Escaping Dead Horse

Ich stieg aus mei­nem LKW. Es war 10 Uhr mor­gens. Noch kei­ne Son­ne auf­ge­gan­gen. Zu die­ser Jah­res­zeit geht in Dead Hor­se kei­ne Son­ne auf. Vier Stun­den Däm­me­rung. Mehr gibts nicht. Es war stock­dun­kel. Die­ser „Ort“ am Ende der Welt ist eigent­lich nur eine Ansamm­lung von Werk­stät­ten, Con­tai­nern und lose zusam­men gestü­ckel­ten Raf­fi­ne­rien. Im Besitz der Ölin­dus­trie. Orts­kern: Fehl­an­zei­ge. Bei ‑35° war ich nicht son­der­lich heiß auf Sight­see­ing und such­te Schutz in einem nahe gele­ge­nen Hotel. Es hieß Black Gold und den Namen soll­tet ihr euch mer­ken!

Ich war also am vor­zei­ti­gen Ende mei­ner Expe­di­ti­on. Die­ses Hotel war gewis­ser­ma­ßen mein Etap­pen­ziel. Es bestand aus Con­tai­nern. Drin­nen hat man sich ein biß­chen wie im Raum­schiff Enter­pri­se gefühlt. Der net­te Mann an der Rezep­ti­on sag­te, ich kann im Fern­seh­raum war­ten, wenn ich möch­te. Wifi im gan­zen Hotel. Es gab auch Früh­stück. Für 10$. Mein Gewin­ner­früh­stück. Ich konn­te nicht nein sagen. Brav bezahl­te ich und eil­te in den Spei­se­saal. Der net­te Mann an der Rezep­ti­on wur­de sogleich noch net­ter und sag­te, dass ich mir auch ger­ne ein Lunch­pa­ket ein­pa­cken und auch ein fer­tig geschmier­tes Sand­wich aus dem Kühl­schrank neh­men kann. Das war schon super! Genau­so wie die Erd­bee­ren mit Schlag­sah­ne.

Gewinnerfrühstück

Wintertrampen in Alaska

Nach­dem ich dann mei­nen Rei­se-Been­de-Post geschrie­ben und ver­öf­fent­licht habe, bin ich zurück auf die Stra­ße und hab ver­sucht einen LKW nach Fair­banks zu krie­gen. Viel Zeit für eine Pau­se gönn­te ich mir nicht. Es gab auch nur eine Stra­ße die nach Süden führ­te und ich woll­te schnell wie­der weg aus die­sem gott­ver­las­se­nen Ort. Autos fah­ren den knapp 666 km lan­gen Dal­ton High­way zu die­ser Jah­res­zeit nicht. Häu­ser oder Ort­schaf­ten gibt es kei­ne zwi­schen Dead Hor­se und Fair­banks. Nur einen Truck­stop auf hal­bem Weg. Alles was Rich­tung Süden unter­wegs war, wür­de gezwun­ge­ner­ma­ßen in Fair­banks ankom­men. Ziem­lich ein­fach eigent­lich. Pro Stun­de fuh­ren 0–2 LKW´s vor­bei und lei­der hielt kei­ner an. Zwei­mal war ich schon drau­ßen. Für 40–60 Minu­ten bei ‑35°. Im star­ken Wind kühl­te es auf ‑50° run­ter. Ich muß­te regel­mä­ßig ins Hotel zum Auf­wär­men zurück.

Als ich nach dem drit­ten Tramp­ver­such wie­der zurück ins Hotel kam, erhielt ich einen war­men Emp­fang von der Hotel­che­fin und dem net­ten Rezep­tio­nis­ten. „Oh, du schon wie­der. Ich fühl mich schon, als wür­dest du hier woh­nen“, mein­te sie. „Brauchst du einen Job?“, schob der net­te Rezep­tio­nist hin­ter­her und lach­te fröh­lich. Ich lach­te mit. Bei der nächs­ten Run­de Tram­pen, kam ein Mensch von der Küche­crew her­aus gelau­fen. Er hat­te mich wohl beob­ach­tet. Es war bereits 5 Uhr abends. Wir unter­hiel­ten uns kurz. Ich war gera­de erst wie­der auf der Stra­ße, kei­ne 30 Minu­ten am War­ten und hat­te noch kei­nen ein­zi­gen LKW gese­hen. Frus­trie­rend, aber es gab kei­nen ande­ren Aus­weg für mich.

Der Küchen­mensch frag­te, ob ich hung­rig sei. Ich sol­le doch lie­ber rein­kom­men und er wür­de mir etwas zu essen geben, wenn ich will. Da hat­te ich natür­lich nichts dage­gen und ein war­mes Essen war eine gute Idee. Alle waren so ver­dammt nett. Es gab Gemü­se, lecker Reis mit Kram und Hühn­chen­bein. Dazu fet­te Leder­couch und Foot­ball. Mir wur­de indes­sen schon klar, dass es wohl nicht so leicht wird, aus die­sem Ort wie­der her­aus zu kom­men. Es fühl­te sich wirk­lich wie das Ende der Welt an.

Prudoe Bay Truck

Nächs­ter Ver­such. Da stand ein LKW. Ich frag­te, ob er nach Süden fährt. Ja. Gegen 9 Uhr und er kann mich dann mit­neh­men. Wir ver­ein­bar­ten uns als Treff­punkt das Hotel. Super. Alles geritzt. Dach­te ich. Irgend­wann kam ich wie­der raus zum Tram­pen und der Truck war auch ver­schwun­den. Es war mitt­ler­wei­le 8 Uhr. Er war wohl schon abge­fah­ren, ohne mich. Etwas frus­triert lief ich wie­der ins Hotel.

Im Essen­saal frag­te ich vol­ler Ver­zwei­fe­lung den Erst­bes­ten, der mir begeg­ne­te. Lei­der kein Tru­cker, nur einer von den unzäh­li­gen Inge­nieu­ren, die in Dead Hor­se für die Ölin­dus­trie arbei­ten. Aber da saß auf ein­mal mein Tru­cker an einem der Tische und unter­hielt sich mit der Hotel­che­fin! Ich hat­te ihn erst gar nicht erkannt. Er mein­te, dass er nicht mehr nach Süden fah­ren wür­de, weil sie einen Job auf einem Ölfeld bekom­men hat­ten und nun län­ger blei­ben. Das war dann wohl die letz­te Hoff­nung für die­sen Tag.

So stand ich dann am Tisch und wir schnack­ten über mei­ne Rei­se und wie ich am Bes­ten weg­kom­me. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, aber die Che­fin frag­te irgend­wann, was ich geden­ke in der Nacht zu tun. Ich mein­te, ich wür­de irgend­wo rum­lun­gern, wo es warm wäre und wei­ter ver­su­chen zu tram­pen. Bin ich ja gewohnt und ist kein Pro­blem für mich. Danach folg­te eine Pau­se. Sie schau­te mich an. „Willst du ein Zim­mer?“ Ich war völ­ligst über­rascht. Ich mein­te, dass ich kein Zim­mer brau­che, aber wenn sie es mir anbie­tet… Der net­te Rezep­tio­nist wur­de her­bei geru­fen und ange­wie­sen mir ein Zim­mer zu geben. Mir wur­de mehr­mals befoh­len, mich aus­zu­ru­hen und lan­ge zu schla­fen! Am nächs­ten Mor­gen wür­de mich ein Hotel­mit­ar­bei­ter noch zum nahe gele­ge­nen Ter­mi­nal fah­ren, wo die meis­ten Tru­cker ihre Ladung löschen. Wun­der­ba­re Fügung! Lie­ben Dank an das Black Gold!

Mit einem Flugzeug trampen

Am nächs­ten Mor­gen. Ich wur­de geweckt durch ein Klop­fen und der Anmer­kung, dass noch eine hal­be Stun­de Früh­stück­buf­fet sei und ich das viel­leicht nut­zen woll­te. Zeit zum auf­ste­hen. Anschlie­ßend fuh­ren sie mich zum Ter­mi­nal. Da war lei­der nicht sehr viel los und ich über­leg­te über Alter­na­ti­ven. Ich hat­te die Idee ein Flug­zeug zu tram­pen. Ich wuss­te zwei Flü­ge wür­den Dead Hor­se ver­las­sen an die­sem Tag. Die ers­te Flug­ge­sell­schaft, Ravn, konn­te mir nicht hel­fen, weil der Mana­ger nicht da war. Erfolgs­wahr­schein­lich­keit laut eige­ner Aus­sa­ge gering. Die Zwei­te war Alas­kan Air­lines und konn­te mir auch nicht hel­fen, weil der Mana­ger nicht da war. Erfolgs­wahr­schein­lich­keit nach eige­ner Aus­sa­ge unmög­lich.

Also wie­der auf die Stra­ße. Heu­te war es käl­ter. Mein Bart gefror schon wie­der. Eben­so mein Schal, den ich mir über mei­ne Nase gelegt hat­te, damit der Wind nicht so weh tat. Anschlie­ßend fro­ren Schal und Bart anein­an­der fest. Kein ein­fa­cher Tag zum Tram­pen. Ins Hotel woll­te ich zum Auf­wär­men nach all der Freund­lich­keit nicht wie­der zurück­ge­hen. Die waren ein­fach zu nett und ich woll­te das nicht wei­ter aus­nut­zen. Also tramp­te ich zurück Rich­tung Flug­ha­fen, weil da noch ein ande­res Hotel war.

Ein paar Ölar­bei­ter nah­men mich mit. Im Auto wur­de ich von einer älte­ren Frau kräf­tig zusam­men­ge­fal­tet. Dass das ja gar­nicht geht! Ich kann hier bei den Tem­pe­ra­tu­ren nicht tram­pen! Und über­haupt! Was der Scheiß soll? Dass ich gefäl­ligst einen Flie­ger neh­men und bloß nicht noch­mal sowas Dum­mes machen soll­te! Aber ich hat­te ja kaum eine ande­re Wahl. Mein ziel war tram­pen. Aber hier kam ich an mei­ne Gren­zen.

Es war kurz vor eins. Ich wuss­te, dass gegen zwei ein Ravn Flug­zeug nach Fair­banks abflog. Ich unter­nahm einen neu­en Anlauf zum Ter­mi­nal. Der Mana­ger war da. Ich konn­te end­lich fra­gen. Ne, er kann mich auf kei­nen­fall umsonst ins Flug­zeug las­sen. Auch wenn sie noch freie Sitz­plät­ze hät­ten. Ernüch­ternd. Aber ich hat­te noch einen Trumpf in der Hin­ter­hand!

Rück­blick: Es war schon 2,5 Mona­te her, dass ich durch die USA getrampt bin und mich ein Mensch mit­nahm, der Pilot bei Ravn war. Er mein­te, dass er mir einen Leg Pass besor­gen kann, womit ich ein One-Way Ticket krie­gen wür­de. Für 30$ Ver­wal­tungs­ge­bühr. Eigent­lich woll­te ich das nicht wahr­neh­men, weil das ja nicht als getrampt gilt. Selbst wenn es nur 30$ anstatt 400$ wären. Das wäre gegen die Regeln! Aber mei­ne Expe­di­ti­on war been­det. Hal­lo Ste­fan, du hast dei­ne Expe­di­ti­on am Tag zuvor been­det. Muss­te ich mir erst­mal bewusst machen. Die Her­aus­for­de­rung mich nur mit Tram­pen fort­zu­be­we­gen und ein­mal die Welt zu umrun­den, ist ad acta. Flie­gen unter beson­de­ren Umstän­den also erlaubt. Noch ein paar Tage vor­her wäre es über­haupt kei­ne Fra­ge für mich gewe­sen, dass ich da raus tram­pe. Egal wie lan­ge das dau­ert und wie sehr die Käl­te schmerzt. Aber so dach­te ich mir: „Ahjo.“

Raus aus Dead Horse! Egal wie.

Pro­jekt Leg Pass. Das Pro­blem war nur: Ich hat­te ledig­lich eine Tele­fon­num­mer und den Vor­na­men von mei­nem Pilo­ten und die­ser muss­te das Ticket im Inter­net löse. Inner­halb der nächs­ten 90 Minu­ten. Ich hoff­te, dass ich ihn errei­chen wür­de und wir genug Zeit hät­ten das zu erle­di­gen. Wäh­rend der Mana­ger das Tele­fon hol­te, fing ich an mit einem ande­ren Men­schen der Air­line zu quat­schen. Er saß die gan­ze Zeit hin­ter dem Tre­sen, wäh­rend ich mei­ne Geschich­te erzählt habe. Er frag­te, wer denn die­ser Pilot sei. Ich fand die Num­mer und zeig­te sie ihm. Dann mein­te er: „Ich kann dir auch einen Leg Pass geben, wenn du willst.“ Wie sich heru­as­stell­te, war er eben­falls Pilot. Das wür­de die gan­ze Sache natür­lich viel ein­fa­cher machen. Und mir wäre ein Platz in die­sem Flie­ger sicher. Wir quatsch­ten das kurz mit dem Mana­ger ab und er buch­te das Ticket für mich. Ich gab ihm all mein Geld: 22$. Ist schon okay, mein­te er. Ich hat­te lei­der nicht mehr bei mir.

Als es zum Ein­che­cken ging, war ich etwas spät. Der Mana­ger stand an der Tür und kon­trol­lier­te die Tickets von allen Per­so­nen. Ich war Letz­ter. Er begrüß­te mich mit den Wor­ten: „Schön dass es geklappt hat und du hier weg kommst. Hät­test du kei­nen Leg Pass von einem der Pilo­ten bekom­men, hät­te ich dir einen von mir gege­ben! Wir hel­fen ger­ne, weil hier fest­ste­cken ist kein Spaß!“ Wow! Damit hät­te ich abso­lut nicht gerech­net. Und so flog ich dann nach Fair­banks und saß nach fast 65.000 km Tram­pen im ers­ten „bezahl­ten“ Flug mei­ner gesam­ten Rei­se. Für 22$. Am Ende war ich sehr froh da raus zu kom­men.

Prudoe Bay von oben

All den tol­len Men­schen in Dead Hor­se sei gedankt. Weiß gar nicht, womit ich die­se Freund­lich­keit ver­dient habe. Das Dorf ansich war abso­lut men­schen­feind­lich und einer der ers­ten Orte die­ser Rei­se, die ich als wirk­lich gefähr­lich wahr­ge­nom­men habe. Sehr raue Natur. Genau danach hab ich aber lan­ge gesucht. Und ich bin dank­bar einen so ange­neh­men Auf­ent­halt gehabt zu haben. Im Prin­zip geht es hier aber noch um etwas Ande­res: Dass man dem Unbe­kann­ten und der Unsi­cher­heit ver­trau­en soll­te, wenn man mal nicht wei­ter weiß. Es ergibt sich alles schon irgend­wie.

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Antwort

  1. Avatar von Gerhard Huber

    Hal­lo Ste­fan,
    Dein Rei­se-Bericht ist echt ham­mer.
    Ich bin von Que­bec nach Fair­banks gechillt in einem Miet­wa­gen und hat­te den­noch ein paar har­te Erleb­nis­se die ich auch nie ver­ges­sen werde…Kanada ist echt nichts für Weicheier…vor allem wenns Rich­tung Win­ter geht. Bei mir waren es mal ‑38 und ich dach­te jetzt wars das…
    Habe vie­le dei­ner Sto­rys gele­sen und denk mir immer Hut ab. Der Typ hat echt Mut.
    Life is a Jour­ney. Gruß Ger­ry

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