vor dem Hin­rei­se­ver­kehr in die Säch­si­sche Schweiz. Wir kom­men per­fekt durch, wäh­rend auf der Gegen­spur die Autos ste­hen. Auch 2021 wird ein Run auf den säch­si­schen Grand Can­yon statt­fin­den. Viel­leicht ergat­tern wir ebenso wie­der ein wenig Land­schul­heim­fee­ling. Wie grün es wirk­lich war, kann man sich auch noch ein­mal auf Insta­gram anse­hen: @iceblueeyesjazz.

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Simone Bauer

Simone Bauer liebte ihr Amerika, ihr England – bis sie in Japan ankam und zum ersten Mal in ihrem Leben ankam. Die 1990 geborene Wahlmünchnerin ist als Spezialistin für Öffentlichkeitsarbeit tätig und als Journalistin unter anderem für MISSY und Koneko, das Magazin über japanische Popkultur. Neben Kurzgeschichten veröffentlichte sie zuletzt ihren sechsten Roman „Butterflies - Die Göttin wird sich erheben“ bei Twentysix.

  1. Nina says:

    Ende des Monats geht es für mich auch end­lich und zum ers­ten Mal in die Säch­si­sche Schweiz. Danke für deine Ein­drü­cke und die Bil­der, die Vor­freude ist groß! 

    Viele Grüße

  2. Pingback:Awarakadawara, wo san meine Hawara? Wo san meine Freind, wann die Sonn net scheint? | howmanyheartaches

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