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Bhutan – zwischen Karma & Korruption

Die Ame­ri­ka­ner fixie­ren das Stre­ben nach Glück als gott­ge­ge­be­nes Grund­recht in ihrer Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung. Das kleine König­reich Bhu­tan geht noch einen Schritt wei­ter und erklärt das „Brut­to­na­tio­nal­glück“ zum obers­ten Staats­ziel in der Ver­fas­sung. Das hört sich viel­ver­spre­chend an und so begebe ich mich tief in den Hima­laja auf die Suche nach dem Glück.

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Eine exakte Defi­ni­tion gibt es nicht. Das Glück win­det sich vor der wis­sen­schaft­li­chen Ent­zau­be­rung. Lin­gu­is­ten spre­chen vom Zusam­men­tref­fen beson­ders güns­ti­ger Umstände, Psy­cho­lo­gen von der abso­lu­ten Har­mo­nie unse­res Bewusst­seins und Bio­lo­gen las­sen unsere Endor­phine tan­zen. Aber wie glück­lich sind die Bewoh­ner Bhu­tans, wo das Stre­ben nach Glück ein har­ter Job ist?

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“Hap­pi­ness is a place”. 

Unser Pilot liebt sei­nen Job. Das merkt und hört man in jeder ein­zel­nen Minute unse­res ein­stün­di­gen Flu­ges von Kath­mandu nach Paro. Noch wäh­rend das Sicher­heits­vi­deo läuft, berei­tet er uns ver­bal und men­tal auf den bal­di­gen Anblick des höchs­ten Ber­ges der Welt vor. Und tat­säch­lich – als die dia­mant­för­mige Spitze des Mount Ever­est in der Mit­tags­sonne vor mir brennt, spüre ich eine abso­lute Har­mo­nie mei­nes Bewusst­seins. Psy­cho­lo­gisch betrach­tet, bin ich auf dem Weg nach Bhu­tan schon glück­lich. Das fängt ja gut an.

Eine Extra Por­tion Glück und gute Ner­ven braucht man dann aller­dings beim Anflug auf den Flug­ha­fen von Paro. Ein­ge­klemmt zwi­schen den steil auf­ra­gen­den Berg­ket­ten sieht die Lan­de­bahn aus der Vogel­per­spek­tive aus wie ein Park­platz. In Mil­li­me­ter­ar­beit manö­vriert unser gut­ge­laun­ter Pilot den Air­bus an den Fel­sen­klip­pen vor­bei und stürzt die Nase unse­res Don­ner­dra­chens im ver­ti­ka­len Sink­flug in die Tiefe. Meine Stirn klebt sekun­den­lang am Vor­der­sitz fest, bis ein unsanf­ter Boden­kon­takt den Ein­tritt in die Schwe­re­lo­sig­keit ver­hin­dert. Als wir mit quiet­schen­den Rei­fen in Hand­kuss­nähe zum nächs­ten Berg zum Ste­hen kom­men, stimme ich vol­ler Erleich­te­rung in den tosen­den Applaus der Pas­sa­giere mit ein. Im Zuge der Eupho­rie und mit fes­tem Boden unter den Füßen fülle ich die Begrü­ßungs­karte aus, deren Slo­gan mich in mei­ner Glücks­mis­sion noch bestärkt: „Bhu­tan – Hap­pi­ness is a place“.

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Drei-Mönche-im-Dzong-von-PunakhaIm-Angesicht-der-(angeblich)-grössten-Buddhastatue-der-Welt

Die­ses große Ver­spre­chen scheint sich bereits in der Haupt­stadt zu bewahr­hei­ten, denn es gibt sie noch – eine Welt ohne Ampeln und rote Wel­len. In Tim­phu regelt ein ein­zel­ner Poli­zist mit stoi­scher Ruhe auf einer tem­pel­ar­ti­gen Ver­kehrs­in­sel den Auto­strom. Die Stadt ist im Auf­bruch, zumin­dest der Jeanstra­gende Teil der Bevöl­ke­rung. Wäh­rend hin­ter mir Lady Gaga aus einem Elek­tro­la­den dröhnt, beob­achte ich tra­di­tio­nell geklei­dete Pil­ger, die im Uhr­zei­ger­sinn um Gebets­müh­len strö­men. Auf unse­rem Weg in die Berge schwärmt mein Guide von der ers­ten und ein­zi­gen Auto­bahn in ganz Bhu­tan, auf der wir uns gerade befin­den. Und wäh­rend ich noch meine Kamera suche, um ein Foto von die­sem his­to­ri­schen „Bau­werk“ zu machen, ist sie auch schon wie­der vor­bei. Ganze 6 Kilo­me­ter! zählt der ganze geteerte Stolz des Landes.

Kurz dar­auf geht es auf einer stau­bi­gen Schot­ter­straße wei­ter in die Berge. Trans-Bhu­tan-High­way heißt nun die ein­zige Ver­bin­dung ins Lan­des­in­nere. Wäh­rend ich noch über meine west­li­che Defi­ni­tion eines „High­ways“ nach­denke, dreht sich mein Guide mit einem ent­schul­di­gen­den Lächeln zu mir um und berei­tet mich auf die kom­mende „Rock-’n‘-Roll-Straße“ vor. Die Beto­nung liegt hier­bei ein­deu­tig auf „Rock“, denn rol­len tun wir die nächs­ten Stun­den eher sel­ten. Die Land­schaft schau­kelt in Zeit­lupe an mir vor­bei und ich höre Geschich­ten von Dämo­nen, flie­gen­den Tigern und ande­ren Fabel­we­sen, die im Schat­ten der hei­li­gen Berge ihr Unwe­sen trei­ben sol­len. In die­ser Atmo­sphäre würde es mich nicht wun­dern, wenn der Yeti höchst­per­sön­lich hin­ter dem nächs­ten Baum her­vor­kom­men würde. Auch der soll übri­gens schon mehr­fach in den Wäl­dern Bhu­tans gesich­tet wor­den sein.

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Das Stre­ben nach Glück. 

Die Bhu­ta­ner neh­men ihren Staats­auf­trag zum „Brut­to­na­tio­nal­glück“ sehr ernst. Bis zu neun Monate sind die Beam­ten der „Glücks­kom­mis­sion“ in den ent­le­gens­ten Win­keln des Lan­des unter­wegs und füh­ren Befra­gun­gen durch. Sie kom­men an Orte, wo die Alten fra­gen, was Strom ist und wo jedes Haus einen höl­zer­nen Phal­lus über der Tür hän­gen hat, um es vor bösen Geis­tern zu schüt­zen. Der sei­ten­lange Fra­gen­ka­ta­log formt das Glück Bhu­tans in Kuchen- und Tortendiagramme:

Frage 37: Wie oft ach­ten Sie bei Ihrem Tun auf mög­li­che Fol­gen für Ihr Karma?

Frage 157: Wie viele Beamte sind Ihrer Ansicht nach korrupt?

Frage 182: Wie sicher füh­len Sie sich vor Gespenstern?

Von schlech­tem Karma, Gespens­tern und Kor­rup­tion mal abge­se­hen, haben die müh­sa­men Befra­gun­gen erge­ben, dass 40,9 Pro­zent der Bhu­ta­ner über der Glücks­grenze leben. Dem gegen­über steht die Zahl 33, die Bhu­tans frag­wür­di­gen Rang­platz auf der inter­na­tio­na­len Kor­rup­ti­ons­liste dar­stellt. Die USA haben es mit ihrem Glück als Grund­recht immer­hin auf Platz 19 des Kor­rup­ti­ons­be­richts von Trans­pa­rency Inter­na­tio­nal geschafft.

Nomaden

Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken einer Tigerin. 

In der Ferne sehe ich das berühmte „Tiger­nest“ in schwin­del­erre­gen­der Höhe am Fel­sen kle­ben. 800 steile Höhen­me­ter lie­gen zwi­schen mir und dem Klos­ter, die es in einem Auf­stieg zu über­win­den gilt. Der Natio­nal­hei­lige Guru Rin­po­che hatte es da leich­ter. Der Legende nach flog er im 8. Jahr­hun­dert, auf einer Tige­rin her­bei und brachte den Men­schen die Lehre des tan­tri­schen Bud­dhis­mus. Da die flie­gende Tige­rin gerade nicht zur Ver­fü­gung steht, ent­scheide ich mich für ein klei­nes gut­mü­ti­ges Muli, das mich die ers­ten Stun­den tap­fer den Berg hin­auf­schau­kelt. Dann heißt es abstei­gen denn die letzte Stunde muss zu Fuß bewäl­tigt wer­den. Tief unter uns liegt das Paro-Tal und über uns die gol­de­nen Dächer des Klos­ters. Der Aus­blick ent­schä­digt für alle Stra­pa­zen, selbst für eine Stunde Trep­pen stei­gen auf 3000 Metern Höhe! Am Abend sehe ich das kleine Licht einer But­ter­lampe hoch oben am Fel­sen fla­ckern und für einen kur­zen Moment suche ich am Him­mel nach der flie­gen­den Tige­rin, die mit Guru Rin­po­che auf dem Rücken nach Hause fliegt …

 Das-berühmte-TigernestDas-Tigernest

Glück für ein Käsesandwich. 

Als ich im Bauch des Don­ner­dra­chens der Druk Air Maschine zurück nach Kath­mandu fliege, habe ich das Pech, auf der Seite ohne Ever­est-Pan­orama zu sit­zen. Aber kein Glück ohne Kampf und Kor­rup­tion, das habe ich gelernt. Ich pro­biere es mit Bestechung. Zu mei­ner Über­ra­schung funk­tio­niert schon mein ers­ter, doch recht plum­per Ver­such und für ein Käse­sand­wich und eine Tüte Wasabi-Chips tauscht ein Junge ohne viele Worte mit mir den Platz.

Ich lehne mich zurück, genieße die Aus­sicht und bin glücklich.

Die-Autorin-im-Glücksrausch-vor-dem-Tigernest

Cate­go­riesBhu­tan
  1. Marko says:

    ich sitze gerade im Unter­richts­raum, pauke „Fir­men­recht“ und das hier hat mir gehol­fen, träu­men zu kön­nen um nicht voll­kom­men wahn­sin­nig zu wer­den. danke für die inspi­ra­tion, madame :)

  2. Jeremy says:

    HA, die Julia schreibt für Rei­se­de­pe­schen – cool! Tolle Bil­der – da will man wirk­lich gleich mal hin (und ich reise von nun an immer mit Käse­sand­wi­ches :D ).

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