Anders leben: Mein Sizilien-Reset mit Workaway

Ich woll­te wirk­lich leben – nicht nur am Wochen­en­de. Nach all den Jah­ren vol­ler Stu­di­um und Schu­le fühl­te ich mich irgend­wie aus­ge­brannt. Ein Jahr ohne Stun­den­plä­ne und ohne die stän­di­ge Fra­ge „Was machst du nach der Uni?“ schien plötz­lich wich­ti­ger als alles ande­re. Also buch­te ich einen Flug nach Sizi­li­en und begann das, was ich spä­ter mein „Sizi­li­en-Reset“ nen­nen wür­de. Cata­nia wur­de zu mei­nem neu­en Zuhau­se, das Hos­tel zu mei­nem Arbeits­platz, und das Meer war mein Rück­zugs­ort. Was ich such­te, wuss­te ich nicht genau – aber ich fand viel mehr, als ich je erwar­tet hät­te.

Mein Weg nach Catania und warum ich mich für ein Jahr Auszeit mit Workaway entschieden habe

Nach fünf Jah­ren Uni, voll­ge­packt mit Modu­len, Dead­lines und „Was willst du denn jetzt arbei­ten?“, war mein Akku leer. Ich hat­te mein Mas­ter­stu­di­um abge­schlos­sen – und stand plötz­lich da, mit einem Abschluss in der Tasche, aber kei­ner Ahnung, was als Nächs­tes kom­men soll­te. Ich woll­te leben. Nicht effi­zi­ent, nicht ziel­ge­rich­tet, son­dern ein­fach – leben. Atmen. Frei sein. Ohne Plan.

Die Idee einer Aus­zeit schwirr­te mir schon län­ger im Kopf her­um. Doch ein Jahr nur rei­sen? Schön, aber teu­er. Und ehr­lich gesagt: Ich woll­te auch nicht nur kon­su­mie­ren. Ich woll­te ankom­men, dazu gehö­ren, Teil von etwas sein. Genau da kam Work­a­way ins Spiel – eine Platt­form, bei der man im Aus­tausch für Unter­kunft und Ver­pfle­gung etwa 25 Stun­den pro Woche arbei­tet. Als ich die Anzei­ge vom Ostel­lo degli Ele­fan­ti in Cata­nia sah, zöger­te ich nicht lan­ge. Zwei Wochen spä­ter lan­de­te ich auf Sizi­li­en – mit einem Kof­fer, einem leich­ten Herz­klop­fen und dem fes­ten Vor­satz, mich auf alles ein­zu­las­sen.

Der Alltag in Catania und warum das Meer mein bester Begleiter wurde

Das Hos­tel war bunt, leben­dig, chao­tisch und wun­der­schön. Ich teil­te mir ein klei­nes Zim­mer mit einem ande­ren Frei­wil­li­gen aus Bra­si­li­en – ein lus­ti­ger, her­zens­gu­ter Typ, mit dem ich mich auf Anhieb ver­stand. Unse­re Schich­ten an der Rezep­ti­on wech­sel­ten, aber ich über­nahm fast immer die Nacht­schich­ten. Von halb eins bis halb zehn mor­gens: Gäs­te nachts ins Hos­tel las­sen, Flug­ha­fen­ta­xis rufen, Fra­gen beant­wor­ten, Früh­stück vor­be­rei­ten, Hand­tü­cher sor­tie­ren, das typi­sche Hos­tel-Gewu­sel irgend­wie orga­ni­sie­ren. Manch­mal auch ein­fach nur da sein, wenn jemand nach einem Bier zu viel das Bedürf­nis hat­te, sein Herz aus­zu­schüt­ten.

Nach den Nacht­schich­ten, wenn die Stadt lang­sam erwach­te und das Licht gol­de­ner wur­de, ging ich ans Meer. Cata­nia liegt nicht direkt an einem Sand­strand (der ist etwas wei­ter weg), son­dern an schwar­zem Lava­ge­stein. Aber gera­de das moch­te ich – die­se raue, kan­ti­ge Schön­heit. Ich setz­te mich in den war­men schwar­zen Sand, die Füße im Was­ser und hör­te den Wel­len zu. Mei­ne Gedan­ken ließ ich trei­ben. Die­ses Ritu­al wur­de mein Anker. Mein Rück­zugs­ort. Ich lern­te, dass Stil­le nicht leer ist, son­dern vol­ler Ant­wor­ten.

Sizilien entdecken: Meine schönsten Ausflüge und Lieblingsorte

An frei­en Tagen oder nach durch­wach­ten Näch­ten, wenn ich wie­der halb­wegs wach war, pack­te ich mei­ne Tasche, stieg in einen der Über­land­bus­se und fuhr ein­fach los. Meis­tens ohne genau­en Plan, nur manch­mal mit exak­tem Ziel. Haupt­säch­lich mit Neu­gier im Gepäck.

Ich erin­ne­re mich an Taor­mi­na, das fast zu per­fekt ist, um wahr zu sein – mit sei­nen blü­hen­den Gas­sen, dem anti­ken Thea­ter und dem Blick auf den Ätna. An Syra­kus, wo Geschich­te in jedem Stein steckt und ich mich in den Son­nen­un­ter­gän­gen des cen­tro sto­ri­co ver­lor. Oder an klei­ne, unschein­ba­re Orte irgend­wo im Insel­in­ne­ren– aber an die Gerü­che, die Far­ben, die Stim­men erin­ne­re ich mich genau.

Manch­mal war ich allein unter­wegs, manch­mal mit ande­ren Vol­un­teers oder Gäs­ten aus dem Hos­tel. Eine Freund­schaft ist trotz der Distanz bis heu­te geblie­ben und bedeu­tet mir sehr viel. Wir lach­ten viel, dis­ku­tier­ten näch­te­lang über Gott, die Welt und ob man lie­ber am Meer oder in den Ber­gen leben soll­te. Und in wel­chem Land eigent­lich? Ich ent­deck­te nicht nur die Insel – ich ent­deck­te mich selbst Stück für Stück neu. Und das Schöns­te? Ich war nicht allein mit mei­nen Gedan­ken, nicht nur ich wuss­te erst­mal noch nicht, was das Leben für mich bereit hät­te.

Und dann war da noch Loren­zo. Ich habe ihn nicht lan­ge gekannt – aber er ist geblie­ben. Manch­mal den­ke ich an ihn, an unse­re Spa­zier­gän­ge durch Cata­nia, an das Lachen, das zwi­schen uns ganz selbst­ver­ständ­lich war. Es war nichts Gro­ßes, kei­ne gro­ße Geschich­te. Aber er hat Spu­ren hin­ter­las­sen. Und viel­leicht ist das das größ­te Geschenk sol­cher Begeg­nun­gen: dass sie einen berüh­ren, ohne dass man sie fest­hal­ten muss.

Was ich in einem Jahr Sizilien gelernt habe oder mein Sizilien-Reset: Mehr Leben, weniger Plan

Ich habe in die­sem Jahr nicht nur neue Orte ent­deckt – ich habe mich selbst neu ken­nen­ge­lernt. In Cata­nia, zwi­schen Vul­kan­ge­stein und Hos­tel­bet­ten, lern­te ich, mich durch­zu­set­zen. Vor allem in einer Welt, die noch stark von patri­ar­cha­len Struk­tu­ren geprägt ist. Es war Ange­la, die Hos­tel­be­sit­ze­rin, die mir mit ihrer ruhi­gen Art zeig­te, wie das geht. Eine beein­dru­cken­de Frau – warm­her­zig, klar, respek­tiert. Sie führ­te das Ostel­lo mit einem Blick fürs Wesent­li­che und einem Her­zen, das für ihre Gäs­te schlug. Von ihr lern­te ich, dass man Stär­ke nicht laut aus­spre­chen muss – man lebt sie.

Und ich lern­te, dass man nicht alles pla­nen kann. Dass manch­mal die bes­ten Din­ge dann pas­sie­ren, wenn man den Kalen­der schließt, die Erwar­tun­gen über Bord wirft und ein­fach los­geht. 

Ich kam mit dem Wunsch, mein Leben zu ent­schleu­ni­gen – und ging mit dem Gefühl, es end­lich wie­der zu spü­ren. Nicht per­fekt, nicht durch­ge­tak­tet. Son­dern echt. Ich lern­te, mich zu ver­lie­ren, um mich wie­der­zu­fin­den. Mit Sand unter den Füßen, Salz auf der Haut und einer Leich­tig­keit im Her­zen, die ich zuhau­se lan­ge nicht gespürt hat­te.

Und wenn ich heu­te an Cata­nia den­ke, den­ke ich nicht nur an Orte. Ich den­ke an Men­schen. An Gesprä­che bei Son­nen­un­ter­gang auf der Dach­ter­ras­se. An das Lachen in der Hos­tel­kü­che. An stil­le Ges­ten und neue Per­spek­ti­ven. An ein Jahr, das mein Leben lei­ser, aber tief­grei­fend ver­än­dert hat.


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