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Ist es woanders wirklich schöner – oder: Warum reisen Menschen? 

Die Sehn­sucht zu rei­sen ist so alt wie die Mensch­heit selbst, die Geschich­te geprägt von Migra­ti­on, Noma­den­tun, der Ent­de­ckung neu­er Land- und See­we­ge. Doch was reizt uns seit jeher so dar­an, in Bewe­gung zu sein? Was macht die Fas­zi­na­ti­on von Rei­sen, von neu­en Wel­ten aus? Und: Sind wir woan­ders wirk­lich glück­li­cher – ist es woan­ders wirk­lich schö­ner?

Die Magie des Reisens – eine Anekdote

Sei­ne Pro­ble­me nimmt man auch ans Ende der Welt mit, so sagt man – well, I pro­ved them wrong. 

Vor ein paar Jah­ren war mein Kopf so voll, dass ich dach­te, er platzt jede Sekun­de. Nichts hat mehr funk­tio­niert, und ich habe nur noch (teil­wei­se) funk­tio­niert. Ich war in einem Zustand, in dem ein Urlaub gefühlt gar nichts hilft. Den­noch sprach ich mit mei­nem dama­li­gen Chef und bat ihn um eine Aus­zeit – fünf Wochen Work­a­ti­on in Mexi­ko. Er war ein tol­ler Chef, er sag­te sofort ja. 

So sehr ich es lie­be, allein unter­wegs zu sein, so sehr hat­te ich ihn die­sem Zustand Angst davor. Ich war eini­ge Zeit nicht mehr ohne Beglei­tung gereist, und in dem Zustand, in dem mir eher nach Ver­krie­chen war, schien es unvor­stell­bar. Trotz­dem war es alter­na­tiv­los, also pack­te ich mei­nen Ruck­sack und los ging es, an die mexi­ka­ni­sche Pazi­fik­küs­te nach Puer­to Escon­di­do.

Die Ver­än­de­rung kam schnell und doch schlei­chend. Ein biss­chen Small­talk mit einem neu­gie­ri­gen Taxi­fah­rer, hopp­la, das funk­tio­niert ja noch ganz gut mit dem Spa­nisch. Ein biss­chen mehr Talk mit einem Kell­ner in einem Restau­rant, das mir zwar eine Lebens­mit­tel­ver­gif­tung ein­brach­te, aber einen neu­en guten Freund, der mir die fol­gen­den Tage zwi­schen Bett und Bad mit einem ver­gnüg­ten Chat-Dia­log die Lau­ne hob.

Als ich los­ge­flo­gen war, schrie alles in mir nach erst­mal nur rum­lie­gen und mir die Decke über den Kopf zie­hen. Doch nach­dem mein Magen sich beru­higt hat­te, woll­te ich nur eins – rein ins bun­te, vibrie­ren­de Leben Mexi­kos. 

Und kaum hat­te ich mein Bett­chen ver­las­sen, nahm die Magie des Rei­sens vol­le Fahrt auf. Ich erkann­te mich selbst kaum wie­der – von Schüch­tern­heit kei­ne Spur, dafür inner­halb von Stun­den eine neue tem­po­rä­re Fami­lie, Men­schen aus aller Welt, Locals, alt und jung, Men­schen, die ich sonst nie getrof­fen hät­te und von denen ich gar nicht wuss­te, wie sehr ich sie ken­nen­ler­nen woll­te. Der wun­der­ba­re Beginn einer Zeit, die bei mir ganz viel Umbruch gebracht hat, ganz vie­le Per­spek­ti­ven geöff­net hat, die in mei­nem All­tags­trott ein fet­tes Vor­hän­ge­schloss hat­ten.

Denn das ist es, was das Reisen macht:

Reisen öffnet unsere Herzen

Auf Rei­sen sind wir offe­ner, tole­ran­ter, neu­gie­ri­ger, kom­mu­ni­ka­ti­ver – beim allein Rei­sen geht es auch gar nicht anders, wenn man nicht ein­sam wer­den will. Begeg­nun­gen auf Rei­sen sind anders wert­voll, und kom­men wir mit vol­lem Her­zen wie­der zu Hau­se an, bleibt viel von der Offen­heit bestehen. Zum Bei­spiel, ein­fach mal einen Small­talk an der Kas­se anzu­fan­gen oder in der Bahn nicht nur aufs Han­dy zu star­ren, son­dern mit der Omi auf dem Platz neben­an zu plau­schen.  

Reisen lässt uns raus aus dem Alltag

Im All­tag sehen wir vor lau­ter Bäu­men den Wald nicht mehr. Im Urlaub ste­hen wir dann vor einer Pal­me und kön­nen plötz­lich ganz tief und frei atmen und füh­len. Gedan­ken­schlei­fen lösen sich auf, sei es unterm Ster­nen­him­mel in der Wüs­te, beglei­tet vom Mee­res­rau­schen am ein­sa­men Strand oder im bun­ten Gewu­sel eines Mark­tes, umge­ben von einer ande­ren Spra­che. 

Reisen lässt uns über uns hinauswachsen

Von einer Klip­pe oder aus einem Flug­zeug sprin­gen, auf einer Spra­che spre­chen, die man eigent­lich gar nicht kennt, Essen pro­bie­ren, von dem man gar nicht weiß, was es ist – all das pas­siert zu Hau­se eher sel­ten. Auf Rei­sen trau­en wir uns plötz­lich Din­ge zu, die wir für unmög­lich hiel­ten, und sehen: Es funk­tio­niert. Und tut gar nicht weh. 

Reisen lässt uns staunen

Auch zu Hau­se kann man vie­le Momen­te des Stau­nens haben – der Son­nen­un­ter­gang am See, der Wasch­bär, der plötz­lich auf der Ter­ras­se steht, das Neu­ge­bo­re­ne der bes­ten Freun­din. Doch woan­ders etwas Neu­es zum 1. Mal ent­de­cken, das so anders, so schön ist, lässt uns mit offe­nem Mund daste­hen und auf eine ande­re Art stau­nen. So, dass es die See­le berührt.

Reisen lehrt uns

Nicht nur über uns selbst ler­nen wir viel auf Rei­sen, son­dern auch über die Welt. Ande­re Kul­tu­ren, Lebens­wei­sen, Ansich­ten – nichts lässt uns so schnell über den Tel­ler­rand hin­aus­bli­cken wie weit weg von zu Hau­se zu sein. Und vor allem mit den Men­schen dort zu spre­chen. Natür­lich kann man nicht die kom­ple­xen Pro­ble­me die­ser Welt durch ein biss­chen Urlaubs-Fee­ling lösen. Und doch bin ich davon über­zeugt, dass Erleb­nis­se und Begeg­nun­gen unter­wegs einem viel Kraft und Inspi­ra­ti­on geben kön­nen, um Ber­ge zu ver­set­zen.

Reisen macht demütig

Mit dem Ler­nen kommt oft auch das Bewusst­sein, wie viel wir dazu nei­gen, zu meckern und über Pro­ble­me zu reden, statt uns in Dank­bar­keit zu üben, Din­ge anzu­neh­men und nach prak­ti­schen Lösun­gen zu suchen. Schon das Pri­vi­leg, das ich habe, ist rie­sen­groß: Mich ein­fach in ein Flug­zeug zu set­zen und am ande­ren Ende der Welt wie­der auf­zu­wa­chen. Die­se Aus­gangs­si­tua­ti­on und die Gesprä­che vor Ort regen zu sehr vie­len Gedan­ken über die Ver­tei­lung und auch unse­re Rol­le in der Welt an. 

Fazit

Rei­sen beginnt schon vor der Rei­se, und Rei­sen endet erst weit nach der geplan­ten Rück­kehr. Mei­ne per­sön­li­che Rei­se hat genau bei die­sem Mexi­ko-Trip erst rich­tig ange­fan­gen – nach mei­ner Rück­kehr habe ich mich von vie­len Din­gen befreit, die mich unglück­lich gemacht hat­ten und von denen ich es vor­her nicht so rich­tig rea­li­sie­ren konn­te und woll­te. Denn die Pro­ble­me kom­men natür­lich mit, aber man kann ganz anders drauf­schau­en, wenn man aus sei­nem Hams­ter­rad drau­ßen ist. Mit neu­em Selbst­be­wusst­sein, neu­em Elan, neu­en Ideen. 

Und so dach­te ich mir, wenn Tabu­la Rasa, dann rich­tig – ich habe mei­nen Job gekün­digt (trotz tol­lem Chef) und bin zurück an mei­nen Her­zens­ort gereist, der mir so viel gezeigt hat. Und was soll ich sagen: Gera­de, drei Jah­re spä­ter, bin ich dabei, dort­hin aus­zu­wan­dern. Weil es für mich gera­de woan­ders wirk­lich schö­ner ist. 


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