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Das amerikanische Diner

Orlando – »How are you today swee­the­art?«, sagt Stacey und fal­tet dem Gast die Spei­se­karte auf. Rei­zende Frau, denkt der Besu­cher, aber ver­mut­lich sagt sie so etwas in der Art zu jedem, der sich in die­sem Restau­rant an einen Tisch setzt: Denny’s Diner, 9880 Inter­na­tio­nal Drive, Orlando, Flo­rida. Drau­ßen wirft der Asphalt die Mit­tags­hitze zurück ins Gesicht, drin­nen ist es kühl dank air con. »What can I bring for you honey?«, fragt Stacey.

Stacey ist nicht mehr jung, viel­leicht Ende 40. Stacey sieht nicht wirk­lich frisch aus, jeden­falls nicht so detox-smoothie-frisch. Viel­leicht hat sie noch einen zwei­ten Job, einen drit­ten, sie muss sich noch ein biss­chen Ener­gie auf­spa­ren, bis sie den letz­ten Gast ihrer Schicht bedient hat. Aber Stacey ist immer freund­lich, am zwei­ten Tag auch und am drit­ten ebenso. Man kommt gerne wie­der in die­ses Diner, wegen Stacey. Sie hat stets ein net­tes Wort, lächelt, wirkt tat­kräf­tig. Als sie zum Nach­tisch den soge­nann­ten Cho­co­late Vol­cano ser­viert, kom­men­tiert sie das mit dem groß­ar­ti­gen Satz: »Let’s get ready to rumble.« 

In die­sem Diner, das aus­sieht wie jedes belie­bige Diner zwi­schen Los Ange­les und Miami, kann sich der Gast flüch­ten in jene ober­fläch­li­che Freund­lich­keit, die fragt »How are you?« und davon nichts wis­sen will. Aber das ist okay, völ­lig in Ord­nung, ehr­lich. Das ist Ame­rika, und das Diner ist ein wahr­lich ame­ri­ka­ni­scher Ort.

DSC08287DSC08302The heart of Ame­rica: das Diner.

Orlando wie­derum ist die typi­sche ame­ri­ka­ni­sche Metro­pole. Die Stadt der Food-Courts, Malls und theme parks. Dis­ney, Uni­ver­sal Stu­dios, Sea­world, Lego­land. Stadt des Family-Enter­tain­ment, der bei­gen Shorts und wei­ßen Ten­nis­so­cken, der blei­chen Waden mit zu dicken Adern. Haci­enda-Look, trost­lose Archi­tek­tur. 66 Mil­lio­nen Besu­cher kamen ver­gan­ge­nes Jahr nach Orlando, die meis­ten davon aus dem eige­nen Land. Es ist die belieb­teste Stadt der USA.

Wer irgendwo hin will, nimmt das Auto. Die Kon­zep­tion der Stadt ist aus­ge­rich­tet auf Auto­fah­rer. Die Über­le­gung, hier als Fuß­gän­ger unter­wegs zu sein, als Fla­neur: abwe­gig. Die Stra­ßen sind breit, die SUVs und Pick-Ups schie­ben sich von Ampel zu Ampel. Ell­bo­gen leh­nen aus dem Fens­ter, hemds­är­me­lige Läs­sig­keit. Der Ame­ri­ka­ner, denkt man, ist gerne drau­ßen auf der Straße, in sei­nem Auto. Nicht umsonst ist der Road­trip durch die USA eine der stärks­ten Rei­se­phan­ta­sien deut­scher Urlauber.

DSC08246DSC08265DSC08325Orlando: eine Stadt für Autofahrer.

Zum Essen fährt man auch mit dem Auto. Das Diner ist ein Ort für die ganze Fami­lie, für die Rund­li­chen und sel­ten Sat­ten, den wohl­ge­nähr­ten Mit­tel­stand. Es gibt nichts Leich­tes zu essen, die Soßen lie­gen schwer im Magen, selbst der Toast ist dick mit But­ter ein­ge­schmiert. Eine Coca-Cola mit Vanil­le­eis heißt »float«. Kom­plet­ter Wahn­sinn: Cola mit Speiseeis.

Das Diner ist aber auch ein Ort für die Ein­sa­men, die Abge­ar­bei­te­ten, die Geschun­de­nen. Es spen­det Mini­mal­t­rost bei 18 Grad Kühle. Hier drin­nen fin­den die Men­schen eine warme Mahl­zeit, ein kal­tes Getränk, etwas Ruhe und ein paar nette Worte. Da drau­ßen sind sie wie­der alleine, dust in the wind auf Ame­ri­kas Straßen.

DSC08320Fami­lien und Cow­boys: Im Diner ist jeder willkommen.

Der Schrift­stel­ler Alain de Bot­ton spricht vom Stra­ßen­re­stau­rant als typi­scher Rei­se­sta­tion von »uner­war­te­ter Poe­sie«, wie man ihr manch­mal etwa auch an Flug­ha­fen-Gates, Bahn­hö­fen und in Motels begeg­net. Man könnte auch sagen: uner­war­tete Melan­cho­lie. Bei­des liegt ganz nah bei­ein­an­der. Die Gedan­ken schwei­fen ab.

Remi­nis­zenz an einen Besuch bei Denny’s auf der ers­ten USA-Reise 2001, zwei Monate bevor die Türme fie­len. Ame­rika war damals noch ein ande­res Land, unbe­schwer­ter. Doch die Abwick­lung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten begann frü­her, viel­leicht unter Clin­ton, oder wahr­schein­lich noch eher, in den Acht­zi­gern mit der finan­cia­liza­tion of capi­ta­lism. Sind das noch die guten, alten ame­ri­ka­ni­schen Stra­ßen, fragt sich der Bür­ger und wählt Trump. Er ver­steht die Welt nicht mehr, alles aus den Fugen, doch im Diner hat jeder einen Platz.

Stacey fragt man bes­ser nicht nach Bush, Irak und Leh­man. Dafür ist hier nicht der rich­tige Ort, und es ist auch keine Zeit für mehr als kleine Freund­lich­kei­ten. Der nächste Gast war­tet, das Monats­ge­halt muss rein­kom­men, das Kind ins Bett gebracht wer­den. Letz­ter Abend in Orlando. Stacey räumt zügig den Tel­ler ab und wünscht eine »beau­tiful night«. Raus in die Nacht, noch etwas Hitze liegt auf der Straße. Eine Ziga­rette. Die Stadt ist ruhig.

Cate­go­riesUSA
  1. Caroline says:

    Im letz­ten Jahr waren wir in Las Vegas in einem Denny’s, da ich da schon län­ger mal hin­wollte. Mir hat es dort echt gefal­len, da es eben so typisch USA ist. Nur lei­der war ich so krank, dass ich keine Pan­ca­kes essen konnte… hof­fent­lich kön­nen wir das mal nachholen!

  2. Morten und Rochssare says:

    Vie­len Dank für die Blick ins Diner, Philipp.
    Wenn wir es irgend­wann mal in die USA schaf­fen soll­ten, dann steht die steht die Melan­cho­lie mit Heinz-Ket­chup sehr weit oben auf unse­rer Prioritätenliste.

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