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Der alte Mann und Ho Chi Minh

„Wie das ist, wenn man für seine Liebe bestraft wird?“ fragt Son, ohne eine Ant­wort zu erwar­ten. Es ist 1954 und ent­lang des 17. Brei­ten­gra­des wird Viet­nam in weni­gen Tagen geteilt wer­den. In Nord und in Süd. Und nur diese weni­gen Tage haben die Men­schen im Nor­den, um zu ent­schei­den, in wel­chem Teil ihres Lan­des sie fortan leben wol­len. Eine Wahl, die ein Kampf ist. Manch­mal ver­ges­sen wir allzu schnell, daß Men­schen für ihre Träume und ihr Leben kämp­fen müs­sen. Und manch­mal ver­ges­sen wir, was wir ein­mal träumten.

Son war ein alter Mann, der allein in sei­ner Gar­kü­che in Hanoi hockte und ich war sein ers­ter Kunde seit Tagen. Drau­ßen brauste ein unend­li­cher Fluß von Ves­pas vor­bei. „Ich musste im Schul­un­ter­richt allein auf der ande­ren Seite des Klas­sen­raums sit­zen“, sagt Son und rührt wei­ter in dem gro­ßen Sup­pen­topf, in dem Rind­fleisch, Kar­da­mom, Stern­anis, Zimt und Ing­wer, gemein­sam mit den Reis­nu­deln schwimmen.

„Sie haben mich bestraft, weil ich mein Land geliebt habe“, denkt der Alte wei­ter laut vor sich hin und schaut dabei mit schmerz­schwan­ge­rem Blick an mir vor­bei. Son sitzt in einer Zeit­ma­schine – sei­ner ganz eige­nen – und er hat auf einem unbe­que­men Ses­sel Platz genom­men. Auf dem Tacho steht: 1954. Ein ver­blaß­tes Ho Chi Minh Pos­ter aus dem glei­chen Jahr schaut ihm von der Wand aus zu.

Ein Feind im eige­nen Land

Ein Teil sei­ner Fami­lie habe sich 1954 für ein Leben im Süden und die Hoff­nung auf Frei­heit ent­schie­den. Sei­ner eige­nen Fami­lie wäre ein Fort­ge­hen in den Süden wie ein Ver­rat vor­ge­kom­men und so blie­ben sie im Nor­den und bei ihrem Onkel Ho. Hier ist er auf­ge­wach­sen. Schmerz­haft sei das gewe­sen. Wie der Feind im eige­nen Land habe er sich gefühlt.

Dabei wollte er anpa­cken, sein Land mit auf­bauen, nach­dem sie gekämpft hat­ten und die Fan­zo­sen ver­jagt. Es sei schließ­lich sein Land. Hei­mat. Sein Vater war Pro­fes­sor, durfte aber nicht leh­ren. Er, Son, wurde im Unter­richt und Leben aus­ge­grenzt, weil sie – wegen der Fami­lie im Süden – als Ver­rä­ter galten.

„Warum sprichst Du so gut Eng­lisch?“ frage ich Son. In Hanoi ist es ein­fa­cher, jeman­den zu tref­fen, der Deutsch spricht, als Eng­lisch. Sein flüs­si­ges Eng­lisch fällt mir auf. „Dass habe ich allein gelernt, damals“, ant­wor­tet er stolz und erklärt mir ener­gisch: „Ich wollte mit jedem über Viet­nam spre­chen und meine Geschichte erzäh­len. Ich war wütend und wollte, daß sie jeder hört. Ich wollte meine Iden­ti­tät zurück!“

Mehr Marco Polos, weni­ger Eroberer

Man wünschte, Men­schen wür­den durch fremde Län­der immer nur als Gast schrei­ten. Mehr Marco Polos, weni­ger Erobe­rer. Der alte Mann erzählt mit einer kind­li­chen Lei­den­schaft und einer Ver­liebt­heit, wie es nur jemand ver­mag, der sein Land und das Leben liebt. Er hielt aus, län­ger als die Erobe­rer. Die Wun­den des alten Man­nes bren­nen. Und hier brennt das Feuer von einem, der sich gewehrt hat. Der sein Leben zurück wollte. Er wollte exis­tie­ren. Mehr als das: Er wollte Leben.

„Wie sol­len die Men­schen in einem Land denn eine gemein­same Kul­tur und Iden­ti­tät ent­wi­ckeln, wenn sie nie in Frie­den leben kön­nen?“ fragt mich Son, wie­der ohne eine Ant­wort abzu­war­ten. Müde klingt der Alte, aber wie ein moder­ner George Orwell: “The most effec­tive way to des­troy peo­ple is to deny and obli­te­rate their own under­stan­ding of their history.”

„Sie haben uns alles genom­men – bis auf die Natur. Nur die ist uns geblie­ben“, sagt Son und zeigt auf ein kit­schig bun­tes Bild von der Halong Bucht, das über dem Tisch am Ein­gang des Hau­ses hängt. Wenn ich an die Halong Bucht denke, muss ich an Otis Red­ding den­ken: Sit­ting at the Dock of the Bay. Die unend­li­chen Buch­ten. Schwe­bende Mas­ten. Eine unter­ge­hende Sonne. Mor­gens: Sonne, die über dem Dunst, der in den Buch­ten klebt, hän­gen­bleibt. Ein blü­hen­des Land. Grüne Wärme. Grüne Schönheit.

Ho Chi Minh lacht und wacht wei­ter gedul­dig durch die Koch­schwa­den hin­durch, die vom Poh Bo auf­stei­gen und der Alte und ich veju­xen die rest­li­che Zeit des Abends mit unse­ren Träumen.

Cate­go­riesViet­nam
Markus Steiner

Es war 2011, als Markus das letzte Mal das dumpfe Klacken der Bürotür hinter sich hörte. Und beschloss Neues zu entdecken. Seitdem ist er in der Welt zu Hause. Markus schrieb 393 Reisetage auf, was er erinnerte und wie, um vom Leben zu erzählen. In seinem Blog vereint er seitdem seine Leidenschaften: Reisen und Schreiben. Markus erzählt Geschichten von unterwegs. Von den Menschen, der Schönheit der Welt und wie es sich anfühlt, in ihr zu reisen und mit ihr zu leben. Schöne Welt.

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  2. Alex says:

    Hallo Mar­kus,
    da hast Du voll­kom­men recht, wir soll­ten nie ver­ges­sen, daß andere Men­schen für ihre Träume und ihr Leben kämp­fen müs­sen. Vor allem soll­ten wir denen dank­bar sein, die ihre Träume leben und mit ande­ren Men­schen teilen…

    LG

    Alex

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