Unweit von Tschetschenien, es sind nur zehn Kilometer zur Grenze und sechzig bis nach Grosny, liegt am Fuß des mächtigen fünftausender Mt. Kazbeg ein kleines Dorf. Auf einem nahen Berg wacht eine Klosterkirche über die Häuser, die früher Kazbegi hießen, und heute in Stephansminda umbenannt wurden (und doch überall nur unter ihrem alten Namen bekannt sind). Ein Flüsschen schlängelt sich durch das Tal, und daneben führt die einzige asphaltierte Straße durchs Dorf, bis zur Grenze.
Sitzt man, wie die alten Männer und schwarzgekleideten Frauen des Dorfes, auf einem Hocker bei der Straße, wird man gelegentlich eine Kuh sehen, die gemütlich ihrem unbekannten Ziel entgegen spaziert, oder einen klapprigen Lada, der schnaufend den Hügel hinauf tuckert.
Ein Hahn kräht.
Eine Handvoll Touristen entsteigen der Maschrutka, wie die Minibusse im Kaukasus genannt werden, und werden von ein paar alten Frauen empfangen, die sich von ihrem Geplauder erheben, um auf georgisch oder russisch ihre Zimmer anzupreisen. Zwei dieser bepackten Menschen – ihr habt es bereits geahnt – sind Schweden-Alex und Johannes Klys. Dank Alex Russischschnipsel (und nach einigen lustigen Missverständnissen) werden wir einer von diesen folgen, etwas den Hügel hinauf, in ein altes Haus.
Jetzt, in den Sommermonaten, sind die Kinder der Witwe zu Besuch, der professionelle Ringer, der im Hof mit seinen Freunden tagaus, tagein Gewichte stemmt, und die liebe Geographiestudentin, die ein paar Brocken deutsch spricht. Im Winter ist sie allein.
Es sind arme Menschen, die hier in den Bergen von etwas Witwenrente und den paar Lari, die die Touristen mitbringen, leben. Es ist genug, um im Sommer Kohl und Kartoffeln anzubauen, im kleinen Garten, doch für die anfallenden Reparaturen bleibt nichts übrig. Das große Haus, in welchem wir die nächsten fünf Tage verbringen werden, zeigt viele Zeichen früheren bürgerlichen Wohlstands. Die Zimmer mit den hohen Decken sind noch eingerichtet mit guten Möbeln, Spiegeln und Teppichen an den Wänden. Doch was kaputt geht wird nicht ersetzt: Da der Herd nicht mehr funktioniert, wird auf einem Gaskocher für die Familie und die Gäste gekocht. Die Klospülung ist ersetzt durch eine volllaufende Badewanne, aus der man das Wasser zum Spülen schöpft. Die rieselnde Dusche ist nur durch ein paar Glasbausteine von der Küche abgetrennt. An den Wänden hängen verblichene Fotografien aus alten, vielleicht besseren Zeiten, als die Sowjets Georgien zu einer der reichsten Republiken im Imperium machten.
Für uns ist es das Paradies.
Nach den sehr anstrengenden Tagen im Irak und der Höllentour durch die Osttürkei bis nach Tiflis ist der Blick auf die grünen Berge, überragt vom weißen Gipfel des Kazbeg, die frische Luft und die Ruhe – ja sogar der gelegentliche Regen! – genau das Richtige. Wie still es hier ist, wird mir erst dann bewusst, wenn hin und wieder ein Hahn kräht, oder ein russischer Lastwagen über die Schotterwege knattert. Keine Ablenkung, selbstverständlich kein Internet. Paradies!
Morgens bekommen wir Frühstück, Brot, Honig, Bratkartoffeln und Tomaten, eine große Tasse Tee. Abends gibt es Kohlsuppe und Kartoffelfladen. Immer. In dem kleinen Laden an der Straße kaufen wir Brot, Honig, Kekse und Bier.
Hier werden wir viel Zeit damit verbringen, unser Videoprojekt aus dem Irak zu schneiden und die Intro zu basteln, ich bringe meine Fotos auf den neuesten Stand, und schreibe mein Reisetagebuch. Wir steigen hinauf zur Kirche, und weiter hinaus, und staunen über die perfekte Landschaft.
An einem Tag werden wir die zehn Kilometer zur russischen Grenze wandern, entlang des tiefeingeschnittenen Tales, doch ein Blick nach Tschetschenien bleibt uns verwehrt, die Berge stehen zu eng. Direkt an der Grenze wird eine große Klosteranlage gebaut, die Kirche steht schon. Auf dem Rückweg, durch minenartige Tunnel und über bröckelnde Brücken nimmt uns ein schnaufender schnauzbärtiger Georgier mit, der ohne Mitleid mit seinem Jeep über alle Schlaglöcher hämmert.
Viele kleine Geschichten gäbe es zu berichten, wie Alex Pantomime um nach einem Omelette zu fragen, von unserem skurrilen Besuch in der Dorf-Bank, oder den unfassbar langweilenden zwei deutschen Studenten, mit denen wir einmal ein Gespräch versuchten. Doch alles hat ein Ende, nach fünf Nächten geht es weiter, nach Tiflis, Tbilisi…



















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