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Von Leipzig nach Alaska per Anhalter: Trainhopping, das letzte echte Abenteuer (11)

Wenn mich jemand fragt, was mich bei all den ver­rück­ten Ereig­nis­sen mei­ner Reise am meis­ten Spaß gemacht hat, dann muss ich immer an Tra­in­hop­ping den­ken. Den Rausch von der Straße, all die Par­ties, Lieb­schaf­ten und Skur­ri­li­tä­ten… nein, das Tra­in­hop­ping war es, was mich wirk­lich mit­ge­ris­sen hat. Viel­leicht sollte ich erst­mal kurz Erläu­tern, was Tra­in­hop­ping eigent­lich ist. Es geht um das (ille­gale) mit­fah­ren auf Güter­zü­gen. In einem der Wagons, manch­mal auch in der Lok am Ende des Zuges. Ent­ge­gen der all­ge­mei­nen Vor­stel­lung springt man nor­ma­ler­weise nicht auf den fah­ren­den Zug auf, son­dern war­tet bis er zum ste­hen kommt, meist wenn die Lok­füh­rer wech­seln, um sich dann ein gemüt­li­ches Plätz­chen auf einem der Wagons zu suchen. Und dann gilt es sich zu ver­ste­cken und nicht gese­hen zu werden.

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Tra­in­hop­ping gehört zur ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur, wie die Güter­züge selbst. Der Kon­ti­nent wurde von Bahn­ge­sell­schaf­ten erschlos­sen. Viele Orte sind nur wegen der Bahn ent­stan­den und das Tra­in­hop­ping ist genauso alt, wie die Gleise. Frü­her waren es Berufs­pend­ler und Tage­löh­ner, die mit der Bahn von A nach B gehoppt sind. Heut­zu­tage sind es Hobos, Tram­per, Punks, Land­strei­cher, Aus­sät­zige, Immi­gran­ten, Psy­chos und Aben­teu­er­su­chende, die auf den Glei­sen unter­wegs sind. Der harte Kern der Tra­in­hop­ping Com­mu­nity ist sehr ver­schlos­sen und kon­spi­ra­tiv. Es gibt einen Crew Change Guide, die Bibel der Tra­in­hop­per. Die­ses Doku­ment wird in der Szene von Mensch zu Mensch wei­ter­ge­reicht und ent­hält Infor­ma­tio­nen zu jedem Bahn­hof in Nord­ame­rika, über Beschaf­fen­heit, Zug­pläne (Güter­züge kom­men immer nach Plan, +- 6 Stun­den), an wel­cher Stelle man in wel­che Rich­tung einen Zug abfan­gen kann, wie die Bahn­hofs­po­li­zei drauf ist und wo die neu­es­ten Schlupf­lö­cher sind, um in den Yard zu kom­men. Es gibt davon keine digi­tale Ver­sion und wenn, dann ist sie so ver­al­tet, dass man sie nicht mehr gebrau­chen kann. Wer einen aktu­el­len Crew Change hat, der ist aber noch lange nicht bereit zum Trainhopping.

Ich per­sön­lich habe meh­rere Monate damit ver­bracht, über die­ses Thema zu recher­chie­ren. Hab mir Inter­net­gui­des rein­ge­zo­gen, eine 200 Sei­ten umfas­sende tech­ni­sche Anlei­tung zum Thema Tra­in­hop­ping stu­diert und mich mit vie­len Leu­ten unter­hal­ten, die „vom Fach“ waren. Schluß­fol­ge­run­gen: Es ist gefähr­lich, es ist ille­gal und man lernt es nicht aus Büchern, son­dern nur, wenn man raus auf die Gleise geht. Seit Peru wollte ich auf einem Güter­zug mit­fah­ren. In den USA war ich wie­der heiß dar­auf. Der Zug gehört zum Land­schafts­bild der USA, wie die S‑Bahn zu Ber­lin. Schon beim Tram­pen ist mir auf­ge­fal­len, dass immer wie­der 1 bis 2 km lange Güter­züge neben der Straße auf­tau­chen, da die Gleise oft par­al­lel zum High­way gelegt sind. In fast jeder Stadt, kann man die Züge pfei­fen hören, wenn man dar­auf ach­tet. Es ist der ame­ri­ka­ni­sche Traum. Nicht der, der euch zum Mil­lio­när macht, aber der, der euch Frei­heit verspricht.

Mein ers­tes Ren­dez­vous mit einem Güter­zug war schmut­zig, laut und bru­tal. Ich hatte einen Hobo auf der Straße ken­nen­ge­lernt, der gerade 2 Jahre auf den Glei­sen unter­wegs war und nun sei­nen letz­ten Zug nach Hause hop­pen wollte. Er meinte, er sei nun bereit, um sich mit sei­ner Fami­lie aus­ein­an­der­zu­set­zen. Jessy war sein Name und er half mir auf mei­nen ers­ten Zug zu kom­men. Was folgte war ein 21 Stun­den Ride durch den wil­den ame­ri­ka­ni­schen Wes­ten, über end­lose Step­pen und im Mond­schein durch die Rocky Moun­ta­ins. Ich kann euch sagen, dass war pure Extase, auch wenn ich mir Nachts den Arsch abge­fro­ren und kein Essen ein­ge­packt hatte. Anfängerfehler.

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Beim zwei­ten Ver­such war­tete ich zuerst eine volle Nacht im soge­nann­ten „Hobo-Jungle“ (das sind Grün­flä­chen, die es eigent­lich bei jedem Yard irgendwo gibt, wo dann meist irgend­wel­che Leute „woh­nen“ und sich Hop­per tref­fen), um dann am nächs­ten Tag einen Hau­fen abge­fah­re­ner Men­schen zu tref­fen. Das typi­sche Publi­kum auf den Glei­sen. Einen Mexi­ka­ner der irgend­wie nach Chi­cago musste und seit 20 Jah­ren nicht mehr auf Zügen war, ein offen­sicht­lich para­no­ider Hulk-Hogan-Ver­schnitt, der auf der Flucht vor der Poli­zei war. Und Roy, mit dem ich mich schließ­lich zusam­men­ge­tan hatte, ein Stu­dent der den neu­es­ten Crew Change Guide dabei hatte und mega gut auf das Tra­in­hop­ping vor­be­rei­tet war. Von ihm hab ich viel gelernt. Wir haben in der Nacht einen Hot­shot (schnelle Züge mit hoher Prio­ri­tät) abge­fan­gen und sind wie der Sau­se­blitz nach Kali­for­nien gerollt.

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Beim drit­ten mal war ich alleine. Zumin­dest als ich mich mei­nem Wagon genä­hert hatte. Am Ende bin ich in einer Gon­dola gelan­det. Das sind die gro­ßen Wan­nen, wo man nor­ma­ler­weise Kohle und ande­ren Kram rein lädt. Der Wagon war vor­her schon besetzt mit drei Hobos, die Aus­sa­hen als kämen sie von einer Steam-Punk-Con­ven­tion und einem Hund, so groß wie ein Kalb. War aber noch ein Welpe, mein­ten sie. Gon­do­las sind auch als Party Wagons ver­schrien. Ich weiß jetzt warum.

Ich bin ins­ge­samt drei mal gehoppt und das war dann genug, um es aus­zu­pro­bie­ren, zu ler­nen, mein Wis­sen anzu­wen­den und die ganze Ange­le­gen­heit auf spä­ter zu ver­ta­gen. Wei­ter wollte ich nicht auf den Glei­sen sein, damit es keine Pro­bleme mit mei­nem Visa gibt (falls man doch ein­mal erwischt wird) und weil der Win­ter sich ankün­digte. Ich werde sicher mal wie­der für ein paar Monate in die USA fah­ren, um die­sem „Sport“ noch etwas näher auf den Grund zu gehen.

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Es war ne geile Zeit. Jeder Ver­such war auf seine Weise ein­zig­ar­tig und hat mir eine andere Seite des Tra­in­hop­ping gezeigt. Sei es wegen den Leu­ten, den Wagons oder der Land­schaft, die ich durch­quert habe. Es sind zwei­fels­ohne viele zwie­lich­tige Gestal­ten und so manch psy­chisch gestör­ter Mensch in der ame­ri­ka­ni­schen Out­si­der-Gesell­schaft unter­wegs. Ich hab viele Men­schen beim Tram­pen getrof­fen, hing auch mit den Land­strei­chern am Super­markt ab und wenn man auf der Straße lebt und einen „Kol­le­gen“ mit Ruck­sack und Schlaf­sack sieht, dann grüßt man sich im vor­bei­ge­hen selbst­ver­ständ­lich. Machen Tru­cker ja auch.

Ich per­sön­lich mag diese Par­al­lel­welt. Die Men­schen machen ihr eige­nes Ding. Jeder hat einen Grund dafür, die wenigs­ten reden dar­über. Was auch okay ist. Viele sind her­zens­gute Men­schen, die ein­fach kei­nen Bock haben in die­ser Gesell­schaft zu leben. Anstatt zu meckern und sich mit Ande­ren ver­bit­ter­ten Neu­ro­ti­kern zu einem Voll­idio­ten-Mob zusam­men­zu­schlie­ßen, um gegen Aus­län­der und andere dif­fuse Ängste anzu­ge­hen, gehen diese Men­schen ein­fach raus aus dem, was sie ver­ab­scheuen. Sie gehen ihren Weg. Kon­se­quent und unab­hän­gig. Sicher­lich trifft das nicht auf alle zu, spe­zi­ell Men­schen mit psy­chi­schen Pro­ble­men sind in der US-ame­ri­ka­ni­schen Gesell­schaft oft alleine gelas­sen und enden dann auf der Straße im Dreck. Aber fast alle, die ich getrof­fen habe, waren im Kern gute Men­schen. Am Rande der Gesellschaft.

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Viel­leicht ist es genau das, was mich so am Tra­in­hop­ping fas­zi­niert hat. Diese andere Welt. Die­ser Gegen­pol. Vaga­bun­den­tum der alten Schule. Und die Erfah­rung, auf einem 100-Ton­nen schwe­ren Stahl­mons­ter zu sit­zen. Um einen herum kra­chen die Stahl­kupp­lun­gen, man wird hin und her geschmis­sen und ist stän­dig in Gefahr erwischt zu wer­den. Es ist kein leich­tes Leben auf den Glei­sen und auch kei­nes­weg so roman­tisch, wie ich es dar­stelle. Es ist unan­ge­nehm und anstren­gend. Daher hab ich umso mehr Respekt vor den Men­schen, die sich für die­sen Weg ent­schei­den. Weil hier geht es nicht um Geld und Kom­fort, son­dern um Frei­heit und Bewe­gung. Das find ich gut.

 

Leipzig-Alaska-Karte

Cate­go­riesUSA
  1. Tommy says:

    Habe hier in DE mal ca. eine Stunde auf nem Wag­gon rum­ge­hockt der aufm Güter­bahn­hof in der War­te­schleife stand. Dann habe ich die Geduld ver­lo­ren und bin wie­der nach Hause, gei­les Aben­teuer, eh? Ich finde es cool, dass du immer ganz offen­her­zig auf die Leute drauf zugehst. Bei mir ist immer viel mehr Miss­trauen im Spiel.

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