Clown mit Blume

Bolivien, August 2011.

Ich war mit einer Freundin unterwegs. Bis in die Nacht haben wir Gespräche geführt. Sie wohnt am anderen Ende der bolivianischen Stadt, muss am nächsten Morgen früh aufstehen. Wir verabschieden uns mit einer Umarmung und ich mache mich auf den Weg zu meiner Unterkunft.Etwas mulmig ist mir schon zumute, die Straßen dieser Stadt sind nachts nicht die allersichersten. Mit dem Taxi zu fahren schließe ich aus. Erst vor kurzem hatten Fake-Taxifahrer einen befreundeten Mann, der in dieser Stadt schon lange lebt und arbeitet, ausgraubt und ihm ein blaues Auge geschlagen. Ich glaube, dass es sicherer ist, zu Fuß zu gehen. Sollte ich attakiert werden, kann ich versuchen wegzulaufen oder zumindest laut schreien – auch wenn beides auf einer Höhe von 3500 Metern über dem Meer wegen der dünnen Luft meine Lunge strapazieren würde.

So selbstsicher wie möglich, gehe ich durch die beinahe leeren Straßen. Nicht zu schnell gehen, auch nicht zu langsam. Die wenigen Personen, die mir begegnen, versuche ich einzuschätzen. Möchte möglichst schnell erkennen, ob sie mich wahrnehmen und womöglich auf mich zusteuern. Doch alles ist ruhig, die anderen Menschen sind vermutlich, genauso wie ich, einfach nur am Weg nach Hause.

Dann höre ich plötzlich Schritte hinter mir. Unzählige Gedanken wirbeln in meinem Kopf durcheinander. Während ich noch darüber nachdenke, was ich im Ernstfall mache, wie ich mich schützen kann, hält mir jemand ein kurzes Holzstäbchen vor’s Gesicht, oben drauf eine kleine Blume aus Schaumstoff, liebevoll selbst gemacht. “Für dich”, sagt eine Stimme neben mir. Ich schaue den jungen Mann an meiner Seite an. Lachfalten umspielen seine Augen. Nein, der will mir nichts Böses.

Etwas beschämt über meine unbegründete Furcht, nehme ich die Blume und bedanke mich. Der junge Mann fragt mich, warum ich alleine durch die Stadt ginge, das wäre nicht ungefährlich. Ich erkläre ihm, dass ich halt niemanden habe, der mich begleiten könnte und lieber zu Fuß ginge, als mit einem Taxi zu fahren. Er nickt verständnisvoll. Dann erzählt er mir, dass auch er nicht aus Bolivien, dass er eigentlich Argentinier wäre, dem indigenen Volk der Mapuche angehöre. Er wäre nach Bolivien gekommen, um auf den Straßen der Stadt Artesanía, Kunsthandwerk, zu verkaufen, eben diese selbstgemachten Blumen, Schnecken, Schmetterlinge auf den Holzstäbchen. Und als Clown arbeite er auch. Er möge es gern, Menschen und vor allem Kinder zum Lachen zu bringen, sagt er. Ein fröhlicher Mensch, denke ich, darum so viele Lachfalten.

“Wenn du magst, begleite ich dich ein Stück”, sagt er. “Damit du nicht alleine durch die Stadt gehen musst”, fügt er noch hinzu. Ich bin ihm dankbar für dieses Angebot, ich vertraue dem Clown und den Schmetterlingen in seiner Hand. Er erzählt von seinem Leben in Argentinien und Bolivien. Davon, dass es die Mapuche in seiner Heimat nicht leicht hätten. Bis zu einer Kreuzung geht er mit, dann verabschiedet er sich.

Am nächsten Tag sehe ich ihn wieder: In einer belebten Straße hält er den vorbeiziehenden Touristen die Holzstäbchen vor die Nase, ein breites Lachen im Gesicht. Ein Mensch, der Menschen mag, der das Leben einfach liebt, denke ich.

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