Baby ohne Namen

Bolivien, August 2011.

Ein Einkaufsladen in einer bolivianischen Kleinstadt. Außer ein paar heruntergekommenen Häusern und dem Hauptplatz gibt es hier kaum etwas, nur die Weiten der Einöde, die sich in der Ferne verlaufen. Dennoch kommen Touristen in dieser Stadt vorbei, sie dient als Ausgangspunkt für Touren in den nahegelegenen Salzsee. Auf dem Hauptplatz findet man ein paar Restaurants, die ihre Menüs an die vornehmlich europäischen und US-amerikanischen Touristen angepasst haben. Und der kleine Laden, in dem man das Notwendigste, das Touristen so brauchen könnten, und ein paar vergilbte Postkarten kaufen kann.Ich betrete den Laden, um mir Wasser zu kaufen. Bis ins hinterste Eck ist der kleine Raum vollgestopft mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln. Ein Mann steht irgendwo dazwischen, neben ihm sitzt eine junge Frau und stillt ihr Baby. Ein Mädchen ist es, erklären mir die stolzen Eltern. Der kleine Wurm ist höchstens ein paar Monate alt, denke ich mir. Im nächsten Moment habe ich die Frage nach dem Alter auch schon laut ausgesprochen. Fünf Monate, gibt mir die Frau zur Antwort.

Smalltalk mit frisch gebackenen Eltern verläuft irgendwie immer gleich. Auch in Bolivien. Wurde man einmal darüber aufgeklärt, welches Geschlecht das Baby hat und wie alt es ist, kann man fast nicht umhin, auch nach dem Namen des Kindes zu fragen. Doch als ich diese Frage stelle, erklärt mir der Mann, dass das Baby noch keinen Namen hat. Ich wundere mich, frage mich, wie sie es dann wohl ansprechen. In diesem Moment blickt mir die Frau fest in die Augen. “Wie heißt du denn?”, will sie wissen. Ich sage es ihr. “Ein schöner Name”, meint sie, redet eher mit sich selbst, als mit mir. “Wir könnten unser Mädchen ja auch so nennen”, fügt sie dann noch hinzu.

Ich muss weiter, zahle und verabschiede mich. Während ich das Geschäft verlassen, grüble ich, ob es überhaupt gut für das Kind wäre, wenn es einen Namen hätte, den seine Eltern nicht einmal wirklich aussprechen können. Und frage mich, wie dieses junge Paar auf die Idee kommt, seinem Kind einen eher in Europa üblichen Vornamen zu geben. Doch dann denke ich mir, dass sie wahrscheinlich nicht einmal wissen, wie man meinen Namen überhaupt schreibt und das Kind wohl nicht so heißen wird, wie ich.

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Antworten

  1. Avatar von Nils

    Sehr trau­rig, dass ein Kind bzw. ein Mensch kei­nen Namen hat. Dann ist er oder sie ein Nie­mand und es will doch wirk­lich kei­ner ein Nie­mand sein. Nor­ma­ler­wei­se ist es doch üblich bei der Geburts­ur­kun­de einen Namen zu ver­ge­ben, vor allem in Süd­ame­ri­ka ist es doch üblich, dass die Kin­der meist 2 Vor­na­men haben, oder irre ich mich?

    Die Geschich­te ist ja nun auch schon. wie ich sehe 3 Jah­re her. Dann hof­fe ich mal, dass das klei­ne Wesen mitt­ler­wei­le einen Namen hat.

    VG Nils

  2. Avatar von Claudia

    Sol­che Geschich­ten stim­men einen nach­denk­lich. Ab und zu – gera­de in der besinn­li­chen Weih­nachts­zeit – tut das auch ganz gut. Grü­ße aus Ster­zing süd­ti­rol

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