Seereise in die Antarktis: Eine Welt aus Eis und Licht

Über­mut? Ist es das, was unse­ren Kapi­tän treibt? Jeden­falls hören wir ihn durch die Laut­spre­cher sagen, dass er das Schiff wen­den lässt, damit auch die Gäs­te auf der Steu­er­bord­sei­te die­sen Son­nen­un­ter­gang sehen kön­nen. Äh, Kurs­wech­sel für einen Son­nen­un­ter­gang? Dann dreht die „Bre­men“, und wir, die wir bis­her auf der fal­schen Sei­te saßen, erken­nen plötz­lich, was gemeint ist. Wir sehen Far­ben, wie sie zau­ber­haf­ter nicht sein kön­nen. Als Post­kar­te wäre der Anblick schlimms­ter Kitsch, doch live ist er von atem­be­rau­ben­der Schön­heit. Und wir erken­nen: Die­ser Kapi­tän ist kein Hal­lo­dri, son­dern ein Roman­ti­ker.

Antarktis_Sonnenuntergang_Schiff_pushreset

Fahrt in die Antarktis mit der MS Bremen. Copyright www.pushandreset.com

Das Licht am ande­ren Ende der Welt: Son­nen­un­ter­gang über dem Süd­at­lan­tik

Doch, halt: Was machen wir hier? Wir erfül­len uns einen Rei­se-Traum. Schon lan­ge seh­nen wir uns nach einem Trip in die Welt des ewi­gen Eises. Aber wir sind kei­ne Aben­teu­rer, Käl­te kön­nen wir nicht gut ab. Susan­ne, die Halb-Por­tu­gie­sin, kriegt bereits eine Dau­er-Gän­se­haut, sobald die Tem­pe­ra­tu­ren unter 25 Grad sin­ken. Und mein Kör­per hört bei Frost auf, Hän­de und Füße mit zu behei­zen, ein wahr­lich läs­ti­ges Spar­pro­gramm. Des­halb war klar, dass für uns nur eine Schiffs­rei­se in die Ant­ark­tis in Fra­ge kom­men wür­de. Lei­der kos­ten die so viel wie ein Klein­wa­gen. Doch dann spiel­te uns das Glück in die Hän­de, eine Kabi­ne wur­de kurz­fris­tig frei, eine Pres­se­spre­che­rin erin­ner­te sich an unser Pro­jekt, wir orga­ni­sier­ten An- und Abrei­se selbst – und im Novem­ber tref­fen wir in Mon­te­vi­deo ein. Nach zwei Über­nach­tun­gen in einem hohen She­ra­ton, aus dem man einen tol­len Blick hat über die­se selt­sa­me Stadt, gehen wir mit unse­ren Ruck­sä­cken und Trek­king-Schu­hen an Bord der Bre­men.

Antarktis_MS_Bremen_Hafen_pushreset

Beginn einer neu­en Rei­se: Mit der MS Bre­men geht es von Mon­te­vi­deo bis zur Ant­ark­ti­schen Halb­in­sel. Der Sturm über der Dra­ke-Pas­sa­ge – auf der Wet­ter­kar­te rot ein­ge­zeich­net – wird bereits wei­ter gezo­gen sein, wenn wir den Süden errei­chen

Es ist ein klei­nes Kreuz­fahrt­schiff, Platz für rund 150 Pas­sa­gie­re auf 111 Metern Län­ge und sie­ben Decks, mari­tim ein­ge­rich­tet, mit viel Herz­blut geführt. Schnell hat man sich ori­en­tiert auf dem Schiff, das uns bis zur Ant­ark­ti­schen Halb­in­sel brin­gen wird. Anfangs geht es Rich­tung Falk­land Inseln, dann dre­hen wir nach Osten mit Ziel Süd-Geor­gi­en und fah­ren von da über die South-Sand­wich-Island, ent­ge­gen­ge­setzt der Rou­te Shack­le­tons – als der Hil­fe hol­te für die zurück­ge­las­se­nen Män­ner sei­ner geschei­ter­ten Ant­ark­tis-Durch­que­rung – bis Ele­phant Island und wei­ter zur Spit­ze der Ant­ark­ti­schen Halb­in­sel. Auf dem Rück­weg müs­sen wir dann die für ihre hef­ti­gen Stür­me berüch­tig­te Dra­ke-Pas­sa­ge que­ren und um das Kap Horn nach Ushuh­a­ia, wo unse­re Kreuz­fahrt endet.

Aber jetzt haben wir erst abge­legt. Am ers­ten Abend stellt sich die Crew vor. Wir ler­nen die Men­schen ken­nen, mit denen wir in den nächs­ten drei Wochen das Leben tei­len. Kapi­tän Mark Beh­rend stimmt uns ein auf die Rei­se: In der Ant­ark­tis gebe es zwei Jah­res­zei­ten, Win­ter und Som­mer. Ers­te­rer ist eine extre­me Zeit mit Tem­pe­ra­tu­ren um 50 Grad unter Null und Stür­men mit Wind­ge­schwin­dig­kei­ten bis zu 300 Km/​h. Ab Mit­te Okto­ber sorgt der Som­mer dafür, dass sich der Eis­gür­tel rund um den Kon­ti­nent ver­klei­nert, Schif­fe kön­nen anle­gen, zwei Mona­te lang wird die Son­ne nicht unter­ge­hen. Und doch kann es auch im Som­mer schnei­en, kön­nen plötz­li­che Win­de das Meer auf­wüh­len. Des­halb sei der beschrie­be­ne Rei­se­ver­lauf eher als Plan anzu­se­hen, im Kata­log hei­ße es aus­drück­lich: „Je nach Wet­ter- und Eis­be­din­gun­gen ent­schei­det der Kapi­tän.“ Der Mann mit den vier gol­de­nen Strei­fen auf den Schul­tern sei­nes immer kurz­är­me­li­gen, immer wei­ßen Hem­des prä­sen­tiert sich uns ganz bewusst auch als Eupho­rie-Brem­se. „Es ist mein Job, mit­un­ter unpo­pu­lä­re Maß­nah­men zu tref­fen.“

Fahrt in die Antarktis mit der MS Bremen. Copyright www.pushandreset.com

Hoch­la­ge: Der Heli-Lan­de­platz wird in den som­mer­li­chen ers­ten Tagen vor allem von Son­nen­ba­den­den zweck­ent­frem­det

In der Vor­be­rei­tung zu die­ser Rei­se haben wir Berich­te gese­hen, die aus unse­rer Ehr­furcht vor der Ant­ark­tis auch Angst hät­ten machen kön­nen. Doch die Bre­men fährt bei wenig Wind und nur leich­ter Dünung aus dem Mün­dungs­ge­biet des Rio de la Pla­ta hin­aus in den Süd­at­lan­tik. Am nächs­ten Mor­gen kommt sogar die Son­ne her­aus. Und wir, die wir uns mit Meri­no-Wäsche von Ice­brea­k­er und Dau­nen­ja­cken von Mam­mut gegen die ver­meint­li­che Käl­te des Sub­kon­ti­nents gewapp­net haben, sit­zen im T‑Shirt und ohne Strümp­fe auf dem Ach­ter­deck, sehen auf die Dop­pel­li­nie, die die Schrau­ben durch das Meer zie­hen, und früh­stü­cken.

Antarktis_MS_Bremen_Frühstück_pushreset

Antarktis_MS_Bremen_Deck_pushreset

Ses­sel und Sofas im Club, Früh­stück auf Deck 5, Plansch­be­cken auf Deck 7, ein Kap­sturm­vo­gel beglei­tet die Bre­men hin­aus

Ver­gli­chen mit den flug­zeug­trä­ger­gro­ßen Kreuz­fahrt­schif­fen, die in den letz­ten Jah­ren auf die Welt­mee­re gelas­sen wur­den, ist die Bre­men ein Böt­chen. Hier gibt es kei­ne Eis­lauf­bahn und kei­ne Klet­ter­wand, es gibt kein Musi­cal-Pro­gramm und kei­ne Well­ness-Abtei­lung. Aber man kann sich von Bian­ca Lin­ne­mann die Haa­re schnei­den las­sen, abends spielt Ale­jan­dro Gra­zia­ni am Flü­gel. Tags­über berei­ten uns die Lek­to­ren auf eine Regi­on vor, die jähr­lich von nur rund 20.000 Men­schen besucht wird. Und schon bald wer­den wir Vor­le­sungs-Jun­kies, erfah­ren über das Gestein der Süd­halb­ku­gel, stu­die­ren Vögel, Pin­gui­ne und Wale, ler­nen mehr über Mee­res­strö­mun­gen und die Men­schen, die als ers­te ver­such­ten, in die­se Welt vor­zu­drin­gen. Vor allem Ernest Shack­le­ton, der gro­ße tra­gi­sche Held, wird unser stän­di­ger Beglei­ter.

Eine Kreuz­fahrt in die Ant­ark­tis ist eine ulti­ma­ti­ve See­rei­se – es gibt Tage, an denen man nichts sieht als Was­ser, Him­mel, Hori­zont. Kein Schiff weit und breit, kein Land. Nur Alba­tros­se, Möwen und Kap­sturm­vö­gel segeln hin­ter uns her. Von Uli Erfurth, dem Bord-Bio­lo­gen und Vogel-Exper­ten, erfah­ren wir, dass es tat­säch­lich die Lust an der Abwechs­lung ist, die die Vögel treibt. End­lich ist mal was los auf der wei­ten See, und die Tie­re rasen im Sturz­flug über die Wel­len hin­ter unse­rem Schiff her, oft feh­len nur weni­ge Mil­li­me­ter, Flü­gel­spit­zen strei­fen die Gischt. Dann wie­der flie­gen sie gemäch­lich auf Höhe des Son­nen­decks, neu­gie­rig schau­en sie in die Gesich­ter der Pas­sa­gie­re.

Fahrt in die Antarktis mit der MS Bremen. Copyright www.pushandreset.com

Fahrt in die Antarktis mit der MS Bremen. Copyright www.pushandreset.com

Com­man­dant und Con­fe­ren­cier: Kapi­tän Beh­rend stellt das Team vor und lädt die Pas­sa­gie­re auf die Brü­cke ein. Span­nend

Ein moder­ner Kapi­tän muss vor allem ein Enter­tai­ner sein. Mor­gens infor­miert er über Wind und Wet­ter, mit­tags isst er mit den Gäs­ten und setzt sich immer zu ande­ren. Abends steht er dann mit dem Mikro­fon in der Hand auf der klei­nen Büh­ne in der Bar der Bre­men, im „Club“, und stellt das Team vor. Auf einem moder­nen Kreuz­fahrt­schiff sind die See­leu­te längst in der Min­der­heit, Küchen­chef, Hotel-Direk­tor und Kreuz­fahrt­di­rek­to­rin spie­len eine eben­so wich­ti­ge Rol­le. Das ist nicht neu. Es ver­blüfft aber, dass so vie­le Mit­ar­bei­ter des Hotels Bre­men aus Öster­reich stam­men, jener See­fah­rer-Nati­on in den Alpen. Am Ende der Prä­sen­ta­ti­on offen­bart der Kapi­tän dann sei­ne Nei­gung zu nach­denk­li­chen, gar phi­lo­so­phi­schen Tönen und rät den Pas­sa­gie­ren, die Uhren abzu­le­gen, zu sich selbst zu fin­den und die Welt da drau­ßen nicht nur durch den Sucher der Kame­ra zu betrach­ten.

Auf der Bre­men gilt das Prin­zip des offe­nen Schiffs. So lan­ge kei­ne kom­ple­xen Manö­ver gefah­ren wer­den, dür­fen die Pas­sa­gie­re auf die Brü­cke gehen. Wir neh­men die Ein­la­dung gern an. Der Kapi­tän erklärt, dass er eine Kurs­än­de­rung vor­neh­men wird, um den Aus­läu­fern eines Sturm­tiefs aus­zu­wei­chen. Das habe einem ande­ren Kreuz­fahrt­schiff zuletzt übel mit­ge­spielt hat, bis zu zehn Meter hoch waren die Wel­len. Der Kapi­tän zeigt auf der Wet­ter­kar­te in wel­che Rich­tung die rot mar­kier­ten Schlecht­wet­ter­zel­len zie­hen, und dass die Wel­len immer noch bis zu fünf Meter hoch wer­den kön­nen. „Das muss ich mei­nen Gäs­ten nicht antun“, sagt Beh­rend. Irgend­wie ist ein Kapi­tän auch der lie­be Gott sei­nes Schiffs. In kei­nem ande­ren Beruf wer­den einer Füh­rungs­kraft so weit­rei­chen­de Rech­te ein­ge­räumt – er kann Pas­sa­gie­re ein­sper­ren und ver­mäh­len, Toten- und Trau­schei­ne unter­schrei­ben.

Antarktis_MS_Bremen_Brücke_pushreset

Antarktis_MS_Bremen_Route_pushreset

Kurs­schwan­kung: Die Bre­men soll einer Schlecht­wet­ter­zel­le aus­wei­chen

Das Wet­ter beschäf­tigt die Pas­sa­gie­re. Immer wie­der bil­den sich klei­ne Grup­pen vor der am Ein­gang zum Club auf­ge­häng­ten Wet­ter-Kar­te. Es treibt sie die Sor­ge nicht nur um das eige­ne Wohl­erge­hen, der eigent­lich so ein woh­li­ger Schau­der ist, denn selbst­ver­ständ­lich gehört es irgend­wie zu einer See­rei­se dazu, dass man in einen Sturm gerät. Vor allem aber sor­gen sie sich um das Gelin­gen die­ses Trips. Denn eine der Beson­der­hei­ten die­ser Expe­di­ti­ons­kreuz­fahrt ist, dass das Schiff vor Anker liegt und man die Gäs­te in schwar­zen Gum­mi­boo­ten an Land fährt, zu Vogel-Fel­sen und Pin­gu­in-Kolo­nien, bri­ti­schen Dör­fern und ehe­ma­li­gen Wal­fang-Sta­tio­nen. Doch nur bei eini­ger­ma­ßen ruhi­ger See wer­den die Zodiacs ein­ge­setzt. Noch ist das Wet­ter per­fekt. Doch die ban­ge Fra­ge lau­tet: Wird es so blei­ben?

Als wir in der Pan­ora­ma-Lounge mit Parka und Gum­mi­stie­feln aus­ge­stat­tet wer­den, damit wir bei einer „nas­sen Anlan­dung“ – man lässt sich von der Wulst des Schlauch­boots ins Was­ser rut­schen – mit tro­cke­nen Füßen an Land gehen kön­nen, ist die Stim­mung gelöst. Alle Crew-Mit­glie­der strot­zen nur so vor Zuver­sicht, und wir las­sen uns zu schrä­gen Scher­zen hin­rei­ßen. Ich posie­re mit einer Regen­ja­cke geräu­mig wie ein Zelt, und Susan­ne pro­biert auch ein Paar Stie­fel aus, das einen schma­len Fuß macht.

Antarktis_MS_BREMEN_Kleidung_pushreset

Klei­der­vor­schlag für die Zodiacs: Parka, Gum­mi­stie­fel und Regen­ho­se. Bei der “nas­sen Anlan­dung” müs­sen die Pas­sa­gie­re vom Boot ins Meer stei­gen. Auf die Fra­ge, wie oft man beim Aus­stieg vom Schlauch­boot nass wird, gibt es als Ant­wort eine Faust­re­gel: “Alle Anlan­dun­gen sind nas­se Anlan­dun­gen.” 

Spä­ter ste­hen wir drau­ßen an Deck. Ein hauch­zar­ter Strei­fen Rosa trennt den stahl­blau­en Abend­him­mel von einem Oze­an, der weit und blau vor uns liegt wie Tin­te. Es ist küh­ler gewor­den, und wenn wir spre­chen steht uns in dün­nen Wat­te­wölk­chen der Atem vor den Gesich­tern. Mit einer Geschwin­dig­keit von 15 Kno­ten nähert sich die Bre­men der Ant­ark­tis.

Fahrt in die Antarktis mit der MS Bremen. Copyright www.pushandreset.com


Antworten

  1. […] Bei den Rei­se­de­pe­schen gibt es immer so schö­ne Tex­te. Susan­ne und Dirk berich­ten über ihre See­rei­se in die Ant­ark­tis. […]

  2. Avatar von Aleks
    Aleks

    Vie­len Dank für den Bei­trag!

  3. […] Desti­na­ti­on ent­fa­chen. Susan­ne und Dirk von Rei­se­de­pe­schen haben sich etwa auf eine aben­teu­er­li­che See­rei­se in die Ant­ark­tis bege­ben. Auch Kana­da oder Finn­land (hier gibt’s fan­tas­ti­sche Mid­som­mar-Fotos!) eig­nen sich […]

  4. Avatar von Abwesenheitsnotiz via Facebook

    Der letz­te Kon­ti­nent auf der Liste…auf jeden Fall eine Erfah­rung wie kaum eine ande­re. Wir sind auch am Aus­lo­ten der Mög­lich­kei­ten. Viel Spaß!!!

    1. Avatar von Susanne & Dirk

      Wow, so weit seid ihr schon!?! Irre!
      Wir haben noch eini­ges offen. Vie­les auch schon wie­der ver­ges­sen.
      Und das ver­damm­te Gefühl, dass man – kaum zurück – eigent­lich gleich wie­der los müss­te…
      Wir drü­cken euch die Dau­men!
      LG
      Susanne&Dirk

  5. Avatar von Jakob

    Wow! Super und flüs­sig geschrie­be­ner Text, bei dem man qua­si das Gefühl hat, mit­zu­rei­sen. Jetzt mag ich auch da hin…Trotz des Som­mer­wet­ters gera­de…

    1. Avatar von Susanne & Dirk

      Hi Jakob,
      dan­ke für das Lob! Wir wür­den ja auch gern noch­mal los… hach…
      Lie­be Grü­ße
      Susanne&Dirk

    1. Avatar von Susanne & Dirk

      Zuge­ge­ben: Wir haben Momen­te erlebt, in denen wir uns auch ver­dammt mutig gefühlt haben… Davon spä­ter mehr.
      LG
      Susanne&Dirk

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert