Der lange Weg nach Süden

Über drei Mona­te alt ist sie bereits, die gro­ße Rei­se, die uns durch Süd­ame­ri­ka führt. Ein Jahr lang, viel­leicht auch etwas län­ger. Vor eini­gen Jah­ren bereits waren wir für län­ge­re Zeit kreuz und quer über den Kon­ti­nent gereist und den Wei­ten der pata­go­ni­schen Step­pe, der schweiß­ge­tränk­ten Luft an den mos­ki­to­ver­seuch­ten Ufern des Ama­zo­nas und den glet­scher­be­deck­ten Gip­feln der kolum­bia­ni­schen Anden­kor­dil­le­ren ver­fal­len. Wir wuss­ten seit­dem, dass wir zurück­keh­ren wür­den. Doch die­ses Mal ist alles etwas anders: wir sind nun einer mehr. Wir haben einen unse­rer Ruck­sä­cke zuhau­se gelas­sen und statt­des­sen unser drei Jah­re altes Töch­ter­lein ein­ge­packt. Wir sind nun als klei­ne Fami­lie unter­wegs.

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Unse­re gro­ße gemein­sa­me Lei­den­schaft ist das Trek­king, des­halb ste­hen bei uns Unab­hän­gig­keit und Spon­ta­ni­tät auf Rei­sen an ers­ter Stel­le. Wir hat­ten uns von Anfang an in den Kopf gesetzt, mit nur einem gro­ßen Ruck­sack für uns drei zu rei­sen, um so den Nach­wuchs bei Bedarf immer in der Kra­xe tra­gen und somit auch Mehr­ta­ges­tou­ren lau­fen zu kön­nen. Hat dann schließ­lich auch geklappt. Zelt, Schlaf­sä­cke, Iso­mat­ten, Ben­zin­ko­cher, Angel: Wir haben stets alles dabei, um uns an so ziem­lich jedem Ort auf der Welt häus­lich ein­rich­ten zu kön­nen. Ansons­ten hat jeder von uns je ein pas­sen­des Klei­dungs­stück für jede Jah­res­zeit dabei.

Irgend­wie schon ver­rückt zu sehen, dass alles, was eine klei­ne Fami­lie zum Leben braucht, in einen ein­zi­gen Ruck­sack und ein paar Plas­tik­tü­ten passt. Und das, ohne wirk­lich auf etwas ver­zich­ten zu müs­sen. Wei­te­rer Vor­teil der Beschrän­kung auf das Wesent­li­che: man benutzt wirk­lich alles, was man besitzt. Kein unnö­ti­ger Krem­pel, kein Haus­rat. Kein chi­ne­si­scher Gong oder mund­ge­bla­se­ne Glas­trop­fen von irgend­wel­chen Weih­nachts­märk­ten auf dem Fens­ter­brett. In unse­rem Ruck­sack fin­det sich so gut wie kein Gegen­stand, der nicht regel­mä­ßig gebraucht wird.

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Die gro­ße Unbe­kann­te war trotz der wohl durch­dach­ten Vor­be­rei­tung, wie denn wohl das Töch­ter­lein auf unse­re Vor­stel­lun­gen reagie­ren wür­de. Auch des­halb hiel­ten wir uns mit kon­kre­ten Rou­ten­pla­nun­gen zurück. Ball flach hal­ten, dach­ten wir uns. Wenn wir vor der Rei­se nach unse­ren Plä­nen gefragt wur­den, muss­ten wir immer ant­wor­ten: es gibt kei­ne! Ein­zig auf die Him­mels­rich­tung der ers­ten Rei­se­mo­na­te woll­ten wir uns fest­le­gen: Süden. Pata­go­ni­en. Viel Zeit im Frei­en.

Nach über acht Wochen des „Drau­ßen­seins“ ist klar, dass wir uns da wohl so ziem­lich den kras­ses­ten Wild­fang ins Haus geholt haben, den man sich so vor­stel­len kann. Dass wir ein „Drau­ßen-Kind“ haben, war uns spä­tes­tens seit dem Wald­kin­der­gar­ten bewusst. Was das aber mit Kin­dern und deren Eltern macht, wenn sie über Wochen hin­weg 24 Stun­den am Tag an der fri­schen Luft ver­brin­gen, kann man schwer beschrei­ben. Aus­ge­gli­chen­heit, Krea­ti­vi­tät, Gesund­heit und vor allen Din­gen: Neu­gier­de. „Wer macht den Wind? Was essen Vul­ka­ne? Gehen Wale in die Wal­schu­le?“ Think about it!

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Wir haben hier einen wun­der­schö­nen Rhyth­mus gefun­den, gehen oft und lan­ge in die Ber­ge. Das Töch­ter­lein genießt es, durch die zau­ber­haf­ten val­di­via­ni­schen Regen­wäl­der getra­gen zu wer­den und fin­det gro­ßen Gefal­len dar­an, die unzäh­li­gen Vul­ka­ne neu zu benen­nen. Wir haben mit ihr bereits Schnee­fel­der gequert, Glet­scher bestaunt und Gip­fel bestie­gen. Oft sind die Tage lang und hart, wir beloh­nen uns aber stets mit aus­gie­bi­gen Pau­sen­ta­gen . Die sind auch not­wen­dig, denn die Wege waren bis­lang oft beschwer­lich steil oder durch wuchern­den Bam­bus oder umge­fal­le­ne Bäu­me ver­sperrt. Die Neben­sai­son ist Fluch und Segen zugleich: Auf der einen Sei­te haben wir die fan­tas­tischs­ten Orte oft ganz für uns allein, auf der ande­ren Sei­te jedoch sind die Pfa­de in die­sem Jahr noch so wenig belau­fen, dass die Weg­fin­dung manch­mal schwie­rig wird.

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Die Topo­gra­fie Chi­les garan­tiert Abwechs­lung zu jeder Zeit. Aus dem hei­ßen Nor­den Argen­ti­ni­ens kom­mend ver­brach­ten wir die ers­te Woche in dem klei­nen Fisch­er­ört­chen Hor­cón süd­lich der Haupt­stadt Sant­ia­go. Seit­dem bewe­gen wir uns lang­sam aber ste­tig gen Süden. Die Men­schen wer­den weni­ger, die Natur ist über­wäl­ti­gend. Wir hat­ten fan­tas­ti­sche Begeg­nun­gen in Arau­canía, einer Regi­on, wel­che ihren Namen durch die Chi­le­ni­sche Arau­ka­rie erhält. Ein Baum, der bis zu 2.000 Jah­re alt wer­den kann und deren Bestand mitt­ler­wei­le als stark gefähr­det gilt. Arau­canía ist zugleich das Zen­trum der Mapu­che, der größ­ten indi­ge­nen Bevöl­ke­rungs­grup­pe des Lan­des. Ein tap­fe­res und stol­zes Volk, das sowohl den Inka als auch den spa­ni­schen Kon­quis­ta­do­ren erfolg­reich die Stirn bot. Und das durch die Schi­ka­nen der chi­le­ni­schen Regie­rung dazu gezwun­gen wird, die­sen teils gewalt­sa­men Kampf um Land und Iden­ti­tät bis heu­te fort­zu­füh­ren. Die Land­schaft dort ist geprägt durch die unzäh­li­gen Vul­ka­ne und unfass­bar schö­ne Wäl­der. Die Natio­nal­parks Con­guil­lío und Huer­que­hue zäh­len zu den schöns­ten Orten, die das Land zu bie­ten hat. Danach ver­brach­ten wir eine gute Woche auf der Insel Chiloé, die vor allen Din­gen für ihre USES­CO-geschütz­ten Holz­kir­chen bekannt ist. Für uns auch die Gele­gen­heit, unse­re Lust auf Mee­res­ge­tier zu befrie­di­gen: Pul­po, Muscheln und Cevi­che satt vom loka­len Fisch­markt.

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Seit eini­gen Wochen sind wir nun in Pata­go­ni­en unter­wegs. Das Val­le Cochamó, das als das Yose­mi­te Süd­ame­ri­kas bezeich­net wird, bot den spek­ta­ku­lä­ren Schau­platz für den 30. Geburts­tag von Eli­sa­beth. 1.000 Meter ver­ti­ka­le Gra­nit­wand kann kein Hirn ver­ar­bei­ten. Dort haben wir unser Para­dies gefun­den. Eine Land­schaft, die durch ihren Reich­tum an Was­ser cha­rak­te­ri­siert ist und Far­ben, die wir in die­ser Inten­si­tät noch nie gese­hen haben. Außer­dem ist die­se Regi­on Hei­mat der Aler­ce oder Pata­go­ni­schen Zypres­se, einer der ältes­ten und sel­tens­ten Baum­ar­ten die­ses Pla­ne­ten.

Etwas wei­ter süd­lich beginnt die Car­re­te­ra Aus­tral, die sich über etwas mehr als 1.200 Kilo­me­ter bis ins süd­li­che Pata­go­ni­en erstreckt. Eine zu jeder Zeit atem­be­rau­ben­de Schot­ter­pis­te, die direkt in den Regen­wald geschla­gen wur­de und immer­zu vor­bei an Glet­schern, Seen und Vul­ka­nen führt. Wir fol­gen ihr die nächs­ten Wochen und Mona­te. Viel bleibt uns auch nicht übrig, ist es doch weit und breit die ein­zi­ge befahr­ba­re Stra­ße. Die Pro­vinz­haupt­stadt Chai­tén war bis Weih­nach­ten die größ­te Stadt, die wir zu Gesicht bekom­men haben. Und die ein­zi­ge für die nächs­ten 600 Kilo­me­ter, die über einen Geld­au­to­ma­ten ver­fügt. Immer­hin 1.500 See­len sind mitt­ler­wei­le wie­der zurück­ge­kehrt, nach­dem das Städt­chen 2008 durch den ver­hee­ren­den Aus­bruch des Vul­kan Chai­tén über Nacht unter einer meh­re­re Meter hohen Asche­schicht begra­ben und in eine Geis­ter­stadt ver­wan­delt wur­de. Die Dimen­sio­nen kann man nicht beschrei­ben, selbst Fotos hel­fen da wenig.

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Mit viel Zeit und Muße bewe­gen wir uns fort. Beim Tram­pen haben wir hier bis­lang kur­ze War­te­zei­ten, was dahin­ge­hend ganz prak­tisch ist, da öffent­li­che Bus­se – wenn über­haupt – meist nur zwei Mal pro Woche ver­keh­ren. Das ein­zi­ge Mal, als wir bei Ein­bruch der Dun­kel­heit an der Stra­ße war­ten muss­ten, wur­den wir von einer Fami­lie auf­ge­sam­melt und gleich zum Über­nach­ten ein­ge­la­den. Dank Strom­aus­fall sogar mit Abend­essen bei Ker­zen­schein. Über­haupt ist die Hilfs­be­reit­schaft hier unten unglaub­lich groß. Wer hel­fen kann, hilft. Ohne Aus­nah­me. Man könn­te ja der Nächs­te sein, der Hil­fe benö­tigt. Die Men­schen wis­sen, was eine Not­la­ge in einem solch spär­lich besie­del­ten Erd­teil bedeu­ten kann. Hier ste­hen einem die Türen buch­stäb­lich offen. Gesun­de Men­schen, gesun­de Natur. Seit Wochen trin­ken wir hier beden­ken­los aus Bächen, Seen und Flüs­sen. So, wie es über­all ein­mal war und sein soll­te.

Wir sind 24 Stun­den am Tag drau­ßen. Wir neh­men das, was die Natur uns schenkt: Was­ser, Fisch, Früch­te und Bee­ren. Wir kochen wann immer es geht über offe­nem Feu­er, backen unser Brot selbst. Gehen in die Ber­ge, wann immer es das Wet­ter erlaubt. Tref­fen vie­le lie­be Men­schen. Wenn wir nach sol­chen Tagen ins Zelt fal­len, rie­chen wir nach Schweiß und Lager­feu­er.

Ein schö­nes Leben.

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Antworten

  1. Avatar von Kristian Imran
    Kristian Imran

    Da geht nicht nur euch einer ab. Ganz groß. Ganz wun­der­bar. Ganz vie­len Dank!

  2. Avatar von Kasia Oberdorf
    Kasia Oberdorf

    Fan­tas­ti­sche Bil­der. Die Far­ben sind unglaub­lich.

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