Madagaskar bei Nacht – auf der Suche nach Lemuren

Die jun­ge Frau erwar­tet mich am Ein­gang des klei­nen Schutz­ge­bie­tes in Anda­si­be in Mada­gas­kars Osten. Die­ses von Locals ver­wal­te­te Wald­stück ist klein – und doch seh­ne ich mich seit Tagen hin­ein. Jeden Tag bei den Früh­stücks­vor­be­rei­tun­gen höre ich in der Küche die Indris, die größ­ten in Mada­gas­kar vor­kom­men­den Lemu­ren, sin­gen. Immer schaue ich dann zu die­sem Wald­ge­biet hin­über. Jetzt wer­de ich es ken­nen­ler­nen. Bei Nacht.

Schon lang kann ich den Pfad nicht mehr erken­nen. Es ist inzwi­schen dun­kel. Seit bestimmt zwei Stun­den lau­fe ich hin­ter der jun­gen Frau her. Ver­su­che mit Hil­fe der Stirn­lam­pe in den Bäu­men um uns her­um etwas zu sehen. Ein Tier zu fin­den. Einen Lemu­ren. Wel­chen auch immer. Haupt­sa­che es reflek­tie­ren end­lich irgend­wo Augen in der Dun­kel­heit. Nur – da ist nichts.

Auf­ge­ben gibt’s nicht. Also lau­fen wir eine zwei­te Run­de im Kreis. Inzwi­schen schwä­chelt mei­ne Stirn­lam­pe, die ich in der Hand tra­ge. Gibt nur noch ein matt­gel­bes fun­ze­li­ges Licht von sich. Dann geht sie ganz aus. Mei­ne Beglei­te­rin leuch­tet wei­ter mit ihrer Stab­lam­pe in die Bäu­me. Wir sind fast am Ein­gang zurück, da bleibt sie ste­hen. Macht noch­mal einen Schritt zurück. Leuch­tet ein zwei­tes Mal in die Baum­kro­ne links vom Pfad. „Siehst du die hel­len Punk­te dort hin­ten?“ „Ja.“ „Das sind reflek­tie­ren­de Augen! Ver­mut­lich ein Maus­ma­ki!“ Ich gucke und gucke. Gut, viel mehr als die reflek­tie­ren­den Augen kann ich nicht erken­nen. Den­noch. Mein ers­ter nacht­ak­ti­ver Lemur. So lan­ge habe ich auf die­sen Augen­blick gewar­tet. So oft zum Wald hin­über­ge­schaut, mich hin­ein­ge­träumt …

Die Frau sieht mich von der Sei­te an, lacht. „Jetzt hab‘ ich dir ja doch noch ein Tier zei­gen kön­nen. Komm, wir gehen. Es ist spät.“

Am Ein­gang ver­ab­schie­den wir uns von­ein­an­der. Drü­cken uns fest die Hand. Dann ste­he ich plötz­lich allein da. Sie wohnt im Dorf in der Gegen­rich­tung. Ich muss allein zurück­fin­den. Es ist stock­dun­kel. Stra­ßen­be­leuch­tung gibt es hier nicht. Tas­tend set­ze ich einen Fuß vor den ande­ren. Ver­su­che, mich zu erin­nern. Zwei Abzwei­gun­gen, dann ein klei­ner Steg über den Was­ser­lauf, dann rechts auf die Haupt­stra­ße ein­bie­gen und ihr bis zum Gäs­te­haus fol­gen.

Auf­at­mend las­se ich mich im Gäs­te­haus auf mein Bett fal­len. Zie­he Kuli und Notiz­buch aus dem Ruck­sack: „Ich habe heu­te mei­nen ers­ten Maus­ma­ki gese­hen! Und auf dem Heim­weg in der Dun­kel­heit fast die Ori­en­tie­rung ver­lo­ren …“

Dann krie­che ich unters Mos­ki­to­netz und lösche das Licht.


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Antwort

  1. Avatar von Doris

    Super inter­es­san­ter Bei­trag! Ich bin sehr begeis­tert von eurem Blog. Macht wei­ter so.
    Lie­be Grü­ße, Doris

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