Ich habe schon einige Städte erlebt, wo die Ver­kehrs­re­geln tra­di­tio­nell, sagen wir mal, etwas laxer gehand­habt wer­den. Etwa Sai­gon, das Wes­pen­nest, in dem ich selbst mit einem Motor­bike herum gewu­selt bin; oder der stin­kende Köter Neu-Delhi, wo das Über­que­ren einer mit irgend­wie rol­len­den Vehi­keln voll­ge­stopf­ten Straße nicht nur die Atem­wege ver­ätzt, son­dern auch reich­lich Krea­ti­vi­tät erfordert.
Auch in Alba­nien, Marokko, Äthio­pien – fast über­all in der Welt ist die Gefahr, im Stra­ßen­ver­kehr einen unrühm­li­chen Tod zu ster­ben um ein viel­fa­ches höher, als alle ande­ren Wag­nisse der schö­nen Reiserei.

Doch in Irans Städ­ten, und beson­ders in Tehe­ran, öff­nete sich mir eine neue Dimension.
Tehe­ran ist ein zäh­ne­flet­schen­des, graus­lich grol­len­des Biest.

Hier ver­sucht Klys eine der harm­lo­se­ren Stra­ßen zu über­que­ren – und überlebt:

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Hier wird kein Raum ver­schenkt, genauer gesagt: man schenkt sich gar nichts. Jeder­zeit kön­nen aus den kleins­ten Lücken Motor­rä­der schie­ßen, auch die Geh­wege sind ihr Revier. Und sie, wie auch die hupen­den Taxis, stin­ken­den Vans und klapp­ri­gen Busse, sie alle haben die Devise: Wer zuerst aus­weicht oder bremst, hat ver­lo­ren. Bis auf wenige Zen­ti­me­ter wird auf­ge­fah­ren, auch an meine dün­nen Beine. Zebra­strei­fen und Fuß­gän­ger­am­peln haben offen­sicht­lich nur eine deko­ra­tive Wirkung.
Hat er eine Aus­fahrt ver­passt, legt der fle­xi­ble Auto­fah­rer fix den Rück­wärts­gang ein, selbst­ver­ständ­lich auch auf dem High­way. Der U‑Turn inmit­ten des Haupt­ver­kehrs ist eine der leich­ten Übun­gen. Die Wei­ter­fahrt im Gegen­ver­kehr ist nur eine Frage des Durch­hal­te­ver­mö­gens. Uner­bitt­lich ver­sucht jeder sich durch­zu­set­zen. Im Zwei­fels­falle wird gehupt, geschrien, ges­ti­ku­liert. Gebremst nur im Notfall.

Ret­ten tut die armen Fuß­gän­ger wohl nur die Angst vor den Unan­nehm­lich­kei­ten eines Kol­la­te­ral­scha­dens – und dem Blut­geld, was an die Fami­lie des Opfers gezahlt wer­den muss… Trotz­dem ist die Pro-Kopf-Ver­kehrs­op­fer-Rate die höchste der Welt.

Und so stelle ich mir die Frage: Warum viel Geld für Bun­gee­jum­ping und ähn­li­che Nah­tod­erleb­nisse aus­ge­ben – bei jedem Über­que­ren einer Straße hier fühle ich die kalte, kno­chige Hand des Sen­sen­manns mei­nen Nacken krau­len und auch das Hup­kon­zert kann seine leb­lose Stimme nicht über­tö­nen, die mir ins Ohr mur­melt: Jetzt… hab ich dich!

Johannes Klaus

Johannes Klaus hängte seinen Job als Grafikdesigner an den Nagel, um 14 Monate um die Welt zu reisen. Seine Website Reisedepesche wurde 2011 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. In unbeobachteten Momenten streichelt er den Preis zärtlich, besteht ansonsten aber darauf, dass ihm so was völlig egal sei.

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  2. captain hook auf chai-gang says:

    das ist echt ein kon­trast­pro­gramm zu push­kar. bis auf schlag­loe­cher, kuehe, zie­gen musste ich heute auf dem motor­bike so ziem­lich zie­man­dem aus­wei­chen. hab mich zum ers­ten mal nach 2 mona­ten getraut selbst auf ein zwei­rad zu steigen…gute sache, bes­ser als seegang

  3. Alex der Schwede says:

    Ha ha Es ist sehr gut gelun­gen zu erkla­ren wie ver­ruckt das Verk­her in Iran ist. Ich wurde hin­zu­fu­gen dass Motor­rade auf den Geh­wege SCHNELL und IN BEIDE RICHTUNGEN fah­ren. Man ist beson­ders nicht in sicher­keit in den Geh­wege wurde ich sagen :)

  4. Susie Wise says:

    Uaaaah, das sieht aber mal rich­tig krass aus ! Ich glaube, da könnte noch nicht mal Rob was aus­rich­ten. Ich schi­cke dir in Gedan­ken einen HULK, der alles für dich frei schau­felt. Pass bloß gut auf dich auf, lie­ber Jo !!

  5. Imam says:

    Das ist atem­be­rau­bend, und – mein müt­ter­li­ches Herz krampft sich zusammen…vor allem beim Anschaun des Videos. Jua­nito, bitte pass gut auf dich auf – deine dün­nen Beine könn­ten so leicht über­se­hen wer­den!!! Aber du bist umsich­tig und klug, und ich ver­traue darauf,dass du das „zäh­ne­flet­schende, graus­lich grol­lende Biest“ besie­gen wirst!!

  6. HJK says:

    .. wie­der eine Nacht mit schlech­tem Schlaf – da gehe ich mor­gen doch lie­ber durch die wein­hei­mer Haupt­strasse. Pass bloss auf, dass sie Dich nicht platt machen — wir brau­chen Dich noch. Ein unge­fähr­li­ches Wochen­ende wünscht V.

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