Die große Party

Ein­mal im Leben fei­ert jeder Tora­ja ein rie­si­ges Fest. Zu sei­nen Ehren kom­men ein paar hun­dert Leu­te zusam­men. Was­ser­büf­fel und Schwei­ne wer­den geschlach­tet, Män­ner tan­zen, Frau­en ser­vie­ren Köst­lich­kei­ten, Kin­der sind aus­staf­fiert wie klei­ne Köni­ge. Nur die Haupt­per­son macht nicht mit. Denn die ist längst tot. Die eige­ne Beer­di­gung ist das wich­tigs­te Ereig­nis bei den Tora­ja auf Sula­we­si.

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Petrus Lindang ist gestor­ben. Heu­te ist sei­ne Beer­di­gung. Der alte Bau­er steht auf einem Bal­kon hoch über dem Fest­platz. Sei­ne Lei­che ist im Toten­haus auf­ge­bahrt, doch sei­ne See­le steckt in einer weiß geklei­de­ten Holz­fi­gur, die alles im Blick hat. Die Holz­fi­gu­ren hei­ßen tau-tau (“klei­ne Per­son”), sind fast lebens­groß und sehen mög­lichst rea­lis­tisch aus.

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Peter Lindang ist schon vor zwei Jah­re gestor­ben. Doch es hat lan­ge gedau­ert, bis alle Vor­be­rei­tun­gen für sei­ne Beer­di­gung getrof­fen waren. Wäh­rend die­ser Zeit lag der Bau­er im hin­te­ren Teil sei­nes Hau­ses, ein­ge­wi­ckelt in Stoff und Blät­ter. Das ist so üblich bei den Tora­ja, denn bis zur offi­zi­el­len Fei­er gilt ein Ver­stor­be­ner nicht als tot, son­dern als krank. Man bringt ihm sogar jeden Tag etwas zu essen.

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Schon ein paar Kilo­me­ter vor dem Fest­platz stau­en sich die Fahr­zeu­ge. Aus den umlie­gen­den Dör­fern sind alle zur Beer­di­gung ein­ge­la­den. Auch Tou­ris­ten sind gern gese­he­ne Gäs­te, denn ihre Anwe­sen­heit ver­grö­ßert das Anse­hen des Toten. Und sie brin­gen Geschen­ke mit. Als Aus­län­der ist eine Stan­ge Ziga­ret­ten ange­mes­sen, sagt Daud Tang­jong, der mich hin­fährt. Das ist ein­fa­cher, als ein leben­des Schwein auf dem Motor­rad zu trans­por­tie­ren.

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Eine Beer­di­gung ist teu­er. Sie muss mög­lichst präch­tig aus­fal­len. Denn die Zahl der geop­fer­ten Büf­fel und Schwei­ne bestimmt den sozia­len Sta­tus des Ver­stor­be­nen – und damit auch den sei­ner Fami­lie.

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In den Som­mer­mo­na­ten fin­det im Berg­land alle paar Tage irgend­wo eine Beer­di­gung statt. Die Fei­er in Patua in der Gegend von Sangal­la ist beson­ders groß, es kom­men vie­le hun­dert Besu­cher.

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Die Gäs­te­häu­ser aus Bam­bus und Stoff wer­den nur für die­sen Anlass gebaut, die Fei­er­lich­kei­ten dau­ern meh­re­re Tage und sind gleich­zei­tig Dorf­ver­samm­lung und Fami­li­en­tref­fen.

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Nach­dem man sein Geschenk bei der Trau­er-Fami­lie abge­lie­fert hat (Büf­fel und Schwei­ne wer­den genau­es­tens regis­triert und sogar ver­steu­ert), nimmt man in einem Abteil Platz und wird bewir­tet: star­ker Tora­ja-Kaf­fee und Süßig­kei­ten, spä­ter Reis und wür­zi­ge Snacks in Plas­tik­ver­pa­ckung.

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Die Stim­mung ist ernst und fröh­lich zugleich. Beer­di­gun­gen sind die bes­te Gele­gen­hei­ten, um Hoch­zei­ten anzu­bah­nen. Die Jugend­li­chen mir gegen­über che­cken unab­läs­sig ihr Han­dy.

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Die Kin­der der Ver­stor­be­nen-Fami­lie sind beson­ders extra­va­gant aus­staf­fiert, das Mäd­chen rechts trägt sogar künst­li­che Wim­pern.

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Die Jungs sind vom Posie­ren für die Foto­gra­fen genervt und machen lie­ber Rap­per-Ges­ten.

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Der Ver­stor­be­ne war reich, vor allem wegen sei­nes Enkels, der als Bau­un­ter­neh­mer auf Bor­neo zu Geld gekom­men ist.

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In einer lan­gen Pro­zes­si­on brin­gen Grup­pen von Ver­wand­ten oder Nach­barn ihre Gaben: Reis, Kuchen, Tee, Ziga­ret­ten. Es wird viel gerech­net und gezählt, der Beschenk­te steht beim ande­ren manch­mal über Gene­ra­tio­nen in der Schuld.

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Das Leben ist nur ein Über­gang ins Jen­seits, glau­ben die Tora­ja, doch das Beer­di­gungs­ze­re­mo­ni­ell hat sehr dies­sei­ti­ge Aus­wir­kun­gen: Wer für sei­ne Ange­hö­ri­gen eine teu­re Fei­er aus­rich­tet, ver­bes­sert sein Pres­ti­ge. Neben der Geburt in eine der drei Klas­sen der Tora­ja-Gesell­schaft ist mate­ri­el­ler Reich­tum die ein­zi­ge Mög­lich­keit, sei­nen Sta­tus zu ver­bes­sern.

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Der bri­ti­sche Eth­no­lo­ge Nigel Bar­ley hat die Kul­tur der Tora­ja mit ihren Fel­sen­grä­bern und Trau­er­ri­tua­len stu­diert und fin­det das kei­nes­wegs irra­tio­nal. Er erzählt in einem ZEIT-Inter­view: »Kürz­lich erhielt ich Besuch von Ange­hö­ri­gen eines indo­ne­si­schen Berg­vol­kes. Sie gehör­ten einem Stamm an, dem man lan­ge Zeit öko­no­mi­sche Unver­nunft beschei­nig­te, weil sie ihren Reich­tum in Büf­fel inves­tier­ten, die in gro­ßer Zahl bei Begräb­nis­sen geschlach­tet wur­den. Sie fan­den es völ­lig irra­tio­nal, wie­viel Geld und Mühen die Eng­län­der auf­wen­den, um in den Besitz eines Eigen­heims zu kom­men. Es war ihnen unver­ständ­lich, war­um jemand so viel für den Erwerb eines Hau­ses aus­ge­ben soll­te, in dem er sich nicht auf­hal­ten konn­te, weil er woan­ders arbei­ten muß­te, um es zu bezah­len.”

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Die­ses Mäd­chen ist das reichs­te Kind am Ort, sagt Daud, eine Uren­ke­lin des Ver­stor­be­nen. Sie wei­ne wegen der geschlach­te­ten Schwei­ne und Büf­fel, an denen sie gera­de vor­bei­lau­fen muss­te.

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Man muss nicht alles bewun­dern, bloß weil es fremd und far­ben­froh ist. Die Par­ty ist auch schreck­lich: Die Schwei­ne lie­gen stun­den­lang gefes­selt am Boden, erst quie­kend, dann in ihr Schick­sal erge­ben. Irgend­wann ein Stich ins Herz, die Bors­ten wer­den ver­sengt und die Tie­re aus­ge­nom­men.

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Die Was­ser­büf­fel ent­haup­tet man mit­ten auf dem Fest­platz. Die Köp­fe und Ber­ge von Fleisch lie­gen her­um und wer­den schließ­lich ver­teilt.

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Auf dem Rück­weg über­ho­len wir vie­le Motor­rä­der. Jeder Bei­fah­rer trägt ein Stück rohes Fleisch nach Hau­se, das an einem Faden bau­melt.

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Daud Tang­jong ist in der Nähe auf­ge­wach­sen und hat frü­her als Hir­te gear­bei­tet. Die Büf­fel, die lang­sam ver­blu­ten, tun ihm nicht leid. “Wir sind dar­an gewöhnt”, sagt er. War­um kommt mir das so gna­den­los vor? Und was genau ist der Unter­schied zu einem Schlacht­hof bei uns?

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Nicht alle Tora­ja schät­zen die Trau­er­ri­tua­le. Es geht nur ums Geld, erzählt mir spä­ter eine alte Tora­ja-Frau. Sie sei »hun­dert Pro­zent Tora­ja«, doch sie gehe schon lan­ge nicht mehr zu “die­sen Par­tys”. Es sei eine ein­zi­ge Prot­ze­rei: “Schaut her, wie reich ich bin, ich kann hun­dert Büf­fel opfern!” Als ihr Vater mit einer tra­di­tio­nel­len Toten­fei­er beer­digt wur­de, saß sie zu Hau­se und wein­te.

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Viel­leicht waren die Beer­di­gun­gen frü­her weni­ger exzes­siv. Die Eth­no­lo­gin Toby Ali­ce Volk­man hat beob­ach­tet, dass sich Ritua­le auch ver­selb­stän­di­gen kön­nen: “Wäh­rend des Ölbooms in den sech­zi­ger und sieb­zi­ger Jah­ren fand eine mas­si­ve Abwan­de­rung von jun­gen Män­nern des Sula­we­si-Hoch­lan­des statt, die nach Arbeit im nord­öst­li­chen Kali­mant­an such­ten. Als sie als rei­che Leu­te in ihre Dör­fer zurück­kehr­ten, woll­ten sie oft­mals ihren Sta­tus in Form von rie­si­gen Begräb­nis­ri­tua­len zei­gen, was die Anthro­po­lo­gin Toby Ali­ce Volk­man als “ritu­al infla­ti­on” bezeich­ne­te. Die­se Zur­schau­stel­lung führ­te zu einer inten­si­ven Debat­te über die Authen­ti­zi­tät der Ritua­le die­ser neu­rei­chen Bevöl­ke­rungs­grup­pe.” (Aus: Indo­ne­sia – A Coun­try Stu­dy, S. 143)

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PS: Nach­her fällt mir auf: Beim Foto­gra­fie­ren habe ich unwill­kür­lich dar­auf geach­tet, dass kei­ne Tou­ris­ten durchs Bild lau­fen. War­um? Weil man eine roman­ti­sche Vor­stel­lung vom ech­ten Aben­teu­er hat. Und weil es den Ein­druck zer­stö­ren wür­de, dass man gera­de an einem archai­schen Ritu­al teil­nimmt und viel Mühe auf sich genom­men hat, um die­ses exo­ti­sche Berg­volk auf­zu­spü­ren. In Wirk­lich­keit waren neben einem Dut­zend Tra­vel­lern min­des­tens zwei orga­ni­sier­te Stu­di­en­rei­se­grup­pen dabei – und sämt­li­che Tou­ris­ten hat­ten nichts Bes­se­res zu tun, als pau­sen­los zu knip­sen und zu fil­men, inklu­si­ve mir sel­ber. Dabei stan­den sie im Weg her­um, glotz­ten fas­sungs­los und tru­gen unpas­sen­de Kla­mot­ten. Und gaben wahr­schein­lich ein ähn­li­ches Bild ab wie über­wäl­tig­te Japa­ner auf dem Okto­ber­fest, die sich an irgend­ei­nen Wiesn-Tisch set­zen und als ein­zi­ge Kon­tak­auf­nah­me wild her­um­fo­to­gra­fie­ren.

Mehr über Tana Tora­ja auf Sula­we­si gibt´s hier.

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Antworten

  1. […] auf Rei­se­de­pe­ch­en (aber etwas älter) fin­det sich die­ser Erfah­rungs­be­richt von Jut­ta, in dem auch ein paar kri­ti­sche Töne von Ein­hei­mi­schen […]

  2. Avatar von Gesa

    Abso­lut beein­dru­ckend – sowohl text­lich, als auch bild­lich! Du warst wirk­lich dabei, Jut­ta. Und das kann man sehen!

  3. Avatar von Till
    Till

    in 5 Wochen bin ich auch da und jetzt hast du mir den Arti­kel vorweggenommen.…muss ich doch über die Toge­ans schrei­ben ^^

    1. Avatar von Jutta Pilgram

      Wür­de ich auch gern lesen!

  4. Avatar von Elke
    Elke

    Vie­len Dank für die leb­haf­te Schil­de­rung. Wir waren 1990 im Tora­ja-Land. Deutsch­land hat­te gera­de die Fuß­ball-WM gewon­nen; Lod­dar kann­te fast jeder. Einen Air-Strip gab es oben in Tora­ja nicht, son­dern die Fahrt ging 10 Stun­den über Stock und Stein- einer saß immer auf der Motor­hau­be, um Hüh­ner und Schwei­ne aus dem Weg zu jagen.
    Auch unser »Kran­ker« war ein wohl­ha­ben­der Mann, der Platz zwi­schen den Gast­ga­le­rien trief­te am Ende des Tages vor Morast, Blut und Inne­rei­en – zwi­schen­drin Musi­ker und Tän­zer. Muß mal die alten Vide­os raus­kra­men.

  5. Avatar von Marianna

    Stimmt. Man möch­te ungern, egal wo man ist, ande­re Tou­ris­ten auf den Bil­dern ablich­ten. Um immer den Ein­druck zu ver­mit­teln, man sei als Rei­sen­der »ein­zig­ar­tig« unter­wegs. Und es klappt. Hät­test du’s nicht ange­merkt, wäre ich davon aus­ge­gan­gen, dass da eigent­lich kei­ne ande­ren Tou­ris­ten geschwei­ge denn Rei­se­grup­pen anwe­send waren. Inter­es­sant.

    1. Avatar von Jutta Pilgram

      Uns gefällt halt die roman­ti­sche Selbst­sti­li­sie­rung zum Ent­de­ckungs­rei­sen­den. Dabei sind die wenigs­ten Tra­vel­ler als ein­zi­ger – oder gar als aller­ers­ter – Frem­der an irgend­ei­nem Ort.

  6. Avatar von inka

    Toll geschrie­ben, ein echt inten­si­ver Ein­blick. Groß­ar­tig, vie­len Dank!

  7. Avatar von Alex

    Wow, beein­dru­cken­de aber auch ver­stö­ren­de Bil­der, dan­ke dafür! Mir blu­tet schon etwas das Herz beim Anblick die­ses Schlacht­fes­tes, aber dein Ver­gleich mit dem Schlacht­hof ist sehr tref­fend (nur noch in viel grös­se­rer Dimen­si­on).

    Der Bau­er lag also 2 Jah­re »krank« im hin­te­ren Teil des Hau­ses? Nut­zen die Tora­ja Metho­den zur Mumi­fi­zie­rung oder ist der Leich­nahm bei der Beer­di­gung schon ver­west?

    1. Avatar von Jutta Pilgram

      Die Lei­chen wer­den in lan­ge Stoff­bah­nen gewi­ckelt, bestimm­te Pflan­zen sol­len bei der Mumi­fi­zie­rung hel­fen. Es rie­che nur eine Zeit­lang, sag­te Daud. Heu­te wird auch For­ma­lin ver­wandt.

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