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Eine Stadt zwi­schen zwei Wel­ten – Ìstanbul

Als Süley­man, der Präch­tige, 1557 die Fer­tig­stel­lung der Süley­ma­niye-Moschee mit­er­lebte, blickte er vom Was­ser des Gol­de­nen Horns auf die Aus­maße und die Pracht der dama­li­gen Haupt­stadt des Osma­ni­schen Rei­ches und ihn muss ein Schauer des Wohl­be­fin­dens durch­fah­ren haben. Was er sich nicht träu­men ließ, war, dass an der glei­chen Stelle knapp 450 Jahre spä­ter Hor­den an Tou­ris­ten aus aller Welt immer noch den glei­chen Schauer ver­spü­ren, wenn von den Hügeln an den Was­ser­stra­ßen die Muez­zins zum Gebet anset­zen und der Ruf von den Tau­sen­den Gebäu­den, Mau­ern und Parks der Metro­pole wider­hallt. Wäh­rend sei­ner 46jährigen Regie­rungs­zeit – län­ger als die irgend­ei­nes ande­ren Herr­schers der osma­ni­schen Geschichte – wan­derte er oft­mals durch die Gär­ten und Hal­len des Top­kapi Palas­tes. Sein Blick rich­tete sich auf den Bos­po­rus in Rich­tung Schwar­zes Meer und rechts auf Asien, links auf Europa. Was er sich nicht träu­men ließ, war, dass an der glei­chen Stelle knapp 450 Jahre spä­ter Hor­den an Tou­ris­ten aus aller Welt fas­zi­niert den Anblick zweier Wel­ten, gebün­delt in einer Stadt, genie­ßen würden.

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Als wir, meine rei­zende Beglei­te­rin und ich, in die­ser Vor­weih­nachts­zeit am Anle­ge­steg von Emi­nömü ste­hen und unse­ren ers­ten Blick auf die Galat­a­b­rü­cke, das Gol­dene Horn zur Lin­ken und den Bos­po­rus zur Rech­ten wer­fen, durch­strömt auch uns ein woh­li­ger Schauer. End­lich sind wir hier. Es war gar nicht so leicht, bis in die Stadt zu gelan­gen, die Fahrt vom Flug­ha­fen in die Alt­stadt dau­erte dank Stau etwa zwei Stunden.

Neben dem Tür­kisch aus allen Keh­len hört man ohne­hin auch ziem­lich viel Hupen. Die Stadt hat geschätzte 15 Mil­lio­nen Ein­woh­ner, und manch­mal will mir schei­nen, auch 15 Mil­lio­nen Autos. Die Mobi­li­tät ist ein Teil der tür­ki­schen Seele und eine Frage der Ehre. Frü­her waren es Pferde, heute sind es BMW. Fahr­rä­der dage­gen sieht man sel­ten, denn eine Klin­gel macht kei­nen Krach. Bohr­ma­schi­nen, Press­luft­ham­mer, Eisen­sä­gen, Beton­mi­scher und Vor­schlag­ham­mer dage­gen las­sen ihre Her­zen vor Freude hüp­fen. Lärm ist Leben. Fünf­mal pro Tag singt dazu der Muez­zin von der Größe Allahs und sei­nes Pro­phe­ten, und die See­len der Gläu­bi­gen ste­hen für einen Moment an der Bus­sta­tion zur Ewig­keit, um dem Tru­bel zu ent­flie­hen. Und die Nebel­hör­ner der Fäh­ren, die Istan­buls Stadteile mit­ein­an­der ver­bin­den, ver­mi­schen sich mit den hei­li­gen Gesän­gen, die der Wind über­nimmt, um sie über die Dächer zu tra­gen, über die Gär­ten, Hin­ter­höfe und Basare oder schlicht, wohin er will.

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Das ist der Sound des alten Kon­stan­ti­no­pel, bevor die Sonne unter­geht, danach zie­hen wir uns vor der Kälte in unser Zim­mer zurück. Im drit­ten Stock über einer Döner­bude, mit Heiz­strah­ler vor dem Bett, lässt es sich gut aus­hal­ten. Ohne­hin macht die­ser kleine Raum eini­ges her, erin­nert die Ein­rich­tung doch an einen der frü­hen James Bond Filme aus den 1960ern. Ach ja, James Bond und Istan­bul. Ich denke bei der Stadt immer auch gleich an Lie­bes­grüße aus Mos­kau. An das Geheim­ver­steck unter dem rus­si­schen Kon­su­lat, an den nie­der­ge­schla­ge­nen Bul­ga­ren in der Hagia Sophia, an die Fahrt von Sean Con­nery auf dem Bos­po­rus. Fan­tas­ti­sche Sze­nen, unver­ges­sen. Wie unver­gess­lich wird unsere Woche in die­ser Weltmetropole?

Der nächste Tag macht uns schnell klar, wie toll die Lage unse­res Döner­ho­tels eigent­lich ist. In gut zehn Minu­ten ste­hen wir zwi­schen der Blauen Moschee und der bereits erwähn­ten Hagia Sophia, und der Anblick sorgt für den nächs­ten woh­li­gen Schauer. Es ist über­haupt einer der tolls­ten Plätze, den ich mir auf der Welt vor­stel­len kann. Auf der einen Seite die ehe­mals größte Kir­che des byzan­ti­ni­schen Rei­ches (ja, die­ses Gebäude ist keine Mosche, son­dern wurde als Kir­che ent­wor­fen und fer­tig­ge­stellt). Der Innen­raum mit sei­nen Säu­len, den über­di­men­sio­na­len dun­kel­grü­nen Schrift­ta­feln mit den gol­de­nen ara­bi­schen Zei­chen, der Rund­gang im ers­ten Stock mit nur noch mehr Aus­blick auf die Umge­bung. Und auf der ande­ren Seite die Sul­tan-Ahmed Moschee, bes­ser bekannt als Blaue Moschee. Der Name kommt von den blau-weiße Flie­sen, die die Kup­pel und den obe­ren Teil der Mau­ern zie­ren. Es ist viel­leicht die schönste Moschee, die ich bis heute sehen durfte. Außer­dem weist sie eine wei­tere Beson­der­heit auf: Im Gegen­satz zu ande­ren Moscheen besitzt sie sechs Mina­rette. Ledig­lich in Mekka beher­bergt die el-Haram Moschee mit der Kaaba im Zen­trum auch mehr Mina­rette, der­zeit sind es neun.

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Wir zie­hen wei­ter. Der Große Basar mit sei­nen ver­win­kel­ten Gas­sen, den Markt­schrei­ern, den Obst‑, Gemüse- und Gewürz­händ­lern, den Schmie­den, den Tee­stu­ben, den Tep­pich­ver­käu­fern… ein Uni­ver­sum für sich, im Zen­trum der Eski Bedes­ten, die alte Tuch­halle. Stun­den­lang kann man sich hier in den Gän­gen und den Innen­hö­fen ver­lie­ren. Ein fader Geschmack bleibt bei uns aber im Hals kle­ben – die tür­ki­schen Markt­schreier sind schon sehr pene­trant und sehr offen­siv. Das aber ist nicht halb so schlimm, wie die dicke deut­sche Frau, die mit ihrem Mann auf Ent­de­ckungs­tour geht. Als sie hört, wie ich mit mei­ner Beglei­tung deutsch spre­che, fragt sie uns ernst­haft: “Sind Sie auch auf dem Schiff?” Sicher sind wir das. In Istan­bul gibt es ja kaum deut­sche Touristen…

Dann geht es end­lich auf ein ande­res, klei­ne­res Schiff. Mit einer der unzäh­li­gen Fäh­ren fah­ren wir über den Bos­po­rus hin­über nach Üsküdar, und damit auch hin­über von Europa nach Asien. Bevor wir ein­tra­fen, hatte ich die­sen angeb­li­chen Gegen­satz zwi­schen Ost und West am Bos­po­rus für ein Kli­schee gehal­ten, ich hatte gedacht, dass es so augen­schein­li­che Unter­schiede inner­halb einer Stadt doch gar nicht geben könne. Doch als wir die Fähre ver­las­sen, lie­gen hin­ter uns die Hoch­häu­ser und Wohn­an­la­gen von Beyo­glu und Bes­ik­tas. Vor uns aber Asien. Der Unter­schied ist enorm. Es ist noch wuse­li­ger, noch mehr Leben vor uns. Aber es gibt auch mehr Ein­hei­mi­sche, mehr Kopf­tü­cher, mehr Kon­ser­va­tive, mehr Bur­ka­mie­zen. Weni­ger Tou­ris­mus. In einem klei­nen Fisch­re­stau­rant essen wir fri­sche Sar­del­len mit Salat, es ist fan­tas­tisch. Als wir das Fisch­lo­kal ver­las­sen und nach rechts abbie­gen, ste­hen wir zwi­schen Unmen­gen an fri­schem Obst und Gemüse. Neben den für uns übli­chen Ver­däch­ti­gen Kohl, Wein­trau­ben und Erd­bee­ren lie­gen Fei­gen, Gra­nat­äp­fel und Zucker­me­lo­nen. Auber­gi­nen hän­gen in run­den Schei­ben als Gir­la­den vor den Stän­den. Dane­ben glot­zen einige Fische aus­drucks­los in die Luft. Vom kürz­lich vor­han­de­nen Leben zeu­gen nur noch die aus­ge­klapp­ten, tief roten Kie­men. Grüne, schwarze und rote Oli­ven wer­den Kilo­weise ver­kauft, Wein­blät­ter zu Pake­ten ver­schnürt. Tür­ki­sche Süßig­kei­ten wie Bak­lava, Lokum und Halva gibt es im Son­der­an­ge­bot. Das Leben auf den Märk­ten, auf der Straße. Leben, das es so im Wes­ten kaum noch gibt.

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Abends zurück in der Alt­stadt, nahe unse­rer Unter­kunft. Auch in unse­rer Nähe eine lange Straße, gesäumt von Gemü­se­lä­den, Cafés, Restau­rants, Shishabars.
Es wird geges­sen, getrun­ken, Was­ser­pfeife geraucht und Back­gam­mon gespielt. Viel Leben, wohin das Auge blickt.
Eine Stadt, die am Meer liegt, ist geseg­net. Istan­bul liegt an zwei Mee­ren. Der Bos­po­rus bringt das Was­ser und die Waren­welt des Schwar­zen Mee­res, das Mar­ma­ra­meer bringt alles, was die Ägäis und damit das Mit­tel­meer an Gütern zu bie­ten hat, und dann gibt es noch die­ses kleine Meer inmit­ten der Stadt, Gol­de­nes Horn genannt.

Das birgt die Chance – egal, wo man in Istan­bul gerade geht, steht, sitzt oder liegt –, ent­we­der einen Zip­fel oder gleich eine ganze Breit­seite wind­be­weg­tes Blau zu sehen. Mit allem Drum und Dran (Fischer, Jach­ten, Seg­ler, Ufer­pro­me­na­den), außer­dem bie­tet es recht exklu­sive For­men des öffent­li­chen Nah­ver­kehrs. Fäh­ren eilen zwi­schen den Stadt­tei­len Istan­buls wie Busse hin und her, und obwohl diese Trans­fers sel­ten län­ger als 30 Minu­ten wäh­ren, füh­ren sie in extrem unter­schied­li­che Welten.

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Es riecht immer ein wenig nach Meer, selbst wenn wir durch enge Gas­sen inner­halb der Alt­stadt strei­fen. Erst recht, als wir am Rande des Stadt­teils Fatih den Top­kapi Palast besu­chen. Nun schließt sich der Kreis und wir wan­deln auf den Spu­ren von Süley­man I., genannt der Präch­tige. Präch­tig hat­ten sie es in der Tat, die Herr­scher der Osma­nen. In die­sem Palast und den Gär­ten rund­herum, samt Aus­blick auf das Gol­dene Horn und den Bos­po­rus, leb­ten zur Hoch­zei­ten die­ser Welt­macht etwa 5000 Men­schen. Auch der Harem des Sul­tans war hier unter­ge­bracht, mit Ehe­frauen, Lust­frauen, Eunu­chen und allem, was bis heute unser Bild von Tau­send und einer Nacht prägt. Heute, als wir den inzwi­schen kom­plett als Museum genutz­ten Palast besu­chen, bin ich beson­ders ange­tan von der ehe­ma­li­gen Palast­kü­che. Noch immer ste­hen die sechs Rie­sen­schorn­steine dort, das Essen in Istan­bul ist bis heute mit das Beste an die­ser Region. Und der gute Mann damals konnte sich ja auch noch jeden noch so klei­nen Wunsch genau erfül­len las­sen, ohne zu Bezah­len. Kein schlech­tes Leben.

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Eine Anek­dote bleibt noch. Am letz­ten Mor­gen, bevor es für uns zurück ins weih­nacht­li­che Deutsch­land geht, müs­sen wir früh raus. Unser Bus zum Flug­ha­fen soll um halb acht abfah­ren. Als ich noch unter der Dusche stehe, wird meine Beglei­te­rin doch ein wenig unge­hal­ten, als einer der net­ten Her­ren von der Döner­bude bereits mit neuen Mie­tern unse­rer Bleibe – einer tür­ki­schen Fami­lie – in der Tür steht. Ver­ständ­lich, war die Tür doch geschlos­sen und hat die Dame nur ein Hand­tuch um, da sie soeben aus dem Bad kam. Das nenne ich mal Geschäfts­sinn: Die neuen Gäste schon auf­neh­men und rein­las­sen, wäh­rend die alten sich gerade anzie­hen, um zu gehen…

Eines steht fest: Wir haben Istan­bul ins Herz geschlos­sen. Und wir wer­den wie­der kom­men und uns beein­dru­cken las­sen – so wie einst Süley­man. Der Prächtige.

Cate­go­riesTür­kei
Marius Kriege

Mit Anfang 20 brach Marius nach Australien auf und ist trotz regelmäßiger Unterbrechungen im Grunde nie wieder ganz zurückgekehrt. Ein halbes Jahr Südamerika brachte unzählige tolle Geschichten und Malaria, aber das verbuchte er unter Erfahrung. Wenn er nicht irgendwo unterwegs ist, lebt er in Hamburg und schreibt. Über alles, was ihn bewegt.

  1. Alanya says:

    Hallo Marius,
    bin der Glei­che Mei­nung wie Thomas

    Alanya Tür­kei als Haupt­stadt der gleich­na­mi­gen Pro­vinz, bie­tet per­fekte Ferien. Die Haupt­stadt ist schon lange bei den Tou­ris­ten bekannt, da sie eine gehö­rige Por­tion Ent­span­nung und Attrak­tio­nen zu bie­ten hat. Es geht um eine antike Stadt mit schma­len Gas­sen und ori­en­ta­li­schen Märk­ten. Jener Feri­en­ort der tür­ki­schen Riviera liegt nur 135 km weit von Anta­lya und hat ca. 103.670 Bürger.
    Der Urlau­ber kann den Strand aus­kos­ten und auch den Was­ser­sport betrei­ben. Die Ort­schaft hat diverse hüge­lige Fels­vor­sprünge, was beson­ders fes­selnd wirkt und wei­ter­hin kann der Tou­rist sich nicht zuletzt die Sel­dschu­ki­sche Schiffs­wert anschauen. Auch die St. Niko­laus-Kir­che muss man unbe­dingt anschauen, die eine über­wie­gend deut­sche Kirch­ge­meinde auf­zu­wei­sen hat. Aus die­sem Grund wer­den die Tou­ris­ten auch sehr herz­lich empfangen.
    Die Urlau­ber müs­sen sich auch auf jeden Fall den Burg­berg anse­hen. Jener hat eine große Anzahl Sehens­wür­dig­kei­ten auf­zu­wei­sen. Man kann die Moschee besich­ti­gen, fer­ner­hin das his­to­ri­sche Zen­trum. Auch die Kara­wan­se­rei ist per­fekt. Und nicht zu ver­ges­sen die Tropf­stein­höh­len, die span­nend sind und dazu eine Abküh­lung bringen.
    Alanya ist ein wun­der­ba­rer Feri­en­ort in der Tür­kei, man wird sich in kei­ner Weise lang­wei­len müs­sen. Man kann so viel erle­ben, ob nun in der Natur oder auch durch unter­schied­li­che Sehens­wür­dig­kei­ten. Auf der Online­prä­senz wer­den Sie noch mehr über die Tür­kei erfahren!

  2. Istan­bul ist meist immer nur für ein Zwi­schen­stopp unser Ziel. Ich denke nach dem Bericht hier soll­ten wir auch mal in die Stadt gehen statt nur auf dem Flug­ha­fen zu sit­zen und zu warten…

    wobei die Tür­kei ja so oder so eine Reise wert ist.

  3. Hallo Marius,

    eine schöne Beschrei­bung von Istanbul. 

    Der Abrei­se­tag an dem auf ein­mal alles super schnell gehen muss ist so typisch für die Tür­kei. Ich muss wegen sowas immer wie­der lachen. 

    Tho­mas

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