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Es fing alles an, als ich in den Bus zum Stadion gestiegen bin. Wohin ich den möchte? Racing? Ja da hinten sitzt schon ein Racing Fan. Sein Name war Hannibal, lange graue Haare, Hut, des englischen mächtig und ein absoluter Glücksgriff für mich. Er hat sich auch sogleich neben mich gesetzt und angefangen zu erzählen. Eigentlich hat er die gesamten 3–4 Stunden unseres Zusammenseins nur erzählt. Keine Fragen gestellt. Keine Kommentare verlangt.

Hannibal hat mir den Weg zum Stadion gezeigt. Ich war mir nicht sicher wieviel Hochstapler in ihm steckt. Er meinte, er hätte die erste Racing Blockfahne überhaupt entworfen. Aha. Und hat auch sonst recht viel erzählt. Drei Stunden vor Anpfiff standen wir dann an einem verschlossenen blauen Tor, er meinte ich solle einfach still sein, nichts sagen, er würde alles regeln. Wir sollten wohl irgendwohin, wo normalsterbliche keinen Zutritt hatten. Er klopfte am Tor, niemand machte auf. Schwätzer dachte ich, aber ein Netter. Mit uns vier Polizisten am warten. Die passierten fünf Minuten später das Tor, Hannibal und ich hinterher. Ich durfte also mit rein. Niedergelassen haben wir uns dann in einem kleinen Vereinshaus und dass es tatsächlich etwas speziell war mit dem Zutritt, hab ich spätestens gemerkt, als der Ordner vom Tor reinkam und zwei Gäste aufgefordert hat das Gebäude zu verlassen. Waren anscheinend nicht erwünscht.

Er war ein unscheinbarer Typ, wirkte oberflächlich freundlich, nicht sehr groß auch nicht unbedingt kräftig und das ist auch das ganze Problem an der Sache. Wenn sich jemand in solchen Hierarchien hochgearbeitet hat und keinen Körper eines Reeperbahn-Türsteher aufweist, dann steckt da was anderes dahinter und ich will mir nicht ausmalen, was er für ein Irrer sein muss. Hannibal hat nur vage Andeutungen gemacht. Das reichte mir.
Als ich einen Moment alleine dort rumstand hat er sich vor mich gestellt und mit mir geredet. Ich hab kein Wort verstanden. Ehe ich mich versah hat er mich „gebeten“ (mit freundlichen stössen, die keine Wiederworte zulassen) in die Ecke dort zu treten, wo ich dann auch sogleich umringt war von 4–5 Hools Marke Kleiderschrank. Allerdings hatte Nummer 4 eine solche Ausstrahlung, das ich diesen vier Jungs lieber Nachts in einer dunklen Seitenstraße im Boca Juniors-Dress über den Weg gelaufen wäre, als ihn hier vor mir stehen zu haben. „Documenta“ wolle er. Ich erklärte ihm wo ich wohne und das ich keinen Pass dabei habe. Er wollte mit mir zu unserem Haus gehen. „Amigo Amigo“, ja da hinten ist Hannibal. Er kam auch sogleich an und hat die Situation aufgeklärt. Ich weiß immernoch nicht, ob die checken wollten, dass ich sauber bin, oder es einfach nur ein Scherz war. Nummer 4 hatte einen sonderbaren Humor und offensichtlich Freude daran Menschen einen Schrecken einzujagen. Gehörte irgendwie zu seinem Wesen.
Nummer drei war dann auch meine persönliche Lebensversicherung. Netter fürsorglicher Typ. Hat aber wahrscheinlich auch schon für seinen Verein getötet. Man weiß es nicht. Das Gute war auf jedenfall, dass ich natürlich frei ins Stadion durfte und mitten im Herzen der Kurve stand. Ich hab mich das ganze Spiel auch keinen Zentimeter von den mir bekannten Gesichtern wegbewegt. Nummer 2 habe ich nur kurz gesehen. Der durfte nicht rein, hatte Stadionverbot. Nummer eins war nicht da. Wahrscheinlich durfte der nicht raus und sitzt im Gefängnis. Spekulation. „Private Dinge“ kommentierte Hannibal sein fehlen. Eine nette Truppe von Verrückten und Irren auf jedenfall.

Mr. Geländer-Hool hat sich dann im weiteren Verlauf des Spiels noch mit einem größeren Brocken angelegt, war wohl ne Familienfede. Boxkampf, steckt vier üble Kopftreffer ein, blutüberströmt, steht aber wie ne Eins und ist total in Rage. Fordert Revanche, läuft zum Zaun, weil da mehr Platz ist und winkt seinen Kontrahenten zur nächsten Runde. Der bleibt aber stehen, Nummer 3&4 haben alle Mühe für Beruhigung zu sorgen. Sah nach gebrochener Nase aus und einem Cut an der Backe. Irgendwann Situation vorbei und alle wieder am Feiern.
Danach war mein Sensationsbedürfnis auch schon mehr als bedient. Ich hätte eigentlich nach Hause gehen können. War genug. Aber noch nicht das Ende. Zur Halbzeit hat sich ein Getränkemensch mit einem prall gefüllten Rack Coca-Cola in unsere Hool-Ecke verlaufen. Das war dann auch ein besonderes Schauspiel, wie auf einmal Anarchie ausbrach, mindestens 20 Leute auf den armen Cola Verkäufer zustürmten und einfach alles plünderten, was zu holen war. Pures Entsetzen in seinem Gesicht. Ja, frag mich mal, ich muss hier noch 45 Minuten mit den ganzen Verrückten Fußball schauen.

Rückfahrt dann noch in einem Fanbus. Alle höchst amüsiert einen Deutschen dabei zu haben. Mega Party im Bus, da auf der Rückbank ne komplette Samba Gruppe Platz gefunden hat. Trommeln, Singen, Cola mit Wein, Polizeieskorte (Heimweg führte durch das Boca Juniors Viertel) und ich durfte letztendlich aus dem fahrenden Bus springen und mitten über die größte Straßenkreuzung von Buenos Aires Richtung zu Hause laufen.
Fußball hier absolut verrückt. Wie auch die ganze Stadt. Großen Dank an Guardia Imperial, Hannibal und alle anderen Durchgeknallten für die Erfahrung. Fußball gespielt wurde übrigens auch. Hab nur nichts davon mitbekommen. Blockfahne lies keine freie Sicht zu, Stehplatz war eh in scheiß Position und Aufnahmefähigkeit war stark strapaziert. Racing gewann 2:0.
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