Der Platz an meiner Seite

Am Ein­gang ste­hen vier Leu­te und schau­en rat­los in den Raum. Die Fra­ge, ob sie reser­viert haben, kann ich mir spa­ren. Alle Tische sind besetzt, Besteck klap­pert, Stim­men­ge­wirr erstickt die Musik. Wäh­rend sich vier Augen­paa­re hoff­nungs­voll auf mich rich­ten, haut jemand in der Küche auf die Klin­gel. Die bei­den Jäger­schnit­zel – eins davon bit­te unpa­niert – für Tisch 31 sind fer­tig.

Ich bin jetzt Kell­ne­rin. In einem deut­schen Restau­rant. In Van­cou­ver. An zwei, drei Aben­den die Woche begrü­ße ich Gäs­te und wei­se ihnen Plät­ze zu. Ich ser­vie­re Haxen, Schnit­zel und Rou­la­den. Ich erklä­re, wel­cher Senf zur Weiß­wurst gehört und mache vor, wie man „Zwie­bel­rost­bra­ten“ aus­spricht.

Die Welt eröffnet sich mir – trotz Schlager und Schnitzel

Von der holz­ver­tä­fel­ten Wand lacht ein Leder­ho­sen­mann mit einer Maß Bier in der Hand brä­sig in den Saal. Aus den Boxen lei­ert der Live­stream von Radio Palo­ma („100 Pro­zent Deut­scher Schla­ger!“). Aus­ge­rech­net hier eröff­net sich mir die Welt. Ich mag den Small­talk mit Kol­le­gen von über­all her – der Restau­rant­lei­te­rin aus Neu­fund­land, dem Bar­mann aus El Sal­va­dor, dem Chef­koch aus Korea – und Gäs­ten, von denen nicht all­zu vie­le Deut­sche sind.

Gera­de räu­me ich mit Kani, mei­ner Kol­le­gin aus Thai­land, der nie­mand glau­ben will, dass sie schon 42 ist, im Akkord Tische ab. „Are you guys having fun?“ fragt unse­re Vor­ge­setz­te Lau­ra im Vor­über­ge­hen. „Sure!“, ant­wor­te ich einen Wim­pern­schlag spä­ter. Und mei­ne es auch so. Mir gefällt die Bewe­gung, wenn der Laden voll ist. Das Gewu­sel. Es zwingt mich so herr­lich hin­ein ins Hier und Jetzt.

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Meis­tens jeden­falls.

An 33, einem der Tische mit zwei Plät­zen, sitzt heu­te ein älte­res deut­sches Ehe­paar. Gera­de habe ich ihnen die Spei­se­kar­te gebracht. Seit wann ich hier arbei­te und wie die Stadt mir gefällt, fragt der Mann höf­lich, sei­ne Frau lächelt. „Und Sie sind ganz allein hier­her gekom­men?“, hakt er nach, bevor er selbst zu erzäh­len beginnt: von der Zeit vor vier­zig Jah­ren, als sie nur mit ein paar Kof­fern in Kana­da anka­men. „Wenn Sie wüss­ten, wie es frü­her mal hier aus­sah!“ Sei­ne Frau nickt.

Das nächs­te Mal ste­he ich mit zwei Tel­lern an ihrem Tisch. Gefüll­te Hüh­ner­brust für sie, Wie­ner Schnit­zel für ihn. „Viel­leicht blei­ben Sie ja auch hier, wenn Sie einen Mann fin­den“, sagt die Frau unver­mit­telt, als ich das Essen abstel­le. Ihr freund­li­cher Blick wan­dert von mir zu ihrem Gat­ten. Auf ihn ist Ver­lass. „Das dürf­te für Sie ja ein Leich­tes sein!“, sagt er und lacht und meint es gut.

Ich unter­drü­cke ein Augen­rol­len. Aus sei­nem Kom­pli­ment macht mein blö­der Kopf was ande­res. Es war aber nie leicht.

Von den Bil­dern, die sich in mir ein­ge­brannt haben, fla­ckert eines wie­der auf: Ein Jahr vor mei­ner Rei­se sit­ze ich mit Freun­den in einer ram­mel­vol­len Knei­pe. Nur der Platz neben mir ist frei – ich habe ihn frei­ge­hal­ten für den Mann, in den ich ver­liebt bin. Der eigent­lich heu­te vor­bei­kom­men woll­te. Der eigent­lich längst hier sein woll­te. Der eigent­lich gesagt hat, dass er anruft, wenn …

Der Platz bleibt leer an die­sem Abend. An allen wei­te­ren auch.

Ich ste­he am Tisch mit der Ent­täu­schung von damals im Magen und einem Ste­chen im Her­zen, das, müde und abge­kämpft, von all dem nichts mehr wis­sen will. Ich schlu­cke die Wor­te hin­un­ter, die auf mei­ner Zun­gen­spit­ze lie­gen – „Wie kom­men Sie dar­auf?“ und „Wenn Sie wüss­ten!“ Sie bün­deln sich zu einem Kno­ten im Hals. „Dan­ke!“ brin­ge ich schließ­lich her­vor und zie­he die Mund­win­kel nach oben.

Sich selbst genug

Es dau­ert nicht lan­ge, bis ich mich wie­der fan­ge. Ich hab näm­lich nicht vor, sie mir zum tau­sends­ten Mal vor­zu­wer­fen, all mei­ne ver­meint­li­chen Feh­ler. Den Teu­fel werd ich tun, mich noch mal selbst zu bemit­lei­den.

In der Küche läuft Hip Hop. Zu „Turn down for what?“ nimmt Tel­ler­wä­sche­rin Maya mir schwung­voll einen Sta­pel dre­cki­gen Geschirrs aus den Hän­den. Sekun­den spä­ter ruft im Restau­rant ein Schla­ger­sän­ger „Pal­ma! Pal­ma! Pal­ma de Mal­lor­ca“ in die bil­lig quiet­schen­den Hin­ter­grund­klän­ge. „You’re always smi­ling, Susan­na, I love that.“ Lau­ra steht neben mir und schüt­telt den Kopf. „How do you always smi­le at not­hing?“

Es ist nicht nichts. Es ist mein stil­ler Ent­schluss, wei­ter­zu­ma­chen, was ich hier gelernt, womit ich hier begon­nen habe: Tun, was mich glück­lich macht. Und mir dabei selbst genug sein. Auf der Park­bank, im Kino, in der Knei­pe. Oder im Flug­zeug nach Mexi­ko. Es ist okay, wenn er frei bleibt, der Platz an mei­ner Sei­te.

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Antworten

  1. Avatar von Gerhard Bernd

    Hal­lo,
    ich habe euren schö­nen Rei­se­blog beim suchen nach neu­en Hotels gefun­den, sehr gut gemacht.
    Wir bie­ten sel­ber seid 20 Jah­ren Asi­en­tou­ren an aber auch Hotels und Trans­fers.
    Viel­leicht schaut ja einer von euch mal auf die Web­site http://www.Asia-hotelservice.com
    mfg
    Ger­hard

  2. Avatar von Diana Hersilia
    Diana Hersilia

    Der Platz an mei­ner Sei­te war nie frei, denn ich hei­ra­te­te mit 20. Jedoch hät­te ich mir die Frei­heit gewünscht durch die Welt zu rei­sen, genau wie Sie es tun! Ich freue mich über Ihrer Rei­se­be­rich­te. Genie­ßen Sie die Frei­heit zu rei­sen, ohne Rück­sicht auf Mann und Kin­der neh­men zu müs­sen.

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Und ich freue mich über Dei­nen Kom­men­tar, lie­be Dia­na. Vie­len Dank! Viel­leicht kannst Du die Welt­rei­se nach­ho­len? Lie­be Grü­ße.

  3. […] Gan­zen Arti­kel auf ‚Rei­se­de­pe­schen‘ lesen […]

  4. Avatar von Nico

    Der Rei­se­be­richt hat mir sehr gefal­len und so gut geschrie­ben, das man ein­fach ant­wor­ten muss.
    Ich bin 3 Jahr­zehn­te mit mei­nem Job um die Welt gereist. Der Platz neben mir war auch immer leer.
    Freue mich schon auf den schoe­nen Sonn­tags-News­let­ter.

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Hal­lo Nico, vie­len Dank, das freut mich sehr!

  5. Avatar von Thorsten
    Thorsten

    Ich sit­ze hier gera­de auf dem Sofa und habe dei­nen Rei­se­be­richt aus Kana­da gele­sen.
    Bin da nun doch sehr nach­denk­lich geworden.Hat mir wirk­lich sehr gefal­len möch­te ich nur sagen.Ich freue mich auf mehr davon.

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Hal­lo Thors­ten,

      vie­len Dank! Nach­denk­lich? Hof­fent­lich nicht zu sehr, es ist doch alles gut! 🙂

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