Glück über Grönland

„Wer das Glück hat, mit einem Flug­zeug über die Glet­scher zu flie­gen und die Mas­sen an Eis aus der Luft zu sehen, der kann sich schlicht­weg nicht vor­stel­len, dass es eines Tages tat­säch­lich so weit sein soll, dass das end­los schei­nen­de Eis weg­schmilzt …“ Ich lese die­se Zei­len über Grön­land in einem Rei­se­ma­ga­zin, und zwar: Wäh­rend. Ich. Mit. Einem. Flug­zeug. Über. Grön­land. Flie­ge.

Mein Herz geht auf. „80 Pro­zent von Grön­land lie­gen unter einer Eis­schicht, die bis zu 3400 Meter dick ist“, steht in der Zeit­schrift in mei­nem Schoß, ich schaue aus dem Fens­ter, hin­ab auf Grön­land, mache Fotos und bin dank­bar, dass mein Sitz­nach­bar mir gleich beim Boar­ding sei­nen Fens­ter­platz ange­bo­ten hat. Nein, ich kann mir wirk­lich nicht vor­stel­len, dass all die­ses Eis eines Tages weg­schmilzt, und ja, ich habe hier und jetzt das Glück, das unbe­schreib­li­che Glück, mit einem Flug­zeug über die Glet­scher zu flie­gen.

Visum besorgt, Zweifel beseitigt

Und dann wird mir klar: Ich habe selbst dafür gesorgt. Indem ich mich ent­schie­den habe, nach Kana­da zu gehen. Indem ich über zwei Jah­re lang Geld gespart habe. Indem ich mich um Visum, Zwi­schen­mie­te­rin, Arbeits­er­laub­nis, Flug und Kran­ken­ver­si­che­rung geküm­mert habe. Indem ich mei­nem Chef im Febru­ar mit hoch­ro­tem Kopf mit­ge­teilt habe, dass ich kei­nen neu­en Ver­trag unter­schrei­be. Indem ich die Zwei­fel, die Ängs­te bei­sei­te gescho­ben und auf mein Herz gehört habe.

Das auf­blas­ba­re Nacken­kis­sen bleibt in der Hand­ta­sche, ich bin zu auf­ge­regt zum Schla­fen. Es wird ohne­hin nicht Nacht auf mei­nem Flug, weil ich der Dun­kel­heit davon­flie­ge. Ich den­ke an mei­ne Mut­ter, die am Bahn­steig geweint hat und am Tele­fon auch. „Es geht mir gut, Mama“, will ich ihr sagen, „ich bin glück­lich.“ Ich weiß genau, dass sie kein Auge zumacht, bis ich mich nach der Lan­dung bei ihr mel­de. Ich den­ke an mei­ne Freun­de, mit denen ich ges­tern noch Scha­ra­de gespielt habe. Ich glau­be, sie sind stolz auf mich.

Die Schul­ter schmerzt vom Ruck­sack­tra­gen, die Knie auch, ich kann die Bei­ne nicht aus­stre­cken. Aber das Herz, das tanzt, weil ich das Rich­ti­ge getan habe, und als ich das begrei­fe, im Flug­zeug über Grön­land, da könn­te ich los­heu­len vor Glück.

Bildschirmfoto 2015-10-23 um 09.36.27

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Antworten

  1. Avatar von Palma Wlassics via Facebook

    Gross­ar­ti­ger Blogg und Arti­kel 😀 (Y)

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Dan­ke­schön! 🙂

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