Der Mythos der Sklaveninsel

Zum ers­ten Mal bin ich in Afri­ka unter­wegs. So lan­ge habe ich davon geträumt, und nun lau­fe ich tat­säch­lich glück­lich grin­send durch die Stra­ßen Dakars, gespannt auf die klei­nen Aben­teu­er, die mich hier erwar­ten. Obwohl ich erst einen Tag da bin, weiß ich jetzt schon, dass die Zeit viel zu kurz sein wird. Ich will mög­lichst viel sehen, füh­len, hören, schme­cken. Ich will die­ses Land und die Leu­te in mir auf­sau­gen, damit es immer ein klei­ner Teil von mir sein wird, irgend­wo in mir drin, wo die schö­nen Erin­ne­run­gen lagern, die mich manch­mal ret­ten, wenn gera­de irgend­was nicht so gut läuft…

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Vol­ler Ener­gie und posi­ti­ver Neu­gier mache ich mich also auf den Weg zu einer klei­nen Insel: La Gorée. Der Weg ist nicht weit. Von Dakar aus ist es ein Kat­zen­sprung. Gera­de rich­tig für den Anfang. Die Ent­schei­dung einen Bus oder ein Taxi zu neh­men ist schnell gefal­len: Der Bus ist zwar ori­gi­nel­ler, braucht aber lei­der Ewig­kei­ten. So viel hab ich schon mit­ge­kriegt. Das Taxi kos­tet unge­fähr soviel wie eine Tas­se Kaf­fee zuhau­se und braucht nur eine hal­be Stun­de. Den Luxus gön­ne ich mir ein­fach mal. Bus­fah­ren kommt dann spä­ter. Jetzt muss ich nur noch mit dem Taxi­fah­rer einen Preis ver­han­deln. Taxa­me­ter gibt es näm­lich nicht. Immer muss man han­deln. Das liegt mir so gar nicht. Am liebs­ten wür­de ich ein­fach den gefor­der­ten Betrag zah­len und fer­tig. Auch mit ein­ge­bau­tem Tou­ri-Auf­schlag. Irgend­wie fühl ich mich immer mies, wenn ich feil­schen soll.… Wir wer­den uns also ziem­lich schnell einig und los geht’s.

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Am Hafen ange­kom­men, muss ich nur noch die Fäh­re fin­den. Das soll­te nicht wei­ter schwie­rig sein. Unter der Woche, hat man mir ver­si­chert, fah­ren die Boo­te alle Stun­de oder so. Und es sei nicht viel los. Das war wohl ein Irr­tum. Es ist bre­chend voll. Gan­ze Schul­klas­sen sind unter­wegs und drän­geln sich an einem eiser­nen Tor. Dahin­ter scheint es die Tickets zu geben. Schub­wei­se wer­den wir ein­ge­las­sen. Ohne dass ich so rich­tig weiß, wie mir geschieht, ste­he ich mit­ten­drin, vor mir eine Grup­pe sehr ele­gan­ter Sene­ga­le­sin­nen in ihren bes­ten Sonn­tags­klei­dern. Knall­bun­te, lan­ge Klei­der, die bis auf den Boden rei­chen. Bei dem Gedrän­gel tre­te ich der gelb leuch­ten­den Dame vor mir aus Ver­se­hen auf den Rock­saum. Sor­ry! Sie hat mich nicht ein­mal bemerkt. Unele­gan­ter­wei­se ist sie näm­lich gera­de damit beschäf­tigt die Kin­der zur Sei­te zu drän­geln. Es scheint, hier ist sich jeder selbst der Nächs­te. Alle wol­len unbe­dingt auf die­se Fäh­re. Dabei ist es doch nicht mal die letz­te heu­te, oder doch?! Aber ich kann nicht zurück. Ich ste­he mit­ten­drin und wer­de vor­wärts gescho­ben. Eine ande­re Rich­tung geht gera­de nicht.

Das Boot tutet schon. Der Schwung Men­schen, der mit mir durch die Ein­zäu­nung schwappt, ist der letz­te, der die­se Fäh­re erreicht. Wir bestei­gen ein klei­nes Boot, Sitz­bän­ke gibt es kei­ne. Alle ste­hen oder leh­nen sich irgend­wo an, wo sie gera­de Platz fin­den. Die Dame mit dem gel­ben Kleid ist oben zum Fah­rer­haus geklet­tert und lehnt in der Tür. Die Fäh­re legt ab. Geschafft. Der fri­sche Wind tut gut. Die Über­fahrt dau­ert nur 20 Minu­ten.

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Am Anle­ger von Gorée schmei­ßen sich baden­de Kin­der laut krei­schend vor der ankom­men­den Fäh­re ins Was­ser. An dem klei­nen Strand herrscht ein fröh­lich-heil­lo­ses Durch­ein­an­der. Ich lau­fe über die Insel. Es riecht nach fri­schem Gemü­se. Auf einem Platz, mit­ten im Gewirr der Sand­we­ge, schnip­peln bunt geklei­de­te Frau­en gera­de grü­ne Papri­ka. Schein­bar kochen sie hier alle zusam­men. Wie­der in feins­te Sonn­tags­ro­ben gehüllt, die in grel­len Far­ben leuch­ten. Schön! Und Spaß haben sie wohl auch. Sie reden alle gleich­zei­tig, aber ich ver­steh ja sowie­so kein Wort. An der Gabe­lung zwei­er Wege sit­zen älte­re Män­ner und Frau­en auf Plas­tik­stüh­len. Sie sehen aus, wie die Dorf­äl­tes­ten, irgend­wie wich­tig. Ich grü­ße freund­lich mit einem Kopf­ni­cken.

Die gan­ze Insel wirkt wie ein Fens­ter in eine ande­re Welt. Oder wie ein leben­di­ges, klei­nes Muse­um. Es gibt kei­ne Autos, nur leicht ver­fal­le­ne Häu­ser, Hüt­ten, enge, klei­ne Sand­we­ge und jede Men­ge Zie­gen. Rechts und links schlän­geln wir uns durch die klei­nen Stra­ßen. Dann geht es ab an den Strand, zum Abküh­len. Der ist aller­dings über­sät mit ros­ti­gen Dosen, Scher­ben, Han­dy­tei­len, Muscheln und allem mög­li­chen Krims­krams. Ich über­le­ge, wie lan­ge mei­ne letz­te Teta­nus­imp­fung her ist. Vor­sichts­hal­ber suche ich einen Platz wei­ter hin­ten, in der Nähe des alten Forts, wo gro­ße Stei­ne am Strand lie­gen und es kei­nen Sand, bzw. kei­nen Müll gibt. Zwei Fischer begin­nen direkt vor mei­ner Nase ihre Angel­lei­nen aus­zu­wer­fen.

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Als ich mich in die küh­len Flu­ten stür­zen will, stel­le ich jedoch schnell fest, dass die Idee mit den Stei­nen doch nicht so pri­ma war. Sie sind mega rut­schig und ich stol­pe­re unele­gant ins Was­ser. Auch die Strö­mung ist nicht zu unter­schät­zen. Andau­ernd wer­de ich gegen die glit­schi­gen Stei­ne gedrückt und fin­de kei­nen Halt. Ich plump­se und plan­sche nur kurz vor mich hin und ret­te mich dann schnell wie­der ans siche­re Ufer. Aber trotz­dem gut, das kur­ze Bad im Meer.

Bevor mein Insel­tag zu Ende geht, will ich noch das Skla­ven­haus besu­chen. Der Legen­de nach soll La Gorée näm­lich einer der Haupt­um­schlags­plät­ze für den Export schwar­zer Skla­ven nach Ame­ri­ka gewe­sen sein. Das ist ange­sichts der gerin­gen Grö­ße der Insel (nur 1 km lang und 300 m breit) schwer vor­stell­bar, aber nun gut. Seit den 60er Jah­ren pil­gern berühm­te Per­sön­lich­kei­ten hier­her, um den ver­schlepp­ten Skla­ven zu geden­ken.

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Ein in tra­di­tio­nell bun­te Gewän­der geklei­de­ter Muse­ums­füh­rer erzählt die Geschich­te des Hau­ses. In einer Sing­sang-Stim­me berich­tet er davon, wie die gefan­ge­nen Skla­ven gewo­gen und sor­tiert wur­den, wie sie in klei­nen, dunk­len Kam­mern rich­tig­ge­hend gesta­pelt und dann ver­schifft wur­den. Irgend­wie muss ich fast auto­ma­tisch an den Film “Roots” den­ken. Die Mai­son des Escla­ves ist ein Mahn­mal. Gan­ze Schul­klas­sen kom­men hier­her, um sich die­sen Teil der Geschich­te Afri­kas anzu­hö­ren. Auch wenn der Mythos um die Skla­ven­in­sel wohl doch nur ein Mythos ist, auch wenn wahr­schein­lich nie­mals ein Schiff direkt an den Fel­sen hin­ter der Tür ohne Wie­der­kehr ange­legt hat, haben doch Mil­lio­nen Schwarz­afri­ka­ner das beschrie­be­ne Schick­sal erlit­ten. Fest steht, dass hier Skla­ven gehal­ten und ver­schifft wur­den, nur waren es in die­sem Haus eben nicht Tau­sen­de und Mil­lio­nen, wie in Sant Lou­is oder ande­ren afri­ka­ni­schen Städ­ten an der West­küs­te. Aber es gab sie, die­se Orte, mit einem Tor ohne Wie­der­kehr: die­sem einen Weg auf ein Boot, das die Män­ner, Frau­en und Kin­der in eine ande­re Welt trug, aus der sie nie­mals zurück­keh­ren wür­den. Auch wenn nicht alles so hun­dert Pro­zent wirk­lich hier auf der Insel pas­siert ist, so ist doch die gro­ße Geschich­te wahr.

Am nächs­ten Mor­gen früh­stü­cken wir in der klei­nen Pen­si­on, deren ein­zi­ge Gäs­te wir sind. Es gibt lau­war­men Kaf­fee, ein Stück­chen Brot und sogar ein Glas Mar­me­la­de. Reicht völ­lig aus und schmeckt lecker. Bevor es wie­der zurück auf’s Fest­land geht, bestei­ge ich noch kurz den klei­nen Hügel der Skla­ven­in­sel. In engen Hüt­ten, Fels­spal­ten und Löchern leben ein paar Künst­ler, die ihre Wer­ke hier rund um eine alte Kano­ne auf­ge­baut haben. Bil­der, Figu­ren, Holz­tie­re hän­gen in den Bäu­men oder ste­hen auf dem Boden. Alles ist sehr still. Ein alter Mann kommt auf mich zu. Er erzählt vom Frie­den hier oben, von sei­nem Glau­ben dar­an, dass es kei­ne Haut­far­ben gibt und dass wir tief in uns drin alle gleich sei­en – nicht schwarz oder weiß son­dern rot, wie das Herz und das Blut. Sei­ne Figu­ren, die er aus alten Blech­do­sen, Muscheln, Tei­len einer alten Uhr, einer Fern­be­die­nung, Stof­fen und ande­rem Schrott gebas­telt hat sind wun­der­schön. Irgend­wie bewe­ge ich mich bei der Hit­ze nur sehr lang­sam. Eine Zie­ge, die gera­de “foto­gen” um die Ecke gerannt kommt, ist mal wie­der lei­der zu schnell für mich. Die­se Vie­cher meckern denn gan­zen Tag so laut rum, dass man sie doch eigent­lich recht­zei­tig sehen müss­te. Sie sind jeden­falls nicht zu über­hö­ren. Aber bevor mei­ne Kame­ra ein­satz­be­reit ist, ist die Zie­ge schon wie­der ver­schwun­den.

Ein lau­tes Tuten ver­kün­det die Ankunft der Fäh­re. Jetzt muss ich mich doch etwas beei­len. Auf dem Rück­weg ist das Schiff fast leer. Die fri­sche Mee­res­bri­se weht mir ange­nehm ins Gesicht, wäh­rend die Insel ganz schnell immer klei­ner wird.

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Antworten

  1. Avatar von anemina

    Eine Zie­ge, die foto­gen um die Ecke gerannt kommt? Das Bild fin­de ich sehr lus­tig – und die Situa­ti­on kann ich mir gut vor­stel­len 🙂 Schö­ner Bericht!

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