Treue, Respekt, Wut, Trauer, Freude, Drama, Verzweiflung

Es gibt Din­ge, die ändern sich nie. Die Lie­be zu die­sem Sport hat eini­ge Del­len und Krat­zer in den letz­ten Jah­ren bekom­men. Nicht die­se ewi­gen Dis­kus­sio­nen, wie man bestimm­te Ver­ei­ne und deren Finan­zie­rungs­mo­del­le fin­det. Eigent­lich hat der gesam­te euro­päi­sche Fuß­ball in den letz­ten Jah­ren auf das viel­leicht fal­sche Pferd gesetzt. Das Pferd Geld. Wir haben uns für 24€ eine Kar­te in der Cur­va Nord in Ber­ga­mo gekauft. Die Cur­va Nord ist in den meis­ten Sta­di­en in Ita­li­en die Hei­mat der Heim­fans. 22°C und Son­ne im Gesicht. Links über der Haupt­tri­bü­ne ragt die Alt­stadt Ber­ga­mos her­vor. Auf den Zwi­schen­zäu­nen ste­hen die Capos. Die Vor­sän­ger oder Köp­fe der Ultra-Fan­grup­pen. Meis­tens üble Typen. Zumin­dest optisch. Vor mir steht ein Tifo­si. Mit­te 40 und das Ata­lan­ta Wap­pen auf den Nacken täto­wiert. An den Rän­dern der Kur­ve ver­su­chen sich halb­star­ke Jungs als Capos. Immer wie­der schau­en sie in die Kur­ven­mit­te. Da wol­len sie hin. Es wird ges­ti­ku­liert aber auf Ita­lie­nisch. Gestrit­ten. Geflucht. Wie­der geflucht. Die Lei­den­schaft ist so sehr anste­ckend, dass man irgend­wie das Gefühl nicht im Jahr 2016 zu sein. Hier sind Gehäl­ter, Ablö­se­sum­men und Kom­mer­zia­li­sie­rung auch ein The­ma. Aber ein unter­ge­ord­ne­tes.

Hier geht es um die­se Lie­be zum Sport. Treue, Respekt, Wut, Trau­er, Freu­de, Dra­ma, Ver­zweif­lung. Alles gebün­delt in gut zwei Stun­den. Die­se Ach­ter­bahn­fahrt bei einem so simp­len Spiel wie Fuß­ball. In eini­gen Län­dern hat der Kom­merz und die Gier vie­les davon zer­stört. Hier lebt es noch. Fuß­ball­kul­tur hat hier knapp 25.000 Gesich­ter.

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44 Minu­te. Ecke. Kopf­ball in den Straf­raum. Der Mit­tel­stür­mer Pini­lia netzt mit einem Fall­rück­zie­her zum Aus­gleich ein. Direkt vor der CURVA NORD. Aus­ras­ten. Die gan­ze Hüt­te brennt. Alles schreit. Liegt sich den Armen. Gän­se­haut. Es ist so atmo­sphä­risch inten­siv. Am Ende ist das wohl in jedem Fuß­ball­land so, wenn ein Tor fällt. Ich fin­de, dass ist genau das, was man den Leu­ten nicht neh­men darf. Sie wol­len Geschich­ten erle­ben und erzäh­len. Fuß­ball ist ein Volks­sport. Also für alle. Daher soll­te er auch für alle blei­ben. Wenn man den Ita­lie­nern den Sport nimmt, in dem man ver­sucht mit dem eng­li­schen Mil­lio­nen­ge­schäft mit­hal­ten zu wol­len, dann raubt man dem Land etwas Kul­tur. Mei­ne Mei­nung. Fakt ist natür­lich, dass die Serie A auch ein paar klei­ne Pro­blem­chen hat. Aber ganz ehr­lich: Das Erleb­nis war über­ra­gend. Bit­te ver­sucht das um alles in der Welt zu erhal­ten.

Es sind doch die­se klei­nen Rand­ge­schich­ten, die all das so lie­bens­wert machen. Des­we­gen ist das für mich auch die­se alte Lie­be. Sie soll alt, klas­sisch und lie­bens­wert blei­ben. Wie das mit der Lie­be so ist, schweift man gleich so schnell ab. Zurück zur Tour. Im Vor­feld fiel die Ent­schei­dung auf öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel. Bus und Bahn. Auch das hat min­des­tens genau­so viel Charme wie Atmo­sphä­re in den Sta­di­en selbst. Und nir­gends kann man leich­ter in den All­tag der Ein­hei­mi­schen ein­tau­chen als so.

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In den Zügen und auf den Bahn­hö­fen triffst du so ziem­lich alles an Men­schen, was eine Gesell­schaft mit sich bringt. Allein auf den Fuß­ball bezo­gen, haben wir so vie­le ver­schie­de­ne Leu­te erlebt, dass man über jeden ein­zel­nen Geschich­ten schrei­ben könn­te. Zum Bei­spiel: Ground­hop­per aus Deutsch­land. Die Ein­zi­gen, die neben uns im Zug Bier getrun­ken haben. Oder alte Män­ner, die beim FC Car­pi in Mode­na an der Ple­xi­glas-Schutz­wand ste­hen und »die Jungs« begut­ach­ten. Im Mund­win­kel hängt die Zigar­re und die Gaz­zet­ta del­lo Sport steckt in der Jacken­ta­sche. Ein Hauch vom Ams­ter­da­mer Rot­licht­vier­tel im Ober­rang des Gui­sep­pe Meaz­za Sta­di­on. Es riecht hier so herr­lich nach Kif­fe, dass man hier kei­ne Ord­ner braucht. Das scheint sich von selbst zu ent­span­nen.

Kin­der, die auf Vor­bil­der und Ido­le schau­en und im Sta­di­on rum­to­ben dür­fen. Bäl­len nach­ja­gen und sich am Ende mit Papa wie­der fein nach Hau­se machen. Es gibt tau­send Geschich­ten, die man hier noch erzäh­len kann. Sie Enden immer damit, dass es die Ita­lie­ner den Fuß­ball so sehr lie­ben und zu recht dage­gen vor­ge­hen, wenn Ihnen ihr Spiel neh­men will.

Kämpft wei­ter ihr süd­län­di­schen Heiß­spor­ne. Ohne Gewalt. Dafür laut­stark und mit die­ser unbän­di­gen Lei­den­schaft. Das steckt an und wir wer­den mit Sicher­heit wie­der in den Süden zum Fuß­ball fah­ren.

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