Eine Reise auf die Schafsinseln

Inmit­ten des Nord­at­lan­tik recken sich die Färö­er-Inseln wie grü­ne Hai­fisch­flos­sen aus dem Meer empor. Eine beein­dru­cken­de Schroff­heit prägt das dra­ma­ti­sche Land­schafts­bild, wo Wind und Wet­ter die bestim­men­den Fak­to­ren sind, nach denen sich alles rich­tet. Mar­tin Hül­le und Nina Wilms wag­ten sich mit ihrer drei­jäh­ri­gen Toch­ter auf unweg­sa­men Schafs­pfa­den zu ent­le­ge­nen Zip­feln.

Mei­ne schlimms­te Befürch­tung tritt nicht ein: Die 30-stün­di­ge Fähr­fahrt auf die Färö­er ist harm­los. Aber es hät­te auch gesche­hen kön­nen – ein wil­der Wel­len­ritt vol­ler Übel­keit. “The Land of May­be” errei­chen wir im Nebel. Wie auch sonst, alles ande­re wür­de uns über­ra­schen. Ver­reg­net ist das Olavs­fest, der Natio­nal­fei­er­tag. Men­schen in bun­ten Trach­ten erhel­len an allen Ecken das tris­te Wet­ter und besche­ren uns einen schö­nen Ein­stieg in die­ses Land. Vor Regen geschützt essen wir Fish’n Chips, im Hin­ter­grund spielt eine Blas­ka­pel­le.

Nach einer ers­ten Wan­de­rung von der Haupt­stadt Tór­shavn hin­über zum alten Bischofs­sitz in Kirk­ju­bøur, bei der es tro­cken ist und uns die gera­de ein­mal zwei­stel­li­gen Tem­pe­ra­tu­ren gar nicht so kalt erschei­nen, fah­ren wir mit dem Auto über Brü­cken und durch Tun­nel zu den Nord­in­seln, wo wir uns auf dem Klaks­ví­ker Zelt­platz – direkt hin­ter dem Kin­der­gar­ten – für ein paar Tage häus­lich ein­rich­ten.

faeroer_martin_huelle_01

Wech­sel­haf­tes Wet­ter

An ihren äußers­ten Kan­ten säu­men schma­le Stra­ßen die Eilan­de und füh­ren zu ent­le­ge­nen Dör­fern, die oft­mals nur aus einer Hand­voll Häu­sern bestehen, die ver­wit­tert dem lau­ni­schen Wet­ter trot­zen. Der Weg nach Viđa­reiđi, der nörd­lichs­ten Sied­lung auf den Schafs­in­seln, führt durch düs­te­re ein­spu­ri­ge Tun­nel, hin­ter denen wir immer froh sind, wie­der Licht zu erbli­cken. Doch lei­der bleibt uns der Auf­stieg zum gut 750 m hohen Kap Enni­berg, der Nord­spit­ze Viđoys, von tief­hän­gen­den Wol­ken ver­wehrt. Die Son­ne blin­zelt her­vor, Ber­ge ver­hül­len sich wie­der, es reg­net. Nir­gends habe ich bis­her so rasche Wet­ter­wech­sel erlebt.

faeroer_martin_huelle_02

Cam­ping­plät­ze sind rar auf den Färö­ern. Nicht loh­nend, bei einem so gerin­gen Tou­ris­ten­auf­kom­men. Die meis­ten sind Durch­rei­sen­de auf dem Weg nach oder von Island, die nur einen zwei­tä­gi­gen Stopp ein­le­gen. Wer län­ger bleibt, ern­tet fra­gen­de Bli­cke der Ein­hei­mi­schen. Als wür­den sie selbst nicht ver­ste­hen, was man hier zu suchen hat. In Eldu­vík schließ­lich fin­den wir einen wei­te­ren Platz zum Ver­wei­len. Fast ein Idyll, wenn wenig aus­reicht. Das Zel­ten dort ist umsonst. Dafür gibt es kein hei­ßes Was­ser. Und auch kei­ne Dusche. Nur das Dorf-Klo.

faeroer_martin_huelle_03

Hoch über der Bran­dung lau­fen wir am Fun­nings­fjørđur ent­lang bis nach Oyn­darf­jørđur. Der Weg ist schmal und erfor­dert an eini­gen Stel­len Tritt­si­cher­heit. Dabei ist das Pan­ora­ma spek­ta­ku­lär und der Blick auf die gegen­über­lie­gen­de Steil­küs­te Kal­soys all­ge­gen­wär­tig. Nahe­zu senk­recht stürzt dort der 788 m hohe Nest­in­dar ins Meer ab und es fällt uns bei all der Aus­sicht schwer, die Augen am Boden zu hal­ten. Dabei geht es auch hier direkt neben dem Pfad steil in die Tie­fe.

Bis in die 1950er Jah­re gab es in Eldu­vík weder eine Kir­che noch eine Ver­bin­dungs­stra­ße. Neu­ge­bo­re­ne wur­den daher in ein Tuch gewi­ckelt und über die­sen Fuß­weg nach Oyn­darf­jørđur getra­gen, wo sie in der Dorf­kir­che getauft wur­den. Auch unse­re Toch­ter Sel­ma schlep­pen wir im aus­ge­setz­ten Gelän­de lie­ber in der Tra­ge – erst auf dem fla­che­ren Pass zwi­schen den Ber­gen Sko­ra­tin­dur und Oynd­fjarđarf­jall, über den es hin­über geht in den nächs­ten Ort, darf sie wie­der allei­ne lau­fen und umher tol­len. Wir sind vol­ler Freu­de, in die­ser ein­ma­li­gen, abge­schie­de­nen Land­schaft unter­wegs zu sein und gön­nen uns nach ein paar Stun­den an einem klei­nen Tan­te Emma Laden in Oyn­darf­jørđur ein Eis aus der Kühl­tru­he.

faeroer_martin_huelle_04

faeroer_martin_huelle_05

Dann lockt Gjógv, ein wei­te­res Dorf, in dem sich die klei­nen Häu­ser dicht anein­an­der drän­gen. Haupt­at­trak­ti­on des Ortes ist eine Kluft, eine Art natür­li­cher Hafen, in der Boo­te geschützt vor den chao­ti­schen Wel­len eines tosen­den Mee­res anlan­den und per Seil­win­de auf eine Ram­pe gezo­gen wer­den kön­nen. Wir dre­hen eine Run­de, sehen See­vö­gel und ver­zie­hen uns vor dem auf­kom­men­den Nie­sel­re­gen ins Hotel Gjá­ar­garđur, wo der Kaf­fee den Charme einer Drü­cke­kan­ne geschmack­lich auf unse­re Gau­men zau­bert.

Der alte Post­weg

Unser nächs­ter Stopp ist die Insel Vágar, wo wir ein Stück hin­ter Bøur den Wagen abstel­len und uns auf­ma­chen, den alten Weg nach Gás­a­dalur zu neh­men, eine der bekann­tes­ten Wan­de­run­gen auf den Färö­ern. Genau­so, wie es noch bis vor weni­gen Jah­ren drei­mal in der Woche der Post­bo­te tat, kra­xeln wir über die Ber­ge. Erst 2006 wur­de die Häu­ser­an­samm­lung, in der kei­ne 20 Men­schen leben, als letz­te auf den Inseln durch einen Tun­nel ans Stra­ßen­netz ange­bun­den.

Meh­re­re Ser­pen­ti­nen, die nicht immer leicht zu fin­den sind, füh­ren uns in die Höhe, wo ein kräf­ti­ger Wind weht. Sel­ma mag das gar nicht und wir ver­su­chen, ihr so gut es geht die Kapu­ze über die Müt­ze zu zie­hen. Dick ein­ge­packt trägt Nina sie vor­bei an der Quel­le Keld­an Vivd, wo der Legen­de nach ein kran­kes Baby auf dem Weg nach Bøur getauft wur­de.

faeroer_martin_huelle_06

Die tol­le Aus­sicht nach Myki­nes raubt uns den Atem, kaum, dass wir nach dem anstren­gen­den Auf­stieg wie­der zu Luft gekom­men sind. Das Gelän­de wird fla­cher und der Pfad ver­läuft nun par­al­lel zum Hang unter­halb des Gip­fels Róg­vu­kol­lur ent­lang durch eine zuneh­mend fel­si­ge Welt. Son­nen­strah­len brin­gen für Momen­te Erhei­te­rung und hin­ter einem gro­ßen Stein­mann pau­sie­ren wir wind­ge­schützt. Als wir den Schei­tel errei­chen, öff­net sich der Blick auf das Dorf Gás­a­dalur, zu dem sich ein Gebirgs­pfad in vie­len Schlei­fen durch eine Land­schaft aus Geröll hin­ab win­det. Wie­der in tie­fe­ren Lagen spü­ren wir auch noch den Was­ser­fall Múla auf und haben spä­ter Glück, per Anhal­ter mit­ge­nom­men zu wer­den zurück durch den Tun­nel.

Ein paar Tage spä­ter set­zen wir mit dem Schiff von Sør­vá­gur nach Myki­nes über. Und auf der Fähr­fahrt zur die­ser west­lichs­ten Insel der Färö­er pas­siert es: Mir wird kotz­übel. Nach einer knap­pen Stun­de bin ich froh, als wir end­lich ankom­men auf die­ser auto­frei­en Insel. Noch beklom­men stei­ge auch ich die unzäh­li­gen Trep­pen­stu­fen vom Anle­ger empor ins gleich­na­mi­ge Dorf und zu unse­rer Her­ber­ge. Als sich mein Magen wie­der beru­higt hat, erkun­den wir die Gegend und sind uns rasch einig – es ist der schöns­te Fleck bis­her.

Zum Leucht­turm auf Myki­nes­hólm­ur

Vor­bei an einem Stein­mo­nu­ment, das an ertrun­ke­ne See­leu­te erin­nert, und über einen gesi­cher­ten Pfad hoch über einem Steil­ab­bruch, gelan­gen wir zu der erst­mals 1909 errich­te­ten Brü­cke, die den Holm mit Myki­nes ver­bin­det. Sel­ma läuft das meis­te selbst, fast uner­müd­lich, und freut sich über jedes neue Schaf am Weges­rand.

Am Leucht­turm genie­ßen wir den Aus­blick zum west­lichs­ten Punkt der Färö­er, der fest in der Hand der Bass­töl­pel ist. Eine gan­ze Wei­le sit­zen wir dort und schau­en übers Meer. Als wir den Rück­weg antre­ten, schwir­ren über Myki­nes­hólm­ur die Papa­gei­tau­cher umher wie die Mücken in der Abend­son­ne. Inmit­ten der Vögel zu ste­hen, kaum mehr als einen aus­ge­streck­ten Arm ent­fernt, ist fas­zi­nie­rend. Der Boden ist durch­lö­chert wie ein Schwei­zer Käse – aller­orts hau­sen die Vögel, stei­gen in die Lüf­te und ihr Geschrei ist über­all zu ver­neh­men. Beson­ders in den spä­ten Nach­mit­tag- und Abend­stun­den ist hier der Teu­fel los, was sich auch im saf­tig grü­nen Gras wider­spie­gelt, das hier beson­ders gut gedüngt scheint. Wie­der im Ort schlem­men wir vor dem Kris­ti­ans­hús in der war­men Son­ne Waf­feln und sind mal wie­der froh, hier zu sein.

faeroer_martin_huelle_07

faeroer_martin_huelle_09

Zurück auf Vágar wan­dern wir noch zum Was­ser­fall Bøs­dals­fos­sur, der sich von dem See mit zwei Namen 50 Meter senk­recht ins Meer stürzt. Je nach­dem, wen man fragt, heißt der größ­te See der Färö­er ent­we­der Sør­vágs­vatn oder Lei­tis­vatn. Aber egal. Durch den Maut­tun­nel unter dem Ves­t­man­na­sund geht es zurück auf die Haupt­in­sel Strey­moy, auf der wir uns mal wie­der in Tór­shavn gemüt­lich ein­rich­ten.

Pfüt­zen­sprin­gen und Stein­trol­le

Unse­re Toch­ter Sel­ma ist in all den Tagen kaum von einem See, einem Bach oder selbst nur einer Pfüt­ze zu tren­nen, in die sie alle am liebs­ten immer wie­der gro­ße Stei­ne wer­fen möch­te. Auch in Tjør­nu­vík sprin­gen Nina und Sel­ma am Strand über Wel­len, bis nicht nur die Hosen­bei­ne klatsch­nass sind. Doch zum Glück gibt es wie in jedem noch so klei­nen Ort auch hier ein Toi­let­ten­häus­chen im Dorf, in dem wir Sel­ma kom­plett umzie­hen und wie­der in tro­cke­ne Klei­der ste­cken kön­nen.

Über allem wachen in der Fer­ne Risin und Kel­ligin, die bei­den Trol­le, die einst von Island her­ka­men, das sich Sor­gen um die klei­nen Färö­er mach­te, die ein­sam im Nord­at­lan­tik lagen, und sie nach Hau­se holen woll­te. Dafür wur­den die Trol­le aus­ge­sandt, doch es dau­er­te zu lan­ge, alle 18 Inseln zu ver­täu­en, um sie übers Meer nach Island zu zie­hen. Die Nacht war fort­ge­schrit­ten, der Tag grau­te. Und als die ers­ten Son­nen­strah­len über den Hori­zont kamen, ver­wan­del­ten sich bei­de Trol­le augen­blick­lich zu Stein.

faeroer_martin_huelle_08

Uns bleibt der­lei erspart und so neh­men wir auch noch die Fäh­re Smy­ril zur süd­lichs­ten Insel der Färö­er, Suđu­roy. Tou­ris­tisch noch abge­le­ge­ner als alle ande­ren Orte, fin­den wir kei­nen Fleck, um unser Zelt auf­schla­gen zu kön­nen. Wil­des Cam­pen ist nicht erlaubt und so ver­brin­gen wir ein paar Näch­te im Scout­house von Tvøroy­ri, das einen etwas gespens­ti­schen Ein­druck ver­mit­telt – kalt und mod­rig.

faeroer_martin_huelle_10

Sum­ba und der Leucht­turm am Akra­berg, die Berg­stra­ße und der Bei­nis­vørđ, die Glyv­ra­bergsgjógv und der Sand­strand bei Sand­vík, schließ­lich ein Fern­rohr mit Aus­sicht aufs Meer und der Kirk­ju­vatn bei Fám­jin sind die Schluss­punk­te unse­rer Rei­se, die uns ans Ende der Welt führ­te. In eine dra­ma­ti­sche Insel­land­schaft, in der sich die Fär­in­ger zwi­schen Tra­di­ti­on und Moder­ne bewe­gen. Die bäu­er­li­che Land­ar­beit wirkt oft wie ein Relikt längst ver­gan­ge­ner Zei­ten. Viel Hand­ar­beit aller­orts. Gan­ze Fami­li­en, die gemein­sam müh­se­lig in klei­nen Por­tio­nen Heu ein­fah­ren. Trak­to­ren sehen wir sel­ten. Aber dane­ben gehen sub­ven­tio­nier­te Heli­ko­pter­flü­ge von Insel zu Insel ein­her, nicht zu ver­ges­sen die mil­lio­nen­schwe­ren Tun­nel­bau­ten. Vie­les bleibt uns ver­bor­gen und ist schwer zu fas­sen. Es ver­liert sich im Nebel oder wir kön­nen oft nur stau­nen.

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Mark
    Mark

    Ein sehr schö­ner Bericht! Die Färö­er Inseln stan­den bei mir eben­falls ganz hoch im Kurs. Aller­dings habe ich mich dann näher damit beschäf­tigt und eini­ge Arti­kel zur Grind­a­drap gele­sen:

    http://www.wdsf.eu/index.php/faeroer-walfang

    Letzt­lich muss das jeder selbst ent­schei­den; ich habe mich dage­gen ent­schie­den.

  2. Avatar von Geertje

    Eine sehr schö­ne Depe­sche mit noch schö­ne­ren Bil­dern. Vie­len Dank dafür. Damals auf unse­rem Weg von Island haben wir die Farö­er nur gestreift, ein klei­ner Land­gang hat Lust auf mehr gemacht. Jetzt bin ich mir sicher, dass aus Fami­li­en­sicht und natür­lich aus der foto­gra­fi­schen Sicht ein Besuch dort unbe­dingt sein muss.

  3. Avatar von Marc Pallasch via Facebook

    Hmmm.….
    Und wenn jemand sagt alle Deut­schen sind Nazis.…..

    Auch auf den Faroer gibt es inzwi­schen vie­le kri­ti­sche Stim­men, es macht also kei­nen Sinn die gesam­ten Inseln zu ver­teu­feln.
    Oder die ara­bi­sche Welt zu mei­den
    .…oder München.….oder.….
    Just my2ct.

  4. Avatar von Volker Knerr via Facebook

    Färö­er sind bis auf Wei­te­res tabu. Aber sowas von!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert