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Diego ließ Träume wahr werden. Er war Messias und Trickser, ein Revolutionär. Ein gefallener Engel. Ich hatte ihn spielen sehen. Wie er im Bremer Weserstadion über den Rasen schwebte und jonglierte, keine hundert Meter von der Stehtribüne, wurde Zeuge, wie seine blaue Napoli eins zu fünf unterging. Und wie er trotzdem triumphierte: in seiner Eigenschaft als ballbezaubernde Epiphanie. Wir würden gehen müssen, Diego bleiben. Dann hatten sie ihm Doping angehängt. Brauchte Gott denn Drogen? Bei Durchsicht seiner Akte auch Vermerke unter Camorra, Finanzamt und Koks. Egal, einen Matador wollten die Leute. In Neapel lieben sie ihn. Am blauen Tor zum »Stadio Centro Paradiso« hängen die Pannini-Bilder, Poster und Schals wie an einem japanischen Schrein. Nie machen, was die anderen erwarten. Das war Diego. Es hieß, Maradona würde in jenem Sommer in Neapel sein. Heimkehren. Also fuhr ich los.
Bremen, Sommer 1999. Ich wollte sehen, ob ich es nach Neapel schaffte. Der Zug nach Amsterdam stand schon am Bahnsteig. Über die ISDN-Leitung war ich ins Internet gegangen, hatte im Netscape-Navigator das Amtliche Kursbuch der Deutschen Bahn aufgerufen, Zugnummer und Abfahrtszeit schrieb ich auf einen gelben Haftnotizzettel der auf meinem Reisepass klebte. Vor dem Hauptbahnhof nahm ich eine Abschieds-Thüringer vom Rost. »Nach Neapel, ja?«, fragte der Beamte. Um mir dann am Fahrkartenschalter meinen Interrail-Pass samt Kaufbeleg auszudrucken und auszuhändigen, hier bitte noch den Namen eintragen, gute Fahrt. In das kollektive Gedächtnis der Republik hatte sich ein faulendes Deutschland eingebrannt: 16 Jahre Kohl, Schröder wollte jetzt »da rein«, Ehrenwort. Es gab Reformstau und Bildungsmisere, Humankapital und Wohlstandsmüll. Ein Ruck müsse durch Deutschland gehen. Die Nullerjahre schwelten schon am Horizont. Am Arbeitsplatz galt erstmals Rauchverbot. Plötzlich gab es Volksaktien und Dotcom, Business-Angel und Technologie-Evangelisten. Es wurde profitmaximiert, Content generiert und die Cash-Burn-Rate optimiert. Flexibilität, Mobilität – bloß kein Potenzial verschenken. Die Sparkasse hatte jetzt Broker, die einem EM.TV ins Depot legten. Manfred Krug riet T‑Online zu zeichnen. Und Günther Jauch? Der fragte fortan bei RTL: Wer wird Millionär?
Vor Kurzem hatte ich mein erstes Bukowski-Buch gelesen und eine allererste E‑Mail versendet. Nun schrieb ich mich an der Uni ein. Ob dies die Bildungsmisere beenden oder verschärfen würde war ungewiss. Gewiss war, ich würde nicht wochentäglich in einem nüchternen Großraum-Büro »am Platz sein« müssen. So blieben ausgiebige Semesterferien: Raus, die Welt bestaunen.
Von Amsterdam weiter nach Paris. Im Abteil war mein Blick auf die Französin am Fenster gefallen, auf den cindycrawfordartigen Leberfleck über ihrer Lippe und das Köfferchen unter ihrem Sitz. Die gesamte Zeit wollte ich sie ansprechen. Wer sich so bewegte, so duftete, worauf sprach man so jemanden an. Ich gaffte blöd, so muss es ausgesehen haben. Mein Herz klopfte. Und dann waren wir schon am Gare du Nord. Beim Aussteigen lachte sie, um mich dann gleich um ein paar Franc anzupumpen. Sie erinnerte mich daran, dass wir in der Ferne freigiebiger sind, nobler als wir es sonst jemals vermochten. Wenn mir unterwegs das Geld ausging, dachte ich, konnte ich immer noch meine Bücher verkaufen. Das würde mir einigen Aufschub bringen. Goldings »Herr der Fliegen« zum Beispiel, den hatte ich schon ein paar Mal gelesen, den Band konnte ich reuelos abtreten. Wenn ich es recht bedachte, musste ich nur etwas zum Essen auftreiben. Mein Interrail-Pass würde mich bis nach Neapel bringen. Und zurück. Schlafen konnte man immer irgendwo. Der Rest war leben.
Kannst mit mir kommen, sagte sie. Und ich hielt dem Blick ihrer endlos großen Augen stand. Sie war Tänzerin in Amsterdam, tanzte in den Grachten von De Wallen, nun probierte sie ihr Glück in einer der Bars rund um Pigalle. Willst mich mal sehen, fragte sie, und sie fragte im selben beiläufigen Tonfall wie die Kellner im Café. Sie war das Aufregendste, was ich jemals sehen würde, dachte ich damals. Was war bloß in ihrem Köfferchen? Alles was sie tat, wirkte mühelos, würdevoll, verdorben. Aus meinem Bauchnabel kann man Sekt trinken, sagte sie noch. Und der Satz und sie und ich hingen zusammen in der Luft herum, denn ich verstand nicht recht, was war jetzt zu tun? Vielleicht war nichts zu tun. Sie verabschiedete sich mit einem fliegenden Kuss. Und ich erinnere noch, dass sie ihre Gauloises paffte wie eine Geisha.
Der Campingplatz lag auf einem Hügel. Ich schlief auf dem staubigen Boden vor meinem Zelt. Lag auf dem Rücken und konnte den Himmel sehen und einen Pinienbaum. Ich las in Hemingways »Paris, ein Fest fürs Leben« und ärgerte mich, dass ich nicht einen weiteren Band Hemingway in den Rucksack gesteckt hatte. Morgens klopfte ich den Staub von der Hose, um anschließend mit der Metro zu fahren. Es waren verrückte Sommertage, die Nächte tropisch. Die Weinflasche lag im Staub.
Jeden Tag spazierte ich zur Place de Vosges, um dort im Gras zu sitzen, um das Treiben der Leute zu beobachten. Unter den Arkaden kaufte ich mir eine Mütze und blickte nach Osten, auf die sonnenuntergangsgetränkten Fassaden. Bei den amerikanischen Schriftstellern war Paris immer grau. »Es gibt keine Tätigkeit, die einen mehr in Anspruch nimmt, als das Nichtstun in einer neuen, unbekannten Welt«, schrieb Nicolas Bouvier.
Die Schönheit von Paris war schwer zu ertragen. Diese unverschämt verschwenderische Einheit, die ausschweifende Harmonie. In Paris hatte man immerzu das Gefühl, die Stadt mit den alten Meistern zu teilen, den Künstlern, den Malern, den Schriftstellern, als seien sie noch zugegen, als würde man ihnen an der nächsten Ecke begegnen, wenn sie gerade unversehens aus einer der Türen traten. Und doch fragte ich mich, ob hinter den Fassaden etwas war, ob es dort noch etwas gab, das nicht etabliert war.
Den Rest meiner Zeit verschleuderte ich mit dem Gehen. Ziellos durch die Stadt. Durch die unerschöpflichen, mir namenlosen Straßen. Wieder eine unbekannte Seitengasse zutage fördern. Zuerst war es eine hervorragende Art das Metroticket zu sparen. So blickte ich heimlich in fremde Innenhöfe, überquerte Boulevards und durchstreifte das Quartier der Schwarzen und Araber in Barbés, wo es frisches arabisches Brot gab. Jeden Tag aß ich eines.
In der Nacht streunte ich in Montmartre zwischen Place Clichy, Moulin Rouge und Pigalle. Die Hütchenspieler und lauernden Halsabschneider, die Tänzerinnen und parfümierten Prostituierten, die Neurotiker der Stadt taten ihre Schicht. Immer entwickelte die Nacht ihr eigenes Programm. Was zu Hause abstoßend, unwürdig war – beim Reisen war es reizvoll, aufregend und poetisch.
Vor meinem Zelt gab es Ravioli aus der Dose und einen Liter Roten für ein paar Franc. Anschließend steckte ich die Kerze in die leere Flasche. Ich wusch meine Wäsche mit Rei-in-der-Tube und nahm jede andere Unannehmlichkeit jubelnd in Kauf, weil ich unterwegs war und dreiundzwanzig. Nichts von dem, was geschah, hatte ich zuvor erfahren, nichts davon war mir vertraut. Es war um das Raufen, Rangeln und Wetteifern gegangen. Man musste etwas machen aus seinem Leben. Doch jetzt trug ich diese eigenartige Euphorie in mir rum, diesen Taumel, der einem Lust einflößt, weil alles einfach war, man durch die Tage wandelte, lebte, mit diesen einmaligen Empfindungen. Ob man ein Dach über dem Kopf hatte oder nicht oder Hunger, das war egal. Ich lag mitten in Paris, hatte meinen Schlafsack, die Bücher und den himmlischen Himmel.
Zum ersten Mal reiste ich allein. Wenn ich in den Cafés saß und las, fiel das nicht weiter auf. Und den Franzosen war ich gleichgültig. Man durfte nur nicht in die Falle tappen und ihre Indifferenz mit Toleranz verwechseln. Gleichzeitig lehnten sich die Franzosen ja immer gegen alles auf. Daraus sollte einer schlau werden. An der Theke beim Bäcker wurde ich angefahren, ob ich mich nicht schneller entscheiden könnte. Une baguette s’il vous plait, war alles, was ich raus brachte. So kam es, dass ich nie eines der köstlichen Croissants kostete. An den Grenzen braute sich auch schon wieder was zusammen. Die Fernfahrer, eine Blockade. Es ging um Fahrverbote und mehr Kohle. Der café au lait kostete in Paris 4 Mark 50. Das konnte man schon verstehen. Ich hatte auch nur noch ein paar Franc in der Tasche.
Das Alleinreisen hatte ich nie gelernt. Jetzt dachte ich nicht weiter drüber nach, es kam mir wie ein natürlicher Zustand vor. Niemand trieb mich, niemand zog an mir. Irgendwie war es sogar ein fabelhafter Schutzraum, von dem aus es sich wunderbar beobachten ließ. Vollkommene Intimität. Ein Samen meines Reiseglücks.
Die Welt einmal nicht buchhalterisch betrachten, schlug Stuckrad-Barre vor, sondern: ausschweifen, dekonstruieren, mal andersherum denken. Wie sollte das gehen? Doch wohl nur unter dem Radar, allein. Ich fragte mich, ob ein Franzose, Bayern durchreisend, den Duft von Kartoffelknödel und Dunkelbiersoße in sein Tagebuch notieren würde. Paris roch nach muffiger Metro und Weißbrot.
Wieder im Zug. Ich erreichte die Küste am Atlantik, wo die Franzosen, jetzt am letzten Tag im Juli, die Campingplätze kolonisierten. Die Surfer lauerten wie Haie auf dem Wasser. Ich stieg auf die Düne. Auf der anderen Seite funkelte das Meer. Feuer, Sterne, Gelächter und Gitarre. Ich baute mein Zelt in den Dünen auf, wollte aber bald weiter. Die einfallenden Camper, sie plünderten mir dieses Paradies. An der französischen Riviera entlang, immer auf die italienischen Alpen zu, wollte ich bis nach Venedig rüber. Ich wartete nur noch den längsten Tag des Jahres ab. Bis Neapel waren es noch 1.700 Kilometer. In der Luft lag der Geruch von Ambre-Solaire-Sonnenmilch.
In Ventimiglia, an der Küste von Ligurien, eine Stunde westlich von Nizza, stieg ich am hellen Mittag in den Zug der Italiener, der bis nach Venedig fuhr. Die Gleisarbeiter saßen im Schatten der Wagen und packten ihre Tramezzini aus. Sie machten Siesta.
Bei den Italienern war alles anders. Hier bilanzierten sie den Tag dem Genuss nach. Der war Währung. Sie vermieden so die Mühle des Irrsinns, denn für die Italiener ergab sich jeder Genuss aus dem Gebrauch des Lebens.
Der Espresso war plötzlich ein caffé. Und irre billig. Alle redeten mit den Händen und sprachen, wie Pavarotti sang. Frauen standen in Kitteln vor den Häusern, kleinen Häusern mit kleinen Autos davor, oder Vespas. Die Frauen waren Mütter und Ehefrauen, Schwestern und Tanten und sie warteten auf die Heimkehr ihrer Männer.
Ob das Land dort am schönsten ist, wo die Horden Touristen einfallen oder eben gerade hier, wo die Kittel-Frauen warten, wo rote Dächer leuchten und »Wäsche im Wind weht«, wo die Menschen vor dem Essen einen Rosenkranz beten, und wie nah man derartigen Orten wirklich kommen darf – von all dem hatte ich nur eine drohende Ahnung.
Schule, Studium, Job – was sollte noch werden. Wenn es so weiterlief, würde mein Leben bald schmecken wie ranzige Butter. Was mich beglückte, war jeder Schlitz, jeder Zwischenraum, jede Bewegung. Das Fortgehen ergoss sich wie eine Erleichterung, als Ausbruch aus der geronnenen Regelmäßigkeit. Vielleicht auch, weil ich nie verwurzelt war an einem bestimmten Ort, fiel mir ein Aufbruch immer leicht. »In the end, it’s not so much how to succeed in life as it is how to survive the life you have chosen«, schrieb Hunter S. Thompson.
Venedig. Ich hatte gleich genug von den aufreizend aufgeführten Klischee-Erregungen (Malerisch! Geheimnisvoll!), den einstudierten Disney-Darstellungen (Der Kanal! Die Gondolieri!). So haben wir alle unsere Vorstellungen – gleichsam vom Reisen und Leben – von dem, was wir jagen wollten.
Weiter nach Florenz. Die toskanische Sonne schien in das Abteil wie Whiskey. Durch die sanften, weiten Hügel, vorbei an den herben Pinien, an Zypressen, Olivenbäumen und Weinreben bis zum Arno. Vom Bahnhof Santa Maria Novella lief ich über die Ponte Vecchio auf die andere Seite des Flusses, den Hang hinauf. Über Kopfsteinpflaster, durch Rundbögen, prächtige Gärten und Gassen und viel Renaissance. Ich baute mein Zelt auf, kaufte eine ausgezeichnete Pizza und blickte auf Florenz. Schon schön.
Italien kannte ich bisher aus dem deutschen TV. Giovanni Trapattoni hatte gerade die »Flasche leer«, man fuhr Reinhard-May-gestimmt und allianzversichert durch Neapel, im Käfer-Cabrio natürlich, erst kreuz, dann quer, dann mittenrein, ein Tomatenstapel. Und Herr Angelo hatte kein Auto, aber Geschmack und trank Nescafé mit der Nachbarin: il gustonico.
Jetzt war ich da. Und fragte in Florenz nach dem Weg zum Fußballstadion. Ich fragte auch nach Maradona und nach Neapel. Dort wollte ich ja hin. Ein Mann mit Mütze zeigte in die Richtung, in die ein ganzer Schwarm Vespas rollte. Vespa und Handy – beides schien im italienischen Grundgesetz verankert.
Toni, der Mann mit der Mütze, war Sizilianer und Wirt. Neapel? Nichts als Banditen dort unten, sagte er und der Pater neben ihm nickte. Zusammen sahen die beiden aus wie Taxifahrer und Priester in Jim Jarmuschs Film »Night on Earth«. Kaum aus Palermo in Florenz eingetroffen baute Toni einen Ofen in sein Häuschen. Am nächsten Tag verkaufte er sizilianische Pizza.
In seiner Pizza-Bude kam ein seltsamer Haufen zusammen: der Priester, beklaute Touristen, ein Patriarch, ein Tenor und Männer in Maßanzügen, der Schuhputzer, Losverkäufer, Polizisten und Krankenschwestern, Tanten und Onkel, ein paar Unruhestifter und viele Hoffnungslose und eine Bande von Dieben mit dicken Bäuchen, die bei ihm anschreiben ließ, wie er mürrisch hinzufügte.
Ich erfuhr von Toni, dass in Neapel die Kinder als Gangs für die Mafia arbeiteten, weil sie wussten, dass es keine Arbeit geben würde und dass es normal sei, schon als Kind hinter Gittern zu sitzen. Eine Schande sei das. Toni und der Pater wandten sich schon wieder ihrem Mahl zu, als das Gespräch auf Maradona kam, und Toni entschied, Neapel doch noch ein gütiges Zeugnis auszustellen: Diego habe sie zu Siegern gemacht. Non ci piove - kein Zweifel.
Ich ging nicht ins Stadion, ich blieb bei Toni hängen. Im Fernseher flimmerte was. Der Tenor trällerte vor sich hin. Diese Menschen waren auch Spieler – Spieler, wie im Suff, die sich an der Verschwendung ihrer Worte und Gesten berauschten. Es wirbelten Worte, die mir fremd waren. Ich hatte das Gefühl, hier gehörte ich hin, obwohl ich nicht dazugehörte. Es war seltsam.
Das Reisen hatte diesen hübschen Gewinn des Fremden. An der Garderobe war Kontrolle abzugeben. Denn selten lief es ja wie angenommen. Alles war doch nur ein Entwurf. Eine herrliche Substanz, ein vorzügliches Rauschmittel. Die Gleisarbeiter hockten auf den Schienen und machten Siesta. Wann es denn weitergehe?, fragte ich nervös und genervt. Sie lachten nur.
In Italien hatte ich das Gefühl mit kleinem Rucksack aber ganz großen Möglichkeiten durch die Gegend zu treiben. Die Melodie des Sommerhits »Hijo de la Luna« summend war mir, als gäbe es kein: »Das sollten Sie mal so machen«, oder: »Da können wir leider nichts für Sie tun«. Hier pochte eine fremde Leichtigkeit durchs Blut und den Tomatensugo.
Bei uns zuhause galt: Geiz-ist-Geil. Der Geiz bezog sich auf den Geschmack, den Genuss, den Geist, die Sinnlichkeit. Es gab Pendlerpauschale und Bahnwitze, Maggi, Erfrischungsstäbchen, Coppenrath & Wiese und Schmacht nach extra schlanken Bockwürsten. In Italien war das Rezept zum Schönen simpel: Mehl, Hefe, Salz, Tomaten, Mozzarella, alles ab in den Steinofen, dazu ein Wein. Ich saß vor meiner Pizza und blickte auf Florenz.
Der letzte Morgen in der Stadt. Am Tresen, der caffé, die rosa Gazette. Keine Spur, keine Zeile bezüglich Maradona. Toni wusste auch nichts. Ein reisebilanzerender Gedanke setzte sich fest. Die Sehenswürdigkeiten die im Baedeker stehen – das war es ja wohl nicht. Ich war aufgebrochen und hatte etwas aufgegeben. Die Gewohnheiten, hinter denen wir uns verschanzen, sie waren durchlöchert, wenn ich in den Straßen von Paris verloren ging oder am Ufer der Seine saß, in der Nacht über den menschenleeren Markus-Platz streifte, auf der Mauer saß und auf Florenz blickte, ich eingeladen wurde, zu bleiben, aber loswollte oder auf den Zug warten musste. Darin bestand das Wunder der Reise.
Entlang des Weges verlor ich das Interesse an jenem Territorium des Bekannten, des Ertragbaren, der Spielregeln, von Kleinmut, Vertrautheit und Bequemlichkeit. Dass es anders wurde, dahingehend entwickelte sich meine Neugier und Seligkeit.
Ungestüm durch die Welt rollen fühlte sich gut und richtig und natürlich an. Das war doch ein verdammt feiner Weg, absolut frei, dachte ich.
Meine Suche nach Maradona war annulliert worden. Bis Rom kam ich, dann hatte ich keine Lire mehr. Die Bücher waren auch verkauft. Neapel sah ich nie.
Die paar trockenen Tramezzini in der Hand, nahm ich den nächsten Nachtzug von Roma Termini nach Oberstdorf. Allein unterwegs, nur einmal noch durch die Welt, nachsehen, sich sattschauen, gleichsam Schönheit und Leben kosten, das sollte fortan meine Freiheit bleiben.