Zwi­schen dem Küs­ten­dorf Kuta und dem Berg­dörf­chen Senaru lie­gen vier Stun­den Taxi­fahrt. Für knapp 45 Euro hat ein sich ein net­ter Indo­ne­sier dazu bereit erklärt uns – das sind mein Freund Sven, fünf Eng­län­der mit denen wir uns vor ein paar Tagen ange­freun­det haben und ich – ein­mal quer über die indo­ne­si­sche Insel Lom­bok zu fahren.

Die Haupt­at­trak­tion, die Tou­ris­ten in das ver­schla­fene Senaru bringt ist der majes­tä­ti­sche Rin­jani-Vul­kan, der mit sei­nen 3.726 Metern über der Insel thront. Sowohl von den ein­hei­mi­schen Sasak als auch von den auf Lom­bok leben­den Bali­ne­sen wird der Rin­jani als hei­li­ger Berg ver­ehrt, den die Göt­ter als ihren Sitz aus­er­ko­ren haben. Nicht sel­ten pil­gern vor allem bei Voll­mond Gläu­bige auf den Vul­kan um den Gott­hei­ten Opfer dar­zu­brin­gen. Und auch wir sol­len den Rin­jani noch bes­ser ken­nen ler­nen als uns lieb ist.

 

Wir quet­schen uns zu siebt in einen Bus, der defi­ni­tiv nicht auf so viele Per­so­nen aus­ge­legt ist, wie wir nicht nur am Platz son­dern auch an der Anzahl der Anschnall­gurte bemerken.

„No Seat­belt? Oh, no pro­blem here“, tut unser Fah­rer die Sorge lachend ab.

Das Schöne an die­ser Regel­lo­sig­keit ist, dass wir sie eben­falls aus­nut­zen kön­nen. Wie frü­her auf Klas­sen­fahrt haben wir uns flüs­sige Weg­zeh­rung mit­ge­nom­men: Eine Fla­sche Rum und eine Fla­sche Whis­key. Die Lokal­ver­sio­nen sind pur aller­dings nicht zu genie­ßen, wes­we­gen wir im Van unsere eigene Cock­tail­bar eröff­nen. Aus Plas­tik­be­chern gibt’s Mix­ge­tränke nach Wahl – sogar mit Stroh­halm. Spä­tes­tens nach der ers­ten Fla­sche stört kei­nen mehr, dass es statt Kli­ma­an­lage nur offene Fens­ter gibt. Aus den Boxen schallt „High­way To Hell“ und lie­fert den per­fek­ten Sound­track zu den hals­bre­che­ri­schen Gebirgs-Ser­pen­ti­nen, die unse­ren Fah­rer nicht ansatz­weise dazu ver­an­las­sen, den Fuß vom Gas zu neh­men. Sven und Emily frö­nen ihrer neu ent­deck­ten Gemein­sam­keit – der Liebe zu Clas­sic Rock – und sin­gen jeden Song aus vol­ler Kehle mit.

Alle 20 Sekun­den ertönt die Hupe. Das ist ganz nor­mal für den indo­ne­si­schen Stra­ßen­ver­kehr, wo die Hupe alles von „Vor­sicht, ich über­hole dich jetzt“, „Vor­sicht, ich fahre um die Kurve“ bis „Aus dem Weg“ bedeu­tet. Denn grund­sätz­lich wird vor JEDER Bie­gung gehupt – und die sind hier eher die Regel als die Aus­nahme. Trotz­dem sind die Fah­rer unglaub­lich ent­spannt und statt bösen Bli­cken gibt es immer ein freund­li­ches Lächeln oder Win­ken. Davon könn­ten die Auto­fah­rer in Deutsch­land sich mal eine Scheibe abschneiden.

In die­sem Misch­masch aus Schnaps, Jour­ney und Hup­kon­zert rasen wir vor­bei an Reis­fel­dern, Kuh­ko­lon­nen, spie­len­den Kin­dern und Strän­den, an denen der Sand sich lang­sam aber sicher immer schwär­zer färbt. Wir nähern uns dem Vulkan.

 

Als wir in Senaru ankom­men sind beide Fla­schen leer und wir dem­entspre­chend voll. Was folgt ist das täg­lich Brot des Back­pa­ckers: Die Suche nach einer Unterkunft.

Tom ist unser Verhandlungskönig.

„350.000 mit Kli­ma­an­lage? Viel zu teuer. Wir sind sie­ben Leute. Wir buchen doch eure ganze Unter­kunft. Und es ist Nebensaison.“

„Ich kann nicht bil­li­ger geben“, erwi­dert der Indonesier.

„Gut. Dann suchen wir weiter.“

Tom sieht die ent­setz­ten Bli­cke in den müden Augen der betrun­ke­nen Mädels, als er sich selbst­si­che­ren Schrit­tes auf den Weg nach drau­ßen macht. Die Zim­mer sind wun­der­schön. Und sind wir mal ehr­lich: 25 Euro für ein Dop­pel­zim­mer mit eige­nem Bad ist alles andere als ‚teuer’.

„Keine Sorge. Der kommt wie­der“, sagt Tom augen­zwin­kernd. Es dau­ert zehn Sekun­den und der kleine Indo­ne­sier kommt uns tat­säch­lich hinterhergelaufen.

„Ich habe Freund. Der hat auch Unter­kunft. Güns­ti­ger. Ich rufe an. Er kann euch zeigen.“

Kurze Zeit spä­ter kommt ein älte­rer Sasak auf einem Rol­ler ange­fah­ren und bit­tet uns ihm zu fol­gen. Ein letz­tes Mal quet­schen wir uns in unse­ren Van. Der Fah­rer ist mitt­ler­weile sicht­lich genervt, dass wir uns nicht end­lich ent­schei­den kön­nen. Die nächste Unter­kunft ist bereits die Vierte, die wir uns anschauen.

 

Als wir die Bun­ga­lows sehen, kön­nen wir gar nicht glau­ben, dass die güns­ti­ger sein sol­len als alles, was uns bis jetzt ange­bo­ten wurde. Okay, die Aus­stat­tung ist nicht luxu­riös, aber dafür haben wir einen Aus­blick wie aus dem Bil­der­buch. Dschun­gel soweit das Auge reicht.

„Da, Was­ser­fall“, unser Her­bergs­va­ter zeigt in die Ferne. Und tat­säch­lich, wenn man genau hin­schaut, erhebt sich zwi­schen dem dich­ten Grün ein dün­ner Strei­fen Was­ser, der in die schein­bar unend­li­chen Tie­fen stürzt. Am Hori­zont erhebt sich das majes­tä­ti­sche Rin­jani-Mas­siv das wol­ken­ver­han­gen noch mys­ti­scher wirkt. Es würde mich nicht wei­ter wun­den, wenn Zeus mir auf einer Wolke sit­zend zuwin­ken würde. Ein Geräusch reißt mich aus mei­ner Göt­ter­phan­ta­sie. Wie selbst­ver­ständ­lich spa­ziert ein Äff­chen an uns vor­bei und macht ohren­schein­lich klar, dass das hier sein Revier ist.

„Affen woh­nen da“, erklärt unser Her­bergs­va­ter ent­schul­di­gend. Nur ein knie­ho­her Zaun trennt uns von einer klei­nen Herde, die sich nebenan in den Baum­kro­nen aus­tobt. Wilde Affen sind in Indo­ne­sien so selbst­ver­ständ­lich wie Spat­zen in Deutschland.

„Bin­tang?“ Unser Gast­ge­ber hat anschei­nend die lee­ren Schnaps­fla­schen gesehen.

„Jaa, mehr Bin­tang“, beschlie­ßen wir ein­stim­mig. Schließ­lich muss das Fin­den die­ser atem­be­rau­ben­den Unter­kunft gefei­ert werden.

Einige Minu­ten spä­ter kommt er mit einer Plas­tik­tüte vol­ler Bier auf sei­nem Rol­ler zurück.

„Wollt ihr eigent­lich auf Vul­kan?“ Gemur­mel. Wir hat­ten schon mit dem Gedan­ken gelieb­äu­gelt, dann aller­dings in unse­ren Rei­se­füh­rern gele­sen, dass der Rin­jani in der Regen­zeit nicht begeh­bar ist – aber wir haben Glück. Der Rin­jani ist noch fünf Tage erklimm­bar. Im seli­gen Bier­tau­mel braucht es nicht allzu lange um uns zu über­zeu­gen und ehe wir uns ver­se­hen sto­ßen wir über­schwäng­lich auf unsere Vul­kan­be­stei­gung an.

 

Der Wecker klin­gelt. Zum ers­ten Mal im Urlaub werde ich von die­sem Geräusch und nicht von der pral­len Sonne oder einer Schweiß­at­ta­cke dank ver­sa­gen­der Kli­ma­an­lage geweckt. Der Ruck­sack ist gepackt. Wir brau­chen nichts außer einer Was­ser­fla­sche, einer Zahn­bürste und einem dicken Pulli, denn nachts soll es oben auf dem Vul­kan rich­tig kalt wer­den. Zur Sicher­heit habe ich mal einen ein­ge­packt, auch wenn mir das Kon­zept Kälte bei den täg­li­chen 32 Grad und 95% Luft­feuch­tig­keit gerade so abs­trakt vor­kommt wie Quantenphysik.

Wir wer­den von einem rie­si­gen Gelän­de­wa­gen abge­holt. Ed ver­sucht die Tür auf­zu­ma­chen, da wird er schon unter­bro­chen. „Nicht da. Da!“ Der Fah­rer zeigt auf die Lade­flä­che. Wir wech­seln ver­wirrte Bli­cke. Auf der Lade­flä­che sit­zen bereits drei Indo­ne­sier. Adi, der wie sich bald her­aus­stellt, unser ‚Guide’ ist, grinst und streckt uns seine Hand ent­ge­gen. Nach­dem wir es alle hoch­ge­schafft haben, bret­tert der Fah­rer los.

 

„Raus!“

Der Feld­weg ver­engt sich zu einem klei­nen Pfad und die Wan­de­rung beginnt. Wäh­rend ich mei­nen Ruck­sack auf­schnalle, pfeife ich ‚Das Wan­dern ist des Mül­lers Lust’ vor mich hin. Sven lacht. Wir gehen los und sind sofort mit­ten im Dschun­gel. Außer Adi und uns sind drei Por­ter mit von der Par­tie. Sie spre­chen kaum ein Wort Eng­lisch und sind für den Trans­port von Zel­ten, Schlaf­sä­cken, Was­ser, Essen und Koch­uten­si­lien zustän­dig. Ver­staut ist das alles in jeweils zwei Bast­kör­ben, die an den Enden einer Bam­bus­stange ange­bracht sind. Die­ses Kon­strukt über die Schul­tern gelegt stie­feln die drei Indos – selbst­ver­ständ­lich in Flip-Flops – drauf­los und sind schon nach kur­zer Zeit aus dem Sicht­feld ver­schwun­den. So ein biss­chen schlecht fühle ich mich schon, mir mei­nen gan­zen Kram hin­ter­her bezie­hungs­weise ja sogar vor­tra­gen zu lassen.

„Also wenn die die ganze Zeit so einen Zahn vorlegen…“

Die Eng­län­der sind bereits nicht mehr zu sehen. Schon nach der ers­ten hal­ben Stunde merke ich, wie mir die vie­len Biere der letz­ten Tage aus den Ohren raus­kom­men. Wäh­rend ich vor mich hin stapfe und mich auf meine Atmung kon­zen­triere höre ich Tom und Ed ein paar Meter wei­ter vorne wit­zeln und fühle mich noch elender.

 

Nach einer Stunde ste­hen wir schließ­lich vor einem Tor. Adi erklärt uns, dass hier der offi­zi­elle Beginn des Gunung Rin­jani Natio­nal Parks ist. Die Kilo­me­ter­marke zeigt 0 an.

„Also sind wir jetzt schon eine Stunde gelau­fen um beim Null­punkt anzu­kom­men?“, frage ich.

„Ja. Hier geht jetzt der schwie­ri­gere Teil los. Seid ihr bereit?“

„Klar“, ruft Tom über­schwäng­lich und geht for­schen Schrit­tes voran.

Ich bin mir da nicht so sicher und schaue Tom ungläu­big hin­ter­her. Die­ser Kerl ist einer der bemer­kens­wer­tes­ten Men­schen, die ich jemals ken­nen­ge­lernt habe. Er ist in Eng­land auf einer Farm groß gewor­den und hat mit 18 einen tra­gi­schen Unfall erlit­ten: Er trägt eine Schrot­flinte über der Schul­ter und lässt sie aus­ver­se­hen fal­len. Sie kommt auf dem Boden auf, der Kipp­lauf­ver­schluss schließt und die Waffe feu­ert ihm ein­mal quer durch den Knö­chel. Da ist sogar ein Lot­to­ge­winn wahr­schein­li­cher als die­ses Sze­na­rio. Tom wehrt sich vehe­ment gegen die Ampu­ta­tion sei­nes Fußes und fin­det schließ­lich einen Arzt, der ihn unter­stützt. Trotz­dem lau­tet die Pro­gnose: Im bes­ten Falle nor­mal gehen. Nie wie­der lau­fen, sprin­gen oder sur­fen. Aber Tom lässt sich nicht unter­krie­gen. Er treibt sich in der Phy­sio­the­ra­pie über Jahre lang bis an seine Gren­zen und schafft das, was kei­ner für mög­lich gehal­ten hat. Er kann sei­nen Fuß – der Knö­chel ist wegen der trans­plan­tier­ten Ner­ven- und Haut­zel­len auf dop­pelte Größe ange­wach­sen – wie­der ganz nor­mal belas­ten. Er hum­pelt ein biss­chen, aber wenn man nicht genau hin­schaut, sieht man ihm nichts an. Anmer­ken tut man ihm sowieso nichts. Natür­lich ist Tom der erste, der den Gip­fel des Rin­ja­nis erreicht.

 

Gerade Wege exis­tie­ren im Gunung Rin­jani Natio­nal Park nicht. Die ein­zige Devise ist berg­auf. Berg­auf, berg­auf, berg­auf. Egal wo man hin­schaut: Dschun­gel, Dschun­gel, Dschun­gel. In die Baum­wur­zeln sind Trep­pen­stu­fen ein­ge­hauen. Die sind teil­weise so hoch, dass sie ohne Hilfe gar nicht zu erklim­men sind. Ent­we­der zieht Sven mich hoch oder ich han­gele mich an Wur­zel­en­den oder Baum­stäm­men ent­lang. Meine Ober­schen­kel bren­nen jetzt schon. Die hohe Luft­feuch­tig­keit lässt mich ganze Bäche schwitzen.

„Nur noch 20 Minu­ten. Dann sind wir beim ers­ten Camp“, ruft Adi mir von soweit oben zu, dass ich erst mal den Kopf in den Nacken legen muss, um ihn über­haupt sehen zu können.

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Völ­lig fer­tig komme ich als Letzte ins ‚Camp’. Camp heißt in die­sem Fall eine Holz­platte auf vier knie­ho­hen Holz­stäm­men, die bequem für 10 Leute Platz bie­tet. Aus Son­nen­schutz­grün­den gibt es ein Dach über dem Kopf. In Indo­ne­sien hat eigent­lich jede Hütte einen sol­chen ‚Auf­ent­halts­ort’ im Freien.
Ich bin so fer­tig wie seit lan­gem nicht mehr.

„Wie lang dau­ert denn der Auf­stieg ungefähr?“

„Acht Stun­den. Zwei habt ihr geschafft!“

Man merkt, dass Adi viel mit Tou­ris­ten zu tun hat. Sein Eng­lisch ist deut­lich bes­ser, als das der meis­ten Indos.

„Und wie lang ist die Strecke?“

„Sie­ben Kilometer.“

Tom lacht: „Haha. Leute. Wir sind bestimmt in zwei, drei Stun­den schon oben. Wer braucht denn bitte acht Stun­den für sie­ben Kilometer?“

Selbst mir kommt das lächer­lich viel vor. Adi lächelt nur und schweigt.

Die­ses wis­sende Lächeln gefällt mir nicht. Lang­sam wie­der zu Kräf­ten gekom­men frage ich: „Adi, wieso grinst du so? Hast du uns irgend­was nicht verraten?“

Er schüt­telt den Kopf. Ich denke nach. Sie­ben Kilo­me­ter in acht Stun­den. Das wäre weni­ger als ein Kilo­me­ter pro Stunde. Das kann doch höchs­tens rea­lis­tisch sein, wenn…die Stre­cke an sich der­ma­ßen anstren­gend ist, dass man nur sehr lang­sam gehen kann. Mir schwant Böses.

„Adi…sag mal. Wie viele Höhen­me­ter gehen wir denn auf die­sen sie­ben Kilo­me­tern?“ Da hatte sich irgend­wie noch kei­ner Gedan­ken drü­ber gemacht. Bei unserm Gast­va­ter klang diese ganze Expe­di­tion nach einer net­ten, klei­nen Wan­de­rung mit Ausblick.

„Also…der Kra­ter­see liegt auf 2650 Metern Höhe. Und die Null habt ihr ja eben alle gesehen.“

„Wir gehen also…innerhalb von acht Stun­den über zwei­ein­halb Kilo­me­ter hoch?“

Adi lächelt nur…und nickt.

 

Es haben sich schnell zwei Teams her­aus­kris­tal­li­siert. Die bri­ti­sche Frak­tion schafft es, Adi Schritt zu hal­ten. Sven und ich schlep­pen uns hin­ter­her. Pünkt­lich zur Mit­tags­zeit errei­chen wir das zweite Camp.

Wäh­rend unsere Por­ter kochen, schaue ich mich ein biss­chen um. Wir sind mit­ten im Nir­gendwo. Der Han­dy­emp­fang hat sich längst ver­ab­schie­det. Das Camp ist auf einer klei­nen Lich­tung. Als ein­zi­gen Unter­schlupf gibt es auch hier wie­der ein­zig eines der typisch indo­ne­si­schen Konstrukte.

„Guck mal“, reißt mich Emi­lys Kom­men­tar aus mei­ner Betrach­tung. Auf einem Ast ein paar Meter wei­ter sitzt ein Affe und beob­ach­tet uns. Er ver­zieht keine Miene und glotzt stur in unsere Rich­tung. Dabei stopft er sich was zu Essen in den Mund. Kurz komme ich mir vor, als wäre ich in einem Kino­film und der Affe schaue sich unsere kleine Rei­se­gruppe Pop­corn-schmat­zend an und frage sich, was zum Teu­fel uns in sei­nen Lebens­raum ver­schlägt und warum wir von dem biss­chen Klet­tern so geschafft aussehen.

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Nach der gut ein­stün­di­gen Pause fühle ich mich, als hätte mir jemand neues Leben ein­ge­haucht. Hoch moti­viert stapfe ich vorne weg.

„Der nächste Teil ist nicht so anstren­gend“, ver­spricht Adi. Zwei Stun­den lie­gen zwi­schen uns und dem nächs­ten Camp.

Meine Ener­gie hält ganze zehn Minu­ten. Die Stei­gung nimmt ein­fach kein Ende. Ich schwitze und friere gleich­zei­tig. Die zuneh­men­den Höhen­me­ter machen sich bei der Tem­pe­ra­tur bemerk­bar. Mein Shirt klebt an mei­nem Kör­per. Meine BH-Scha­len könn­ten als Swim­ming­pool für Mos­ki­tos fun­gie­ren, die mir bereits das halbe Bein zer­sto­chen haben, weil mein Schweiß das Anti-Brumm sofort weg­spült. Die drü­ckende Hitze berei­tet mir Kopf­schmer­zen. Ich schaffe drei wei­tere Stu­fen und halte für eine Trink­pause inne. Meine Fla­sche Was­ser ist fast leer. Na das fehlt mir noch, dass mir hier jetzt das Was­ser aus­geht. Der Rest der Gruppe hat mich längt mit mit­lei­di­gen Bli­cken über­holt. Da hilft auch Bruce Springsteen nicht mehr, der mir ins Ohr schreit: „Baby, we were born to run.“ Ich bin froh, wenn ich es irgend­wie noch schaffe zu krie­chen. An Ren­nen ist gar nicht zu den­ken. Besteig du mal den Rin­jani Bruce – dann reden wir zwei wei­ter. Der Dschun­gel um mich rum wird immer dich­ter. Ich bin so kon­zen­triert dar­auf, ste­tig wei­ter Fuß vor Fuß zu set­zen, dass ich gar nicht bemerke, dass Adi auf mich wartet.

„Soll ich dir was abneh­men? Mein Ruck­sack wiegt nur 20 Kilo. Ich kann noch was neh­men von dir.“

Nur??? 20 Kilo. Der will mich doch verarschen.

„Nein, Adi. Danke aber geht schon.“

„Sicher? Für mich wäre kein Problem.“

„Adi. 20 Kilo ist doch so schon viel zu viel.“

„Als ich noch Por­ter war da musste ich Zeit lang mit 50 Kilo laufen!“

„Bitte?“, frage ich ungläubig.

„Ja. Habe für eine Com­pany gear­bei­tet die wollte Geld spa­ren. Die haben nicht drei son­dern nur zwei Por­ter geschickt. Und da musste man dann alles zu zweit nur tra­gen. Da hat Ruck­sack manch­mal 50 Kilo gewogen.“

Ich will das gar nicht glau­ben. Ich komme hier mit nur Pulli und Was­ser­fla­sche kaum den Berg hoch und diese armen Indos wer­den mit 50 Kilo und Flip-Flops hier hoch geschickt.

„Wie oft muss­tet ihr denn dann gehen?“

„Glei­che wie jetzt. Ich mache Tour immer drei­mal die Woche. Einen Tag hoch, nächs­ten Tag run­ter. Nächs­ten Tag hoch, nächs­ten Tag wie­der run­ter. Dann einen Tag Pause. Dann wie­der von vorne. Jetzt gleich musst du gucken. Hier lebt ein sel­tene Affenart.“

Man merkt, dass Adi nicht gerne über seine Arbeit redet und lie­ber vom Thema ablenkt. Na gut. Über die Affen­art hatte ich tat­säch­lich gele­sen. Er meint sicher den schwar­zen Hau­ben­lan­gur. Eine Pri­ma­ten­art, die nur in Indo­ne­sien behei­ma­tet ist und deren beson­de­res Kenn­zei­chen das schwarze Fell und der lange Schwanz ist.

Und tat­säch­lich, keine zwan­zig Minu­ten spä­ter wackeln die Baum­kro­nen über mir ich sehe mei­nen ers­ten schwar­zen Affen. Ein paar Meter wei­ter ent­de­cke ich sogar eine Mut­ter mit ihrem klei­nen Säug­ling und beob­achte sie ein paar Minu­ten. Immer wie­der weiß ich nicht ob es mich gru­selt oder fas­zi­niert, wie ähn­lich diese pel­zi­gen Tiere uns Men­schen in ihrer Ver­hal­tens­weise sind.

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Ich bin mitt­ler­weile wie in Trance. Meine Beine tra­gen mich irgend­wie wei­ter. Ich denke nicht mehr nach. Ich kon­zen­triere mich allein auf mei­nen Atem­rhyth­mus. Umso per­ple­xer bin ich als ich um mich schaue und bemerke, dass die Bäume immer weni­ger wer­den. Die Pflan­zen­decke wird von einer dicken Wol­ken­de­cke abge­löst. Mitt­ler­weile hat uns auch der erste Regen­schauer beehrt. Am Hori­zont sehe ich Camp 3. Noch­mal Zähne zusam­men beißen.

„Mag noch jemand Cracker?“

„Nee, danke.“

Die Kon­ver­sa­tio­nen beschrän­ken sich mitt­ler­weile abso­lut auf das Wesent­li­che. Kei­ner von uns hatte erwar­tet, dass der Rin­jani uns der­ma­ßen in die Knie zwingt. Von wegen nette Wan­de­rung. Das hier ist Berg­stei­gen für Fort­ge­schrit­tene. Und wir hat­ten ernst­haft über­legt, noch ein biss­chen Bier mitzuschleppen.

„Ist bei dir alles okay?“ Sven klopft mir ermun­ternd auf die Schulter.

„Ich geb’ mein Bestes.“
„Also mein Tipp für das nächste Stück: Guckt nicht nach oben.“

Super Rat­schlag, Adi. Ich habe mich mitt­ler­weile mei­nem Schick­sal erge­ben und starte direkt als Letzte, damit ich mir wenigs­tens die Pein­lich­keit spa­ren kann, dass alle mich inner­halb der ers­ten Meter über­ho­len. Ich schaue nach oben. Da ist kein Dschun­gel mehr. Das hier hat eher was von Wüste. Erdige Pfade. Links und rechts ist die Land­schaft von knie­ho­hen Grä­sern bewach­sen. Vor mir tür­men sich drei Berge auf. Könnte man sich wenigs­tens an der Aus­sicht erfreuen nach den gan­zen Mühen. Aber nein, die Wol­ken­de­cke ist so dicht, dass man nach unten nichts sieht als eine ein­zige Nebelsuppe.

Spä­tes­tens bei die­ser Etappe ver­flu­che ich die Worte unse­res Gast­ge­bers, dass Turn­schuhe völ­lig okay sind. Ich trage aus­ge­latschte Ree­boks, die soviel Pro­fil haben wie eine Mar­mor­theke. Ich rut­sche stän­dig ab und habe gar keine andere Wahl mehr, als Adis Rat­schlag zu befol­gen, weil ich sonst über­haupt nicht mehr wei­ter kom­men, son­dern nur noch hin­fal­len würde. Auf­grund der Vege­ta­tion gibt es näm­lich nichts mehr zum Fest­hal­ten. Oft greife ich ein­fach einen Meter höher in den Boden und ver­su­che mich wei­ter­zu­zie­hen. Bei beson­ders schwie­ri­gen Pas­sa­gen war­tet Adi auf mich und hievt mich hoch.

„Pas­sie­ren hier eigent­lich oft Unfälle?“

„Ja…“

„Ehm…und was macht man dann?“ Ich schaue mich um. Selbst wenn es auf Lom­bok Hub­schrau­ber gäbe…hier gibt es keine ansatz­weise ebene Flä­che zum Landen.

„Wenn die Ver­let­zung sehr schlimm ist, tra­gen wir Leute.“

„Wie…ihr tragt Leute?“

„Mal hat sich jemand unten am See Fuß ver­letzt. Da war ich noch Por­ter. Da habe ich mit einem andere Por­ter Mann wie­der hoch zum Kra­ter und dann Berg run­ter getragen.“

„Wie habt ihr den denn transportiert?“

„Wir haben zwei Bam­bus­stange zusam­men geschnürt und dann Zelt­plane drü­ber gemacht und drauf gelegt.“

„Ahh…“

Ich schweige und hoffe instän­dig, dass meine Knö­chel mich nicht im Stich lassen.

 

„Das ist das letzte Camp. Jetzt sind es nur noch 200 Meter bis zum Ziel.“

Joh­lende Erleichterung.

„Also wenn es nur noch 200 Meter bis zum Ende sind…und hier noch ein Camp ist. Dann haben es die letz­ten Meter wahr­schein­lich so rich­tig in sich“, resü­miert Tom vor sich hin. Meine panik­erfüll­ten Augen suchen Adi. Der lächelt…und nickt.

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Mit ein paar Cra­ckern gestärkt, machen wir uns zur letz­ten Etappe auf. Ich gehe um die Kurve…und reibe mir die Augen, weil ich hoffe, nicht rich­tig zu sehen. Vor mir türmt sich ein rie­si­ger Geröll­hau­fen auf. Ein paar Meter wei­ter oben sehe ich den Rest der Gruppe bereits beherzt kra­xeln. Ich setzte an zum ers­ten Schritt und merke, dass ich am Ende mei­ner Kräfte bin. Als wäre das nicht genug, läuft einer unse­rer Por­ter – ja, immer noch in Flip-Flops – flin­ken Schrit­tes an mir vor­bei, lächelt und wirft mir ein fröh­li­ches „Fun?“ zu. Ich werde wütend und muss mich zusam­men rei­ßen, die Trä­nen zurück­zu­hal­ten. Ich kann mich nicht erin­nern, ob ich jemals der­ma­ßen am Ende mei­ner kör­per­li­chen Kräfte war. Es macht mich wütend, dass alle ande­ren bereits in schwin­del­erre­gen­den Höhen über mir Klet­tern, wäh­rend ich nicht mal die ers­ten zehn Meter geschafft habe. Dabei bin ich eigent­lich gar nicht so unsport­lich. Ich schwöre mir nie mehr Bier zu trin­ken und an mei­ner kör­per­li­chen Kon­di­tion zu arbei­ten, damit mich nie mehr ein Berg an den Rand der Trä­nen bringt.

Aber es gibt kein Zurück. Ich muss irgend­wie auf die­sen Vul­kan. Also reiße ich mich zusam­men und setze tap­fer Fuß vor Fuß. Ich ver­hake mich stän­dig zwi­schen den Stei­nen. Zwei­mal falle ich hin. Gott sei Dank sind meine Hände noch reak­ti­ons­schnell genug um eine Lan­dung auf mei­nem Gesicht zu ver­hin­dern. Endlich.

„Kathi, fast geschafft.“

„Wie, fast. Wir sind doch oben!“

„Ja, wir sind oben. Aber wir müs­sen noch ein paar Meter nach rechts um zum Kra­ter­see zu kommen.“
In Zeit­lupe bewege ich mei­nen Kopf nach rechts und tat­säch­lich. Ich sehe Emily und Co. ent­lang des Berg­mas­sivs lau­fen. Ich trotte hin­ter­her und mache inner­li­che Luft­sprünge, als sie end­lich anhal­ten. Ich schleppe mich die letz­ten Meter ent­lang des Gesteins.

Tom reicht mir die Hand mit den Wor­ten: „Hier ist deine Entschädigung.“

Ich bin sprach­los. Vor der Kulisse des Gip­fels erstreckt sich der tür­kis­blaue Kra­ter­see, in des­sen Mitte sich ein neuer Vul­kan, der Gunung Baru, erhebt. Wie um seine Natur­ge­walt zu demons­trie­ren, steigt aus sei­ner Spitze eine dichte Dampf­wolke auf.

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„Bricht der Vul­kan noch regel­mä­ßig aus?“, fragt Emily.

„Zum letz­ten Mal ist vor einem Monat aus­ge­bro­chen“, ant­wor­tet Adi, als wäre das das Nor­malste der Welt.

Ich atme tief ein und schließe die Augen. Erleich­te­rung. Aber Halt. Ich bin doch wegen der Aus­sicht hier. Ich blinzle in die unter­ge­hende Sonne. Meine Beine füh­len sich an, als hätte sie jemand durch einen Fleisch­wolf gedreht und trotz­dem bin ich gerade ziem­lich glücklich.

„Na, wann hast du dich zum letz­ten Mal so leben­dig gefühlt?“, neckt Tom.

Er hat Recht. Ich lache und bin unglaub­lich stolz.

Adi stupst mich in die Seite und grinst.

„Adi…was?“

„Ich frage mich nur grade ob du lachst, weil du dich schon auf Abstieg mor­gen früh freust.“

Fast ver­ges­sen. Wir müs­sen hier ja auch noch­mal runter.

„Wo ist der Reiswein??!!“

Soviel zur Alkoholabstinenz.

„Haha. Also eins ist sicher. Selbst wenn ich mich jetzt total betrinke und den größ­ten Film­riss hätte, dann würde ich diese Tour hier mit euch nie­mals ver­ges­sen“, sagt Tom und nimmt uns alle in den Arm. Gemein­sam genie­ßen wir die abso­lute Ruhe und glot­zen auf den Kratersee.

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Bereits zwei Tage spä­ter sind die Qua­len ver­ges­sen und der ‚sne­aky vol­cano’, der sich als nette Wan­de­rung getarnt und uns alle – außer Tom, der ohne zu zögern noch­mal hoch­stei­gen würde – in die Knie gezwun­gen hat ist zum Run­ning Gag gewor­den. Obwohl die Erin­ne­rung an die kör­per­li­chen Stra­pa­zen nie in Ver­ges­sen­heit gera­ten wird, ist das Bild des ster­nen­klars­ten Him­mels, dem schöns­ten Son­nen­auf­gang über dem Kra­ter­see und ein Blick der in die Ferne bis zu den Gili-Inseln schweift viel tie­fer in meine Netz­haut eingebrannt.

Ich war noch nie in mei­nem Leben der­ma­ßen am Ende mei­ner Kräfte – aber ich habe auch noch nie ein Aben­teuer erlebt das so zusam­men schweißt. Wäh­rend wir auf Gili Air unsere geschun­de­nen Füße hoch­le­gen und Cock­tails schlür­fen schaue ich rüber zu mei­nen neu gewon­nen Freun­den und weiß ganz genau, ihr zu Hause wird auch immer meins sein.

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Cate­go­riesIndo­ne­sien
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Katharina Raskob

Katharina Raskob liebt die Wellen und die Sonne. Reiseziele erfüllen deswegen meist eins der beiden Kriterien. Die Kölnerin macht derzeit ihr Referendariat und schreibt für drei Magazine. Hier kommt die nächste Leidenschaft ins Spiel: Die Musik. Egal ob drüber schreiben, selber machen, unterrichten oder anhören. Am Liebsten kombiniert Kathi einfach all das und fliegt auf der Suche nach Klavieren an ungewöhnlichen Orten – bislang der Favorit: Wellington – um die Welt und schreibt darüber.

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