Ich war gerä­dert und genervt, nun kam ein Schuß Ver­rückt­heit dazu. Auch weil mich irgend­wie der Mut ver­ließ. Es war weit nach Mit­ter­nacht und wir fuh­ren zu dritt im Wagen. Seit gerau­mer Zeit hieß es, weit sei es nicht mehr, bis wir the flats erreich­ten, ganz auf der ande­ren Seite der Stadt. So ziem­lich jeder mit dem ich sprach, sagte: Fahr dort nicht hin. Schau­der­haft musste der Ort sein.

Doch irgend­ei­ner erzählt einem immer, dass man nur hier das rohe, das reine, das wahre Leben brü­ten sehen kann; wie es mit lei­den­schaft­li­chem Feuer lust­voll ins weite Uni­ver­sum gesprüht wird, wo es nur so brummt vor Ver­schwen­dung, wie ent­flammte, schwin­gende Lam­pi­ons im Wind. Dann ist der Samen ver­gra­ben. Also stie­gen wir ein und jag­ten los nach Khaye­lit­sha.

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Im Gegen­licht unse­res Wagens pas­sierte eine blen­dend Schöne die Straße, ganz in Weiß geklei­det. Sie trug ein Kind auf dem Arm. Das war meine erste Begeg­nung mit dem Town­ship am Kap: Eine junge schwarze Frau, die durch die dunkle Nacht hin­durch ein Kind wog. Es war, als würde jemand mit dem Weich­zeich­ner über das fah­ren, was ich zu erwar­ten glaubte. Es hatte etwas Zärt­li­ches, das beruhigt.

Was ich auf den ers­ten Blick noch erkannte, waren die bun­ten Häus­chen mit ihren roten Gie­bel­dä­chern, dar­über schwere Strom­ka­bel, die durch­hän­gen, die Blu­men in den Vor­gär­ten, die Gar­di­nen hin­ter und die Git­ter­stäbe vor den Fens­ter­schei­ben; Lau­ben, die auch den Anfor­de­run­gen des Bun­de­klein­gar­ten­ge­set­zes genü­gen würden.

Im Radio spielte afri­ka­ni­sche House-Musik. Izilo, wilde Tiere, rit­ten durch den Wagen. Das Fens­ter war einen Spalt geöff­net. Ich hob die Fla­sche an und nahm einen Schluck. Tebogo hatte sie nach hin­ten gereicht. Es war so fins­ter wie eine Nacht sein kann. Die Nacht glühte schwarz.

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Khaye­lit­sha ist Zulu und meint: Neue Hei­mat. Es war ein selt­sa­mer Augen­blick. Denn ich fühlte mich wie betäubt, doch war ich so wach wie noch nie. Ich fühlte mich fern und fremd. Ich fand es schön hier. Ich blickte in tobende Frau­en­au­gen. Glatte brau­nen Beine bau­mel­ten von mei­nem, von unse­rem Schoß. Wir waren längst in Bli­cke und den Gerü­chen Afri­kas ver­sun­ken. Tebogo nahm den Fuß von der Bremse und wir schlit­ter­ten wei­ter durch die Township-Straßen.

Wir steu­er­ten auf eine she­been zu, eine Town­ship-Bar. Wenn Tebogo mich ansah, schien es immer, als würde er mir in einer Tour zuzwin­kern. Dann lachte etwas Irres aus dem Kra­gen sei­nes gestärk­ten Hemds her­aus. Es hieß, man müsse in die she­be­ens. Und in die­ser würde getanzt, wie in sonst kei­ner, als wäre der Mor­gen abge­schafft. Kann ein Gedanke ver­füh­re­ri­scher sein? Eine end­lose Nacht, Rausch, Hun­ger. Die bes­ten Kwaito-Tän­zer im Town­ship seien zu sehen. Das sagte einem jeder.

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Als die Apart­heid wütet, da ver­bie­ten sie Afri­ka­nern auch den Alko­hol. Der aber ist bei vie­len Ritua­len und Zere­mo­nien afri­ka­ni­scher Stämme schon immer im Spiel. Manch­mal hilft er – gemein­sam mit dem Ver­spei­sen eines Erd­klum­pen – den Beschnei­dungs­schmerz zu betäu­ben; manch­mal besie­gelt er – zusam­men mit Tabak und einem Rind – die Ehe mit einer unom­ku­bul­wana, einer Him­mels­prin­zes­sin; andere Male berauscht er als Palm­wein beim Tan­zen, bis die Heil­ze­re­mo­nie zur Tran­ce­er­fah­rung wird. Oft, sehr oft, killt er – für eine Weile – die dumpf tönende afri­ka­ni­sche Ausweglosigkeit.

Jedes Ritual nährt die gemein­same Iden­ti­tät und Geschichte des Stam­mes. Die enorme Viel­falt die­ser Riten, ihr Über­le­ben, ihre Über­bleib­sel, ihr Fort­be­stand wird von der mecha­ni­schen, moder­nen Welt, ihrer glo­ba­len Mono­kul­tur, tor­pe­diert. Von der ruhe­lo­sen Natur des Kapi­ta­lis­mus, wie Marx es nannte, der jede Tra­di­tion aus­löscht; dem Heils­ver­spre­chen des Net­zes, Indi­vi­dua­li­tät zu besche­ren, allein weil man auf dem Mac surft, wie Jona­than Fran­zen fest­stellte; von unse­rer moder­nen Wehr­lo­sig­keit gegen Inhalt, Form und flie­ßen­der Flüchtigkeit.

Ein Ritual wird wie­der­holt auf­ge­führt, viel­leicht jahr­hun­der­te­lang, und doch gibt es keine Ewig­keit, nur indi­vi­du­elle Momente, in denen alles ver­schmilzt. Rituale, die das Land ehren, weil es den Stamm ernährt oder die Geis­ter, weil sie wachen. Rituale, die Erde oder Seele rei­ni­gen. Rituale die Jah­res­zei­ten mar­kie­ren oder den Über­gang mensch­li­cher Lebens­ab­schnitte. Nicht immer gibt es einen Zweck. Oft treibt Ehr­furcht an, es so zu tun, wie Ahnen es über­lie­fer­ten. Mora­li­sche Befriedigung.

Die Zulu in Süd­afrika geben dem Tod einen Sinn. Sie glau­ben an die Weis­heit der Ahnen und die Macht der Natur. In Afrika besteht die Welt immer aus drei Wel­ten: der rea­len Welt – alles was sicht­bar ist und uns umgibt; die Welt der Ahnen und die Geis­ter­welt. Der Geist eines Toten, so glau­ben die Zulus, kehrt als Schlange in das Dorf zurück.

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Schwarze Frauen sind es, die begin­nen she­be­ens zu betrei­ben, ille­gale Knei­pen, die Selbst­ge­brau­tes unter die durs­tige Nach­bar­schaft brin­gen. Damit mehr Män­ner kom­men, tan­zen Frauen. Irgend­wann steigt die Regie­rung in das Geschäft ein und ver­kauft soge­nann­tes Bantu-Bier an die Schwar­zen, die es auch auf der Straße trin­ken dür­fen. Die Schwar­zen trin­ken – nun legal -, die Wei­ßen ste­cken das Geld ein.

Die Grau­sam­keit der Apart­heid liegt darin, dass sie nicht nur den Wil­len der Wei­ßen nach Tren­nung befeu­ert, son­dern gleich­zei­tig den Glau­ben der Afri­ka­ner nährt, sie hät­ten einen iden­ti­schen Wunsch danach. Apart­heid rupft alle Blü­ten von Viel­falt gna­den­los aus­ein­an­der, wie die Blät­ter einer schwarz-wei­ßen Rose.

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Tebogo machte Halt. Diese Ecke war fins­te­rer als die ande­ren, wenn das mög­lich war. Wir roll­ten an den Rand und kamen vor einer lau­ten und lachen­den Afri­ka­ne­rin zum Ste­hen, die hin­ter einem arm­se­li­gen Grill stand. Auf dem Rost dampf­ten drei Hühn­chen. Wir nah­men jeder eines und aßen gierig.

Der Wind pfiff kräf­tig. Durch den Dampf hin­durch, der vom Grill auf­stieg, par­kende Autos, die immer wie­der Schein­wer­fer­licht streifte. BMWs mit geöff­ne­ten Kof­fer­raum­hau­ben, Coo­ler-Boxen mit Eis, Dosen­bier. Die Straße bebte unter der Kwaito-Musik. Als Man­dela 1994 Prä­si­dent wird, beginnt Kwaito popu­lär zu wer­den. Es ist der afri­ka­ni­sche Sound der Post-Apartheid.

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Mit dem Mut ist es wie mit der Freude: Beide trei­ben sich nicht auf dem Sofa herum, las­sen sich nicht stun­den­lang das Fell krau­len. Sie sind Vaga­bun­den. Als wir auf den Park­platz der she­eben fuh­ren, drückte sich meine Freude in jeder Ecke rum. Mein Mut war es, der vagabundierte.

Gegen­über sah ich wie eine Welle Men­schen die Bar flu­tete. Wer in Khaye­lit­sha einen Rand übrig hat, gibt ihn hier aus. Mais­bier ist ein nahr­haf­ter Ersatz für eine Mahl­zeit. Staub stob auf. Wir stie­gen aus dem Wagen und ich folgte Tebogo zur Bar. Ein Mann lehnte an der Wand. Eine lange Narbe hielt seine glatte Kopf­haut zusam­men. Erst als Schein­wer­fer­licht die ande­ren Män­ner streifte, erkannte ich, dass sie mich anblick­ten, hin­ter meine Augen starr­ten. Ich dachte daran, wie diese Bli­cke zu deu­ten waren. Dro­hend? Wütend? Ver­letzt? Etwa freundlich?

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Wir tra­ten in den Bar­raum. Ein weiß­ge­ka­chel­ter Raum, halb im Dun­kel. An den Wän­den Ven­ti­la­to­ren und Spie­gel, die alles zurück­war­fen. In der Ecke eine Theke. Es gab weder Tische noch Stühle. Auf dem Boden geöff­nete Dosen und halb­leere Fla­schen. Der kleine Raum war voll­ge­stopft. Män­ner und Frauen for­mier­ten sich in meh­re­ren Krei­sen. Kwaito-Musik kam aus den Boxen. Jeder tanzte. Die Bewe­gun­gen. Durch­drin­gende Rhyth­men durch­tränk­ten den Raum mit Span­nung. Die Gesich­ter reflek­tier­ten die Schön­heit hem­mungs­lo­ser Freude. Ich ent­spannte mich. Ihr Rhyth­mus formte mei­nen Geist und mein Gefühl, ein Verlangen.

Es muss Tebogo gewe­sen sein, der mich vor­wärts schob. Plötz­lich war ich natür­li­ches, klei­nes Teil­chen eines tan­zen­den Krei­ses. Dies­mal schwang sich eine Frau mit Son­nen­brille in unsere Mitte. Es schien, dort ange­kom­men, brauchte sie die Umher­ste­hen­den nicht mehr, war sie mit sich allein. Sie begann mit dem Bauch zu krei­sen. Ein Schritt vor, dann ein zwei­ter. Dann stieß sie mit jeder wei­te­ren Bewe­gung uh- und ah-Laute aus, die wie Pfeile irgendwo aus ihrem Hals her­aus schos­sen. Hände klatsch­ten. Das üppige Becken stieß, roh, grob, ani­ma­lisch. Der Hin­tern bebend, schüt­telnd, dann sanft schwin­gend. Poba­cken rag­ten in die Luft wie Cristo Reden­tor auf dem Gip­fel des Cor­co­vado. Bewe­gun­gen wie Kunst­werke. Nie zuvor sah ich so voll­kom­mene Bewe­gun­gen. Dann ein gedehn­ter, heu­len­der Schrei.

Wer zusah, erkannte die Auf­füh­rung rei­ner Lust, die Lust an der eige­nen Erfin­dung. Die Tän­zer erfan­den sich als neue Wesen, waren, wer sie sein woll­ten. Keine schöne neue Pho­to­shop-Schön­heit. Los­ge­löst von sozia­len Impe­ra­ti­ven. Sie waren ängst­lich, lit­ten Schmerz, waren Stolz und ver­spür­ten rau­schende Lust. Die­ses Schüt­teln, das durch den gan­zen Kör­per geht. Ein letz­tes kon­vul­si­ves Zucken. Am Ende blickte ich wie­der in diese Augen. So ver­ging die Nacht, die uns an die Erkennt­nis der Ver­gäng­lich­keit erinnerte.

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Und so ver­lor Tän­zer um Tän­zer in die­ser Nacht etwas Intimes.

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Doch eines blieb, etwas, das wir – wie­der und wie­der und wie­der – acht­los, blind, ja, über­has­tet ver­ra­ten, obwohl wir wis­sen, die Welt besitzt nichts, was sie zum Tausch anbie­ten könnte: Würde – ohne jede Ernied­ri­gung Mensch zu sein.

Cate­go­riesSüd­afrika
Markus Steiner

Es war 2011, als Markus das letzte Mal das dumpfe Klacken der Bürotür hinter sich hörte. Und beschloss Neues zu entdecken. Seitdem ist er in der Welt zu Hause. Markus schrieb 393 Reisetage auf, was er erinnerte und wie, um vom Leben zu erzählen. In seinem Blog vereint er seitdem seine Leidenschaften: Reisen und Schreiben. Markus erzählt Geschichten von unterwegs. Von den Menschen, der Schönheit der Welt und wie es sich anfühlt, in ihr zu reisen und mit ihr zu leben. Schöne Welt.

  1. Susie says:

    oh ich bin schon wie­der ganz weit weg :) ich liebe kap­stadt und das drum­rum und hörte ähn­li­ches wie du, vor mei­ner reise. musste ich letz­tens auch drin­gend kurz in einem blog erwäh­nen. viele wis­sen ja gar nicht, was sie ver­pas­sen :D

    schö­ner bericht – dan­ke­schön fürs träumen

    lg susie

  2. Hallo Mar­kus
    Und wie­der eine wun­der­volle Geschichte von Dir! Vie­len Dank! Bin begeis­tert ange­tan und habe grosse Lust dies zu tei­len. Darf ich? Auf mei­nem Blog. Wäre toll!
    Dir wei­ter­hin gute Gelin­gen und ich freue mich schon auf die nächste Geschichte! :-)
    Liebe Grüsse aus Dakar
    Ruth Isenschmid

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