Weit weg, so nah

Der Abend war längst im Gan­ge und die Regen­zeit ließ seit kur­zem wie­der hof­fen, als Afri­ka end­lich das ers­te Mal durch mich hin­durch kroch – oder das, was ich mir dar­un­ter vor­stel­len woll­te.

Im Wes­ten mar­kiert der Sene­gal den Über­gang von der Sahel zu den Tro­pen, dem töd­li­chen Mala­ria­gür­tel, der sich bis nach Nami­bia aus­streckt. Süd­lich des Sene­gal war vor weni­gen Wochen das Ebo­la-Virus aus­ge­bro­chen. Nun war es kaum wie­der ein­zu­fan­gen. Wer wei­ter woll­te, muss­te sich durch­schla­gen und hof­fen, oder Län­der wie Gui­nea, Libe­ria und Sier­ra Leo­ne über­flie­gen.

In die­sem Win­kel der Welt ist das hauch­dün­ne Leben täg­lich aus einer ande­ren Ecke unter Beschuss. Bald wür­de über­all dich­ter Regen wie Sil­ber­pfei­le aus den schwar­zen Wol­ken hin­ab­ja­gen. Die ver­streu­ten Teer­fle­cken – die sie hier Stra­ßen nen­nen – wür­den gänz­lich unpas­sier­bar und ent­fern­te Orte wie die­ser so gut wie uner­reich­bar wer­den. In Dakar oder St. Lou­is wür­den sie aus den Häu­sern lau­fen, tan­zen, sich freu­en und jeden ein­zel­nen Trop­fen Was­ser, der sich packen ließ, mit Eimern, Schüs­seln und Plas­tik­ton­nen ein­fan­gen.

Aber noch schim­mer­te alles ent­lang des Weges glü­hend heiß, aus­ge­dörrt, wie ver­schmort. Alles lag trä­ge auf der losen Erde, lust­los, leb­los. Ein Rind am Rand: alle vier Bei­ne wie ein letz­ter Pro­test von sich gestreckt, starr von der Hit­ze. Und von Todes­we­gen. Ein­zig die Baobabs tru­gen grü­ne Blät­ter. Wer waren die­se Köni­gin­nen der Bäu­me? Sie hiss­ten die Segel der Hoff­nung für die Durs­ti­gen, die Hung­ri­gen und Ent­beh­ren­den. Sie waren Schön­hei­ten, monu­men­ta­ler, vor­neh­mer, fan­tas­ti­scher als jeder ande­re Baum, den ich je sah, dach­te ich gebannt – fast schon gelähmt -, als wir müde vom Tag um die Ecke bogen und auf die Stra­ße, die uns end­lich in das Dorf brach­te.

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Ich war seit sie­ben Wochen auf dem Kon­ti­nent unter­wegs und saß nun am Rand der Stra­ße von Mba­ke nach Tou­ba. Es fühl­te sich an, als sei eine mei­ner Rip­pen gebro­chen. Ich hat­te mich gera­de nach einer sie­ben­stün­di­gen Taxi­fahrt in einem zer­beul­ten, wei­ßen Peu­geot 504 aus dem Wagen geschält. Schon wäh­rend der Fahrt kam es mir vor, als wür­de mir jemand von hin­ten mit einer Knar­re im Rücken rum­sto­chern. Ich hat­te das meis­te Geld bezahlt und wie immer den schlech­tes­ten Platz dafür bekom­men – den auf der zwei­ten Rück­bank, auf die man zu dritt gepresst wird, obwohl sie kaum Raum für Zwei nahe­legt.

Für die Fahrt zur ein­zi­gen Unter­kunft des Dor­fes woll­ten mir die Taxi­fah­rer am Gare Rou­tiè­re anschlie­ßend mehr Geld abknöp­fen als für die meh­re­re hun­dert Kilo­me­ter lan­ge Auto­fahrt zuvor. Immer sitzt eine gan­ze Grup­pe Leu­te um die Taxis her­um. Die meis­ten von ihnen schau­en nur. Her­um­sit­zen und schau­en, weil das alles ist, was es zu tun gibt. Und weil ein Wei­ßer in der Hit­pa­ra­de der rät­sel­haf­ten Zwi­schen­fäl­le die ers­ten drei Plät­ze belegt. Die­je­ni­gen, die etwas zum Han­deln haben, ver­su­chen los­zu­schla­gen, was sie gera­de besit­zen – jetzt oder nie.

Am Ärmel mei­nes Hem­des zupf­ten die Fin­ger von fünf lum­pi­gen, lachen­den Kin­dern und for­der­ten etwas Geld, etwas zu Essen, ver­dammt noch­mal Etwas. In die­sem Land hat immer jemand Hun­ger, Tag wie Nacht, weil es nie genug für alle gibt, obwohl immer alles geteilt wird, jeder Bro­cken, der gera­de wie­der auf­zu­trei­ben war: ein Stück Brot, eine Man­go, ein Klum­pen Reis.

Ich schwang mich mit mei­nem Ruck­sack auf den Rück­sitz eines Motor­rad­ta­xis und gab auch dem Fah­rer ein paar Mün­zen. Ich mag die Taxi­fah­rer nicht. Ich hal­te ihre Gier und ihre Igno­ranz nicht aus und vor allem, dass sie mei­nen, sie wären mehr wert als der Rest ihrer Brü­der, nur weil sie den Tou­bab – den Wei­ßen, den Frem­den – übers Ohr zu hau­en und zu erpres­sen wis­sen. Zu sel­ten ein guter Jun­ge dabei, der mich für weni­ger als ver­ein­bart mit­nimmt, oder auf einen Cafe Tou­ba.

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Ich saß auf einem der rot-wei­ßen Mar­kie­rungs­stei­ne und schau­te einer gan­zen Rei­he Autos, Bus­sen und Trucks auf der end­lo­sen Stra­ße hin­ter­her, die nur ihre roten Rück­lich­ter zurück­lie­ßen. Alles ande­re nah­men sie mit. Vor allem ihren Mut. Das beein­druckt mich immer am meis­ten, wie die Leu­te ihren Vor­rat an Mut plün­dern, um auf­zu­bre­chen. Weil sie doch nie wis­sen, wie sie ankom­men wer­den. Ein Mann mit einem Esels­kar­ren schlepp­te sich, den Esel und den Kar­ren vor­wärts und las im Gehen tief­ver­sun­ken im Koran, ohne dabei ein­mal auf­zu­bli­cken. Allah wuss­te, wo es lang­geht.

Die Stra­ße führ­te direkt am Dorf vor­bei. Das Dorf folg­te kei­ner sicht­ba­ren Struk­tur. Es gab kei­ne Begren­zun­gen, kei­ne Wege. Die Lehm­hüt­ten waren ein­fach an einer frei­en Stel­le errich­tet wor­den. Eini­ge in der Nähe eines Baums, der dann Schat­ten spen­de­te. In der Tro­cken­zeit sit­zen die Män­ner den gan­zen Tag dar­un­ter, weil auf den ver­trock­ne­ten Fel­dern kei­ne Arbeit zu ver­rich­ten ist. Eini­ge knien auf einem Tep­pich im Sand und beten.

Die Frau­en taten auch am Abend noch ein­mal das, was sie immer mor­gens als Ers­tes mach­ten, lan­ge bevor die läh­men­de Hit­ze kam und blieb: Sie balan­cier­ten kunst­voll auf ihrem Kopf Metall­schüs­seln und Plas­tik­ka­nis­ter, die mit Was­ser aus dem Brun­nen gefüllt waren, und brach­ten sie in ihre Lehm­hüt­ten. Sie tra­gen hüb­sche, gemus­ter­te Gewän­der, die bun­ten Bou­bou, die ihre eigent­lich noch hüb­sche­ren Kör­per­for­men bede­cken. Das nahe Tou­ba ist das Mek­ka des Sene­gal. Allah dul­det hier kei­ne Ablen­kung.

Die Frau­en berei­ten auch die Mahl­zei­ten zu, was oft den gan­zen Tag bean­sprucht. Weil nie­mand einen Vor­rat hat, muss immer wie­der alles neu beschafft wer­den, jeden Tag. Zum Kochen sit­zen die Frau­en auf alten Plas­tik­ka­nis­tern im Schat­ten, den Ober­kör­per tief hin­ab gebeugt, eine Kel­le in der Hand und dazu das Rau­schen des Gas­ko­chers. Neben­an spie­len Kin­der bar­fuß.

»Ça va«, höre ich freund­li­che Stim­men aus wech­seln­den Rich­tun­gen rufen. Eine Stim­me erwi­dert dar­auf­hin etwas und so geht es immer wei­ter, ein Ping­pong-Spiel, bei dem jeder das letz­te Wort reser­vie­ren will, so scheint es. Selbst wenn man schon weit aus­ein­an­der gelau­fen war, hal­len die Sal­ven nach, je län­ger, umso grö­ßer der Respekt. Immer grüßt jemand, erkun­digt sich nach dem Lebens­zu­stand. Immer wuseln Kin­der durch das Dorf. Immer lacht jemand von irgend­wo.

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Es brauch­te nicht lan­ge und ich wuss­te, alles was ich woll­te, war die­ses Afri­ka. Dass es mich wie jetzt end­lich, end­lich wie eine beru­hi­gen­de Wel­le durch­fährt, ganz lang­sam. Lang­sam, in einer Art Fest-Hal­te-Tem­po, damit man es fest­hal­ten und irgend­wo befes­ti­gen konn­te. Weil die­ser Frie­den war, was ich zu ent­de­cken gewagt hat­te. Doch ich wuss­te, dass war nicht mög­lich. Ich wuss­te, man muss sich hüten. Denn sobald man etwas besitzt, hat man nichts mehr. Ver­si­ckert alle Schön­heit. Geht alle Rast­lo­sig­keit von vorn los.

Es war jetzt stock­fins­ter, nie­mand mach­te Licht, weil kei­ner eines besitzt, weil Licht Luxus ist, genau wie das Glim­men einer Ziga­ret­te am Stra­ßen­rand. Mir gefiel das, weil man nicht sah, was als Nächs­tes kam. Neben mir saß schwei­gend ein Jun­ge und nahm einen Schluck aus mei­ner Fla­sche Flag. Ich woll­te blei­ben. Genau hier, umarmt von makel­lo­ser Dun­kel­heit, dem lau­war­men Wind und der däm­mern­den Küh­le, dem Geruch von Bei­na­he-Regen, huschen­den Geräu­schen, den lei­sen Stim­men und der wach­sen­den Stil­le. Woll­te bar­fuß im hei­ßen Sand sit­zen, wie in einem gren­zen­lo­sen Gar­ten, mit­ten im Sene­gal oder irgend­wo – aber Afri­ka.

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Antworten

  1. Avatar von john
    john

    Vie­len Dank für die­sen Arti­kel! Darf ich fra­gen, inwie­weit die auch Regen­zeit im August/​September das Leben bestimmt bzw. man merkt dass weni­ger Besu­cher rei­sen? Mer­ci!

  2. Avatar von katja
    katja

    sehr schön geschrie­ben. jetzt will ich da hin.

    1. Avatar von markus

      dan­ke herz­lich, kat­ja. rei­se los, mor­gen, alle wer­den sich freu­en, wenn du kommst.

  3. Avatar von Johannes Klaus
    Johannes Klaus

    Gro­ßer Text.

    1. Avatar von markus

      johan­nes, mit einer ver­nei­gung. dan­ke.

  4. Avatar von Philipp Laage via Facebook
    Philipp Laage via Facebook

    Top, top, top.

    1. Avatar von markus

      dan­ke, phil­ipp! der sene­gal, wie du sag­test.

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