Wie ein Polizist

Mexiko, November 2009.

In der nordmexikanischen Grenzstadt sitze ich im Büro eines Menschenrechtsaktivisten. Ich bin unschlüssig, was ich machen soll, darum bin ich hierhergekommen. Vielleicht kann mir dieser Mann helfen. Ich arbeite gerade an einer Reportage über Mexikaner, die aus den USA abgeschoben worden waren. Viele leben auf der Straße und im schmutzigen Kanal. Jetzt hat mir jemand davon erzählt, dass in einem verlassenen Tal direkt am Grenzzaun, dem Valle de los muertos, Tal der Toten, hunderte Personen leben sollen. Auch Kinder wären dort, hatte mir ein junger Mann gesagt.Einmal schon hatte ich das Tal betreten. Ich war nicht weit hinein gegangen, wusste nicht, was mich dort womöglich erwarten würde. Die einzigen Menschen, die mir begegneten, waren ein paar drogenabhängige Männer. Keine Spur von Frauen oder Kindern. Aber vielleicht versteckte man diese in den hintersten Ecken des Tales. Alleine wollte ich aber nicht ins Dickicht gehen, das schien mir zu gefährlich. Also beschloss ich, den Universitätsprofessor aufzusuchen, der unzählige Menschenrechtsberichte verfasst hatte und wissen musste, ob sich tatsächlich Kinder im Valle de los muertos aufhielten.

Doch er hat nie davon gehört. Selbst kann er mich nicht begleiten, auf seinem Tisch stapelt sich die Arbeit. Zu viele Dinge passieren in dieser Stadt, ständig werden Menschenrechte verletzt. Er greift zum Telefon, wählt eine Nummer, erklärt kurz, um was es geht. Nachdem er aufgelegt hat, sagt er mir, ich solle zur Polizeistation gehen, der Vizechef der Policía Municipal würde auf mich warten, vielleicht wüsste dieser mehr.

Ich mache mich auf den Weg dorthin. Ein komisches Gefühl überkommt mich, als ich vor dem großen grauen Gebäude der Stadtpolizei stehe. Bisher hatte ich um jeden Polizisten einen großen Bogen gemacht. Vor einigen Wochen hatte ein Drogenkartell angekündigt, jede Woche fünf Polizisten umzubringen. Ich wollte nicht unbedingt zur falschen Zeit am falschen Ort sein.

Nachdem ich dem korpulenten Polizisten in seinem Büro vom Valle de los muertos erzählt habe, beschließt er kurzerhand, dass wir dort hinfahren sollten. Bevor wir das Revier verlassen, zieht er eine dunkle Jacke über seiner Uniform an. “Wir nehmen mein Privatauto”, erklärt er mir vor dem Polizeigebäude, das wäre sicherer. Während wir in sein Auto einsteigen, fragt er mich: “Sehe ich aus wie ein Polizist?” Da muss ich schlucken. Neben einer potentiellen Zielscheibe der Drogenkartelle zu stehen, fühlt sich nicht unbedingt angenehm an.

Ich bemühe mich, schnell zu versichern, dass er nicht aussehen würde, wie ein Polizist. So in zivil und in seinem Privatauto. Aber wirklich sicher bin ich mir bei dieser Aussage nicht. Sein Auftreten verrät sicher irgendwie etwas über seinen Beruf. Während wir die Schnellstraße entlang rasen, schiebe ich den Gedanken in die hintersten Sphären meines Kopfes. Am Rand des Tales hält der Polizist seinen Wagen. Wir steigen aus, schauen über das Valle de los muertos. Nach einer Weile sagt der Vizechef der Stadtpolizei: “Hier leben keine Kinder”.

Ich frage mich, woher er das weiß. Wir haben noch nicht einmal einen Schritt in das Tal gesetzt. Mir bleibt wenig zu machen, als wieder mit ihm ins Auto zu steigen und zurück in die Stadt zu fahren. Denn: Er ist Polizist und mit denen sollte man sich in Mexiko dann doch nicht anlegen.

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Antwort

  1. Avatar von Christoph

    Kommt drauf an, wo in Mexi­ko. In Yuca­tan kann man sich getrost mit denen anle­gen. In Michoa­can wür­de ich auf­pas­sen. Nicht nur wegen der unter­schied­li­chen Gewehr­län­ge 😉 An der Nord­gren­ze gilt das ver­mut­lich eben­falls…

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