Dein Warenkorb ist gerade leer!
„Next station: Apeldoorn“, knattert es aus dem Lautsprecher. Ich mag, wie Holländer ihre Worte im Mund ganz rund werden lassen. Bei jeder Durchsage stelle ich mir den Schaffner als Hape Kerkeling vor. Ich fahre nach Amsterdam. Und nichts und niemand wartet dort auf mich. Ich besuche niemanden, ich arbeite nicht, ich reise. Um des Reisens willen. Allein.
„Könnte ich nicht“, habe ich bis zur Abfahrt von Freunden und Kollegen gehört – und meist nicht gewusst, ob das, was da mitschwang, Betroffenheit oder Bewunderung war.
Danke – Angst habe ich auch allein genug. Gereist bin ich schon viel. Aber diesmal ist es anders, so ganz ohne Gesellschaft und ohne eine Aufgabe. Und wenn ich mich einsam und erbärmlich fühle? Und wenn der Kellner mich im Restaurant an den Katzentisch neben der Klotür setzt? All das habe ich mich pausenlos gefragt und am Ende immer nur eins gewusst: Ich will aber die Welt sehen! Ich will aber unbedingt die Welt sehen!
Amsterdam also. Die Stadt gefällt mir schon, als ich am Hauptbahnhof aus dem Zug steige. Zwischen den Häusern gegenüber glitzert das Wasser in der Augustsonne, um mich herum ziehen gutgelaunte Menschen ihre Koffer über den Platz. Ich finde auf Anhieb die richtige Straßenbahn, Linie 2 schmeißt mich vorm Hostel nahe dem Van-Gogh-Museum raus. Auch das mache ich zum ersten Mal: in einem Hostel schlafen. Acht-Bett-Zimmer. Keine halben Sachen.
Fünf Minuten später halte ich einen Schlüssel mit der Aufschrift „Bed H“ in der Hand. A bis G sind belegt, schlussfolgere ich – und bin trotzdem überfordert, als ich die Zimmertür öffne und sich so viele Augenpaare auf mich richten. Die junge Frau mit den rotblonden Locken, die in der Mitte des Raumes steht, durchbricht die peinliche Stille. „Hi, I’m Emily“, sagt sie und lächelt. Emily und ihre Freundinnen Jess, Nicole, Robyn und Alex kommen aus England und reisen durch Europa, bevor sie nächsten Monat anfangen zu studieren. Ich verstaue meine Klamotten in meinem winzigen Schließfach, schiebe den Koffer unter Bett H, stelle die Waschtasche ins Badezimmer. Vorm Spiegel liegen drei Zahnspangen. Zwanzig Minuten später verlasse ich das Zimmer, während meine gut zehn Jahre jüngeren Roommates auf ihren Betten mit ihren iPhones und iPads rumdaddeln.
Die Schlange vorm Van-Gogh-Museum reicht selbst jetzt, am frühen Abend, noch ein gutes Stück die Straße hinunter. Linie 2 bringt mich zurück ins Zentrum. Ziel- und stadtplanlos erlaufe ich mir die Gegend, jede Ecke ein neues Versprechen, irgendetwas zu entdecken: einen Käsekeller, einen Hotdog-Automaten, einen Laternenpfahl, an dem sich Fahrräder mit überdimensionalen Holzkisten stapeln. Am Leidseplein schaue ich den Straßenkünstlern zu, an der Prinsengracht den Motorbooten hinterher. Da stehe ich und fasse den ersten bewussten Gedanken.
Ganz egal, wie die nächsten Tage werden: Es ist gut, dass ich mich auf die Reise gemacht habe. Und sei es nur für diesen Moment – einmal in meinem Leben in Amsterdam an der Prinsengracht gestanden und genau dies gedacht zu haben.
Einer Herausforderung will ich mich heute noch stellen: allein essen gehen. In einem richtigen Restaurant. Keine halbe Stunde später sitze ich zufrieden vor einem Bier und einer riesigen Portion Kroketjes vor einem Lokal im Jordaan-Viertel in der Abendsonne. Einen kurzen Anflug von Lächerlichkeit verscheuche ich, indem ich mich in mein Buch vertiefe. Das funktioniert! Allein essen habe ich mir schwieriger vorgestellt.
Eine Glückswelle trägt mich durch die nächsten drei Tage. Dass ich im Hostel keinen echten Anschluss finde, stört mich viel weniger, als ich bei meiner Ankunft dachte. So frei und stark habe ich mich lange nicht gefühlt. Ich sitze im Vondel-Park in der Sonne und lese, laufe mit einem Eis in der Hand die Grachten rauf und runter und hänge dabei locker jede Unsicherheit ab. Ich bestelle Schokokuchen in Cafés in schmalen Gassen und gehe einkaufen mit einer Ruhe und Muße, wie ich sie zu Hause nie an den Tag lege, weil ich für Shoppen eigentlich nichts übrig habe.
An meinem letzten Abend kaufe ich Antipasti, Käse, Brot und Bier im Feinkostladen und mache ein Picknick auf der Wiese vor dem Rijksmuseum. Der Boden ist noch warm von der Sonne, ich lege mich auf den Rücken schließe die Augen. Aus der Ferne höre ich Reggae. Und Fahrradklingeln.
Es war gut, mich auf die Reise zu machen. Diesmal ist das kein Gedanke, diesmal ist es ein Gefühl. Ein durch und durch gutes, untrügliches.
Über das Alleinreisen habe ich auch an dieser Stelle geschrieben. Wohin hat dich deine erste Reise allein geführt und wie war sie?
Erschienen am
Antworten
Ganz lieben Dank für deinen tollen, aufmunterenden Bericht. Mir steht im kommenden Jahr auch meine erste Reise alleine bevor und ich muss gestehen, dass ich echt Schiß habe. Ich bin niemand, der besonders mutig ist, aber ich will mich auch nicht einschränken lassen. Mit meinem Ex-Mann habe ich schon einiges gesehen, aber ich will noch viel mehr von der Welt sehen und kann ja nun nicht darauf warten, dass immer jemand mitkommt.
Ich bin gespannt, wie meine erste Reise allein sein wird.
LG
YvonneLiebe Yvonne,
danke für Deinen lieben Kommentar! Ich bin auch niemand, der besonders mutig ist. Letztlich sind es aber andere Dinge als Mut, die die Menschen in die Welt ziehen – Neugier, der Wunsch seinen Horizont zu erweitern etc.. Du wirst es bestimmt nicht bereuen und ich wünsche Dir eine tolle Zeit!
Ist man plötzlich wieder alleine unterwegs ist es zunächst beängstigend. Nach langer Zeit reise auch ich wieder alleine und man gewöhnt sich sehr schnell daran. Es zieht einen halt doch hinaus in die Welt, ob allein oder nicht.
Hallo Jürgen, da sagst es. Und ich bin froh, dass ich dem Ziehen damals nachgegeben hab, sozusagen.
»Ich will aber unbedingt die Welt sehen!« Genauso ist es 🙂
Jawoll, liebe Anne! 🙂
Klingt nach einem sehr entspannten Wochenende – Spazieren gehen halte ich auch für eine der schönsten Arten, Amsterdam zu erkunden. Alternativ dazu gibt’s halt die Boote in den Grachten und natürlich die Möglichkeit, ein Fahrrad zu mieten.
Hallo Stefan,
stimmt, das ist naheliegend. Hab aber beides nicht gemacht. Aber Fahrrädern ausgewichen bin ich dafür ständig.
Hallo Susanne, sehr toller Bericht! Ich denke so geht es vielen von uns bei der »ersten Reise alleine«. Die Angst vor der Reise, bis man bemerkt, dass es eigentlich gar nicht so schlecht ist und sich irgendwann in dieses »Alleinereisen« verliebt.
Meine erste Reise hat mich letzten September mit 19 Jahren nach Israel geführt: das erste mal mit Rucksack unterwegs, das erste Mal in einem Hostel übernachten und eben das erste Mal alleine unterwegs – eine meiner bisher besten Entscheidungen!
Alleine gegessen habe ich auch das erste Mal in Amsterdam 😉Ich wünsche dir noch ganz viel Spaß auf deinen Reisen, liebe Grüße Iris
Liebe Iris, vielen Dank. Und: Das freut mich zu hören! Vor allem auch, dass die Mehrheit mit dem Alleinreisen viel früher beginnt. Ich Schisshase war ja zehn Jahre älter als Du, als ich das erste Mal allein aufgebrochen bin. Dann wiederum ist es ja nie zu spät. Viele Grüße und Dir auch noch viele, viele tolle Reisen.
Hey Susanne!
Richtige Entscheidung dich allein auf Reisen gemacht zu haben. Ich habe das dieses Jahr auch zum ersten Mal gemacht, bei mir war es China – sehr aufregend, sehr anders. Und auch das Mehrbettzimmer im Hostel stand auf meiner »Das erste Mal Liste«, halb so schlimm, fand ich auch. Was ich auch noch zum ersten Mal gemacht habe: Couchsurfen. Kann ich dir (wenn man die Angebote gut selektiert) absolut empfehlen, das ist noch einmal eine ganz andere Art einen Zugang zur Stadt/ dem Land zu bekommen. Reisen öffnet ja immer ein wenig, meine Erfahrung ist: alleine Reisen öffnet den eigenen Blick noch viel mehr. Sollte jeder mal gemacht haben.
Liebe Grüße
Nicole von CicoBerlinHi Nicole, ich stimm Dir in allem zu. Nur Couchsurfing war bislang tatsächlich noch nicht so meine Tasse Tee. Vielleicht denk ich mal drüber nach. Liebe Grüße zurück!
Liebe Susanne, ein schöner Rückblick. Besonders der Satz »Diesmal ist das kein Gedanke, diesmal ist es ein Gefühl. Ein durch und durch gutes, untrügliches.« hat mich bewegt.
Gute Reise(n) weiterhin und liebe Grüße
AylinHallo Aylin,
Dankeschön, das wünsche ich Dir auch!
Hallo 🙂
ein sehr schöner Bericht!Meine erste Reise alleine hatte mich im Alter von 18 Jahren für ein Wochenende nach London geführt. Besonders an das »alleine« Fliegen musste ich mich am Anfang gewöhnen.
Mittlerweile macht es mir überhaupt nichts aus, alleine zu verreisen.
Mein Drang die Welt zu entdecken ist einfach größer, als jede Angst vor Einsamkeit ;).
Am Alleinreisen gefällt mir besonders, dass man schneller mit Anderen ins Gespräch kommt!Liebe Grüße aus Hamburg,
InesHallo Ines, vielen Dank! Warum findest Du ausgerechnet Alleinfliegen schwierig? Den Rest kann ich sehr gut nachvollziehen, ich hab dieselbe Erfahrung gemacht.
Schreibe einen Kommentar