Tischlein, deck dich!

In Schlan­gen­li­ni­en arbei­tet sich unser Zug den Berg hin­ab, über 700 Höhen­me­ter in nur 30 Minu­ten. Hin­ter uns ver­schwin­det der Ber­ni­na­pass, vor­ne zeich­net sich Ita­li­en am fer­nen Hori­zont ab. Mit­ten­drin, ent­lang des eis­blau­en Pos­chia­vi­no Flus­ses, liegt Pos­chia­vo. Es ist das größ­te Dorf im Puschlav­tal, das ins­ge­samt etwa 3500 Ein­woh­ner umfasst.

Aus Zucker werde Stein

Vor­neh­me pas­tell­far­be­ne Vil­len, eine goti­sche Kir­che, ele­gan­te Cafés. Men­schen, die ein­an­der ken­nen und grü­ßen, auf dem Markt­platz wird an einer lan­gen Tafel gemein­sam geges­sen. Es ist eine Sze­ne, wie ich sie aus Fern­seh­wer­be­spots ken­ne. Wenn Moz­za­rel­la oder Bier mit gesel­li­gem Bei­sam­men­sein inmit­ten einer hei­len Welt ange­prie­sen wer­den.

In Pos­chia­vo ver­mi­schen sich städ­ti­scher Pomp und dörf­li­che Gemüt­lich­keit. Das liegt vor allem an den Pos­chia­vern selbst: Zwi­schen dem 15. und 19. Jahr­hun­dert wan­der­ten vie­le Puschla­ver aus, um ihr Glück im Aus­land zu fin­den. Denn das nur 25 Kilo­me­ter kur­ze Puschlav­tal ist zudem auch sehr schmal. Pos­chia­vo liegt auf 1014 Metern Höhe und die Lebens­be­din­gun­gen waren hart- außer der Land­wirt­schaft gab es kaum Ein­nah­me­quel­len.

Es zog sie nach Spa­ni­en, Vene­dig oder War­schau. Dort lern­ten die Puschla­ver ‚wie vie­le Bünd­ner Bau­ern, das Zucker­bä­cker­hand­werk. Sie eröff­ne­ten Cafés und Kon­di­to­rei­en, die bald in etwa 1000 Städ­ten Euro­pa­weit die Schwei­zer Qua­li­tät berühmt mach­ten.

Im Her­zen blie­ben die Bünd­ner ihrer Hei­mat treu: und so bau­ten sie Palaz­zi und Vil­len, die sie aus den Städ­ten kann­ten, in ihren klei­nen Hei­mat­or­ten. So auch in Pos­chia­vo.

Ein Land – vier Sprachen – unzählige Dialekte

Ein Blick auf die Kar­te ver­rät, dass Pos­chia­vo auch ein Grenz­land ist. Wäh­rend die Mehr­heit der Grau­bünd­ner Deutsch spricht, wird hier, jen­seits des Ber­ni­na­pas­ses, ita­lie­nisch gespro­chen. Auch wenn Ita­li­en so nah liegt- man ori­en­tiert sich gen Nor­den. Ein Sprich­wort sagt: „Ita­lie­nisch die Herz­spra­che, Deutsch die Brot­spra­che“.

In der Schweiz spre­chen etwa 64 % Deutsch, 23% Fran­zö­sisch, 8% Ita­lie­nisch und 0,5% Räto­ro­ma­nisch. In Grau­bün­den sind nur vier süd­li­che Täler ita­lie­nisch­spra­chig. Das bedeu­tet für die ita­lie­nisch­spra­chi­ge Min­der­heit, dass Deutsch für Han­dels­be­zie­hun­gen, den Tou­ris­mus und auch die uni­ver­si­tä­re Aus­bil­dung uner­läss­lich ist.

100% Valposchiavo

Die Lie­be zur Hei­mat sieht man hier in Pos­chia­vo nicht nur, ich schme­cke sie auch. Im Hotel Alb­ri­ci, einem Her­ren­haus aus dem Jahr 1682, kos­ten wir ein drei-Gän­ge-Menü, das nur aus regio­na­len Zuta­ten besteht.

Spra­che und Kuli­na­rik: bei­des ist eng ver­wo­ben mit der eige­nen Iden­ti­tät. Viel­leicht ist es wegen der Viel­falt inner­halb der Schweiz und der Nähe zur ita­lie­ni­schen Gren­ze für die Puschla­ver beson­ders wich­tig, ihre Tra­di­tio­nen zu hüten, die Gemein­schaft zu beto­nen.

Ein Dorf, zwei Kirchen

Denn es gab auch gru­se­li­ge Zei­ten in die­sem Alpen­dorf: Im 15. Jahr­hun­dert flüch­te­ten pro­tes­tan­ti­sche Ita­lie­ner vor der katho­li­schen Kir­che hier­her. In Pos­chia­vo fan­den sie eine neue Hei­mat und wei­te­re Anhän­ger. So ent­stand im klei­nen Pos­chia­vo eine pro­tes­tan­ti­sche Gemein­de. Die Refor­ma­ti­on spal­te­te die christ­li­che Welt, die drei Bün­de (aus denen spä­ter Grau­bün­den her­vor­ging) und ins­be­son­de­re die Täler mit den stra­te­gisch wich­ti­gen Päs­sen, gerie­ten zwi­schen die Fron­ten des Drei­ßig­jäh­ri­gen Kriegs und der Bünd­ner Wir­ren. Blu­ti­ger Höhe­punkt waren die Velt­li­ner Mor­de in 1620, bei denen zwi­schen 300 und 600 Pro­tes­tan­ten ermor­det wur­den.

Dar­um befin­den sich im klei­nen Pos­chia­vo auch heu­te noch zwei Kir­chen: die katho­li­sche Stifts­kir­che St. Vik­tor und die schlich­te evan­ge­li­sche Kir­che.

Wie gestal­tet sich das Mit­ein­an­der heu­te? „Heu­te neh­men wir Unter­schie­de mit Humor, aber sonst sind sie nicht mehr wich­tig.“ erklärt Fabio, der uns durch das Dorf führt. „Und wenn ein Katho­lik eine Pro­tes­tan­tin hei­ra­ten möch­te?“ „Dann muss man viel­leicht anders­wo einen Pries­ter fin­den, der das ok fin­det.“

Man­che Gren­zen brau­chen vie­le Gene­ra­tio­nen, um wirk­lich über­wun­den zu wer­den.

Tavolina Poschiavo

Wild­blu­men und Kräu­ter zie­ren den lan­gen Arven­tisch, der mit­ten auf dem Dorf­platz steht. Aus dem gla­mou­rö­sen St. Moritz bekannt, fin­det nun auch im beschau­li­chen Pos­chia­vo jähr­lich eine som­mer­li­che Tavo­la­ta statt. Ein simp­les Kon­zept: Ein­hei­mi­sche und Besu­cher spei­sen gemein­sam an einer lan­gen Tafel. Auf den Tisch kom­men regio­na­le Lecke­rei­en, küh­ler Ape­rol und loka­ler Wein.

Pas­ta, gebet­tet auf fruch­ti­ger Toma­ten­sauce und gar­niert mit wür­zi­gem Par­me­san, lan­det auf unse­ren Tel­lern, die im Nu leer­ge­putzt sind. Kas­par bie­tet uns direkt noch einen Drink an, er lei­tet seit 2014 die loka­le Tou­ris­mus­be­hör­de. Vor­her ist er viel rum­ge­kom­men: Zürich, Rom, Ägyp­ten. Wäh­rend sei­ne Frau bereits mit den Kin­dern Tel­ler mit duf­ten­den Spa­ghet­ti auf der lan­gen Tafel plat­ziert, blickt er zufrie­den auf sei­nen Dorf­platz. „Die meis­ten Men­schen hier ken­ne ich“, sagt er fröh­lich. Pos­chia­vo ist noch ein Geheim­tipp unter Rei­sen­den, vor allem aus Deutsch­land.

Kas­par ist ein Genie­ßer, das mer­ke ich ihm direkt an. „Das Val­po­s­chia­vo ist zwar klein, aber wir pro­du­zie­ren hier fast alles sel­ber: es gibt meh­re­re Metz­ge­rei­en, Honig, Bäcke­rei­en, Obst- und Gemü­se­an­bau. Fast alles in Bio­qua­li­tät, direkt vom Bau­ern auf den Tisch. Ich den­ke, ich wer­de hier noch ein Weil­chen blei­ben.“ Das Puschlav­tal scheint ein kuli­na­ri­scher Gar­ten Eden zu sein.

Plötz­lich bin ich mit­ten­drin, in mei­nem Wer­be­spot, nur dass die­ses Fleck­chen Erde gar kei­ne Kulis­se ist.

Wie es sich anfüh­len wür­de, hier zum Stamm­ensem­ble zu gehö­ren, statt nur als Sta­tist kurz rein­zu­schau­en?

Trans­pa­renz: Wir haben Grau­bün­den und das Tes­sin im Rah­men einer unbe­zahl­ten Pres­se­rei­se bereist. Vie­len Dank an Schweiz Tou­ris­mus für die tol­le Orga­ni­sa­ti­on. Wir kom­men gern wie­der!

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