Kann sich noch jemand an unsere roman­ti­sche Reise mit der Trans­si­bi­ri­schen Eisen­bahn erin­nern? Nein? Nicht schlimm.

Nach unse­rer Russ­land-Reise haben wir uns dar­über geär­gert, dass wir die ange­bo­tene „Platz­kart“ nicht aus­pro­biert haben. Hät­ten wir damals schon gewusst, dass wie schon bald die Mög­lich­keit dazu haben wür­den, wären wir Mecker­mäu­ler verstummt.

Ähn­lich, wie in Russ­land, bie­tet Chi­nas Schie­nen­netz den Zug­rei­sen­den die Mög­lich­keit mit dem nicht so schnel­len Zug zu rei­sen. Bei lan­gen Stre­cken hat man dann die Wahl zwi­schen „soft­s­lee­per“ und „hards­lep­per“. Im Prin­zip das Glei­che, wie in Russ­land, nur auf Chinesisch.

Wir sind ja harte und angeb­lich erfah­rene Back­pa­cker und wäh­len die güns­tigste Vari­ante – den hards­lee­per!

Chinesischer Zug

Die 1.600-km lange Fahrt von Shang­hai nach Gui­lin war wirk­lich ent­spannt! Wohl­ge­merkt die ers­ten 2 Stun­den. Man ist damit beschäf­tigt aus dem Fens­ter zu schauen und kommt aus dem Stau­nen nicht mehr raus! Geschätzte 3248293847 Wol­ken­krat­zer aus Stahl­be­ton schie­ßen wie Pilze aus dem Boden. Nun wis­sen wir auch, warum China so viel Stahl benö­tigt! Aber irgend­wann wer­den auch Wol­ken­krat­zer langweilig.

Betonklötze19:15 Uhr: Es ist bereits stock­fins­ter drau­ßen und das Raus­gu­cken ist nicht mehr mög­lich. Was machen? Zähne put­zen und schla­fen gehen.

19:30 Uhr: Zähne glän­zen im Mond­schein­licht, die harte Prit­sche ist bett­fer­tig, wir kön­nen uns schla­fen legen!

19:35 Uhr: Die Bett­de­cke wird kom­plett über den Kopf gezogen.

Etagenbett

Es ist der reinste Wahn­sinn! Im Gang sit­zen zwei Chi­ne­sen bei ihrer Mahl­zeit. Die Instant-Mahl­zei­ten wer­den mit Genuss auf bar­ba­ri­sche Art und Weise ver­speist, wie wir das nur aus den mit­tel­al­ter­li­chen Geschichts­bü­chern ken­nen! Hier kom­men auch die abge­koch­ten, in Plas­tik ein­ge­schweiß­ten Hüh­ner­füße zum Vor­schein. Diese wer­den förm­lich aus der klei­nen Öff­nung der Plas­ti­kum­man­tel­lung her­aus­ge­saugt! Es wird lange und mit mög­lichst vie­len Neben­ge­räu­schen dar­auf herum gekaut, bis anschlie­ßend der ganze Fuß wie­der aus­ge­spuckt wird. Es ist wie mit einem Unfall, man will nicht hin­schauen, muss aber irgendwie!

19:45 Uhr: Laute Rülp­ser las­sen das ganze Abteil wis­sen, dass es geschmeckt hat und die Herr­schaf­ten ihre Mahl­zeit been­det haben! Es besteht nun die Hoff­nung ein wenig die Augen zu drü­cken zu kön­nen. Aber nichts da. Die bei­den Her­ren unter­hal­ten sich nun laut­stark. Wahr­schein­lich machen sie sich gerade über uns Euro­päer lus­tig, die schon um 20:00 Uhr im Bett lie­gen. Und wären da mal nicht noch die 4 Chi­ne­sen, die über uns in ihren Bet­ten lun­gern, und in regel­mä­ßi­gen Abstän­den den Schleim aus den Nasen­ne­ben­höh­len zie­hen. Wobei sich das anhört, als ob die Nasen­ne­ben­höh­len irgendwo am ande­ren Ende des Kör­pers sit­zen!!! ARGH! Und da sind dann auch noch die 30 quen­geln­den, schrei­en­den, lau­fen­den, toben­den, immer am Bett vor­bei hop­sen­den Kin­der. STOP!!! Das sind nur Kin­der! Lass die Kin­der, Kin­der sein! Okay, Ent­schul­di­gung, Kin­der! Und wären da nicht noch die Rau­cher! Das Atmen unter der Bett­de­cke ver­spricht fri­schere Luft, als das Atmen im Raum.

Die netten Herren

21:45 Uhr: An der Situa­tion hat sich nichts geän­dert. Wir beschlie­ßen erst ein­mal nicht zu schla­fen. Es ist ein­fach sinnlos!

22:08 Uhr: Das Licht geht aus! Plötz­lich kehrt eine unge­wohnte Ruhe im Abteil ein. Es stinkt, man hört alle 30 Sekun­den ein Rot­zen und wir kön­nen nicht schla­fen. Na, Dankeschön!

Nachts: Die Nacht ist sehr ruhig ver­lau­fen. Außer ein paar Pup­sern war nicht viel zu hören. Aber da konnte man ein Auge zudrü­cken, denn die Armen auf dem obers­ten Rega­len, die direkt unter der viel zu kalt ein­ge­stell­ten Kli­ma­an­lage lagen, muss­ten sich ja irgend­wie unter der Bett­de­cke warm halten.

5:00 Uhr: Es wird lang­sam Tag. Die ers­ten Hüh­ner­bein­chen kom­men zum Vor­schein und wer­den flei­ßig gelutscht. Dazu wird an einer Dose mit dem süßes­ten Eis­tee ever geschlab­bert. Yummi, yummi! Wir ken­nen kein schö­ne­res Weck­ge­räusch! Die Land­schaft hat sich über Nacht auch geän­dert: Berge, Grün, Schön­heit pur! End­lich kein Beton mehr!

6:45 Uhr: Wei­ter­schla­fen ist sinn­los! Auf­wach­phase gibt es nicht. Es kann gefrüh­stückt wer­den. Über unser Früh­stück sind alle Chi­ne­sen erstaunt: O‑Saft, Kaffe, Toast­brot, Schmier­käse, Mar­me­lade und eine Banane! Wahn­sinn, was ist das alles?

14:06 Uhr: Mit exakt 2 Stun­den Ver­spä­tung tru­delt unser Zug im süßen Gui­lin ein. Hier wer­den wir nun ein wenig in der Umge­bung verweilen.

Wir woll­ten die Erfah­rung, wir haben sie bekom­men! Wir unter­neh­men diese Reise, um Men­schen, Kul­tu­ren und Lebens­wei­sen mög­lichst nah und echt zu erle­ben, hier hat­ten wir sie pur! Das Ver­rückte ist, dass die­ser Trip, so unan­ge­nehm er manch­mal auch war (wir wol­len nicht begin­nen von den hygie­ni­schen Bedin­gun­gen auf der Toi­lette zu schrei­ben), die Chi­ne­sen und ihr Land sym­pa­thi­scher für uns gemacht hat. Klingt selt­sam, ist es auch!

Menschen

Cate­go­riesChina
Renate & Artis

Gemeinsam bildet das junge Paar den Namen RenArtis. Für 12 Monate wollten sie mehr sehen, als Kühe, Bauernhöfe und flaches Land, wie sie es aus der Heimat gewohnt sind. Große Pläne hatten sie: Asien, Süd- und vielleicht sogar Mittel-Amerika! Und was ist mit Afrika? Man könnte doch... In Asien sind sie stecken geblieben. Der Kontinent fasziniert. Und weil sie noch jung und auf den Geschmack des Reisens gekommen sind, bleibt ihnen für den Rest noch alle Zeit der Welt.

  1. Sanela says:

    Wahn­sinn!! Ich habe so lachen müs­sen über Euren Bei­trag! Toll! Wir sind gerade beim Pla­nen für unsere China Reise und sind über die­sen lus­ti­gen Bei­trag gestol­pert! Man kann sich somit rich­tig dar­auf vorbereiten :-)
    Hüh­ner­füsse, rüp­ser und ein paar pups­ser.. China wir kom­men :D

  2. Thomas says:

    Ich habe unzäh­lige Nächte und Kilo­me­ter in Hard- und Soft­s­lee­per ver­bracht und in der Regel gut geschla­fen. Es ist in mei­nen Augen eine sehr gute Vari­ante, um über Nacht wei­ter Stre­cken zurück­zu­le­gen. Auch die genannte Suppe habe ich im Zug schon geschlürft. Ich bin aber jemand, der erst spät schla­fen geht und mor­gens noch im Bett liegt, wenn alle Chi­ne­sen Im Zug schon emsig beschäf­tigt sind. Die­ses Jahr habe ich mir vom Flug die Ohren­stöp­sel rein­ge­tan und die Augen­klappe über die Augen und ich hatte Ruhe von allem. Das ein­zige was mich näm­lich wirk­lich stört, sind die Schnarch­ge­räuse, die mich nerven.

    Lg
    Thomas

    1. Stöp­sel hat­ten wir dabei, jedoch nicht daran gedacht sie auch zu ver­wen­den (Bequem­heit, oder wie man es auch nennt).
      Du hast voll­kom­men recht:Manchmal ist es nicht schlecht über Nacht Kilo­me­ter zu schaffen.

      LG zurück

  3. Ein Hards­lee­per ist immer noch die bequemste Art in China auf Lang­stre­cke zu rei­sen. Einen Schlaf­bus auf chi­ne­si­schen Stras­sen, ein Bett in der Kabine auf der Yangtze Schiff­fahrt oder ein Sitz­platz­ti­cket im chi­ne­si­schen Nacht­zug wün­sche ich mei­nem ärgs­ten Feind nicht. Nicht weil der Sitz­platz in der Bahn selbst schlimm wäre son­dern weil jeder Qua­drat­zen­ti­me­ter um Dich herum als „Steh­platz“ ver­kauft wird. Auch für den Ruck­sack ist nur Platz auf dem Schoß. Wenigs­tens kann man den Kopf auf sei­nen Ruck­sack legen. 

    Ein Bild davon.

    Und mal ehrlich:
    Die ein­ge­schweiss­ten Hüh­ner­teile aus dem chi­ne­si­schen Super­markt sind ziem­lich lecker!

    1. Ja, das stimmt. Mit den Steh­ti­ckets hat­ten wir auch unse­ren Spaß! Es war schon inter­es­sant, dass, als unsere Sta­tion kam, min­des­tens jeder Zweite uns dar­auf auf­merk­sam gemacht hat, dass wir jetzt aus­stei­gen müss­ten. Auch die hoch­schwan­gere Frau, die ein Steh­ti­cket gebucht hat und durch­ge­hend gebro­chen hat, machte diese Fahrt unver­gess­lich! Ach China, manch­mal ver­mis­sen wir Dei­nen Wahnsinn!

  4. Stephan says:

    Sehr schö­ner Bericht. Erin­nert mich an meine Zug­rei­sen durch China, vor allem das kunst­volle Hoch­zie­hen der Nase war ein all­ge­gen­wär­ti­ges Geräusch auf das sich der Chi­nese wun­der­bar ver­steht und mit einer Hin­gabe voll­führt. Gab es bei euch keine Laut­spre­cher aus denen mor­gens um 6:00 Nach­rich­ten (oder Pro­pa­ganda) & Musik plärrte? Ich hatte mal eine der obers­ten Lie­gen und lag 30–40 cm ent­fernt vom Laut­spre­cher, Hölle. Aber wir ihr sel­ber sag­tet, die Leute waren sehr freund­lich und auf­merk­sam und luden mich auch ein ihre Spe­zia­li­tä­ten zu kosten.

    Euch noch viel Spaß,
    Stephan

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