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03.10.2011 – Der letzte Tag der Reise bricht an, abends geht die Maschine zurück nach Deutschland. Es ist Zeit für die letzte Geschichte, die man jetzt, wo alles bisher so saugut geklappt hat, machen kann, aber nicht mehr machen muss: eine Geschichte über die Ile de Gorée, zwei Kilometer draußen auf dem Ozean. Über die Sklaveninsel, die zwar, wie man erst spät herausfand, historisch keine große Rolle gespielt hat im Sklavenhandel, aber als legitimes Symbol dafür weiterhin eine große Bedeutung beansprucht. Viele Afroamerikaner kommen, die Biografie von Barack Obama in der Manteltasche, herübergeflogen, um auf Gorée nach ihren Wurzeln zu suchen.
Die Insel ist das beliebteste Ausflugsziel in Dakar, ein knallhartes journalistisches Kriterium. Ein Tag dort reicht, um einen Eindruck zu kriegen und etwas schreiben zu können, das ist aus ganz praktischer Sicht für den Reporter wichtig. Also: auf zur Ile de Gorée.
Auf der Fähre dient sich dem Reporter der zwielichtige Touristenführer und »local artist« Moustafah an, ein einträgliches Geschäft witternd. Eigentlich ist es das erklärte Ziel jedes brutal spießigen Travellers, einen Führer abzuschütteln oder gar nicht erst einem zu folgen, weil das eben total touristenmäßig ist, aber für den Fall, dass man keinen blutleeren Reiseführertext schreiben will, ist so ein Sprücheklopfer, so ein aufgekratzter Tunichtgut natürlich wunderbar. Am Ende muss man den Preis für die Führung zwar hartnäckig herunterhandeln, aber dafür erfährt man Dinge, die man nicht auch im Internet nachlesen kann.
Die Ile de Gorée ist ein angenehmer Ort. Der Reporter besucht das maison des esclaves, das Sklavenhaus: Von dort sollen hunderttausende Sklaven aus ganz Afrika in die Vereinigten Staaten verschifft worden sein, was angesichts der zerklüfteten Felsküste, an der unmöglich Schiffe halten können, zumindest einigen Anlass zum Zweifel bietet. Moustafah, der Mann ohne Schneidezähne, redet und erzählt.
Irgendwann erklärt der Reporter, er wolle noch ein wenig alleine umhergehen und schauen. Murren, ein Handschlag, Verabschiedung. Gorée ist nicht groß, zehn Minuten sind es von einer Seite der Insel zur anderen. Bald hat der Reporter alles gesehen, alles notiert, er kann sich hinsetzen auf den Stufen in einer Gasse und erstmal nichts tun.
Der Reporter bestellt in einem kleinen Restaurant am Hafen Fisch, danach crêpe choco und Espresso. Der Notizblock mit den eingeknickten Ecken, der auf der Reise immer wieder feucht geworden ist und dann wieder trocken, liegt auf der Tischdecke. Die letzte, halb beschriebene, nach oben gewellte Seite wippt in dem leichten Wind, der nach See riecht und die sehr blond gewordenen Haare auf dem Unterarm hin und her bewegt. Das Bild stimmt jetzt, denkt der Reporter, für den Moment muss man nicht zurückschauen und nicht nach vorne. Noch eine halbe Stunde, dann geht die nächste Fähre zurück, es ist Nachmittag geworden.
In der Lobby des Hotels in Dakar singt Whitney Houston »One Moment in Time«, am Abend zuvor lief das gar nicht schlechte Tp2.com von Schmusepop-Ikone R.Kelly. Der Reporter hat sein Zimmer schon am Morgen geräumt, der große Rucksack steht an der Rezeption, in zwei Stunden fährt das Taxi zum Flughafen. Auf der Terrasse mit dem Meerblick sind keine Hotelgäste, nur das Personal sitzt im Schatten herum. Der Kellner ist sehr schick angezogen und hat sehr schlechte Zähne. Er fahre jede Woche von Mbour hinauf, um hier zu arbeiten, erzählt er, um Geld für seine Familie zu verdienen.
Der Reporter setzt sich auf eine Holzbank. Die Sonne steht tief über dem Ozean, der Whirlpool blubbert, dahinter rauschen die Wellen, alles andere ist wahnsinnig weit weg. Jetzt ein Martini Dry, einfach das letzte Geld verpulvern für einen ordentlichen Drink, der auch gleich mit einer Schale Oliven serviert wird, und dann noch einen Drink nehmen. Die Eiswürfel schmelzen langsam herunter, das Sonnenlicht ist warm auf der Haut.
Der Reporter, der diese Reise machen wollte, der in ein Flugzeug gestiegen ist, der sich Geschichten überlegt, eine Route ausgetüftelt, alles erlebt und aufgeschrieben hat, der nun am letzten Abend in so einer diffusen Wohlfühllaune vor dem sonnenbeschienenen Ozean sitzt – er fängt auf einmal an zu lachen, und er lacht mindestens eine Minute lang dieses sorglose und unreflektierte Lachen, wie wenn man mit sehr guten Freunden über eine sehr witzige Situation in der Vergangenheit lacht. Der einfache Gedanke: Es ist alles passiert. Was am Anfang nur ein schwammiges Bild im Kopf war, ist Wirklichkeit geworden.
Taxifahrt zum Flughafen. Vor dem untergehenden Abendrot zeichnen sich die Silhouetten der Jogger ab, die jetzt, da die Sonne nicht mehr brennt, die Küste entlang laufen. Das hier ist der Senegal, denkt der Reporter, morgen ist wieder Berlin. Er notiert: Du gehst fort, suchst das Weite, das Fremde, und wenn du wiederkommst, dann bist du dort, an dem Ort, wo du wohnst, so präsent, so da, wie selten zuvor.
Das ist es, was es mit dem Reisen auf sich hat: Du kannst mehr teilnehmen an den Dingen, die passieren, aber du schaust auch klarer von außen drauf.
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Antworten
Du machst sehr gute Bilder und deine Art zu schreiben ist flüssig – es wird nicht langweilig.
Mach weiter so, ich behalte dich im Auge und danke dir, dass du dich uns mitteilst.Viel Sonne aus Griechenland,
AlexandrosSchon wieder ein toller Text von Dir, Philipp! Und besonders Deinen Satz »Du gehst fort, suchst das Weite, das Fremde, und wenn du wiederkommst, dann bist du dort, an dem Ort, wo du wohnst, so präsent, so da, wie selten zuvor.« kann ich unterschreiben. Einer von vielen Gründen zu reisen!
Safe travels,
MarcoDanke, Marco. Das geb ich gern zurück!
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