Dein Warenkorb ist gerade leer!
UNESCO-Welterbe: Von Kapellen, Kreuzen und Klöstern – unterwegs zu Europas spirituellen Orten
Von
Große Namen wie Notre-Dame in Paris, die Kathedralen von Chartres, Aachen und Köln, Sevilla, Florenz, der Petersdom oder Westminster sind weltbekannt – sie gehören zu Europas Architekturikonen. Doch dieser Beitrag richtet den Blick bewusst anderswohin: auf verborgene, kleine, eindrucksvolle Kirchen und Klöster, die im Schatten der Großen leuchten, still, kraftvoll, mit Seele und Atmosphäre.
Es gibt Orte, an denen der Hauch der Geschichte in jedem Stein zu spüren ist. Dort erzählen jahrhundertealte Fresken von Glauben und Kultur, durchdrangen Gebete die Wände, und kunstvoll geschwungene Kuppeln lenkten den Blick zum Himmel. Orte, die dem stillen Staunen gewidmet sind – und gerade deshalb so berühren. Nicht selten liegen sie abseits der großen Wege und bergen umso mehr Magie.
Dieser Beitrag ist etwas persönlicher geschrieben als meine bisherigen. Gerade an spirituellen Orten ist nicht nur das, was man sieht, entscheidend – sondern auch wie man es erlebt.
Iwanowo – Felsenkirchen und ein mittelalterliches Abendmahl
Versteckt im wildromantischen Rusenski Lom Naturpark liegen sie hoch über dem Flusstal: mittelalterliche Felsenzellen, Kapellen und Klöster, in den Stein gehauen von frommen Einsiedlern des 12. Jahrhunderts. Die Fresken, die in der Blütezeit des Zweiten Bulgarischen Reichs entstanden, überraschen mit ihrer Feinheit, Farbigkeit und Ausdruckskraft – und gelten als stilistischer Meilenstein südosteuropäischer Kirchenkunst.
Der Aufstieg zur Kirche der Heiligen Maria führt über steile Pfade und Stufen, vorbei an Eidechsen, Höhlen und alten Mönchszellen. Wer oben ankommt, tritt durch einen schmalen Zugang in einen unerwartet kunstvollen Raum. Die bemalten Wände erzählen Szenen aus dem Leben Christi, das letzte Abendmahl ist hier gut ein Jahrhundert älter als das von Leonardo da Vinci. Die Atmosphäre ist still und eindrucksvoll – besonders, wenn man wie ich das Glück hat, den Raum allein zu erleben.
Eine Rast am Fluss, Blick auf die Felsen, Rückblick auf Bilder und Geschichte – Iwanowo ist einer jener Orte, die sich tief einprägen. Und wahrscheinlich eines der schönsten Beispiele, wo sich Glaube, Landschaft und Kunst auf engstem Raum verbinden.
Meteora – Klöster auf Himmelsfelsen
Wie Tempel für Himmelssucher ragen die Sandsteinfelsen von Meteora aus der thessalischen Ebene – und obenauf klammern sich Klöster an die Gipfel. Seit dem 11. Jahrhundert lebten hier Eremiten in Höhlen, später entstanden in atemberaubender Lage 24 Klöster, von denen heute noch sechs aktiv sind. Sie gelten als Meisterwerke der postbyzantinischen Baukunst und Malerei.
Ich erreiche Kalambaka im Morgennebel und mache mich früh auf den Weg zum Kloster St. Nikolaos Anapavsas. Der Aufstieg ist steil, führt durch Wald und über viele Stufen, vorbei an stillen Ausblicken. Ich erreiche das kleine Kloster fast allein, werde mit einem langen Rock ausgestattet und betrete eine Welt aus Weihrauch, Fresken und Stille. Jede Wand bemalt, die Kapelle kostbar geschmückt, das Licht gedämpft. Hier leben noch einige Mönche – und eine weiße Katze, die sich unbeeindruckt im Innenhof sonnt.
Später genieße ich den Panoramablick vom Aussichtspunkt, sehe die anderen Klöster auf den Felsnadeln thronen, während sich Touristenbusse die Straße hinaufquälen. Für mich bleibt es bei diesem einen Besuch – intensiv genug. Meteora ist nicht nur ein architektonisches Wunder, sondern auch ein Ort der Einkehr, wenn man ihm mit Ruhe begegnet.
Siebenbürgen – Glaubensfestungen im Dorf
Deutschsprachige Namen an den Ortsschildern, alte Fachwerkhäuser, Störche auf den Dächern und mittendrin eine Kirche, die aussieht wie eine Festung – Willkommen in Siebenbürgen. Sieben Dörfer mit diesen typischen Wehrkirchen zählen heute zum UNESCO-Welterbe. Die Siedlungen wurden im Mittelalter von deutschsprachigen Kolonisten gegründet, die als „Siebenbürger Sachsen“ bekannt wurden. Ihre Kirchen dienten nicht nur dem Gottesdienst, sondern auch als Schutzburgen gegen Angriffe.
Ich besuche mehrere dieser Orte, darunter Viscri (Deutsch-Weißkirch), Saschiz (Keisd) und Valea Viilor (Wurmloch). Besonders Viscri bleibt mir in Erinnerung: morgens koche ich Kaffee im Regen, dann führt mich ein Hofhund durch das Dörfchen. Die Kirche ist schlicht, aber wehrhaft – umgeben von dicken Mauern. In Saschiz wird gerade ein Konzert vorbereitet, ich darf auf den Dachboden und in den Uhrturm, wo Schießscharten vom einstigen Verteidigungszweck zeugen. In Valea Viilor schließlich öffnet mir ein Hüter die Pforte und erzählt von Vorratskammern, Speckturm und Glocken, die noch per Hand geläutet werden.
Was mich beeindruckt: Die Wehrkirchen sind keine toten Museen. In ihnen wird noch gepredigt, gefeiert, bewahrt. Und wer mit offenen Augen reist, entdeckt nicht nur Geschichte, sondern auch gelebte Gemeinschaft.
Moldauklöster – Bibelbilder mit Blick zum Himmel
Sie sind ein Meisterwerk orthodoxer Kunst und Ausdruck tiefer Spiritualität: Die Klosterkirchen der Moldau, im 15. und 16. Jahrhundert unter Stefan dem Großen und seinen Nachfolgern erbaut, beeindrucken durch ihre vollständig bemalten Außenwände. Himmel und Hölle, Kampf um Konstantinopel, Bilder aus Bibel und Legende – hier ist jede Wand ein erzählendes Fresko.
Ich übernachte direkt neben dem Kloster Moldovița, Regen prasselt in der Nacht, doch mit dem ersten Sonnenlicht öffnet sich das Tor. Die Nonnen schlagen mit Holzbrettern den klösterlichen Weckruf. Ich bin allein im Garten, umgeben von Rosen, und betrachte in Ruhe die eindrucksvollen Bildzyklen. Später führt mein Weg nach Voroneț mit seinem leuchtenden Blau und schließlich nach Humor, wo ich im Glockenturm über enge Stufen den Blick über das Gelände genieße.
Was mich begleitet: das Gefühl, durch ein lebendiges Bilderbuch zu wandeln. Die Kirchen sind keine musealen Reliquien, sondern gelebter Ausdruck einer bis heute tief verwurzelten Gläubigkeit. Und sie stehen dabei in einem einzigartigen Dialog mit der Landschaft der Bukowina.
Friedenskirchen – Barock in Lehm und Holz
Zwei beeindruckende Kirchen – ganz aus Fachwerk, Lehm und Holz – stehen still in der Landschaft Niederschlesiens. Von außen wirken sie schlicht, offenbaren aber im Inneren eine barocke Pracht, die staunen lässt. Die Friedenskirchen von Jawor und Świdnica entstanden nach dem Dreißigjährigen Krieg unter strengen Auflagen: in nur einem Jahr, ohne Türme, aus vergänglichem Material und außerhalb der Stadt erbaut. Und doch wurden sie zum bleibenden Zeugnis von Handwerkskunst, Widerstandskraft und Glaubensstärke.
In Jawor komme ich am Nachmittag an. Der Park ist leer, der Fachwerkbau eher nüchtern – bis ich eintrete. Allein laufe ich durch die mehrstöckigen Galerien, begleitet von einer deutschsprachigen Hörführung. Bunte Wappen, kunstvolle Kanzeln, Holz in allen Formen und Farben – es ist überwältigend. Noch beeindruckender finde ich Świdnica am Abend: prunkvoll, üppig bemalt, mit Platz für 7.500 Menschen und 3.000 Sitzplätzen. Jeder Zentimeter verziert, die Loge der Adelsfamilie ein Blickfang.
Mich bewegt nicht nur die künstlerische Fülle, sondern der Gedanke, wie viel Hoffnung und Mut diese Kirchen einst verkörperten. Dass sie heute noch stehen, ist ein Wunder – und ihr Besuch eine stille Verneigung vor einer bewegten Geschichte.
Gammelstad – Kirchstadt mit Herz und Geschichte
Im hohen Norden Schwedens, nahe Luleå am Bottnischen Meerbusen, liegt eine der ungewöhnlichsten religiösen Siedlungen Europas: Gammelstad. Über 400 kleine rote Holzhäuschen drängen sich hier um eine steinerne Kirche aus dem 15. Jahrhundert. Entstanden ist dieser Ort, weil Gläubige aus abgelegenen Regionen oft tagelang hierher unterwegs waren – also brauchten sie einen Platz zum Übernachten. Aus Pflichtbesuch wurde Gemeinschaft.
Ich streife durch die engen Gassen, sehe eingerichtete Häuser, die wie aus der Zeit gefallen wirken. Und doch ist hier nichts künstlich: Viele Gebäude sind bewohnt, andere zeigen das Leben von einst. Die Nederluleå-Kirche selbst beeindruckt mit Flügelaltar, bunter Kanzel und gemalter Decke. Hell und einladend, ganz ohne Pathos. Als ich eintrete, muss ich kurz eine Zeremonie abwarten – auch das gehört dazu. Gammelstad ist lebendig.
Hier treffen sich Geschichte, Landschaft und Glaube auf eine Weise, die sich nicht inszeniert anfühlt, sondern gewachsen. Ein Ort, der mehr sagt als jeder Museumsführer – und vielleicht deshalb so berührt.
Petäjävesi – nordisches Kleinod aus Holz
Die norwegischen Stabkirchen – allen voran Urnes – sind weltberühmt. Doch auch Finnland birgt ein hölzernes Kleinod: die Alte Kirche von Petäjävesi. Sie steht auf einer Halbinsel am See, errichtet in Blockbauweise, meisterhaft verziert von lokalen Handwerkern. Renaissance, Barock und Gotik verschmelzen hier mit nordischer Holzbaukunst zu einem erstaunlichen Gesamtkunstwerk.
Ich erreiche den kleinen Ort am Vormittag, die Sonne glitzert auf dem Wasser, und über eine Brücke betrete ich das Gelände. Die Kirche wirkt trotz ihrer dicken Balken filigran, im Inneren farbenfroh und lichtdurchflutet. Kanzel, Gewölbe, Leuchter, Galerien – alles kunstvoll und mit Liebe zum Detail gestaltet. Ich bin allein und kann den Raum in aller Ruhe auf mich wirken lassen.
Am Ende sitze ich draußen auf einer Bank, schaue über den See und denke: Diese Kirche ist vielleicht nicht so berühmt wie ihre norwegischen Schwestern – aber sie hat eine eigene, stille Größe. Und sie erzählt viel über Gemeinschaft und Tradition in Finnlands Wäldern.
Nachsatz: Auch in den Dörfern Rumäniens und der Hohen Tatra finden sich eindrucksvolle Holzkirchen – teils orthodox, teils katholisch –, die zu Recht den Welterbe-Titel tragen. Ebenso die romanischen Dorfkirchen im Vall de Boí, einem abgelegenen Hochtal der spanischen Pyrenäen in Katalonien, deren Ausmalungen bis heute erhalten sind – zarte Fresken aus einer anderen Zeit, eingebettet in eine Landschaft, in der sich Glaube und Gebirgstradition auf stille Weise begegnen.
Ronchamp – eine Wallfahrtskirche der Moderne
Was bleibt von einer Kirche, wenn man alle Türme, Ornamente und Traditionen weglässt? Le Corbusier fand in Ronchamp eine eindrucksvolle Antwort. Auf dem Hügel über dem französischen Ort errichtete er nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kapelle aus Beton – scheinbar roh, doch voller Poesie. Die Chapelle Notre-Dame-du-Haut ist ein stiller Pilgerort und zugleich ein Meilenstein moderner Architektur.
Ich fahre durch Nebel und Herbstwald, bin mir nicht sicher, ob ich richtig bin, bis ich die Kapelle plötzlich vor mir sehe: geschwungene Dächer, dicke weiße Mauern, bunte Fenster wie Lichtpunkte. Schon von außen ist sie ungewöhnlich – innen wirkt sie fast sakral und futuristisch zugleich. Altar, Kanzel, Beichtstuhl – alles aus Beton, schlicht und durchdacht. Das Licht fällt durch kleine bunte Fenster wie durch ein Farbenspiel der Stille.
Was mich berührt: Diese Kapelle braucht keine Ikonen, keine Orgel, keine Goldverzierungen. Sie lebt von Form, Licht, Raum. Und sie schafft eine Atmosphäre, die moderner nicht sein könnte – und doch zutiefst spirituell ist. Wer Architektur sehen will, geht nach Ronchamp. Wer glauben will, findet hier ebenfalls einen Ort, der sich jeder Kategorie entzieht – und gerade deshalb so stark wirkt.
Zum Ausklang: Pilgerspuren und spirituelle Wege nach Santiago de Compostela
Meine Reise zu spirituellen Orten Europas begann mit dem Mont-Saint-Michel – einem Ort, der mich schon bei meinem ersten Besuch vor vielen vielen Jahren in seinen Bann zog. Diesmal erlebe ich ihn bei Sturm, Sonnenaufgang, Flut und Regenbogen. Ich stehe frühmorgens vor dem geöffneten Tor der Abtei, bin eine der ersten im Inneren und wandere zwischen romanischen Kapellen, gotischen Sälen und dem zum Meer offenen Kreuzgang. Ein Ort zwischen Himmel und Erde.
Wenige Tage später verbringe ich meinen Geburtstag an einem weiteren spirituellen Ort: in Lourdes. Ich treffe abends ein, spaziere zur Quelle und zur Kathedrale, bin überwältigt von der besonderen Stimmung. Am nächsten Morgen lausche ich dem Gesang während eines Gottesdienstes auf dem riesigen Platz. Ich fülle meinen kleinen Kanister mit Quellwasser und fahre weiter in die Pyrenäen – immer wieder kreuzt der Jakobsweg meinen Weg.
Kilometerweit folge ich dem Camino, sehe Zeichen, Muscheln, Pilger. In Carcassonne, Vézelay und am Kloster Saint-Savin verläuft er direkt durch die Orte. Schließlich erreiche ich das Ziel vieler Pilger: Santiago de Compostela. Gemeinsam mit ihnen stehe ich auf dem Platz vor der Kathedrale. Wir alle sind gekommen – auf unterschiedlichen Wegen, mit verschiedenen Geschichten.
Ich war unterwegs im Minicamper, andere zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit Bus und Rucksack. Doch in diesem Moment stehen wir gemeinsam still. Und auch wenn man selbst kein gläubiger Pilger ist – der Ort spricht für sich.
Weitere Kirchen und Klöster, die ebenfalls Erwähnung verdienen, aber nicht mehr in den Rahmen dieses Beitrags gepasst haben: die byzantinischen Klöster von Hosios Loukas & Daphni (Griechenland), die Wallfahrtskirche Zelená Hora (Tschechien), das Kloster Walkenried mit seinem technischen Weitblick (Harzer Wasserwirtschaft) oder auch die Kirchen in und um Palermo mit ihren goldenen arabisch-normannischen Fresken. Und außerdem gehören in die Reihe der besonderen Orte die wunderbaren Klöster Saint-Savin du Gartempe, Fontenay (Titelbild) und Vézelay in Frankreich oder auch die Mudejar-Kirchen und das Liebespaar von Teruel in Spanien.
Erschienen am
Schreibe einen Kommentar