Blauäugig nach Pakistan (3): Zwischen Klischees und Realität

Pakistan Reise

Ich erwi­sche mich selbst immer wie­der bei Gedan­ken, die Paki­stan in ein schlech­tes Licht rücken. Oft befürch­te ich, als Aus­län­der erkannt und dann abge­zockt zu wer­den. Doch die Rea­li­tät über­rascht mich. Selbst auf dem klei­nen Rum­mel neben dem Hotel gibt es Tickets für die Fahr­ge­schäf­te – 50 Rupi­en pro Fahrt, kein Ver­han­deln, ein­fach orga­ni­siert. So, wie wir Deut­schen es lie­ben: kla­re Regeln, trans­pa­ren­te Prei­se. Ein uner­war­te­tes Gefühl von Ord­nung in einem Land, das in vie­ler­lei Hin­sicht chao­tisch wirkt.

Doch nicht alles lässt sich so ein­fach ein­ord­nen. Beson­ders das Bild der Frau ist ein The­ma, das uns wäh­rend unse­rer Rei­se immer wie­der beschäf­tigt. In Islam­abad sehen wir vie­le Frau­en – sie fah­ren Auto, arbei­ten in Geschäf­ten, gehen ihrem All­tag nach. In Faisa­labad hin­ge­gen scheint die Welt eine ande­re zu sein. Auf den Stra­ßen sehen wir kaum eine Frau. Mei­ne hell­häu­ti­ge Frau zieht unwei­ger­lich Bli­cke auf sich. Män­ner star­ren sie an, eini­ge hal­ten ihr Han­dy ver­stoh­len hoch, um heim­lich Fotos von ihr und den Kin­dern zu machen.

Wenn eine jun­ge Frau im Hotel arbei­tet, hat sie es dann „geschafft“? Ist das ein Zei­chen von Eman­zi­pa­ti­on? Oder wird von ihr trotz­dem erwar­tet, nach der Hoch­zeit zu Hau­se zu blei­ben?

Bei mei­ner Groß­fa­mi­lie ist die Ant­wort klar. Die Frau­en wer­den auf ihre Rol­le als Ehe­frau vor­be­rei­tet. Sie gehen zur Schu­le – aber nur so weit, wie es not­wen­dig ist. Ihr Leben ist vor­be­stimmt: Haus­halt, Kin­der, Kochen. Eine Rol­len­ver­tei­lung, wie sie auch in Deutsch­land noch vor nicht all­zu lan­ger Zeit exis­tier­te. Ich fra­ge mich, ob sich auch hier die tra­di­tio­nel­len Rol­len ändern – und wie lan­ge es dau­ern wird, bis sich eine Gleich­be­rech­ti­gung durch­setzt. Falls ja – es wirkt für mich zumin­dest nicht danach, als wür­de es schnell gehen.

Ein­kau­fen zwi­schen zwei Wel­ten

Frü­her haben wir vor unse­ren Paki­stan-Rei­sen die deut­schen Super­märk­te regel­recht geplün­dert: Zahn­pas­ta, Dusch­gel, Scho­ko­la­de – Din­ge, die es damals in Paki­stan kaum gab. Heu­te ist das anders. Paki­stan hat sich ent­wi­ckelt, inter­na­tio­na­le Mar­ken sind über­all erhält­lich. Doch das Label Made in Ger­ma­ny hat nach wie vor einen beson­de­ren Stel­len­wert. Man freut sich über deut­sche Pro­duk­te, als wären sie ein klei­nes Stück Luxus.

Die­ses Mal haben wir beschlos­sen, nur den Kin­dern Geschen­ke mit­zu­brin­gen. Doch als es um Klei­dung geht, ste­hen wir vor einem Dilem­ma. Die meis­ten Tex­ti­li­en in Deutsch­land stam­men aus Asi­en – war­um also dort kau­fen und sie hier­her brin­gen, wenn wir direkt vor Ort ein­kau­fen kön­nen? Also ent­schei­den wir uns, den Shop­ping­trip mit den Kin­dern lie­ber in Faisa­labad zu machen.

Faisa­labad hat sich gewan­delt. Drei neue Malls sind in den letz­ten sechs Jah­ren ent­stan­den. Unser Ziel: die Lyall­pur Gale­ria. Für eini­ge der Kin­der ist es das ers­te Mal in einem Ein­kaufs­zen­trum. Ihre gro­ßen Augen, die vor­sich­ti­gen Schrit­te, das Gefühl, in einer ganz ande­ren Welt zu sein. Vie­le von ihnen wur­den extra für die­sen beson­de­ren Aus­flug zurecht­ge­macht. Stolz lau­fen sie durch die brei­ten Gän­ge, zwi­schen inter­na­tio­na­len Mode­mar­ken und glit­zern­den Schau­fens­tern.

Der Rück­weg und noch ein­mal Islam­abad bei Regen

Als ob der lie­be Gott es ahn­te: Es reg­net in Strö­men, als wir uns von mei­ner Fami­lie ver­ab­schie­den. Ein Abschied vol­ler Fra­gen – ist es das letz­te Mal, dass ich eini­ge von ihnen sehe? Wer­den wir uns in sechs Jah­ren noch ein­mal so wie­der­se­hen, oder sind eini­ge dann bereits ver­hei­ra­tet, Eltern gewor­den, in einem ande­ren Lebens­ab­schnitt? Man weiß es nicht. Doch eines ist sicher: Es darf nicht noch ein­mal sechs Jah­re dau­ern.

Es ist kein ein­fa­cher Abschied. Kein „Tschüss, bis bald!“, son­dern ein Lebe­wohl über eine Distanz von über 6.000 Kilo­me­tern. Wäh­rend ich die­se Zei­len schrei­be, stei­gen mir die Trä­nen in die Augen. Fami­lie in Paki­stan bedeu­tet Ver­bun­den­heit, enge Freund­schaft, für­ein­an­der da sein – eine Art von Nähe, die mir in Deutsch­land oft fremd erscheint.

Der Fah­rer bringt uns durch den strö­men­den Regen zurück nach Islam­abad. Der Him­mel ist grau, die Stra­ßen sind nass, und mit jeder Kur­ve durch den Pun­jab wer­den die Gedan­ken schwe­rer. In Islam­abad che­cken wir ins Mar­riott Hotel ein – ein Hotel mit Geschich­te. 2008 wur­de es Ziel eines ver­hee­ren­den Bom­ben­an­schlags. Das Wis­sen dar­um sorgt für ein mul­mi­ges Gefühl, doch es bleibt eines der renom­mier­tes­ten Hotels des Lan­des. Hier tref­fen wir auf Geschäfts­leu­te, Diplo­ma­ten, Rei­se­grup­pen – und plötz­lich, völ­lig uner­war­tet, tippt mich jemand auf die Schul­ter. Ein Bekann­ter aus Ber­lin. Wir haben uns 2016 dort getrof­fen, nun sehen wir uns zufäl­lig in einem Hotel in einem Land mit 220 Mil­lio­nen Ein­woh­nern. Ein Moment, der die Welt plötz­lich klein erschei­nen lässt.

Der Abschied am nächs­ten Tag fällt schwer. Die Fahrt zum Flug­ha­fen dau­ert 45 Minu­ten – Zeit, um ein letz­tes Mal die Stadt auf­zu­sau­gen. Die Stra­ßen­ver­käu­fer mit ihren bun­ten Waren, die klei­nen schwar­zen Taxis, die Gebets­ru­fe der Moscheen, die uns fünf­mal täg­lich beglei­tet haben. Am Flug­ha­fen ange­kom­men, fol­gen vier letz­te Sicher­heits­kon­trol­len. Und immer wie­der die neu­gie­ri­ge Fra­ge: Wie fan­den Sie es in Paki­stan?

Ein Sicher­heits­be­am­ter erkun­digt sich, wohin unse­re Rei­se geführt hat. Als wir Faisa­labad erwäh­nen, strahlt er. „Ich kom­me von dort!“, sagt er vol­ler Stolz. Zum Dank für unse­ren Besuch lädt er uns zum Tee ein – eine klei­ne Ges­te, die so viel über die Gast­freund­schaft die­ses Lan­des aus­sagt.

Doch unse­re Rei­se endet nicht am Gate. Auch im Flug­zeug gehen die Geschich­ten wei­ter. Der Flug­be­glei­ter, der sich beson­ders lie­be­voll um unse­re Kin­der küm­mert, erzählt von sei­nem eige­nen Leben. „Als Mann in Paki­stan hat man immer Ver­ant­wor­tung“, sagt er. „Für die Fami­lie, für das Ein­kom­men, für die Ver­sor­gung. Und wenn man denkt, es sei vor­bei, muss man sei­ne Kin­der ver­hei­ra­ten und sich wei­ter küm­mern.“

Er erzählt von sei­nen Kin­dern, mit leuch­ten­den Augen. Doch er hebt sie nicht mehr auf den Arm – sie sind mitt­ler­wei­le 14.
„Wenn man etwas für sich selbst tun will“, fügt er hin­zu, „gilt man als ego­is­tisch.“

Ein wei­te­res Gespräch füh­ren wir mit einem Mann, der eine Nor­we­ge­rin gehei­ra­tet hat. In Nor­we­gen wach­sen Kin­der sehr behü­tet auf, erzählt er. „Wie in einem Kokon“, sagt er. „Sie haben kei­ne Chan­ce, das ech­te Leben ken­nen­zu­ler­nen.“ Des­halb über­zeug­te er sei­ne Frau, nach Paris zu zie­hen, wo sie ihre Kin­der mit mehr Rea­li­täts­sinn auf­wach­sen las­sen.

Bei all der Unter­schie­de zwi­schen unse­ren Lebens­wel­ten gibt es eine Kon­stan­te, die uns ver­bin­det: die Lie­be zu Paki­stan.


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