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Die rei­zen­den Jungs von Bialet Massé

Es dau­ert eine halbe Ewig­keit bis der Bus end­lich die aus­ufern­den Stadt­gren­zen von Bue­nos Aires hin­ter sich las­sen kann. So wie ein ein­sa­mer Ent­de­cker sich mit der Machete sei­nen Weg müh­sam durch dich­ten Urwald schlägt, so schlep­pend kom­men wir voran, in die­sem Dschun­gel der Groß­stadt. Zehn Mil­lio­nen Ein­woh­ner und die land­läu­fige Begeis­te­rung für ein Eigen­heim, las­sen sich nicht so leicht abschüt­teln. Als hätte man die Aus­fahrts­stra­ßen mit Kle­ber beschmiert, um die Men­schen vom Reiß­aus abzu­hal­ten, der an einem gewis­sen Punkt nach­gibt und mit einem lau­ten Knall die Tüch­ti­gen in die Wei­ten des Lan­des zie­hen lässt. Immer klei­ner und weni­ger wer­den die Behau­sun­gen am Stra­ßen­rand und end­lich kommt der Bus ins Glei­ten, das Moto­ren­ge­räusch mono­to­ner und dann kaum noch zu vernehmen.

Und dann ist sie da, die Pampa, die­ses ewig fla­che Land, end­lose Wei­de­ge­biete, gerahmt von wei­ßen Lat­ten­zäu­nen. Immer weni­ger Pkws, dafür Über­land­busse und vor allem Vieh­trans­porte, aus­ran­gierte Las­ten­fahr­zeuge aus den USA. Dodge und Ford ist da zu lesen, die fährt man in Nord­ame­rika seit über 40 Jah­ren nicht mehr und hier sind sie unab­ding­bare Las­ten­esel, die schnau­fen, ihres Alters wegen schep­pern und qual­men, als wür­den sie einen mat­schi­gen Acker pflügen.

Gleich der Auf­zeich­nun­gen eines EKG Gerä­tes, was einen plötz­lich anstei­gen­den Herz­schlag nach­zeich­net, ist der Hori­zont nun zuneh­mend wel­lig, so wei­ter man in den Nord-Wes­ten vor­dringt. Rol­lende Berge lösen die über­di­men­sio­na­len Fuß­ball­fel­der ab, und hier und da bricht ein Baum mit der Hori­zon­ta­len. Frü­her war hier Tro­cken­wald, doch musste die­ser zuneh­mend der land­wirt­schaft­li­chen Nut­zung wei­chen. Im Volks­mund wird dies als Vor­drin­gen der feuch­ten Pampa umschrie­ben, was den Ver­ant­wort­li­chen eher schmei­cheln wird, als besinn­li­che Gedan­ken zu fördern.

Mein Ziel ist Cór­doba, ca. 650 Kilo­me­ter Nord-west­lich der Lan­des­haupt­stadt gele­gen, wo ganz in der Nähe ein Deut­scher namens Hel­mut Pomrehn, in den Ber­gen lebt. Moin war da als Begrü­ßung in der Mail zu lesen, die er mir vor ein paar Wochen hat zukom­men las­sen. Schnell war das Eis gebro­chen, kein Sie, kein freund­li­cher Gruß, am Ende ein abrazo, eine Umar­mung also, die Warm­her­zig­keit der Argen­ti­nier schon ver­in­ner­licht, die sich auch bei mir schnell ein­ge­schli­chen hat. So wie wir uns dann bei der ers­ten Begrü­ßung mit einem Hand­schlag und einem Kuss links und dann rechts auf die Wange begrü­ßen, wie es zwi­schen männ­li­chen Argen­ti­ni­ern üblich ist.

Quick­le­ben­dig emp­fängt mich Hel­mut am Bus­bahn­hof in Cór­doba, mit 1,3 Mil­lio­nen Ein­woh­nern die zweit­größte Stadt des Lan­des. Es gibt viel zu erzäh­len, schließ­lich ist unsere Bekannt­schaft noch frisch, und unsere Lebens­ent­würfe ein­an­der noch nicht bekannt. Hel­mut spielt Skat, und des­we­gen bin ich hier. Auf der ein­stün­di­gen Auto­fahrt, wei­ter gen Nord-Wes­ten, nach Bialet Massé, erzählt er, dass es ihn vor fünf Jah­ren in diese Region Argen­ti­ni­ens ver­schla­gen hat. Noch im glei­chen Jahr grün­dete er den Skat­club „Die rei­zen­den Jungs von Bialet Massé“, in dem er vor allem junge Argen­ti­nier für des Deut­schen liebs­tes Kar­ten­spiel begeistert.

Vanesa-Bruno-Luz-Robert

In Mainz gebo­ren, ist er, wie er sagt, schon im Alter von acht Jah­ren dem Kar­ne­vals­lärm ent­flo­hen und in Klausdorf/​ Schwen­tine, einem Vor­ort von Kiel, auf­ge­wach­sen. Mit 23 Jah­ren eröff­nete der gelernte Groß- und Außen­han­dels­kauf­mann eine Imbiss­gast­stätte, spä­ter ein Restau­rant und die letz­ten Jahre vor sei­ner Aus­wan­de­rung, war er Besit­zer eines Tante Emma Ladens in Kiel.

Drau­ßen wird die Vege­ta­tion nun üppi­ger. Dichte, grüne Wäl­der erstre­cken sich über die run­den Berge. In den obers­ten Baum­kro­nen hat sich Hoch­ne­bel ver­fan­gen. 2001 fasste Hel­mut Pomrehn schließ­lich den Ent­schluss Deutsch­land zu ver­las­sen und ging nach Tene­riffa, wo er ein Kunst­hand­werks- und Sou­ve­nir­ge­schäft betrei­ben sollte. Das stän­dig schlechte Wet­ter habe ihn aus Kiel ver­trie­ben, sagt er.

2005 ging es von dort schließ­lich nach Argen­ti­nien, wo er sich als Gärt­ner und Maler selb­stän­dig machte: „Es bot sich die Gele­gen­heit an, güns­tig Eigen­tum zu erwer­ben und ich wollte end­lich mein eige­nes Haus haben. In Europa hätte ich es nur mit einem gro­ßen Kre­dit geschafft“, begrün­det er seine dama­lige Ent­schei­dung. „Nun lebe ich hier mit mei­ner Frau Laura, und unse­ren zwei Hun­den und Katzen.“

Mit dem Nie­der­las­sen in Argen­ti­nien, wo er sich nach wie vor sehr wohl fühlt, begann er wie­der mit dem Kar­ten­spiel: „Irgend­wann fing ich an den Skat zu ver­mis­sen und bekam her­aus das in Villa Gene­ral Bel­grano Skat gespielt wird. So fuhr ich fast drei Jahre lang ein­mal im Monat dort­hin, um mich mit den dor­ti­gen Spie­lern zu mes­sen. Das wurde dann aber mit der Zeit zu kost­spie­lig und so fing ich an in Bialet Massé selbst Skat zu unter­rich­ten, was kei­ner für mög­lich hielt, denn es hieß unter den pas­sio­nier­ten Skat­spie­lern, dass Skat nichts für Argen­ti­nier sei. Die hät­ten nur den Kopf für Truco. Das hielt ich für ein Gerücht.“

Die-reizenden-Jungs

Inzwi­schen sind wir in Bial­let Massé ein­ge­trof­fen und spa­zie­ren über den Plaza San Mar­tín. Jedes noch so kleine Nest in Argen­ti­nien wür­digt den eins­ti­gen Frei­heits­kämp­fer, wenn nicht mit einem Platz oder eine Kir­che, dann doch zumin­dest mit einer nach ihm benann­ten Strasse. Das ca. 5000 Ein­woh­ner zäh­lende Städt­chen wird von grü­nen Hügeln ein­ge­fan­gen, sofort fühlt man sich hier wohl. Ganz in der Nähe fin­den sich kris­tall­klare Bade­seen, beliebt bei Wochen­end­aus­flüg­lern, aus Cór­doba. Es fällt mir nicht schwer, Hel­muts Begeis­te­rung für die­sen Land­strich zu teilen.

Zurück zum Spiel: Anfangs belä­chelt, hat er sich durch­ge­setzt. Im April 2009 fing er schließ­lich an selbst zu unter­rich­ten und grün­dete nur fünf Monate dar­auf den Club der „rei­zen­den Jungs von Bialet Massé“. „Inzwi­schen wird hier im Dorf über­all gespielt“, erklärt er „und es schwappt auch schon in die Nach­bar­dör­fer über. Der Skat geht hier jetzt sei­nen Weg. Wir sind wohl welt­weit der ein­zige Skat­club indem die Haupt­spra­che nicht Deutsch ist.“ Mitt­ler­weile kom­men zwi­schen vier­zig und fünzig Spie­ler zu den Tref­fen, von denen jedoch nicht alle Club­mit­glie­der sind. In Süd­ame­rika sind „die rei­zen­den Jungs“ nach dem Skat­club von Sao Paolo der zweit­größte Club. Und von dem Ver­eins­na­men sollte man sich nicht täu­schen las­sen, lacht Hel­mut, denn das Kar­ten­spiel fin­det auch immer mehr weib­li­che Anhänger.

Vom 6. – 8. Juni waren die “rei­zen­den Jungs” Aus­rich­ter der offe­nen natio­na­len Skat­meis­ter­schaft von Argen­ti­nien, zu der Spie­ler aus Bra­si­lien, Para­guay, Chile, Uru­guay und ande­ren Pro­vin­zen Argen­ti­ni­ens anreisten.

Pomrehn berich­tet wie vor allem die jun­gen Spie­ler begeis­tert bei der Sache sind, der Club stellt inzwi­schen den aktu­el­len Süd – u. Pan­ame­ri­ka­ni­schen Jugend­meis­ter. „Auf einem Tur­nier in Sao Paulo konnte auch ein Jugend­li­cher von unse­rem Club den Jugend­ti­tel errei­chen“, betont Hel­mut. Außer­dem, so Pomrehn, wür­den die jun­gen Argen­ti­nier durch das Skat­spiel auch an die Deut­sche Spra­che und die Deut­sche Kul­tur her­an­ge­führt. Einige Spie­ler des Clubs wer­den mit Unter­stüt­zung eines Spon­sors an der Skat­welt­meis­ter­schaft Ende Okto­ber im para­gua­ya­ni­schen Asun­ción teilnehmen.

In Deutsch­land möchte er nicht mehr leben, nach den über­wie­gend posi­ti­ven Erfah­run­gen in Argen­ti­nien, sei ihm die Men­schen dort zu unfle­xi­bel und alles müsse immer lange im Vor­aus geplant werden.

Auf der über­wie­gend in Spa­ni­scher Spra­che geführ­ten Web­site www.skatbialet.com.ar kann sich jeder über die Akti­vi­tä­ten des Clubs, so wie anste­hende Ter­mine infor­mie­ren. Der Skat­un­ter­richt für Neu­linge fin­det immer Sams­tags, ab 18:30 Uhr im Hotel „Las Golond­ri­nas“ in Bialet Massé statt. Auch die erfah­re­ne­ren jun­gen Spie­ler unter­rich­ten flei­ßig mit, so Pomrehn. Über spon­tane Besu­che von Rei­sen­den, die ein­mal Skat in den Argen­ti­ni­schen Ber­gen spie­len wol­len, würde man sich sehr freuen. Wer will, kann auch an dem ein­mal monat­lich aus­ge­tra­ge­nen Rang­lis­ten­tur­nier teilnehmen.

H.-Pomrehn

 

Cate­go­riesArgen­ti­nien
Philipp Boos

Widergeboren in Mitteleuropa. In einem anderen Leben als Lastenträger für Alexander von Humboldt gedient, was die Affinität zu Süd Amerika erklärt. Nach einem doppelten Espresso öffnet sich bei Philipp zeitverzögert das dritte Auge, womit er die Welt bereist und in Depeschen festhält.

  1. Peter Mehringer says:

    GRIAS DI Helmuto,
    schön zu lesen, dass es dir gut geht. Wir waren ja fast Nachbarn.Oft bin ich über Tanti nach Mina Cla­vero gefah­ren. Ich wuen­sche dir noch viele Grand,

    Salu­dos vom Exil – Muens­ter­laen­der, Peter

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