Plötzlich im Urwald

 Die mäch­ti­ge Natur in Cos­ta Ricas Urwald über­wäl­tigt uns – kör­per­lich und see­lisch.


 

Gera­de haben wir noch im Meer geplantscht und Sand kleb­te an uns. Jetzt plant­schen wir in unse­rem Schweiß und Insek­ten kle­ben an uns. Wir sind gera­de in Cos­ta Rica und direkt im Dschun­gel gelan­det. Das ist nicht schwer hier, denn der beginnt qua­si gleich hin­ter der Gren­ze und gleich hin­ter dem Strand. Wäh­rend wir uns dort noch wun­der­bar selbst ori­en­tie­ren konn­ten – Was­ser, Wel­le, Sand – klappt das im Dschun­gel nicht mehr. Hier hin­ein trau­en wir uns nur mit Dai­gon, dem Dschun­gel­ken­ner. Denn zwi­schen Schlan­gen und Taran­teln wol­len wir nicht ver­lo­ren gehen. Wir stie­feln los, Dschun­gel-Dai­gon vor­weg, wir Meer-Mäd­chen hin­ter­her. Das ist gut, denn er trägt nicht nur die Auf­schlan­gen­tret­ver­ant­wor­tung, son­dern auch noch ein gro­ßes Tele­skop.

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Der Ein­tritt in den Dschun­gel, ist der Ein­tritt in eine neue Welt. Die Luft ist feucht und sti­ckig. Das Licht wird durch die hohen Baum­kro­nen gefil­tert, Son­ne kommt da nicht mehr durch. Der Boden ist nass-kleb­rig-schlam­mig. Der Geruch ist mode­rig, mit immer mal wie­der inten­si­vem Blü­ten­staub­duft. Die Geräu­sche wer­den immer lau­ter, ver­schie­de­ne Vogel­stim­men und vie­le Zika­den, die laut­hals in den Bäu­men zir­pen.

0.Teleskop_Baum

Schon nach den ers­ten Metern sind auch wir nass-kleb­rig-schlam­mig. Obwohl wir im gemüt­li­chen Spa­zier­tem­po schrei­ten, treibt der Dschun­gel uns sofort den Schweiß aus allen Poren. Für viel Weg­un­ter­hal­tun­gen reicht die Pus­te daher nicht. Außer für mei­ne Freun­din Lea und ihren Wunsch ein Faul­tier zu sehen. Denn das wür­de einen ihrer Lebens­träu­me erfül­len. Und für Lebens­träu­me reicht die Pus­te immer.

0.Walking

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Lang­sam, aber trie­fend bewe­gen wir uns fort. Bis Dai­gon bereits nach kur­zer Zeit etwas erspäht. Mit vor­freu­di­gem Schwei­gen nimmt er das Tele­skop von sei­ner Schul­ter und stellt es ein. Wir wer­fen uns alle fra­gen­de kurio­se Bli­cke mit gro­ßen Augen zu. Aber nie­mand will reden, um das erspäh­te mys­te­riö­se Wesen nicht zu ver­scheu­chen. Auch wir suchen oben im Baum und ja, da ist etwas run­des, hel­les in den Ästen. Dann schau­en wir einer nach dem ande­ren durch das Tele­skop – und erspä­hen es: Ein Faul­tier!

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Gemüt­lich und kusche­lig hängt es im Baum und tut, was es immer tut: Schla­fen. Dabei guckt es so zufrie­den und ent­spannt, wie ich noch nie jeman­den zufrie­den und ent­spannt gucken sehen habe und erfüllt neben­bei einen Lebens­traum. 16 Stun­den am Tag schläft es und nur ein­mal die Woche kommt es vom Baum her­ab, für sei­nen Toi­let­ten­gang. Dafür braucht es dann aber auch eine Stun­de. Denn auf dem Weg hin­un­ter macht es immer wie­der Pau­sen – um zu ent­span­nen und um nach Fein­den Aus­schau zu hal­ten. Denn soll­ten sie kom­men, könn­te es nicht flüch­ten. Nur viel zu lang­sam. Auf unse­rem wei­te­ren Weg durch den Dschun­gel erspäht Dai­gon mit sei­nen Dschun­ge­lau­gen immer mal wie­der ein Faul­tier – alle schla­fend und hän­gend und zufrie­den.

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0.Echse

Dai­gon selbst fin­det aber die Amei­sen noch span­nen­der. Immer wie­der wei­chen wir den Stra­ßen der Blatt­schnei­dea­mei­sen aus und Dai­gon erzählt über sie. Es gibt die Trä­ger, die Blät­ter und ande­res Mate­ri­al schnei­den und trans­por­tie­ren. Die ganz Klei­nen sind die Qua­li­täts­prü­fer. Vor dem Zer­le­gen und Trans­por­tie­ren wird jedes Mate­ri­al erst ein­mal von ihnen auf sei­ne Taug­lich­keit geprüft. Die Gro­ßen in der Stra­ße sind die Stra­ßen­ar­bei­ter. Damit die ande­ren nicht vom Weg abkom­men und nicht mit ihrem Gepäck über Hin­der­nis­se klet­tern müs­sen, räu­men sie die Stra­ße auf und hal­ten sie in Schuss. Und wenn dann mal Gefahr droht, kom­men die ganz Gro­ßen raus. Mit den krebs­ar­ti­gen Greif­ar­men vor­ne. Das sind die Sol­da­ten. Dai­gon lockt sie mit zwei lau­ten Trit­ten her­vor. Den Bau beschüt­zen ist ihr ein­zi­ger Job, des­we­gen krab­beln sie auch ohne Scheu in Win­des­ei­le die Schu­he hoch und bei­ßen in die Bei­ne. Ein beein­dru­ckend orga­ni­sier­ter und beein­dru­ckend funk­tio­nie­ren­der Amei­sen­kos­mos.

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Fran­zi, mei­ne Freun­din und Hob­by-Orni­tho­lo­gin, hat hin­ge­gen ihren Kopf die gan­ze Zeit in der Luft. Dort tau­chen immer wie­der exo­ti­sche Vögel auf: Tukans, Quetzales oder gelb-grü­ne Vire­os. Jeder macht sei­nen ganz eige­nen Laut, den Dai­gon per­fekt imi­tie­ren kann. Und jeder fliegt weg, sobald wir das Tele­skop auf ihn ein­ge­stellt haben. Frei wie ein Vogel. Aber Fran­zi ist glück­lich, schlägt jede Art in Dai­gons Vogel­le­xi­kon nach und löchert ihn dann noch mit Fra­gen.

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0.Bird

Als es dun­kel wird, sind wir dem Urwald noch mehr aus­ge­lie­fert. Wie man die Son­ne am Tag nicht sah, sieht man auch den Mond in der Nacht nicht. Es ist so stock­fins­ter, wie es nir­gends anders stock­fins­ter ist. Ich ste­he mit­ten im Urwald und suche oben, unten, an allen Sei­ten nach einem Punkt, an dem ich etwas sehen kann. Wo auch nur ein klei­nes biss­chen Licht ein­fällt. Doch ich fin­de ihn nicht. Es gibt die­sen Punkt nicht. Selbst mit Anstren­gung kann ich mei­ne eige­ne Hand vor mei­nen Augen nicht sehen. Das macht die Schar an Taran­teln und gif­ti­gen Frö­schen, die wir gera­de am Fluss­lauf pas­siert sind, noch grö­ßer und beängs­ti­gen­der. Über­all knarrt und knackst und raschelt es. Auch ganz nah bei mir. Kurz bevor wir ver­zwei­feln und die Augen begin­nen zu den­ken, sie sei­en kaputt, schal­ten wir die Taschen­lam­pen wie­der an. Der Licht­strom ist ein befrei­en­des und beru­hi­gen­des Gefühl. Das Gefühl lässt aller­dings nach, als Sanis Taschen­lam­pe kurz danach aus und nicht wie­der an geht.

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Wir ver­brin­gen zwei Tage und die Nacht dazwi­schen in die­sem Urwald. Unser Respekt vor ihm wächst unun­ter­bro­chen bis ans Ende. Denn wir erle­ben haut­nah sei­ne Kraft und Grö­ße. Er wird immer wie­der die gera­de erst gepfa­de­ten Wege mit Lia­nen und Rie­sen­spin­nen­fä­den zuwach­sen las­sen. Er wird sein men­schen­un­ge­eig­ne­tes Kli­ma bewah­ren und jedem schweiß­trei­bend jeg­li­che Bewe­gung erschwe­ren. Er wird sei­ne gif­ti­gen Tie­re wei­ter nicht dem Men­schen wei­chen las­sen. Denn hier weicht der Mensch der Natur. Hier regiert der Urwald. Und wenn man das akzep­tiert, dann kann man auch über ihn stau­nen. Bis man wie­der fröh­lich ins Meer springt.

 

Dan­ke Haci­en­da Baru für Schweiß, Spin­nen und Schutz.

 

0.Schuhe

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Aaron

    Schö­ner Bei­trag, ein­drucks­vol­le Bil­der!
    mich wür­de noch inter­es­sie­ren, wie ist es euch mit Insek­ten­sti­che ergan­gen? Habt ihr viel abbe­kom­men?

  2. Avatar von Marc

    Wow, cool geschrie­ben! Und auch schon erlebt… Pura vida!

    Lie­be Grüs­se aus Cos­ta Rica,
    Marc

    1. Avatar von Dani Schenker
      Dani Schenker

      Hehe, da schlies­se ich mich dem Marc gleich an! Tol­ler Arti­kel.

      Ich muss da gleich mal was geste­hen… Ich lebe schon seit 7 Jah­ren in Cos­ta Rica und war noch nicht ein­mal so sehr im Dschun­gel wie du. Lena 😉 Ich hab abso­lu­te Panik vor Schlan­gen und hab das Gefühl, dass ich tot umfal­len wür­de auf so einer Tour…

      Aber es freut mich natür­lich, dass dir das gefal­len hat 🙂

      PS: Die Faul­tie­re mag ich auch, hehe.

  3. Avatar von Charlotte

    Woow wun­der­ba­rer Bei­trag <3. Hat mich an mei­nen letz­ten Urlaub in Cos­ta Rica erin­nert :D. Dan­ke dafür. LG aus Hotel Seis

  4. Avatar von Geh mal reisen via Facebook

    »Denn hier weicht der Mensch der Natur. Hier regiert der Urwald. Und wenn man das akzep­tiert, dann kann man auch über ihn stau­nen.«
    Eine schö­ne und tref­fen­de For­mu­lie­rung

  5. Avatar von Sally

    Toll geschrie­ben! Dschun­gel-Gefüh­le satt gibt es auch in den Lagu­nen Tor­tu­gue­ros. Wo genau bist Du abge­taucht? Lg aus Playa Pun­ta Uva

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