Life-Coaching auf Fidschi

„Nat­ado­la Beach!“ Achim lüm­mel­te ent­spannt auf dem Bei­fah­rer­sitz und deu­te­te gleich­zei­tig auf ein Stra­ßen­schild und einen Abschnitt im Rei­se­füh­rer, der auf sei­nen Bei­nen lag. Die Stra­ße zu einem der schöns­ten Strän­de Viti Levus führ­te über eine klei­ne schma­le Asphalt­stre­cke. Nach einem Fünf-Ster­ne-Resort hat­te man jedoch nicht mehr wei­ter in den Aus­bau inves­tiert. Also schau­kel­ten wir wild kur­vend über Schot­ter- und Schlag­loch­pis­ten wei­ter und erreich­ten maxi­mal die Geschwin­dig­keit fids­chia­ni­scher Fuß­gän­ger. Nach viel Land­schaft die ers­ten wie­der sehr bun­ten Häu­ser, dann links eine Schu­le, dane­ben eine nicht min­der bun­te Kir­che. Aber dann kein Wei­ter­kom­men mehr. Ohne Gelän­de­wa­gen war die­ser Fluss vor uns nicht zu durch­que­ren. Also raus und zu Fuß wei­ter. Drei Frau­en häng­ten ihre Wäsche auf, wäh­rend ihre Kin­der hin­ter einem Huhn her rann­ten. Süd­see-Mamas wie man sie aus Fil­men kann­te: voll­schlan­ke Figu­ren, scho­ko­brau­ne Gesich­ter mit einem Aus­druck tie­fer Gemüt­lich­keit, aber auch reser­vier­ten Abwar­tens, kur­ze schwar­ze dich­te Afro-Locken, bun­te fast knie­lan­ge Blu­sen und vom Mus­ter her pas­sen­de boden­lan­ge Wickel­rö­cke. Wei­ße gro­ße Mar­ga­re­ten auf einem knal­li­gen Blau, eth­ni­sche Mus­ter auf pin­kem und ocker­far­be­nen Grund sowie gel­ber Hibis­kus auf strah­len­dem Rot.

„Wo wollt ihr hin?“ hör­ten wir plötz­lich eine jun­ge Stim­me hin­ter uns sagen. Ein acht­jäh­ri­ger Jun­ge und ein elf­jäh­ri­ges Mäd­chen schau­ten uns mit gro­ßen fra­gen­den Kul­ler­au­gen an. Ravi und Maya hat­ten heu­te schul­frei, waren aber auf jeden Fall im Fach Eng­lisch Mus­ter­schü­ler. Dank unse­rer klei­nen ein­hei­mi­schen Frem­den­füh­rer stan­den wir weni­ge Minu­ten spä­ter auf schnee­wei­ßem Sand. Weit und breit kein Mensch. Wäh­rend wir völ­lig fas­zi­niert die Kulis­se auf uns wir­ken lie­ßen, beob­ach­te­ten die bei­den fids­chia­ni­schen Kin­der uns, so als ob sie ver­such­ten, unse­re Gedan­ken zu lesen. Den Strand hat­ten sie jeden Tag, das Fremd­ar­ti­ge für sie waren wir. Sie erzähl­ten von ihrem Leben im Dorf hin­ter dem Hügel, wie sie jeden Tag mit ihrem Vater zum Fischen gin­gen und wie gut ihre Mut­ter die­se Fische zube­rei­ten konn­te.

„Kommt mit, wir zei­gen euch unser Dorf“, schlug Maya vor und deu­te­te mit ihrem zier­li­chen aus­ge­streck­ten Arm in eine Rich­tung par­al­lel zum Ufer. Dazu galt es gemein­sam den Fluss zu durch­que­ren, der sich mäan­der­för­mig durch den brei­ten Strand hin­durch wand, bevor er sich ins offe­ne Meer ergoss. Wie ein Nord­see­pri­el bei Ebbe, nur in schön. Riva fand eine Stel­le, wo das Was­ser nur etwas mehr als knie­hoch war. Direkt danach türm­ten sich vor uns graue, manch­mal fast schwar­ze Koral­len­fel­sen auf. Trotz der schar­fen Kan­ten husch­ten die bei­den Kin­der bar­fuß und behän­de wie Kat­zen hin­auf und blick­ten von oben auf uns her­ab. Da wir unse­re Schrit­te sehr bewusst set­zen muss­ten, erreich­ten wir erst gefühl­te Stun­den spä­ter schweiß­trie­fend den glei­chen Punkt, nur um zu sehen, wie Maya und gleich hin­ter ihr Riva über die nächs­ten Koral­len­stei­ne hüpf­ten. Mit sei­nen nas­sen Flip-Flops ver­such­te Achim dem Weg der bei­den zu fol­gen, wäh­rend die Wel­len des Mee­res mit ihren Gischt-Sprit­zern die Glit­schig­keit der kan­ti­gen Stein­bro­cken wei­ter erhöh­ten. Ellen dicht hin­ter ihm. Maxi­ma­le Kon­zen­tra­ti­on.

Dann pas­sier­te es. Ein plötz­li­ches „Ach du Schei­ße!“ ließ Achim her­um­fah­ren, gera­de noch, um zu beob­ach­ten, wie Ellen tau­melnd um ihr Gleich­ge­wicht kämpf­te und jeden Augen­blick in die Tie­fe zu stür­zen droh­te. Er streck­te ihr sei­nen Arm ent­ge­gen, aber der Abstand war zu groß. Vol­ler Panik tra­fen sich unse­re Augen. Durch einen kraft­vol­len Spreiz­schritt nach links brach­te Ellen ihren Kör­per wie­der über fes­ten Boden. Dabei rutsch­te sie aus ihrem nas­sen Flip-Flop her­aus und schab­te ihren Fuß über die rasier­mes­ser­schar­fen Kan­ten der Koral­len­ober­flä­che. Blut. Viel Blut. Schock. Über­all Blut. Fas­sungs­los schau­te Ellen nach unten. Genau­so fas­sungs­los schau­te sie Achim an, der gera­de sei­nen Arm um sie leg­te.

„Komm lass uns wei­ter­ge­hen, die Kin­der war­ten“, press­te Ellen her­aus, als woll­te sie alles nicht wahr­ha­ben, unge­sche­hen machen. Riva und Maya waren zurück­ge­kom­men und schau­ten mit weit auf­ge­ris­se­nen Augen ent­geis­tert und scho­ckiert auf Ellens blu­ten­den Fuß. Achim warf einen kur­zen Blick auf das Übel.

„Ellen, ich glau­be, ich soll­te dich zum Auto zurück­brin­gen.“ In Sekun­den­schnel­le akti­vier­te Achim wie ein Com­pu­ter-Chip sei­ne Arzt-Gedan­ken­ket­te aller Optio­nen und Kon­se­quen­zen. Güns­tigs­ter Fall: Blu­tung stil­len, Wun­de säu­bern, Ver­bän­de, zwei Wochen Ruhig­stel­lung, Abhei­lung drei bis vier Wochen. Ungüns­tigs­ter Fall: Blu­tung zu stark, Druck­ver­band, Nähen und Umste­chen des blu­ten­den Gefä­ßes in einer Kli­nik, Gefahr der Taschen­bil­dung und Wund­in­fek­ti­on, Kran­ken­haus-Auf­ent­halt mit Anti­bio­ti­ka-Gabe, even­tu­ell als Infu­si­on in die Vene, Nach­ope­ra­tio­nen. Bei Über­ste­hen aller Kom­pli­ka­tio­nen Dau­er sechs bis acht Wochen. Will­kom­men im Para­dies.

Minu­ten spä­ter OP am Strand. OP-Tisch Fah­rer- und Bei­fah­rer­sitz. Ope­ra­teur Dr. Achim. Assis­tent … nicht anwe­send. OP-Schwes­ter … gera­de nicht da. Riva und Maya, die poten­ti­el­len Kan­di­da­ten für die­se Jobs, stan­den in respekt­vol­lem Abstand und nur ihrer ange­bo­re­nen Haupt­far­be war es zuzu­schrei­ben, dass man die Lei­chen­bläs­se ihrer Gesich­ter nicht sehen konn­te. Nar­ko­se­arzt … im Urlaub. Pati­ent Ellen. Lage­rung so, dass der Unter­schen­kel aus dem Auto her­aus­rag­te und das Blut auf den Boden trop­fen konn­te.
„Es fängt jetzt an, tie­risch weh zu tun“, bemerk­te Ellen, eher sach­lich als kla­gend.
„Der Schock lässt nach, dann kommt der Schmerz. Aber ich kann dir etwas anbie­ten.“ Für den bevor­ste­hen­den Ein­griff hat­te Achim ein Hand­tuch zusam­men­ge­rollt. „Es wird nicht lan­ge dau­ern, aber beiß da ein­fach mal drauf. Ich muss die Haut­fet­zen an dei­ner Soh­le abtra­gen, damit sich kei­ne Taschen bil­den, in denen sich Bak­te­ri­en ver­meh­ren und Ent­zün­dun­gen aus­lö­sen.“ Ellen ver­folg­te mit weit auf­ge­ris­se­nen Augen, wie Achim den Ein­griff vor­be­rei­te­te. Aus den weit offe­nen Ruck­sä­cken auf den Rück­sit­zen hat­te er das gesam­te OP-Besteck zusam­men­ge­sucht – Nagel­sche­re, Pin­zet­te, sau­be­re Ein­mal­ta­schen­tü­cher, Omas Schwe­den­bit­ter, da es die Flüs­sig­keit mit der aktu­ell höchs­ten Alko­hol­kon­zen­tra­ti­on in greif­ba­rer Nähe war. Er reich­te Ellen zwei Schmerz­ta­blet­ten und – in Erman­ge­lung von Whis­ky – eine Was­ser­fla­sche. Danach beug­te er sich vor, strei­chel­te ihre Wan­ge und küss­te sie. Tief blick­te ihm Ellen in die Augen „Dan­ke für alles!“. „Ich wer­de alles dafür tun, dass du das in zehn Minu­ten immer noch sagst“, scherz­te Achim etwas ver­krampft.

Wie India­ner den Skalp abtren­nen, so hat­te die Koral­len­kan­te ver­gleich­bar einer Klin­ge die Haut des gesam­ten Vor­fu­ßes abge­ho­ben. Nach­dem alle Ein­ris­se und Fet­zen besei­tigt waren, spül­te Achim die Wun­de mit dem berühm­ten Fiji-Was­ser sau­ber. Wäh­rend man die Fla­schen hier in Super­märk­ten sehr bil­lig erwer­ben konn­te, gehör­ten sie nach dem Export zu den erle­sens­ten Wäs­ser­chen welt­weit. Viel­leicht ent­fal­te­te sich die gesund­heits­för­dern­de Wir­kung, die ihm nach­ge­sagt wird, nicht nur durch Trin­ken, son­dern auch durch äußer­li­che Anwen­dung. Anti­bio­ti­ka-Sal­ben-Ver­band. OP been­det, Pati­ent Ellen den Umstän­den ent­spre­chend wohl­auf.

Auf der Wei­ter­fahrt lös­te sich lang­sam unse­re geis­ti­ge Schock­star­re und wir rea­li­sier­ten die Trag­wei­te die­ses Ereig­nis­ses. Die nächs­ten zwei Wochen war defi­ni­tiv nur Fuß hoch­le­gen ange­sagt, kei­ne Akti­vi­tä­ten, alle Pro­gramm­ent­wür­fe waren reif für den Papier­korb. Anfäng­lich domi­nier­te noch Ver­är­ge­rung, Ent­täu­schung und bei Ellen das übli­che ‚War­um muss­te mir das pas­sie­ren?‘ und ‚Hät­te ich doch…‘ bis hin zu ‚Wie konn­te ich so blöd sein?‘. Doch schon nach 10 Kilo­me­tern waren die­se Gedan­ken einer auf­rich­ti­gen fids­chia­ni­schen Schick­sals­er­ge­ben­heit gewi­chen.

„Naja, ich glau­be, es gibt schlim­me­re Orte, an denen man die Füße hoch­le­gen muss.“ Ellen war schon wie­der in der Lage etwas zu lächeln und das Leben von der posi­ti­ven Sei­te zu sehen. Kein Wun­der. Zum Mit­tag­essen saßen wir im Gar­ten eines Restau­rants, des­sen stroh­ge­deck­te Haupt­hüt­te uns von der Stra­ße aus auf­ge­fal­len war. Sich im Wind wie­gen­de Pal­men spen­de­ten uns Schat­ten, direkt vor uns lagen der perl­mut­far­be­ne Strand und das tief­blaue Meer, das gera­de von Ebbe zu Flut wech­sel­te. Im Was­ser stan­den ein paar Fids­chia­ner, die nur mit klei­nen Net­zen Fische fin­gen. Lei­se ertön­ten im Hin­ter­grund Reg­gae-Rhyth­men. Ellens ver­bun­de­ner Fuß lag auf dem Holz­tisch vor ihr. Achim hat­te zum Ape­ri­tif zwei alko­hol­freie Piña Cola­das orga­ni­siert. Die­ser Moment war geeig­net, um auf Fidschi anzu­kom­men, es auf­zu­sau­gen und die See­le bau­meln zu las­sen. Und das so kurz nach unse­rer Hor­ror­ge­schich­te. Unglaub­lich, aber irgend­et­was an die­ser Umge­bung mach­te es mög­lich. Ganz dicht stell­te Achim sei­nen Holz­ses­sel neben Ellen. Wir hiel­ten unse­re Hän­de. Blick­ten aufs Meer. Und waren … glück­lich.

„Stell dir vor, es wäre jetzt sechs Uhr mor­gens und wir stän­den bei Käl­te und Dun­kel­heit im Bad mit Aus­sicht auf einen mega­stres­si­gen und anstren­gen­den Tag.“ Wir konn­ten im Nach­hin­ein nicht mehr rekon­stru­ie­ren, wer von uns bei­den die­sen Satz gesagt hat­te, aber allein die­ses Bild mach­te uns unse­res Pri­vi­le­ges bewusst, hier gemein­sam zu sit­zen, Zeit mit­ein­an­der zu haben und über die­se frei ver­fü­gen zu kön­nen. Das war etwas, das wir in unse­rem neu­en Leben dau­er­haft haben woll­ten. Was für ein Vor­ge­schmack.

„Fusch – krk – fusch – krk – fusch – krk.“ Vor uns hat­te ein etwa sie­ben­jäh­ri­ger Jun­ge begon­nen, aus dicken Bam­bus­stä­ben Klein­holz zu machen. Gra­zil gebaut, bar­fuß, Ber­mu­da Shorts, rotes T‑Shirt. Die hell­brau­ne Haut und die von Son­ne und Salz­was­ser hell­blon­den lan­gen Locken lie­ßen dar­auf schlie­ßen, dass er eine Mischung ver­schie­de­ner Abstam­mun­gen war. Was unse­ren Herz­schlag etwas erhöh­te, war das Werk­zeug, mit dem er han­tier­te. Die Mache­te in sei­ner Hand war fast grö­ßer als er selbst. Nur weni­ge Zen­ti­me­ter ent­fernt von sei­ner klei­nen Hand und den dün­nen Bei­nen schlug er eins ums ande­re Mal die schar­fe Schnei­de ins Bam­bus­holz.

Bereits seit eini­gen Minu­ten hat­te sich eine jun­ge Fids­chia­ne­rin in den Holz­ses­sel direkt neben uns gesetzt und blick­te gemein­sam mit uns aufs Meer hin­aus. Die längs­te Zeit wort­los.

„Was ist denn mit dem Fuß pas­siert?“ begann Manoa völ­lig unver­mit­telt. Nach­dem sie die Geschich­te gehört hat­te, plau­der­te sie unbe­darft drauf los. „Vor weni­gen Tagen ist ein berühm­ter neu­see­län­di­scher Schau­spie­ler nach Auck­land geflo­gen wor­den. Ihm war bei Film­auf­nah­men das Glei­che pas­siert. Er wäre fast gestor­ben. Man sagt, er hat­te eine Blut­ver­gif­tung.“ Ellen schau­te Achim an.

„Kannst du mir noch eine Piña Cola­da mit Alko­hol holen?“ Wie­der schau­ten wir aufs Meer hin­aus. Alle vier. Unbe­merkt hat­te sich näm­lich auch der Hund des Hau­ses zwi­schen uns gelegt. Unser Ver­trau­en in das Kön­nen des blon­den Jun­gen vor uns war merk­lich ange­stie­gen. Wie bei einer Maschi­ne saß jeder ein­zel­ne Schlag mil­li­me­ter­ge­nau in der Ker­be des vor­he­ri­gen. „Fusch – krk – fusch – krk – fusch – krk.“ Wann hat­te er wohl mit dem Üben ange­fan­gen? Mit drei?

„Das ist mein Bru­der.“ erklär­te Manoa nach eini­gen Minu­ten des Schwei­gens. „Ich habe noch drei wei­te­re, wir woh­nen alle hier in der Hüt­te, mei­nem Vater gehört das Restau­rant. Eine Freun­din von mei­nem Bru­der wohnt auch noch hier.“ In sehr ruhi­ger und manch­mal auch von län­ge­ren Rede­pau­sen unter­bro­che­ner Wei­se erzähl­te sie uns, wie zufrie­den sie mit ihrem Leben sei und noch nie in ihrem Leben woan­ders war. Und das auch gar nicht wol­le. Zur Schu­le sei sie im Nach­bar­ort gegan­gen. Abends blie­be sie am liebs­ten zu Hau­se. Manch­mal besuch­ten sie Freun­de. Ihr Eng­lisch war exzel­lent, ihre Ant­wor­ten gewählt und manch­mal auch mit ver­steck­tem Humor gar­niert. Rund­her­um eine intel­li­gen­te Frau von 19 Jah­ren, in der Poten­ti­al steck­te, aus der man doch „mehr“ machen könn­te. Aha, die deut­sche Den­ke war zurück.

„Es gibt hier zwei Uni­ver­si­tä­ten auf der Insel, eine in Suva und eine in Nadi. Aber ich will nicht stu­die­ren.“ Wir dach­ten dar­über nach. Wie­der ent­stan­den Rede­pau­sen, die wir erstaun­li­cher­wei­se zum ers­ten Mal als nicht pein­lich, son­dern natür­lich emp­fan­den. Wir schau­ten ja alle aufs Meer hin­aus. Und auf die bei­den Jungs. Der drei­jäh­ri­ge Bru­der wat­schel­te gera­de mit einem kind­lich unsi­che­ren Gang und einem gro­ßen dolch­ar­ti­gen Mes­ser in der lin­ken Hand daher und woll­te es nun sei­nem grö­ße­ren Bru­der gleich tun. Bei jeder Aus­hol­be­we­gung droh­te er umzu­fal­len.

„Stu­die­ren? War­um soll­te ich. Mir geht es doch hier sehr gut“, nahm sie den Faden wie­der auf. Es man­gel­te uns nicht an Vor­schlä­gen und so leg­ten wir los.
„Einen tol­len Uni-Abschluss machen, einen guten Job bekom­men?“
„Und dann?“ Manoa war noch wenig beein­druckt.
„Viel Geld ver­die­nen in einer gro­ßen Fir­ma, viel­leicht in einer gro­ßen Stadt, even­tu­ell sogar in Aus­tra­li­en oder Neu­see­land.“
„Und dann?“
„Naja, eben Kar­rie­re machen, erfolg­reich sein, noch mehr Geld ver­die­nen.“
„Und dann?“
„Dei­ne Fami­lie unter­stüt­zen, eine eige­ne grün­den und ein eige­nes Haus bau­en.“
„Und dann?“ Die­ses Mal mach­te Manoa nur eine kur­ze Pau­se. „Völ­lig fer­tig zu mei­nem Vater zurück­kom­men, um mich im Restau­rant auf Fidschi wie­der zu erho­len? So wie die vie­len Aus­wan­de­rer hier auf der Insel?“ Sie lächel­te. „Da blei­be ich doch gleich hier und erspa­re mir alles dazwi­schen.“ Cha­peau. Ein­deu­ti­ger Punkt­sieg. Wir schau­ten wie­der – ja rich­tig – schwei­gend aufs Meer hin­aus.

Unter dem Stroh­dach der Ter­ras­se links neben uns war es laut gewor­den. Fast fünf Meter rag­te sie Rich­tung Strand hin­aus und war auf eini­gen Stel­zen nach unten hin abge­si­chert. Eine indi­sche Groß­fa­mi­lie saß um die ein­zi­ge lan­ge Tafel. Laut­star­ke Wort­wech­sel. Aber selbst die­se schaff­ten es allen­falls kurz­zei­tig, unse­ren Blick vom Meer abzu­len­ken.
„Gibt es auf Fidschi echt Pro­ble­me mit den Indern, Manoa?“ Wir hat­ten von poli­ti­schen Unru­hen und Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen den Volks­grup­pen gehört.

„Ich kom­me gut mit ihnen aus. Als die Eng­län­der damals nach Fidschi kamen, brauch­ten sie Ange­stell­te, Die­ner und Hilfs­kräf­te, aber wir Fids­chia­ner waren viel zu faul dafür. Da haben sie sich eben die Inder geholt.“ Sie sag­te das alles mit einem fast schon stolz lächeln­den Gesichts­aus­druck. „Der Fids­chia­ner war schon immer ziem­lich faul und zufrie­den mit dem, was er hat. Vie­le von uns arbei­ten heu­te im Tou­ris­mus. Aber den meis­ten genügt es immer noch, wenn sie Fische fan­gen oder in den Wald gehen, um Früch­te zu sam­meln. Dann haben wir doch alles, was wir zum Leben brau­chen.“

Aus­zug aus dem Buch „Kei­ne Angst vorm Flie­gen – Der Roman“.

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  1. Avatar von Liver Located

    Das ist ein ziem­lich guter Arti­kel. Dan­ke.

  2. Avatar von Andreas Moser

    Ach, die gute alte »Anek­do­te zur Sen­kung der Arbeits­mo­ral« von Hein­rich Böll. 😉

    Viel­leicht soll­te man ein Stu­di­um halt doch mit Erkennt­nis­ge­winn, Hori­zont­er­wei­te­rung oder ein­fach nur Spaß bewer­ben, als mit »tol­lem Abschluss« und »gutem Job«.

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