Symphonie in Bunt

Vor­hang auf im größ­ten Amphi­thea­ter der Welt. Die Mor­gen­son­ne scheint auf die Hügel Val­pa­raí­sos, auf die Rän­ge mit Platz für fast 300.000 Men­schen. Auf den Empo­ren thro­nen Hüt­ten gleich altern­den Diven, die sich für die Oper am Pazi­fik her­aus­ge­putzt haben: Die Lip­pen rot geschminkt, die üppi­ge Brust behan­gen mit bil­li­gem Schmuck, auf dem Kopf Hüte aus ros­ti­gem Well­blech, die ihnen tief in die erfah­re­nen Gesich­ter rut­schen. Die Bor­ten und Spit­zen ihrer Klei­der sind Graf­fi­tis, Gemäl­de, Krit­ze­lei­en auf brö­ckeln­dem Putz. In ihren Hand­ta­schen der Staub und Trö­del von Gene­ra­tio­nen chi­le­ni­schen Lie­bens und Lei­dens.

Sie bli­cken durch ihre mil­chi­gen Mon­okel auf das schil­lern­de Blau der Büh­ne. Mas­si­ge Con­tai­ner­schif­fe, teer­ver­schmier­te Schlep­per und ros­ti­ge Fischer­bo­te füh­ren in der Bucht ein mari­nes Bal­lett auf. Aus die­sem Orches­ter­gra­ben dröh­nen dumpf die Geräu­sche der Stadt: Ein­ach­ser knat­tern ver­schämt die ver­win­kel­ten Gas­sen hin­auf, wie unpünkt­li­che Thea­ter­gäs­te, die durch die engen Rei­hen klet­tern. Gemü­se­ver­käu­fer prei­sen ihre Waren an, gleich den Ziga­ret­ten­mäd­chen mit Bauch­la­den vor der Auf­füh­rung. Das Orches­ter spielt eine Sym­pho­nie aus Hupen, Schrei­en, Lamen­tie­ren. Die Las­ten­krä­ne im Hafen diri­gie­ren die Musi­kan­ten. Und der Wind trägt die­se Klän­ge gemischt mit süd­ame­ri­ka­ni­scher Musik hin­auf zu den bun­ten Damen aus Holz, Stein und Metall. Die Luft riecht nach nas­sem Hund, Die­sel und Salz.

Jeder Akt des zwölf­stün­di­gen Schau­spiels taucht die Stadt in neu­es Licht. Die Son­ne zieht über die Rän­ge und wirft ihre Strah­len in jeden Win­kel der ver­schlun­ge­nen Pfa­de. Es streift dösen­de Hun­de, den Müll, die Kunst auf den Mau­ern. Es trifft auf die Fens­ter der bun­ten Hüt­ten und lässt sie wie Brenn­glä­ser in der Mit­tags­hit­ze fun­keln.

Gegen Abend wer­den die Far­ben fahl. Grau legt sich der Staub des Tages auf die Klei­der der alten Damen. Es wird dun­kel und sie ver­blas­sen ganz. Nachts sind alle Thea­ter­gäs­te grau. Das Stück ist vor­bei. Val­pa­raí­so ruht sich aus für die nächs­te Sym­pho­nie in Bunt.

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