Reise zum Riff

In Aus­tra­li­en kämp­fen Umwelt­schüt­zer gegen die mäch­ti­ge Koh­le-Indus­trie. Bio­lo­gen und Akti­vis­ten befürch­ten nun, dass das Gre­at Bar­ri­er Reef durch den Bau neu­er Minen gefähr­det wer­den könn­te. Eine Rei­se in ein bedroh­tes Para­dies.

Das Meer ist rauch­blau an die­sem Okto­ber­mor­gen. Aus den schma­len, dun­kel­grau­en Wol­ken­stei­fen, die wie Tape­ten­fet­zen am Him­mel kle­ben, reg­net es ein paar steck­na­del­kopf­gro­ße Trop­fen, als wir in die ein­mo­to­ri­ge Cess­na stei­gen, die uns von Hay­man Island mit einem Zwi­schen­stopp zu den Pfingst­sonn­tags­in­seln soll.

Das Wet­ter ist nicht gera­de ide­al für einen Start auf dem Oze­an. Der Wind fegt mit 25 Kno­ten über die offe­ne See, die Böen peit­schen das Was­ser aus, das sich auf­bäumt und bis zu zwei Meter hohe Wel­len schlägt. Wäh­rend ich mir beim Ein­stieg in den klei­nen Flie­ger den Kopf an der nied­ri­gen Decke sto­ße und bete, dass die Cess­na gleich mög­lichst sanft abhe­ben wird, erzählt uns der Pilot – „by the way“ – dass unser Flug bei­na­he gecan­celt wor­den wäre wegen einer Unwet­ter­war­nung.

Beson­ders gut fühlt sich das Nach-Vor­ne-Geris­sen­wer­den beim Start nicht an. Es ist eher so, als zöge ein unsicht­ba­res Seil unse­ren klei­nen Flie­ger mit einem Ruck im 60-Grad-Win­kel nach oben. Ein paar Minu­ten spä­ter, wäh­rend wir über dem Pazi­fik schwe­ben, habe ich das mul­mi­ge Gefühl ver­ges­sen. Es ist mir plötz­lich völ­lig gleich­gül­tig, was ges­tern war, mor­gen sein wird, in der nächs­ten Woche pas­siert – oder in zehn Jah­ren. Mein Kopf ist leer, mein Atem geht tief und ruhig, und mein Kör­per fühlt sich so leicht an wie eine Dau­ne, die ein Kind vom Boden auf­ge­sam­melt, in sei­ne Han­din­nen­flä­che gelegt und dann, ganz zärt­lich, in die Luft gepus­tet hat.

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So, oder so ähn­lich, muss sich Floa­ting anfüh­len, den­ke ich. Nur, dass ich nicht schwe­re­los in einem mit Salz­was­ser gefüll­ten Tank trei­be, son­dern über dem Gre­at Bar­ri­er Reef krei­se – und par­tout nicht lan­den will, weil ich ein­fach nicht genug davon bekom­men kann, aus dem Fens­ter zu sehen.

Man­che Men­schen, behaup­tet unser Pilot Har­dy, wür­den schon ein biss­chen high wer­den, wäh­rend sie auf die kilo­me­ter­lan­gen Koral­len­wän­de bli­cken, die sich über­ein­an­der schie­ben, und die bei Ebbe aus dem Was­ser ragen, das so knal­lig satt­tür­kis glüht als hät­te ein Geist heim­lich elek­tri­sche Leuch­ten am Mee­res­grund befes­tigt. Kein Wun­der, den­ke ich. Blau­es Licht, das haben Hirn­for­scher her­aus­ge­fun­den, regt die Sero­to­nin­aus­schüt­tung beson­ders stark an. Des­halb schau­en wir auch so gern an wol­ken­lo­sen Tagen in den Him­mel. Dar­um wer­den schwer­mü­ti­ge Men­schen mit Licht­du­schen the­ra­piert. Und des­we­gen saugt mei­ne Netz­haut wohl auch die­sen Mix aus Son­nen­licht und beru­hi­gen­den Blau­tö­nen so gie­rig auf. Weil die­ser Anblick ein­fach glück­lich macht.

In hel­le­ren Schat­tie­run­gen, etwas näher an den Inseln, legt sich das Tür­kis wie ein Ring um die Eilan­de. Im Hill Inlet, einem Fjord im Whits­un­days-Archi­pel, flie­ßen das Azur­blau des Pazi­fiks und das Mehl­weiß der Sand­bän­ke schlan­gen­li­ni­en­för­mig inein­an­der. Die Far­ben fran­sen an den Enden leicht aus, wie Was­ser­far­ben auf Aqua­rell­pa­pier.

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Über das Riff zu flie­gen, ist berau­schend, fast magisch. 350 000 Qua­drat­ki­lo­me­ter groß ist die­ser ein­zig­ar­ti­ge Lebens­raum für Fische, Schild­krö­ten, Koral­len, See­vö­gel. Ganz Deutsch­land wür­de hin­ein pas­sen. James Cook ent­deck­te das Gro­ße Bar­rie­re­riff zufäl­lig, im Jahr 1770, als er auf sei­ner ers­ten Süd­see­rei­se mit sei­ner HMS Endea­vour auf Grund lief. Schon 1981, vor über 30 Jah­ren, hat die UNESCO das Gre­at Bar­ri­er Reef zum Welt­na­tur­er­be erklärt. Damit sich die Men­schen dar­um küm­mern, es ach­ten und erhal­ten. Geklappt hat das nicht beson­ders gut.

Nach Anga­ben von Green­peace Aus­tra­lia hat das Riff in den letz­ten 50 Jah­ren einen gro­ßen Teil sei­ner Koral­len­be­de­ckung ver­lo­ren. Vie­le Koral­len erkran­ken am White Syn­dro­me. Dabei löst sich das Gewe­be vom Kalk­ge­rüst und fällt ein­fach ab, wie ver­wes­tes Fleisch von einem Kada­ver. Koral­len leben in einer sym­bio­ti­schen Bezie­hung mit Algen. Die Koral­le fil­tert Nähr­stof­fe aus dem Was­ser, einen Teil davon lie­fern die Algen. Die wie­der­um benö­ti­gen Son­nen­licht, um Pho­to­syn­the­se betrei­ben zu kön­nen. Genau das kön­nen sie oft nicht mehr. Durch Wir­bel­stür­me, den Schiffs­ver­kehr und Bag­ger­ar­bei­ten an den Häfen wer­den Sedi­men­te auf­ge­wir­belt, die das Was­ser ein­trü­ben. Die Algen ster­ben, und mit ihnen ver­hun­gern die Koral­len.

Das Schlimms­te aber, sagen Umwelt­schüt­zer, sei die unstill­ba­re Gier der aus­tra­li­schen Wirt­schafts­bos­se nach dem Geld, das die Koh­le­indus­trie bringt. Mit Tony Abbot hat Down Under seit 2013 einen Pre­mier­mi­nis­ter, der nicht viel vom Umwelt­schutz hält. Statt­des­sen inves­tiert die Regie­rung wei­ter in die Koh­le­indus­trie, mit dem Export des schwar­zen Golds nach Indi­en und Chi­na macht Aus­tra­li­en sat­te Gewin­ne.

DSCN8906Schiffswrack Fraser Island

Im Gali­lee Basin im Bun­des­staat Queens­land sind laut Green­peace Aus­tra­lia neun neue Koh­le­mi­nen vor­ge­se­hen. Fünf davon wer­den grö­ßer sein als die größ­ten heu­ti­gen Minen. Ich kann mir das schwer vor­stel­len und suche nach Zah­len, die es mir leich­ter machen, die Aus­ma­ße zu erfas­sen. Auf der Home­page von Gree­en­peace und im Netz fin­de ich sie: Vor zehn Jah­ren pro­du­zier­te die größ­te aus­tra­li­sche Mine 10 Mil­lio­nen Ton­nen Koh­le pro Jahr, die größ­te Mine heu­te pro­du­ziert bereits das Dop­pel­te, also 20 Mil­lio­nen Ton­nen im Jahr, und die größ­te der neu­en Gali­lee-Minen, die Chi­na Stone Mine, soll angeb­lich 60 Mil­lio­nen Ton­nen im Jahr pro­du­zie­ren. Wenn die rie­si­ge Men­ge Koh­le aus den geplan­ten neun neu­en Minen ver­feu­ert wür­de, wür­den mehr als 700 Mil­lio­nen Ton­nen CO2 jähr­lich frei­ge­setzt. Wäre das Gali­lee Basin ein Staat, wür­de es damit zum siebt­größ­ten Emit­ten­ten von CO2 welt­weit. Eine gru­se­li­ge Vor­stel­lung.

Der Bau der Minen wird vor­an­ge­trie­ben von Berg­bau­ma­gna­ten wie Gina Rine­hart, der reichs­ten Frau der Welt, und von Cli­ve Pal­mer, zum Teil im Ver­bund mit indi­schen Berg­bau­ge­sell­schaf­ten. Um die geför­der­te Koh­le auch ver­schif­fen zu kön­nen, müss­ten Häfen im Riff­ge­biet aus­ge­baut wer­den. Der Schiffs­ver­kehr wür­de anstei­gen. Und das, befürch­ten Akti­vis­ten, wür­de das fra­gi­le Öko­sys­tem wei­ter gefähr­den.

Unser Pilot Har­dy sagt, man müs­se opti­mis­tisch blei­ben. Er meint, dass sich das Riff bis­her immer gut rege­ne­riert habe. Nach jedem Zyklon sei­en die Koral­len wie­der gewach­sen. Har­dy ist Mit­te 40 und trägt ein blü­ten­wei­ßes, gestärk­tes Hemd mit gol­de­nen Abzei­chen auf den Schul­tern und dem ein­ge­stick­ten Logo der Flug­li­nie „Air Whits­un­days“ auf der lin­ken Brust. Er hat die­se typisch-aus­tra­li­sche No-worries-Men­ta­li­tät. Und er lebt vom Tou­ris­mus, also muss er hof­fen, dass das Gre­at Bar­ri­er Reef erhal­ten bleibt. Immer­hin zieht das Riff die meis­ten Urlau­ber an. Und die sei­en immer fas­zi­niert vom sieb­ten Welt­wun­der.

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Ein Mal, erzählt Har­dy, habe er ein kana­di­sches Paar zum Whi­te­ha­ven Beach geflo­gen, jenem Strand, des­sen Sand so fein ist wie Mehl und der bei Hoch­zeits­paa­ren beson­ders beliebt ist, wegen der roman­ti­schen Bil­der, die sich hier knip­sen las­sen. Die Frau aus Onta­rio, sagt Har­dy, habe damals vor lau­ter Stau­nen kein Wort her­aus gebracht, als er über dem Whits­un­days-Archi­pel eine Extra-Kur­ve für sie geflo­gen sei. Und ihr Mann, ein Wis­sen­schaft­ler, der habe die gan­ze Zeit reg­los auf dem cognac­far­be­nen, leicht abge­wetz­ten Leder­sitz der Cess­na geses­sen und beim Anblick des Riffs plötz­lich geweint wie ein Baby. Und dann – ach ja – genau, da waren auch noch die­se schrul­li­gen Japa­ner. Älte­re Leu­te, 50, 55 viel­leicht. Sie hät­ten andau­ernd gegluckst und gefeixt, und ihre Stim­men hät­ten so ver­zerrt geklun­gen, als hät­ten sie Lach­gas ein­ge­at­met, sagt Har­dy.

Wir müs­sen lan­den. Dies­mal mit dem Heli­ko­pter, in den wir nach einer Über­nach­tung auf einer Platt­form im Oze­an umge­stie­gen sind. Ich füh­le mich wie aus dem Nest getre­ten und mag gar nicht aus­stei­gen, aber Will, unser Gui­de, ein drah­ti­ger, etwa 1,60 Meter gro­ßer Neu­see­län­der macht es mir leicht. Er begrüßt uns und erklärt uns alles über die Flo­ra und Fau­na der Whits­un­days. Und über die Mee­res­be­woh­ner. Die Natur hat mehr Kraft als wir Men­schen, sie birgt Gefah­ren und ist geheim­nis­voll, man muss ihr mit Respekt begeg­nen, sagt er.

Will

Nur einen Tag blei­ben wir auf den Pfingst­sonn­tags­in­seln. Es ist gleich­zei­tig mein Abschied vom Riff. Zehn Tage war ich hier unter­wegs, bin von Insel zu Insel geflo­gen. Auf der Heim­rei­se über Hong­kong nach Frank­furt lei­de ich unter Ent­zugs­er­schei­nun­gen. Die Bil­der von den rund 3000 ein­zel­nen Rif­fen lau­fen in mei­nem Kopf in rascher Fol­ge ab, wie ein sur­rea­ler Kitsch­film.

Die Aus­sicht auf das erdrü­cken­de Novem­ber­grau, auf die Dunst­glo­cke über den deut­schen Städ­ten und den Nie­sel­re­gen ist nicht gera­de ver­lo­ckend. Dann leh­ne ich mich im Sitz des Flie­gers zurück, schla­fe ein und träu­me nai­ver­wei­se davon, dass es den aus­tra­li­schen Akti­vis­ten irgend­wie gelin­gen möge, den Bau eini­ger Minen zu stop­pen.

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Vie­len Dank an Queens­land und Cathay Paci­fic für die Ein­la­dung!

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Antwort

  1. Avatar von Maria

    Mit dei­nem tol­len Arti­kel und den wun­der­ba­ren Bil­dern hast du mir auch gleich ein Lächeln ver­passt. Wahn­sin­nig tol­ler Arti­kel 🙂 Ich glau­be nicht, dass ich wie­der hät­te nach Deutsch­land zurück­keh­ren wol­len, aber das ist ja immer so, wenn ich ver­rei­se… Dan­ke für die tol­len Infos!

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