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Glasklares Wasser, strahlend blauer Himmel, weiße Sandstrände – man könnte glauben, wir sind in karibischen Gefilden gelandet. Doch ein zaghafter Versuch, den nackten Fuß ins Wasser zu halten, macht schnell klar: Baden ist hier nur etwas für Hartgesottene. Das ist aber auch schon der einzige Wehrmutstropfen hier oben im Norden Norwegens, nur wenige Kilometer nördlich des Polarkreises.
„Nach Helgoland? Zum Paddeln?“ fragt mich meine Freundin, als ich ihr von meinen Plänen erzähle.
Doch nicht Helgoland, sondern ganz ähnlich, nämlich Helgeland heißt die Küstenregion im Bezirk Nordland. Seit ich im norwegischen Staatsfernsehen eine Reportage über diese im Ausland eher wenig bekannte Region Nordnorwegens gesehen habe, spukt Helgeland mir immer wieder als Wunschziel für einen Paddelurlaub im Hinterkopf herum. Mit mehr als 40 000 Inseln, Schären und kleinsten Felsen bildet Helgeland ein einzigartiges Naturareal und perfektes Paddelparadies. Abgesehen von der Wassertemperatur. Bei auch im Hochsommer in der Regel nicht mehr als acht Grad ist ein Trockenanzug obligatorisch, denn wer kentert, dem bleibt hier auch bei strahlendem Sonnenschein nicht viel Zeit, wieder ins Boot zu kommen.
Denn mit jeder Minute, die der menschliche Körper im eisigen Wasser liegt, verlangsamt sich der Kreislauf. Alles Blut im Körper konzentriert sich auf die wichtigsten Organe Hirn und Herz, so dass die Reaktionen und die Bewegungsfähigkeit der Arme und Beine sich allmählich verlangsamen. Eine Faustregel beim Paddeln, die mir immer noch reichlich Respekt einflößt, besagt, dass die Wassertemperatur ungefähr der Aktionszeit in Minuten entspricht. Hat das Wasser acht Grad, wird mein Körper also ca. acht Minuten lang in der Lage sein, sinnvoll und mit ausreichend Kraft zu agieren. Mit einem Trockenanzug kann man diese Zeit erheblich verlängern.
Will man in Helgeland ohne Guide im offenen Meer paddeln, sind solide Seekajak Grundkenntnisse absolut notwendig. Man sollte zumindest ein paar Mal trainiert haben, wie man zur Not auch ohne fremde Hilfe wieder in ein gekentertes Kajak kommt.
Helgeland liegt ca. 100km südlich von Bodø, von wo aus eine Fährverbindung auf die Lofoten besteht. Die meisten Touristen fahren hier mit ihrem Wohnmobil an einem Tag durch, machen ein Foto am Polarkreis, vielleicht noch vom Svartisen Gletscher und brettern dann weiter Richtung Lofoten oder Nordkap. Wir lassen es ruhiger angehen, reisen mit Bahn, Bus und Fähre an, und nehmen uns eine gute Woche lang Zeit, um hier die Gegend zu erkunden, ein bisschen zu wandern, Rad zu fahren, aber vor allem natürlich, um zu paddeln!
Dafür haben wir uns eine einfache Hütte auf der kleinen Insel Meløya gemietet. Von der Fähre in Ørnes setzen wir in einer halben Stunde über und lassen uns von unserem Vermieter direkt zur Hütte fahren. Toller Service: Auch Kajaks und Fahrräder stellt der Vermieter uns direkt vor die Tür.
Am ersten Morgen wollen wir uns bei einer kleinen Wanderung auf den höchsten Berg der Insel, den 582 Meter hohen Meløytinden, einen ersten Überblick über die Landschaft verschaffen. Von anderen Reisen in Nordnorwegen wissen wir schon: Hier sind die Berge meist gar nicht mal so hoch, aber dafür sehr steil, die Wege gern sumpfig. Wegmarkierungen? Wer braucht schon Wegmarkierungen? „Der Weg ergibt sich aus der Geografie“, habe ich mal in einem Reiseführer über die Lofoten gelesen. Aber irgendwie denken wir dann doch jedes Mal: „Ach was. Wird schon nicht so schwierig sein.“ Entsprechend zieht sich unser eigentlich nur als kleine Erkundung gedachter Spaziergang über mehrere Stunden in die Länge. Doch die Plackerei lohnt sich. Oben angekommen, verschlägt die Aussicht uns fast die Sprache: An der Küste breiten sich kilometerlang Bergketten aus, der imposante Svartisen Gletscher zeichnet sich leuchtend weiß am Horizont ab, auf dem tiefblauen Meer liegen verstreut hunderte kleiner Inselchen, als hätte das Meer Sommersprossen.
Am nächsten Tag machen wir uns mit den Kajaks und den Paddelbedingungen vertraut. Anfängliche Sorgen über den recht großen Tidenhub, unbekannte Strömungen und eine mögliche unfreiwillige Begegnung mit dem eisigen Wasser werden von strahlendem Sonnenschein, milden 20 Grad Lufttemperatur und spiegelglattem Wasser schnell hinweggefegt. Wir fühlen uns, als wären wir direkt in einer der Werbebroschüren der Umgebung gelandet. Ein knallgelbes Kajak auf klarblauem Meer, die Sonne strahlt, kein Wölkchen ist am Himmel zu sehen – ich kann kaum glauben, dass mein Traumbild vom Kajakurlaub in Helgeland Wirklichkeit zu werden scheint.
Schnell sind die Kajaks mit Lunchpaket und Wechselkleidung gepackt und zu Wasser gebracht. Um erst einmal mit den Strömungsverhältnissen und den Booten vertraut zu werden, haben wir uns eine Tagestour entlang der Küste zu einem der zahlreichen Strände in der Umgebung vorgenommen. Schon nach den ersten Paddelschlägen umfängt uns eine unvergleichliche Ruhe und innere Gelassenheit, wie man sie wohl nur erlebt, wenn man sich vollkommen mit sich und seiner Umwelt vereint fühlt. Und es ist etwas mit dem Licht hier oben im Norden, das schwer zu beschreiben ist. Es ist irgendwie schärfer, klarer, fast hart.
Nur ein ganz leichter Wind weht, ein Brachvogel trällert und unter dem Kajak öffnet sich eine glasklare Unterwasserwelt. Wir ziehen in gemächlichem Tempo die Küste der Insel entlang, vorbei an spitzen Bergkuppen, glattgeschliffenen Felsen und Kühen, die an einem Strand ein Mittagsschläfchen halten.
Immer wieder kreisen Seeadler über unseren Köpfen, die auch in den folgenden Tagen zu einem gewohnten Anblick werden. Wir scheuchen ein paar Graugänse auf und lassen uns mit ruhigen Paddelschlägen durch diese friedvolle Postkartenlandschaft treiben. So geht es uns auch in den nächsten Tagen. Das Wetter bleibt stabil, und auch, wenn der Wind ein bisschen zunimmt, gleiten wir so sicher über den Atlantik wie über einen norddeutschen Baggersee. Wir wagen uns nun weiter hinaus, queren ein paar Kilometer das offene Meer, paddeln zwischen zahllosen kleinen Inselchen hindurch, die zu Pausen und Erkundungstouren einladen. Bei einer Pause gilt es jedoch, den Tidenhub im Auge zu behalten. Ist das Boot nicht weit genug an Land gezogen, macht es sich mit dem auflaufenden Wasser gern mal in Windeseile selbständig. Doch da wir Ebbe haben, müssen wir uns darüber keine Sorgen machen.
Auf einer dieser Inseln landen wir an, legen uns an den strahlendweißen Strand und picknicken. Die Insel ist nicht mal so groß wie ein Fußballplatz, eher wie ein Tennisplatz. Es ist still. Wir hören keine Boote, keine Straße, keine Flugzeuge, nur ein leises Knistern im Sand dort, wo das ablaufende Wasser sich allmählich mit der Ebbe zurück zieht. Wir schließen die Augen und wollen hier nicht mehr weg.
Doch der Svartisen Gletscher lockt uns. In Norwegen wird man immer wieder Gelegenheit haben, einen Gletscher zu bewundern, doch einen Gletscher vom Kajak aus zu sehen mit dem Meer im Vordergrund und umringt von Bergen ist ein bezaubernder, fast unwirklicher Anblick. Auf dem Rückweg zu unserer Hütte haben wir den Gletscher in der Ferne fast die ganze Zeit im Blick und können uns von dem Anblick kaum losreißen.
Mit ganz viel Glück taucht plötzlich ein neugieriger Seehund oder sogar ein Schweinswal vor einem auf. Soviel Glück hatten wir diesmal nicht, haben aber immerhin mit Trottellummen, Brachvögeln und mehreren Seeadlern einen schönen Eindruck von der reichen Vogelwelt bekommen.
Mitte August geht die Sonne nördlich des Polarkreises zwar schon wieder für ein paar Stunden unter, doch es ist immer noch recht lange hell, so dass wir ohne Eile zu unserer Hütte zurück paddeln. Die Sonne steht nun tiefer, das Licht wird weicher, wärmer, weniger scharf. Wir verstauen die Boote und radeln noch schnell zum Einkaufen die vier Kilometer zum einzigen kleinen Supermarkt der Insel. Beim Abendbrot auf der Hütte schauen wir statt Fernsehen Sonnenuntergang – stundenlang kann man hier an einem Spätsommerabend dabei zusehen, wie die Sonne Meer und Berge in ein tiefes oranges Licht taucht. Fast fühlt es sich so an, als ob das Licht auch uns und unsere Gedanken in dieses tiefe warme Orange hüllt, uns ganz damit ausfüllt, so dass wir es noch lange, lange nach diesem Urlaub irgendwo in uns tragen.
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Toller Bericht, klasse Fotos, leider habe ich jetzt akutes Fernweh!
Was für ein genialer Artikel und tolle Bilder, das muss ich zugeben! Ich bin zwar nicht viel mit dem Kajak in Norwegen unterwegs, aber habe auch schon viele schöne Seiten gesehen, besonders am Meer.
Grüße
LarsIch muss zugeben: Vom Helgeland habe ich bis vor ein paar Minuten auch noch nichts gehört.
Die Aussicht vom Meløytinden gefällt mir besonders gut – vor allem weil man die vielen kleinen Inseln sieht. Mit dem Kajak in dieser wunderschönen Gegend unterwegs zu sein, stelle ich mir überwältigend und auch richtig entspannend vor. Zudem kann ich von einem Meer-Berge-Eis-Anblick sowieso nicht genug kriegen 🙂
Liebe Grüße aus dem Wunderland
Dori
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