Reise nach Pantelleria: Das Juwel zwischen den Kontinenten

Pan­tel­le­ria liegt abge­schie­den im Mit­tel­meer, auf hal­bem Weg zwi­schen Sizi­li­en und Tune­si­en. Die klei­ne Insel hat kei­ne Strän­de, gro­ße Hotels oder schi­cke Bou­ti­quen. Dafür bie­tet sie eine ein­zig­ar­ti­ge Mischung aus Natur, Geschich­te und Kuli­na­rik. Berühmt ist Pan­tel­le­ria für Kapern – die bes­ten der Welt sol­len hier wach­sen.

Schuld ist ein Gespräch mit einem Freund, der ger­ne kocht. Was Kapern sind, woher sie kom­men, wel­che Rezep­te es gibt, fragt er. Unwis­sen. Außer dem Hack­fleisch­ge­richt Königs­ber­ger Klop­se und dem Spa­ghet­ti-Klas­si­ker Puta­ne­s­ca fällt uns nicht viel ein. Ein Glück. Denn die Suche endet in Pan­tel­le­ria, einem Eiland zwi­schen Afri­ka und Euro­pa, von dem nicht nur die wohl bes­ten Kapern der Welt stam­men. Der Ort bezau­bert auch mit dra­ma­ti­scher Natur, einer ein­ma­li­gen Archi­tek­tur und uralter Kul­tur.

Pan­tel­le­ria ist eine unge­wöhn­li­che Insel: ohne Strand, gro­ße tou­ris­ti­sche Infra­struk­tur oder Shop­ping­er­leb­nis­se. Nur im Hoch­som­mer lan­den Tou­ris­ten mit Pro­pel­ler­ma­schi­nen oder neh­men Fäh­ren von Sizi­li­en. Eini­ge besit­zen Häu­ser – wie Mode­schöp­fer Gior­gio Arma­ni. „Wer schwim­men möch­te, braucht ein Boot oder springt von Fel­sen“, sagt Matteo Piceni. Der 52-Jäh­ri­ge führt über die klei­ne, stil­le Insel, die gera­de drei­mal so groß ist wie der Frank­fur­ter Flug­ha­fen.

Wir zockeln im Land Rover über enge Stra­ßen, die oft steil sind und auf Schot­ter­we­gen enden. Am „Par­co Archeo­lo­gi­co dei Sesi“ star­tet die Tour. Schon vor rund 4.000 Jah­ren schich­te­ten die ers­ten Sied­ler run­de, haus­ho­he Grä­ber aus schwar­zem Basalt. Genia­le Vor­bil­der aus prä­his­to­ri­scher Zeit. Bis heu­te hal­ten Tro­cken­mau­ern die Erde auf Pan­tel­le­ria fest wie eine Mut­ter ihr Kind und sta­peln selbst an Hän­gen, die ins Meer zu stür­zen schei­nen, kunst­voll Ter­ras­sen­fel­der auf. „12.000 Kilo­me­ter lang sind die Mau­ern“, sagt Matteo. Das wäre eine Stre­cke von Pan­tel­le­ria bis nach Argen­ti­ni­en.

Die „Pan­te­s­ci“ sind Bau­ern, kei­ne Fischer. Der Boden ist zu frucht­bar, das Meer zu rau. Im Win­ter röhrt der tro­cke­ne Mis­tral von Nor­den wie ein Fer­ra­ri-Motor. Im Herbst und Früh­ling fegt der Levan­te von Osten mit Nebel oder Regen her­an. Bei­ßen­de Saha­raluft bringt der Sci­roc­co. Bint al-Riyāḥ, Toch­ter des Win­des, nann­ten die Ara­ber die Insel, auf der sich alles unter dem Atem der Erde duckt. Oli­ven­bäu­me wach­sen kaum einen Meter hoch. Die Zibibbo-Trau­ben, aus denen der berühm­te Süß­wein Pas­si­to gekel­tert wird, ste­hen knie­hoch. Auch die Dam­mu­si, die ein­zig­ar­ti­gen Häu­ser Pan­tel­le­ri­as, lie­gen flach im Land wie Eidech­sen auf einem Stein.

Wie ein Ele­fan­ten­rüs­sel – an der Küs­te von Pan­tel­le­ria stür­zen bizar­re Fel­sen ins Meer (© Kutz­scher)

Etwa 7.000 Dam­mu­si soll es geben, genau­so vie­le wie die Insel Ein­woh­ner hat. Eini­ge für Ern­te und Esel gebaut, ande­re weit­läu­fig genug für meh­re­re Fami­li­en. Wie auf einem Schach­brett ste­cken die Räu­me ver­setzt und mit Trep­pen ver­bun­den inein­an­der. Dicke Lava­mau­ern schüt­zen vor Wind und Som­mer­hit­ze und spei­chern im Win­ter die Wär­me. Dar­über erhe­ben sich weiß getünch­te Kup­peln, die innen goti­schen Gewöl­ben mit Kreuz­rip­pen ähneln. Auf den kuge­li­gen Dächern sam­melt sich der Regen und fließt in unter­ir­di­sche Zis­ter­nen; lebens­wich­ti­ge Reser­ven auf einer Insel, die kei­ne Süß­was­ser­quel­le hat. Erst seit ein paar Jah­ren hilft moder­ne Tech­nik: Vor der Küs­te arbei­ten Ent­sal­zungs­an­la­gen.

Pas­siv­küh­lung und Was­ser­spei­che­rung: Die öko­lo­gi­sche Bau­wei­se der Dam­mu­si ent­wi­ckel­ten die Ara­ber ab dem 9. Jahr­hun­dert. Zis­ter­nen gab es schon zu puni­scher Zeit, 600 Jah­re vor Chris­tus. Nichts passt bes­ser zu den har­ten Bedin­gun­gen des erlo­sche­nen Vul­kans. Frü­her und heu­te. Selbst neue Häu­ser ent­ste­hen im alten Stil, „nur erkenn­bar an den akku­rat behau­en Stei­nen“, sagt Matteo und zeigt auf einen hohen Lava­k­reis mit Ein­gang, einen „Gar­di­no Pan­tes­co“. In den geschütz­ten Gär­ten wächst meist ein ein­zi­ger Oran­gen- oder Zitro­nen­baum; der stei­ner­ne Kokon als Sym­bol für Frucht­bar­keit in extre­mer Umge­bung.

»Gar­di­no Pan­tes­co« sind ein­zig­ar­ti­ge, tra­di­tio­nel­le Gär­ten auf Pan­tel­le­ria. Sie wer­den kreis­rund aus Lava­stei­nen geschich­tet und schüt­zen meist einen ein­zel­nen Zitro­nen- oder Oran­gen­baum (© Kutz­scher)

Kon­tras­te sind typisch für die Insel. Im Früh­jahr ver­wan­delt sich der ver­dorr­te Boden in einen duf­ten­den Park. Die nähr­stoff­rei­che Lava und das sub­tro­pi­sche Kli­ma haben einen Hot­spot medi­ter­ra­ner Bio­di­ver­si­tät geschaf­fen. Wil­der Fen­chel, Gins­ter und Myr­te blü­hen. Aus Basalt­fur­chen quel­len Blu­men in Weiß, Rot, Gelb und umschmei­cheln das Schwarz der Stei­ne wie Licht den Schat­ten. Tep­pi­che aus Ros­ma­rin sto­ßen har­zi­ge Schwa­den aus. Im Grün raschelt und fiept es. Sel­te­ne Vögel wie die Alge­ri­sche Blau­mei­se und der Zis­ten­sän­ger nis­ten in Euro­pa nur auf Pan­tel­le­ria.

Wir lau­fen mit Matteo durch den Natio­nal­park, der sich über rund 80 Pro­zent der Insel erstreckt und in des­sen Zen­trum sich der „Mon­tagna Gran­de“ auf 836 Meter erhebt. An den Flan­ken des Bergs steigt Was­ser­dampf aus dem Erd­in­ne­ren auf, am Fuß leuch­tet ein Kra­ter­see mit Ther­mal­quel­len, der den Him­mel spie­gelt wie polier­tes Glas. Im „Spec­chio di Vene­re“, sagt eine Legen­de auf Pan­tel­le­ria, habe sich Venus bewun­dert, die römi­sche Göt­tin der Lie­be und Schön­heit, bevor sie zu ihren Gelieb­ten eil­te. Eher gemäch­lich soll­te man die gut 150 Kilo­me­ter Wan­der- und Bike­we­ge der Insel ange­hen. Stän­dig öff­nen sich präch­ti­ge Bli­cke vom Lava­land auf das tief­blaue Meer.

Kapern ste­hen über­all. Wild wuchert der kuge­li­ge Busch, wo sonst nichts gedei­hen will. An Mau­en, auf Fel­sen, in Asphalt­rit­zen. Bis in den Hoch­som­mer öff­nen sich mor­gens zart­wei­ße Blü­ten­kel­che mit laven­del­blau­en Staub­fä­den. Schon vor der Mit­tags­son­ne flüch­tet der mine­ra­li­sche Duft, abends ist die Pracht ver­dorrt. Kapern pflü­cken ist Hand­ar­beit, ab Tages­an­bruch, vor der Blü­te, gebückt, im Staub. „Kaum einer will das noch machen“, sagt Matteo. Bleibt die Frucht län­ger ste­hen, bil­den sich Kapern­äp­fel. Sie sind groß wie Oli­ven, ess­bar, aber weit weni­ger wert­voll. Kon­ser­viert in Salz gal­ten Kapern schon in der Anti­ke als fei­ne Wür­ze und Heil­mit­tel gegen Blä­hun­gen oder Zahn­schmer­zen.

Krisz­ti­na Cse­re arbei­tet im Kapern­be­trieb Bono­mo & Giglio (© Kutz­scher)

Als vie­le Leu­te Pan­tel­le­ria in den 1960er ver­lie­ßen, um woan­ders Arbeit zu fin­den, sei der Anbau ein­ge­bro­chen. Erzählt Krisz­ti­na Cse­re von der Kapern­fir­ma Bono­mo & Giglio. Erst in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten sei die Pflan­ze wie­der ent­deckt und „zum grü­nen Gold“ der Insel gewor­den, begehrt bei Gour­mets zwi­schen Dubai und den USA. Mitt­ler­wei­le wer­den wie­der rund 120 Ton­nen im Jahr auf Pan­tel­le­ria geer­netet. „In unse­rer Lava gedei­hen die edels­ten Sor­ten!“. Tür­kei, Marok­ko und Spa­ni­en könn­ten nicht mit­hal­ten, meint Krisz­ti­na und lacht.

In der Bar Belu­ga in Kam­ma, einem Bau­ern­dorf hoch über der Küs­te, essen wir Brot mit Kapern, Kar­tof­fel­sa­lat mit Kapern, Huhn mit Kapern. Sie sind klein und fest. Blu­mi­ge, bit­te­re, zitro­ni­ge Aro­men und ein Hauch von Meer umschmei­cheln den Gau­men. Ob Fleisch, Fisch, Nudeln, Salat: Die grü­ne Knos­pe ver­edelt vie­le Gerich­te auf Pan­tel­le­ria. Cous­cous, gewürz­te Lin­sen und Teig­ta­schen hal­ten dage­gen. Das ist das kuli­na­ri­sche Erbe Afri­kas. An schö­nen Tagen tan­zen 70 Kilo­me­ter ent­fernt die sche­men­haf­ten Kon­tu­ren der tune­si­schen Küs­te am Hori­zont; als hät­te der hei­ße Wind sie plötz­lich her­an­ge­weht. Wir genie­ßen Scho­ko­la­den­eis mit Kapern in der Gela­te­ria di Ulis­se am Hafen von Sca­u­ri. Bei Son­nen­un­ter­gang ein Liebs­ort der Pan­te­s­ci. In der herb-fluf­fi­gen Süße und sal­zig-schar­fen Tie­fe des Eis tref­fen sich die Far­ben, Aro­men und Kul­tur Pan­tel­le­ri­as.

Dome­ni­ca kommt aus Nea­pel und führt die Gela­te­ria di Ulis­se – sie hat Scho­ko­la­den­eis mit Kapern kre­iert. Das gibt es wohl nur an die­sem einen Ort auf der Welt (© Kutz­scher)

An der „Bala­ta dei Tur­chi“ läuft ein mäch­ti­ger Lava­strom ins Meer. Die Bucht ist der süd­lichs­te Zip­fel Pan­tel­le­ri­as. Über eine Pis­te geht es abwärts. 300 Meter tief stür­zen Klip­pen in kris­tall­kla­res Was­ser. Pira­ten und Inva­so­ren hät­ten hier frü­her gean­kert, erzählt Matteo. Archäo­lo­gi­sche Fun­de deu­ten auf eine Nut­zung schon vor über 7.000 Jah­ren hin. Stein­zeit-Men­schen bau­ten Obsi­di­an ab. Das vul­ka­ni­sche Gesteins­glas war ein wert­vol­ler Roh­stoff für Klin­gen, Boh­rer, Pfeil­spit­zen. Wir gehen schwim­men und han­geln uns an einem Seil wie­der raus, das an einem Fel­sen fest­ge­macht ist. Auf den war­men, fast wei­chen, von der Bran­dung rund geschlif­fe­nen Stei­nen liegt man gut – sonst ist kei­ner an die­sem wil­den, fast unbe­rühr­ten Ort.

Rei­se­infor­ma­tio­nen

Anrei­se

Euro­wings, ITA oder Easy­jet flie­gen nach Paler­mo, dann mit Danish Air Trans­port (DAT) wei­ter. Von Tra­pa­ni aus brau­chen schnel­le Fäh­ren knapp 3, lang­sa­me­re etwa 6 Stun­den.

Woh­nen

Dam­mu­si las­sen sich über das Tou­ris­mus­bü­ro, loka­le Ver­mitt­ler wie abitarepantelleria.com oder wei­te­re Por­ta­le buchen.

Ent­de­cken

Das Tou­ris­mus­bü­ro (www.pantelleriaisland.it/) orga­ni­siert Exkur­sio­nen.

Mobi­li­tät

Die loka­len Ver­mie­ter Pan­tel­Rent und Sici­ly­By­Car haben Sta­tio­nen am Flug­ha­fen.

Essen

Güns­tig sind die Bars Belu­ga in Kam­ma und U Fris­cu in Sca­u­ri; Top-Niveau bie­ten das AI Tra­mon­to und Il Prin­ci­pe e il Pira­ta. Bes­te Eis­die­le ist das „Il Gela­to di Ulis­se“ am Hafen von Sca­u­ri.


Antwort

  1. Avatar von Semper Aliquantulus
    Semper Aliquantulus

    Für lite­ra­ri­sche Ein­bet­tung kann der Roman »Bel­la Ger­ma­nia« von Dani­el Speck die­nen, in dem Pan­tel­le­ria eine wesent­li­che Rol­le spielt.

    Vor und nach dem Buch hat­te ich noch nicht von der Insel gehört und bin daher total dank­bar für die­sen viel­schich­ti­gen Arti­kel.

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