Warum brüllst du so, Meer? Hier ist kei­ner, der dich hört. Willst du dich vom Him­mel abgren­zen, weil eure Far­ben inein­an­der ins Fahle verlaufen?

Heul doch nicht so Wind! Hier ist kei­ner, der dich trös­ten wird. Es gibt auch kei­nen Grund zur Trau­rig­keit. Man­che lau­schen euch bei­den noch: Die Vögel, die Dage­blie­be­nen, mit dem Win­ter im Gefie­der. Dank dei­nes Auf­triebs, Wind, durch die Lüfte schwe­bend. Die See­fah­rer, die Fischer, die beharr­lich ihre Boote durch die Mee­res­strö­mung pflü­gen. Genau zuhö­rend und eure Zei­chen deu­tend, um nicht im Watt ste­cken zu bleiben.

Alles Laute aber ist ver­stummt. Selbst das schrille Gackern der Möwen klingt dumpf. Wie in Watte gepackt. Was im Som­mer vol­ler Leben war wird leer.

Die Men­schen sit­zen an Öfen mit behag­lich lodern­den Flam­men und knis­tern­den Holzscheiten.

Es ist die Zeit der Zuhö­rer, der Wis­sen­den und der Genie­ßer, die Strand­spa­zier­gänge lie­ben und die eisige Gischt, die sich anfühlt wie win­zige Nadeln auf der Haut.

Wer es wagt euch ent­ge­gen­zu­tre­ten, wird belohnt mit roten Wan­gen, zer­zaus­tem Haar, lau­fen­der Nase und einem Glücks­ge­fühl, das nur die wilde Weite, die Ein­tracht mit den Ele­men­ten aus­lö­sen kann. Je län­ger man läuft, je mehr Mee­res­luft man ein­at­met, umso mehr bekommt man den Kopf frei.

 

Das Glück der Verlierer

Ich traue mich auch, höre zu, stemme mich gegen den Wind, um im nächs­ten Moment von Grau­pel­schau­ern über­rascht zu wer­den. Gefolgt von Bind­fa­den­re­gen. Mit­ten­drin gibt die Sonne ihr kur­zes, aber wohl­tu­en­des Gast­spiel. Ihre volle Kraft hat sie irgend­wann im Sep­tem­ber ver­lo­ren. Viel Zeit hat sie nicht. Täg­lich ver­ab­schie­det sie sich frü­her und erst spät kommt sie am Fol­ge­tag zurück.

Im Herbst und Win­ter lie­gen die Ele­mente im Wett­streit mit­ein­an­der. Ein Schlag­ab­tausch. Minüt­lich gewinnt ein ande­rer die Ober­hand. Und ich mit­ten­drin. Nicht vor­her­se­hend, wer als nächs­tes an der Reihe ist. Es daher nur rat­sam, gegen jede Tak­tik gewapp­net zu sein.

Bin ich nicht. Ich, das Kind der Berge, der Nord­see New­bie. Die Haare krin­geln sich der Feuch­tig­keit unter­le­gen, die Augen trä­nen, ich schlot­tere trotz neuem Frie­sen­nerz und Merino Unterbux.

Waterk­oud – der Begriff bringt es auf den Punkt – heißt die nasse Kälte, die in alle Glie­der fährt.

Das Licht nimmt ab, der Wind wird stär­ker, die Flut drückt die Wel­len ans Land. Für heute schnell zurück in die warme Stube. Feuer im Kamin, eine warme Cho­co­mel. Gezellig!

Ich bin mit­ge­nom­men, vom Kampf gezeich­net, aber glück­lich. Das Reiz­klima mit der kla­ren, salz­hal­ti­gen Luft ist die reinste Medi­zin, die Glücksmedizin.

Ame­land, die Pferdeinsel

Auf Ame­land ist das Wet­ter im Win­ter rau, Salz liegt in der Luft, der Wind weht scharf, die Strände sind leer. Zu tun gibt es wenig oder viel. Je nach Typ.

Man kann der wil­den Nord­see beim Toben zuse­hen und die Wol­ken beob­ach­ten, die den Win­ter­him­mel mal rosa, mal lil­ab­lau, meist jedoch in allen Grau­schat­tie­run­gen fär­ben. Oder aber über end­lose Strände galop­pie­ren – auf Ame­land bie­tet sich genü­gend Gele­gen­heit dazu. Man sagt, im Win­ter hal­ten sich die Anzahl der Ein­woh­ner und Vier­bei­ner auf der „Pfer­de­insel“ bei­nahe die Waage.

Ame­lands Frie­sen tra­gen ihr dicks­tes Win­ter­kleid und einen wär­men­den Köten­be­hang an den Bei­nen. Rund 800 Kilo Mus­kel­masse kann das stärkste Lüft­chen nichts anha­ben. Sie scheuen auch das Was­ser nicht, wes­halb sie frü­her als Zug­pferde für die Ret­tungs­boote ein­ge­setzt wurden.

Im „Mari­tiem Cen­trum Abra­ham Fock“ kann man sich ein leben­di­ges Bild davon machen. Wer zur rich­ti­gen Zeit vor Ort ist, kann sich die mehr­mals jähr­lich statt­fin­dende Demons­tra­tion auch live anse­hen. Das Ret­tungs­boot wird dann vom Mari­ti­men Zen­trum bis zum Süd­west­strand von Hollum gezo­gen. Hier wird das Boot von sechs Pfer­den und erfah­re­nen Füh­rern mit unbän­di­ger Kraft zu Was­ser gebracht.

Auf zwei Bei­nen gegen den Sturm

Ame­land impo­niert fer­ner durch seine idyl­li­schen Dör­fer mit his­to­ri­schen Kom­man­deurs­häu­sern, einer weit­läu­fige Dünen­land­schaft mit einem bes­tens aus­ge­bau­ten Netz an Wan­der- und Fahr­rad­we­gen. Natür­lich! Denn wie sonst, als mit dem Fahr­rad, lernt man in den Nie­der­lan­den eine Gegend kennen?

Drei Exem­plare war­ten schon vor unse­rem Häus­chen, um Ame­lands ganze land­schaft­li­che Viel­falt mit uns zu erkun­den. Das Wat­ten­meer auf der einen Seite und die Nord­see auf der ande­ren. Dazwi­schen die hüb­schen Dör­fer, Fel­der, Wei­den, Wald, Heide, Dünen und kilo­me­ter­lange Sandstrände.

Nur kurz befällt uns die Weh­mut, als wir den Son­nen­schirm, die Sand­förm­chen, die Fahr­rä­der und den Bol­ler­wa­gen sehen, die noch ein­ge­san­det vom letz­ten Som­mer­ur­laub unse­rer Vor­gän­ger in der Ecke ste­hen. Wir wür­den uns nicht an den Strand legen kön­nen, so viel ist klar.

Die Ein­la­dung zum Stram­peln gegen den Sturm igno­rie­ren wir auch, set­zen statt­des­sen auf unsere Beine. Es sind Holz­pfähle in den Salz­wie­sen, in der Dünen­land­schaft, die die Rich­tung wei­sen. Schmale Was­ser­läufe zie­hen sich durch die Land­schaft, der Weg ist moras­tig. Gum­mi­stie­fel aber auch unsere baye­ri­schen Berg­stie­fel sind die rich­tige Wahl, eine dicke Jacke, Mütze, Schal und Hand­schuhe dazu.

Wie­der ein grauer Win­ter­him­mel in allen Schat­tie­run­gen, Ocker, viel Grün. Alles ändert sich aber­mals, die Wol­ken, das Licht, das Meer. Seit dem heu­ti­gen Spa­zier­gang ist mir klar, dass es min­des­tens so viele Grau‑, Grün- und Blau­töne gibt wie Sand­kör­ner am Strand.

Wäh­rend der Hoch­sai­son ver­ir­ren sich nur wenige in die­ses Natur­re­fu­gium hin­ter den Dünen. Jetzt, am Mor­gen, wenn sich eine Frost­schicht über die Wie­sen legt, die unter den Füßen knirscht und die Erde als ein­zi­ges Ele­mente im Zaum hält, kann es pas­sie­ren, dass man wäh­rend der gesam­ten Wan­de­rung auf keine Men­schen­seele trifft.

Wenn doch, dann haben sie ein Lachen im Gesicht, das eine Erwi­de­rung her­aus­for­dert. Wie ein Code, mit dem man sich gegen­sei­tig ver­si­chert, wie glück­lich doch das drau­ßen Sein in die­ser wun­der­ba­ren Natur im Win­ter macht.

 

Eine impo­sante Erscheinung

Ver­gnü­gen ver­mit­telt der Anblick des lus­ti­gen rot-wei­ßen Leucht­turms in der Ferne. Born­rif heißt der guss­ei­serne Riese bei Hollum. Der Turm wurde 1880 in Auf­trag von König Wil­lem III erbaut. Mit 55 m Höhe, 15 Eta­gen und einer Treppe mit 236 Stu­fen ist er eine impo­sante Erschei­nung auf der Insel. Und noch im Dienst. Nachts strei­fen die Licht­bün­del über die Insel. Laut­los und regel­mä­ßig wan­dern sie über die Dächer der Häu­ser, als strei­chel­ten sie sie sanft.

Der Leucht­turm ist Besu­chern zugäng­lich. Den unter­halt­sa­men Auf­stieg – auf den Eta­gen ist aller­lei Infor­mie­ren­des und Skur­ri­les aus­ge­stellt – meis­tern wir leicht. Wir haben schließ­lich Berg in den Bei­nen. Belohnt wird man mit einem Rund­um­blick in dra­ma­ti­scher Abend­stim­mung bis hin­über zur Seehundbank.

Wie gerne möchte ich zu ihnen hin­aus aufs Meer schip­pern. Dort, wo sie sich an wär­me­ren Tagen son­nen, das Was­ser lang­sam weg­schwappt und das Watt frei­legt, bevor es all­mäh­lich wie­der zurück­kommt und den gluck­sen­den Matsch überdeckt.

Aufs Meer hin­aus fah­ren, das war schon immer etwas Beson­de­res. Die Luft schmeckt nach Salz, die Wel­len bre­chen am Schiffs­rumpf, laut und kra­chend. Wild und gefähr­lich, frisch und klar ist das Meer. Man hört das sprit­zende Was­ser, die don­nernde Gischt und das Pfei­fen des Win­des… Und dann erst die See­hunde! Nord­lich­ter mögen milde lächeln, doch für mich ist es ein sel­te­ner, ver­gnüg­li­cher Anblick in die put­zi­gen Rob­ben­ge­sich­ter zu blicken.

Der Wind und das man­gelnde Besu­cher­inter­esse zu die­ser Jah­res­zeit las­sen uns das Ver­gnü­gen nicht zu Teil wer­den. Nächs­tes Mal dann, im Som­mer vielleicht.

So ist das im Win­ter eben auf Ame­land. Alles anders. Unbe­re­chen­ba­rer, ein­sa­mer, unge­wohn­ter, inten­si­ver. Es ist, als wäre die Natur leb­haf­ter, die Ele­mente auf­brau­sen­der. Man spricht nicht viel, son­dern lauscht. Dem Wind, dem Meer, dem Feuer im Kamin.

 

 

 

Cate­go­riesNie­der­lande
Eva Grossert

Willkommen Ihr Glücksritter, ewig Suchenden und Himmelsstürmer!

Die Welt ist Evas Schatzkammer. Seit 25 Jahren ist sie unermüdlich unterwegs, schürft nach Diamanten und sucht versteckte Juwelen. Ihr kleiner und großer Weggefährte helfen ihr mittlerweile beim Aufspüren besonderer Kostbarkeiten. Stinkreich ist sie dabei geworden – reich an Eindrücken.
Ihre Entdeckungen, ihre „Hidden Gems“ hält Eva nicht unter Verschluss. Auf ihrem Reiseblog präsentiert sie diese auf dem Silbertablett und hier erzählt sie amüsante Geschichten von kleinen Abenteuern, unbedeutenden Begebenheiten und Begegnungen am Wegesrand.

  1. Patricia says:

    Ein tol­ler Bericht und mir war noch nie der Gedanke gekom­men, auch im Win­ter nach Ame­land zu rei­sen. Ich kenne die Insel nur in den Som­mer­mo­na­ten und ich liebe den nörd­li­chen Flair, die sal­zige Mee­res­luft und die Frei­heit mit dem Fahr­rad über­all hin­zu­fah­ren – natür­lich immer bei Gegenwind.
    Die größte Her­aus­for­de­rung war mal von Buren nach Hollum, eben zum besag­ten Leucht­turm und dann war der tat­säch­lich wegen Umbau-Maß­nah­men geschlos­sen. Also wie­der bei Gegen­wind zurück. Ein Kampf!

    Viel­leicht hole ich das mit Ame­land im Win­ter mal nach. Aber dann mit bes­se­rer kör­per­li­cher Kondition.
    Danke für die Inspiration.

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