Meist sind die uner­war­te­ten Ereig­nisse auf Rei­sen die bes­ten. Dann, wenn man es am wenigs­ten erahnt, trifft es einen völ­lig unvor­be­rei­tet: Das Glücks­ge­fühl. Bumm. Zack. Manch­mal aber, da ahnt man schon im Vor­hin­ein, dass einen Außer­ge­wöhn­li­ches erwar­tet. Man spürt es, vol­ler Vor­freude. Und wenn es einen dann nicht ent­täuscht, die­ses Ereig­nis, son­dern die Erwar­tun­gen sogar über­trifft, dann gibt es eigent­lich nichts Schö­ne­res. Dann ist man erleich­tert und dankbar.

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Unser Besuch beim Ijen-Vul­kan war eines sol­cher Ereig­nisse. Eines, von dem man sich vorab soviel erwar­tet, dass man bei­nahe Angst hat, ent­täuscht zu wer­den. Der Wecker (oder in unse­rem Fall das Iphone) klin­gelte um 0:15. So füh­len sich also zwei Stun­den Schlaf bei gefühl­ten 40 Grad Cel­sius an. Wäh­rend wir uns etwas träge aus den Bet­ten wälz­ten, berei­tete unsere indo­ne­si­sche Lieb­lings-Omi bereits unser Lunch-Paket vor. Unser Jeep­fah­rer begrüßte uns frisch und mun­ter. Uns fiel sofort seine bunte, für indo­ne­si­sche Ver­hält­nisse sehr dicke, Haube auf. Spä­ter wurde uns klar, wes­halb er sie trug. Und noch etwas fiel uns auf: Regen. Uah. Wir waren uns so sicher gewe­sen, dass das hier unser High­light wer­den würde. Bitte, lie­ber Regen, ver­dirb es uns nicht! „Here rain, no rain at the vol­cano.“ Schien ein orts­kun­di­ger Typ zu sein, unser Jeep-Fah­rer. Na dann mal los!

Die Stim­mung wäh­rend der Fahrt zum Trek­king-Aus­gangs­punkt war gru­se­lig: Hitchcock’s Psycho (Die Auto­szene!) oder Shi­ning – wir waren uns nicht ganz sicher, wel­chem Film wir die Atmo­sphäre eher zuord­nen soll­ten. Ein­ge­pfercht in den Jeep, die Klei­dung schon jetzt etwas feucht, der Schei­ben­wi­scher pau­sen­los, diese dunkle, kur­vige Straße und weit und breit kein ande­res Fahr­zeug – mit Aus­nahme zweier Mopeds, die uns überholten.

Gegen 2 Uhr Nachts erreich­ten wir den Park­platz. Und dann ging es auch gleich los: Der Auf­stieg. Kaum geschla­fen, kör­per­lich ent­kräf­tet und doch vol­ler Taten­drang schlän­gel­ten wir uns den Weg zum Kra­ter­rand hin­auf. Ste­tig berg­auf, Schritt für Schritt. Kräf­te­zeh­rend, das beschreibt unsere Wan­de­rung wohl am besten.

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Nach kur­zer Zeit bemerk­ten wir ihn, den klei­nen schmäch­tig wir­ken­den Mann, der uns beglei­tete. Erst unauf­fäl­lig. Er war­tete auf uns, wäh­rend wir in den kur­zen Pau­sen nach Luft schnapp­ten und unse­ren tro­cke­nen Mund am Was­ser erfreu­ten. Er ging neben uns, wich uns nicht von der Seite. Es wirkte, als wolle er uns beschüt­zen. Dabei war er es, der beschützt wer­den müsste. Denn er ist einer jener Män­ner, die hier am Ijen Vul­kan Tag für Tag ihr Leben in Gefahr brin­gen, um die Fami­lie ernäh­ren zu kön­nen. Noch waren seine Körbe leer. Sie war­te­ten dar­auf, gefüllt zu wer­den. Gefüllt mit den gel­ben Gesteins­bro­cken des Schwe­fels, der im Kra­ter­schlund des Ijen-Vul­kans abge­baut wird. Der Schwe­fel ist es, der die Arbei­ter und ihre Fami­lien am Leben hält und der sie zur sel­ben Zeit tötet, ganz langsam.

Mitt­ler­weile hat­ten wir den ers­ten Auf­stieg fast geschafft. Der Mann moti­vierte uns, leuch­tete Uneben­hei­ten im Boden für uns aus und hielt uns über die wei­tere Beschaf­fen­heit des Weges auf dem Lau­fen­den. Nur noch 200 Meter steil berg­auf, dann hät­ten wir das Gröbste über­stan­den. Dann wür­den wir das blaue Feuer sehen. Zum aller­ers­ten Mal. Der Mann, er sieht es täg­lich. Unvorstellbar.

Und tat­säch­lich. Tief unten im Kra­ter­schlund, ganz weit in der Ferne sahen wir es fla­ckern, sahen wie sich der Schwe­fel­dampf an der Luft ent­zün­dete. Wir woll­ten eine Pause machen, kurz ras­ten und uns wie­der sam­meln. Mitt­ler­weile war es halb 4, das blaue Feuer würde noch ein wenig bren­nen, dann würde es erlischen. „Wanna go down?“. Für einen kur­zen Moment waren wir uns nicht sicher, ob wir den Abstieg auf uns neh­men wollen.

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Lang­sam, ganz lang­sam, bahn­ten wir uns den Weg nach unten. Erst ganz vor­sich­tig, Schritt für Schritt dem blauen Feuer ent­ge­gen. Oft fan­den wir kei­nen Halt auf den rut­schi­gen Fel­sen, tra­ten Geröll zur Seite, das sogleich ins Tal hinab stürzte. Mit jedem Schritt wurde die Luft ätzen­der, brannte die Lunge mehr. Ste­tig nach unten, das blaue Feuer, das Ziel, immer vor Augen.

Das Atmen war mitt­ler­weile bei­nahe unmög­lich. Trotz Schutz­maske schmeck­ten wir mit jedem Atem­zug die gif­ti­gen Dämpfe. Immer wie­der ließ uns eine weiße Rauch­wolke für kurze Zeit unsere Ori­en­tie­rung ver­lie­ren. Die Augen, sie trän­ten. Ohne dass wir es gleich bemerk­ten, hatte der Mann bereits mit dem Kern sei­ner Arbeit begon­nen: Mit einer Eisen­stange hackte er auf die gel­ben Gesteins­bro­cken ein, solange bis sein Korb bela­den war. Wir beob­ach­te­ten ihn dabei, jeder­zeit auf der Lauer vor dem wei­ßen Dampf. Und dann, mit einem kräf­ti­gen Wind­stoß, kam diese eine Rauch­wolke, die uns alle panisch wer­den ließ. Wir sahen ein­an­der nicht mehr, rie­fen nur unsere Namen, konn­ten uns nicht ori­en­tie­ren, konn­ten nicht atmen, woll­ten flüch­ten, wuss­ten aber nicht in wel­che Rich­tung. Die Angst, die wir in die­sem kur­zen Moment, in die­sen weni­gen Sekun­den, fühl­ten, sie war so intensiv.

Etwas abseits der gel­ben Schwe­fel­ab­la­ge­run­gen fan­den wir ein­an­der wie­der, beob­ach­te­ten das Natur­schau­spiel noch eine Weile aus siche­rem Abstand, waren über­wäl­tigt, beein­druckt. Der Mann hatte nun genug Schwe­fel gesam­melt. Seine Körbe waren so voll, dass die Schwer­kraft die Bam­bus­stange auf sei­ner Schul­ter stark nach unten bog. Nach all der Anstren­gung musste er die Ladung nun wie­der hin­auf zum Kra­ter­rand befördern.

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Gemein­sam bahn­ten wir uns also den stei­ni­gen Weg wie­der berg­auf, vor­bei an Fel­sen, vor­bei an Arbei­tern, die durch ihre schwere Last zu einer Pause gezwun­gen wur­den. Das Atmen fiel uns zuneh­mend leich­ter und lang­sam, ganz lang­sam wurde es hell. In der Mor­gen­däm­me­rung erreich­ten wir den Kra­ter­rand. Wir ver­ab­schie­de­ten unse­ren Beglei­ter und gaben ihm noch etwas Geld mit auf sei­nen beschwer­li­chen Weg.

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Vor all der Anstren­gung hat­ten wir gar nicht bemerkt, wie hung­rig wir eigent­lich waren. Mit unse­ren eisi­gen Fin­gern pack­ten wir in der klir­ren­den Kälte die indo­ne­si­schen Crois­sants und den süßen Kakao aus. Unsere Bli­cke schweif­ten vom Kra­ter­schlund zur umlie­gen­den Land­schaft und wie­der zurück. Das ist einer die­ser Momente. Ihr wisst schon, Glücks­ge­fühl. Und noch viel­mehr: Dank­bar­keit. Dar­über, was wir alles erle­ben dür­fen und nicht müssen.

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Wir beob­ach­te­ten, wie die Sonne nach und nach die Land­schaft erleuch­tete. Der Weg, den wir vor­hin bergab gegan­gen waren, erst jetzt konn­ten wir ihn bei Tages­licht sehen. Wir wären wohl noch stun­den­lang so dage­stan­den, der Blick auf den Kra­ter­see gerich­tet, über­wäl­tigt, wenn da nicht die Kälte gewe­sen wäre, die gna­den­los in unsere Kör­per kroch. Auf dem Foto – wir fin­den es ja herz­al­ler­liebst – kann man gut erken­nen, dass wir alle drei schon Eis­zap­fen waren.

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Schwe­ren Her­zens ver­ab­schie­de­ten wir uns vom Ijen-Vul­kan. Noch ein Foto, ein letz­ter Blick auf den Kra­ter­see – wir konn­ten uns kaum tren­nen. Der Rück­weg ins Tal kam uns end­los vor. Erst jetzt bemerk­ten wir, wie lange wir früh­mor­gens berg­auf gegan­gen waren. Kurve um Kurve, Schritt um Schritt kamen wir dem Aus­gangs­punkt unse­rer Wan­de­rung näher. Lang­sam über­rannte uns die Müdig­keit, die bis zu die­sem Zeit­punkt der Eupho­rie gewi­chen war. Unsere Beine, ganz schwer, tru­gen uns gerade noch die letz­ten Schritte bis zum Jeep. Wir lie­ßen uns in die Sitze fal­len, rochen den Schwe­fel­ge­ruch, der sich an unse­rer Klei­dung abge­setzt hatte. Der Motor star­tete, noch ein paar wirre Gedan­ken, dann schlie­fen wir alle ein…

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Cate­go­riesIndo­ne­sien

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