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Die Reise in den Libanon beginnt mit einem Flugzeugabsturz. In Berlin-Schönefeld hat ein Kleinflieger die Landebahn verfehlt, der gesamte Airport liegt still. Pauschalurlauber mit enttäuschten Gesichtern sitzen im Schneidersitz auf dem Fußboden und warten auf Anweisungen. Der Flug nach Istanbul wird als einer der wenigen doch abgewickelt, allerdings von Tegel aus, wir müssen also nach dem Einchecken mit dem Bus durch die ganze Stadt, vier Stunden dauert das Prozedere. Als sich die Tore zum Flughafengelände öffnen, ist bereits absehbar, dass ich meinen Anschlussflug nach Beirut verpassen werde.
Es ist Februar, die verschneiten Kleingartenverschläge vor Tegel sehen an diesem Tag besonders trist aus. Endlich Abflug, spät am Abend erreiche ich Istanbul-Sabiha Gökçen, die Maschine nach Beirut ist erwartungsgemäß weg. Die Dame von Pegasus Airlines kümmert sich um eine Unterkunft für die Nacht. Die Monotonie des Flughafenhotels: ein weißer, betonartiger Kasten, von außen sieht das Gebäude aus wie eine Kaserne. Erst am Abend des nächsten Tages geht es weiter nach Süden.
Man erkennt sie schon im Flugzeug, die libanesische Oberschicht, die blasierten Frauen, die Jacken mit Pelzkragen tragen und manchmal – weniger stilsicher – der Mode des Westens nachempfundene Moonboots, dazu aber immerhin teuren Schmuck. Was auffällt: Die Kinder der reichen Leute dürfen lärmen und toben, wie sie wollen. Ich trinke einen Rotwein, obwohl ich eigentlich gar nicht müde werden möchte. Über der Levante wird es Nacht.
Was weiß man vom Libanon? Ich denke leider gleich an die Hisbollah, die im Libanon als anerkannte Partei im Parlament sitzt und von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Zu der Zeit, als ich in das Land am Mittelmeer fliege, vor fünf Monaten, hat sich die Hisbollah noch nicht in den syrischen Bürgerkrieg eingemischt. Es herrscht, so werden es mir später viele Menschen im Libanon erklären, eine fragile Ruhe vor dem Sturm.
Ohnehin, der Reisende wähnt sich erst einmal auf der Suche nach dem kosmopoliten, hippen Beirut, dem Sündenpfuhl dieser »Schweiz des Nahen Ostens«, den CNN vor einigen Jahren als die »beste Partystadt der Welt« bezeichnet hat. »Paris des Nahen Ostens«, das liest man auch überall, so wurde Beirut genannt, bevor der unüberschaubare Irrsinn des libanesischen Bürgerkriegs ausbrach, 1975 war das.
Als ich das Flugzeug verlasse, weht eine sanfte Brise vom Mittelmeer herüber wie warme Zugluft. Ich feilsche mit einem Taxifahrer um den Preis, die Strecke führt durch die südlichen, schiitischen Vororte Beiruts bis nach Hamra im Nordwesten der Stadt. Ockergraue Wohnblöcke ragen in die Dunkelheit, erleuchtetet in fahlem Orange, überall Kabel zwischen den Häusern, Palmen und Plakate, die Hassan Nasrallah zeigen, diesen, man könnte sagen, sehr motivierten Anführer der Hisbollah, der vier Monate nach meiner Reise zum Kampf gegen die Feinde Baschar al-Assads aufrufen wird, der die Hisbollah also endgültig zur aktiven Kriegspartei in Syrien macht.
»Tourism in Lebanon went down 60 percent«, erklärt mir der Taxifahrer, das hänge natürlich mit dem syrischen Bürgerkrieg zusammen. Später werde ich Zahlen hören, die deutlich höher sind: 70 Prozent, 85 Prozent. Man weiß es nicht genau. Was schon beim ersten Gespräch mit dem ersten Libanesen klar wird: Das Schicksal des Libanons ist untrennbar mit dem Schicksal Syriens verknüpft. »The appartements at the coast are mostly owned by Syrians«, sagt der Taxifahrer. Viele reiche Syrer haben ihr Geld in die Luxuswohnungen an der corniche angelegt. »Now many Syrians come because they are tired of the war.« Der Bürgerkrieg in Syrien dauert schon zwei Jahre, nach allem, was man liest, wird er eher unübersichtlicher, gefährlicher, brutaler.
Draußen rauscht das nächtliche Beirut vorbei, das erst einmal nicht viel von sich verrät. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie das ausgesehen haben muss, als die israelische Luftwaffe 2006 während des zweiten Libanon-Kriegs die südlichen Vororte Beiruts bombardiert hat und Raketen den Himmel erleuchteten. Die Hisbollah-Miliz hatte zwei israelische Soldaten entführt, die Vergeltungsoffensive war so heftig, dass selbst Nasrallah später erklärte, dass die Entführung nie stattgefunden hätte, wenn das Ausmaß des Gegenschlags bekannt gewesen wäre.
An diesem Samstagabend sehen viele Stadtteile auf den ersten Blick verlassen aus: düstere Reklame, kleine Geschäfte, hell erleuchtete Banken, streunende Hunde. Spätestens im Vergnügungsviertel Hamra ist es mit der Ruhe vorbei, wir zuckeln langsam durch den dichten Verkehr, irgendwann steige ich aus und gehe die letzten Meter zu Fuß.
Ich habe ein Zimmer im Grand Hotel Beirut reserviert, von außen ein seelenloser Kasten. Im Eingangsbereich stehen schlechte Nachbauten hellenistischer Statuen, Gold blättert ab vom Geländer der breiten Treppe, in der Lobby stehen schwere Sitzmöbel. Der adrett angezogene Hotelier wacht einsam im Dämmerlicht hinter der Rezeption.
Mein Kontakt in Beirut ist eine französischen Journalistin, die Freundin eines Freundes aus Paris, sie heißt Anaïs. Mein Handy funktioniert leider nicht. Ich rufe Anaïs von der Rezeption aus an, für drei Dollar die Minute. Die Anweisung: Komm nach Furn el Chebakk zum Hawa Chicken. Mehr Informationen sind nicht zu bekommen, man werde mich dort abholen. Ich bringe kurz mein Gepäck auf das Zimmer, kurz nach Mitternacht stehe ich unten auf der Straße.
Die Fahrt mit dem Taxi dauert eine knappe halbe Stunde, der Fahrer und ich sprechen kaum, weil der Mann nur Arabisch versteht. Ich sage ihm tatsächlich einfach »Furn el Chebakk, Hawa Chicken« und hoffe, dass die Aussprache das Gesagte nicht folgenschwer verzerrt. Das libanesische Arabisch sei sehr weich, erklärt mir später ein Jordanier in einer Bar in Gemayzeh, es klinge für viele andere Araber, nun ja, very gay.
Furn el Chebbak ist ein Stadtteil im Südosten Beiruts, der Taxifahrer hat nicht nachgefragt, und tatsächlich taucht irgendwann an der Straßenseite eine geschlossene Filiale der Imbisskette Hawa Chicken auf. Leider sehe ich niemanden, der hier auf mich gewartet haben könnte. Ich bitte den Verkäufer eines kleinen Geschäfts um ein Telefonat, mein Handy funktioniert wie gesagt nicht, und rufe Anaïs an. Offensichtlich bin ich beim falschen Hawa Chicken, aber der Stadteil stimmt.
Ich laufe also eine verlassene, einsame Straße entlang zu einer anderen Filiale, an der wir auf der Hinfahrt mit dem Taxi vorbeigekommen sind. Es ist einigermaßen menschenleer und ganz kurz etwas beängstigend, wie ich hier als Ortsfremder spät in der Nacht durch Beirut laufe und wirklich von Nichts eine Ahnung habe. Am richtigen Hawa Chicken halten dann aber zum Glück zwei Autos, und mehrere junge Menschen steigen aus, darunter Anaïs. Kurze Vorstellungsrunde, »How was the flight?«, Alexis in Paris gehe es gut, alle haben natürlich Lust zu feiern.
Wir fahren mit den Autos und einigen Bierflaschen weiter, es soll zu einem kleinen Electroclub gehen, in dem irritierenderweise ein zotteliger Dreadlock-DJ aus Marburg auflegt. Hier tanzt die weniger reiche, etwas abgedrehte Beiruter Jugend heftig im Stroboskop, ein Mädchen trägt einen pinken durchsichtigen Rock und Leoparden-Leggins, sie sieht aus wie eine Fee, nur der Zauberstab fehlt.
»If you want a Lebanese girl, you need two things, time and money«, erklärt mir eine junge Libanesin, die damit ganz offensichtlich nicht sich selbst meint. »Lebanese people make party like there is no tomorrow«, sagt sie, aber das ist keine Phrase. Nachdem es in meinem Kopf ein bisschen gearbeitet hat, erscheint mir ihre Aussage völlig einleuchtend: Nach 15 Jahren Bürgerkrieg, nach der De-Facto-Besetzung durch Syrien ab 1990 und der Zedernrevolution 2005, die durch die Ermordung von Premierminister Rafiq al-Hariri angestoßen wurde, nach dem Angriff Israels ein Jahr später, nach all dieser irrationalen Gewalt also feiern die Libanesen tatsächlich mit dem Grundgefühl, dass morgen alles vorbei sein könnte.
Blöde Frage, aber: Wie feiert eigentlich der junge deutsche Mittzwanziger? Was ist – wenn man das so sagen kann – sein nationales Grundgefühl? Er hat die Geschichte des langen Aufstiegs und Wohlstands im Rücken, der krampfhaft verteidigt wird, und vielleicht streift ihn in Zeiten dieser ungreifbaren Fundamentalkrise eine düstere Vorahnung, dass es damit tatsächlich einmal vorbei sein könnte, und er fragt sich, ob er diesen verdammten Gin Tonic für sieben Euro kaufen oder doch lieber noch mehr arbeiten, sich weiter qualifizieren, endlich einmal »privat vorsorgen« soll. Das ist natürlich eine ganz andere Problemlage hier, das leuchtet sofort ein.
An diesem Abend halte ich es eher libanesisch, ich trinke viel Bier und Wodka-Irgendwas, weil die Wirkung des Alkohols aus dem Flugzeug schon wieder verflogen war, als ich das Hotel erreichte. Vielleicht schluckt die Aufregung des ersten Blicks auf die nicht zu fassende Stadt gleich die Trunkenheit und macht den Kopf schlagartig klar.
Die fatalistische Ausgelassenheit der Libanesen springt auf mich über, ich tanze, als ob es das letzte Mal sein könnte, und begreife natürlich doch nicht, wie das sein muss: Feiern im Angesicht eines großen Sturms. Ein paar Wochen nach meiner Reise schlägt die erste Rakete in Süd-Beirut ein, im Schiiten-Vorort Bir al-Abed detoniert eine Autobombe, das fragile Gleichgewicht, so sagen es die schlauen Beobachter, droht zu kippen. Heute Nacht fallen keine Bomben auf Beirut.
Kurz vor Morgengrauen fängt es an zu regnen. Mahmoud, obwohl schwer betrunken, fährt uns souverän mit seinem alten Kombi hinauf nach Hamra, die Reifen des Wagens zerteilen die Pfützen auf den einsamen Straßen. Anaïs, Mahmoud und ich essen Schawarma an einer kleinen Bude, dann laufe ich zum Hotel. Von meinem Zimmer im vierzehnten Stock schaue ich auf die schweren grauen Wolken über dem abgewetzten Häusergewirr. Rechts schimmert blass das Mittelmeer im Dunst. Die aufgehende Sonne brennt den Regen aus der Stadt und lässt warmen Dampf aufsteigen. Meine erste Nacht in Beirut endet um 6 Uhr morgens, eigentlich möchte ich noch nicht schlafen gehen.
Am nächsten Tag treffe ich Ronny von der American University Beirut, der aussieht, als käme er aus Kalifornien, aber tatsächlich Libanese ist. Ronny organisiert Stadtführungen zu Fuß. Noch ein paar andere Touristen haben sich vor dem Universitätsgebäude in Hamra versammelt, das Wetter ist sonnig.
Ronny zeigt uns die alten Stadtvillen West-Beiruts, die heute oft verfallen sind. Es handelt sich dann meist um old rents, Verträge aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg, vor der Inflation, die heute praktisch nichts mehr wert sind. Darum investieren die Besitzer nicht mehr in die Häuser und versuchen, die Bewohner mit Mafia-Methoden zu vertreiben. Sie sabotieren Wasserleitungen, den Strom. Manchmal liegt plötzlich ein totes Tier im Hof. Um viele verfallene Häuser gibt es Familienstreitigkeiten, weil die Grundstücke oft Millionen wert sind. Eine Familie, die vor dem Bürgerkrieg geflüchtet ist, wurde von wohlhabenden Interessenten mit einer Kreuzfahrt und einem teuren Hotel bestochen, nur um zurück in den Libanon zu kommen und ihr Grundstück zu verkaufen.
Unsere Gruppe bewegt sich etwas schreckhaft durch den Verkehr. Wir halten vor der Ruine des ehemaligen Holiday Inn Beirut. Das Hochhaus überragt die Stadt wie ein Gerippe, Bäume wachsen im Innern, Einschusslöcher von Raketenwerfern verteilen sich über die Fassade. Die libanesische Armee lagert Waffen und Munition in dem alten Hotel. Das damals größte Holiday Inn des Nahen Ostens hatte zwischen 1974 und 1975 nur ein Jahr geöffnet, ganz oben war die sky bar, dann brachen die Kämpfe aus, und alles wurde geplündert. »The worst advertisement in the world«, sagt Ronny und grüßt die Soldaten, die in voller Montur vor der Zufahrt Wache schieben.
Die Geschichte des libanesischen Bürgerkriegs lässt sich im Prinzip anhand des Holiday Inns erzählen, denn es stand nicht weit entfernt von der green line, der Demarkationslinie, die Ost- und West-Beirut 15 Jahre trennte. In den ersten zwei Jahren des Krieges besetzten verschiedene Milizen das Holiday Inn, einen strategisch wichtigen Punkt. Die oberen Etagen boten Scharfschützen hervorragende Aussicht. In der Downtown tobte die battle of the hotels. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die 1970 unter Jassir Arafat nach Beirut gekommen war, kontrollierte das Gebäude nur zwei Monate, dann übernahmen Milizen aus Ost-Beirut den Komplex.
Als sich die Isrealis 1978 nach einer Militäroffensive wieder aus dem Libanon zurückzogen, verkündete der starrsinnige Arafat vor dem Hotel den Sieg über die Erbfeinde aus dem Süden und gleich auch über Ost-Beirut. Vier Jahre später entging der israelische Botschafter in London nur knapp dem Attentat einer PLO-Splittergruppe, die Botschaft in Paris wurde attackiert, ein Diplomat auf offener Straße erschossen. Die Toleranzgrenze war überschritten, Israel begann mit der Operation »Frieden für Galiläa« und besetzte Beirut. Arafat und die PLO flohen endgültig aus dem Land nach Tunis. Den Sieg über die Palästinenser erklärte Ariel Sharon – wieder einmal – vor dem alten Hotel.
Als Israel ging, fiel der Libanon wieder ins Chaos. Die Machtkämpfe unter den militanten muslimischen Gruppierungen eskalierten, bis 1990 herrschte ein weitgehend anarchischer Zustand der Instabilität. Syrien übernahm die Ruine bis zur Zedernrevolution 2005, heute gehört die symbolträchtige Immobilie dem Emir von Kuweit.
Downtown-Beirut wird immer noch aufgebaut, Kräne überragen die Stadt. Die Narben des Bürgerkriegs sind überall sichtbar, viele sind schlecht verwachsen, manche Wunde liegt noch offen. Die Sicherheitslage kann man nur mit viel Wohlwollen als entspannt bezeichnen. Soldaten patroullieren. Der Palast des Premierministers hat raketensichere Fenster. Der nie fertiggestellte Murr Tower ist so etwas wie das Gegenstück zum Holiday Inn, ebenfalls ein ausgezeichneter Ort für Scharfschützen, die sich in dieser Konstellation gegenseitig ins Visier nehmen konnten.
Wir betreten ein Viertel, das von Soldaten mit Sturmgewehren bewacht wird. Das Bauunternehmen Solidaire hat die zerstörten Häuser wieder aufgebaut. Niemand wohnte mehr dort, als der Krieg vorbei war, und niemand, so erfahren wir, wohnt heute hier. Die meisten Gebäude gehörten damals libanesischen Juden, viele haben eine Kompensation angenommen. Die neuen Luxusimmobilien warten noch auf Käufer.
Mitten in dem Geisterviertel steht eine Synagoge. Über dem Fenster ist ein Davidstern in den Stein gehauen, Tora-Schriftrollen mit hebräischen Schriftzeichen verzieren das Dach, ein ungewohnter Anblick an diesem Ort. Ronny erzählt von »Lisa the Jew«, der letzten libanesischen Jüdin, die es in Beirut ausgehalten hat. Sie behauptete stets, Ariel Sharon eine Ohrfeige gegeben zu haben, als dieser nach Beirut kam, aber das sei wohl auf jeden Fall geflunkert gewesen. »She wanted to be a celebrity«, sagt Ronny. Heute gibt es keine Juden mehr in der Stadt, die meisten leben in Paris und Montreal.
Der Place de l’Etoile vor dem Parlamentsgebäude erscheint dem Besucher wie der sicherste Ort der Stadt, was gleichzeitig beunruhigend ist: Aus Angst vor Autobomben ist das ganze Gebiet nämlich durch Straßensperren abgeriegelt. Mitten auf dem Platz steht ein Turm mit einer Uhr: sponsored by Rolex. Kinder fahren mit Plastikautos über das Pflaster und toben, Mütter und Väter haben sich lässig in den Cafés niedergelassen. Irgendjemand pustet Seifenblasen durch die Luft.
Ich esse eine vorzügliche Süßspeise, dessen Namen ich mir leider nicht aufschreibe, und trinke arabischen Kaffee. Gegenüber sitzt eine Familie vom Golf, wahrscheinlich Sunniten. Der Sohn fuchtelt mit seinem Smartphone herum, der Vater trägt einen langen Bart. Die Frau hebt das Gewand vor ihrem Mund mit der linken Hand bei jedem Bissen hoch, damit sie etwas essen kann.
Ronny kann nur über dieses Parlament lachen, das passenderweise vollkommen unscheinbar wirkt. »It is totally dysfunctional.« Keinen Monat, nach dem ich den Libanon verlassen habe, löst sich die Regierung von Ministerpräsident Nadschib Miqati im Streit um ein neues Wahlgesetz auf. Der sunnitische Nachfolger hat bis heute kein neues Kabinett aufstellen können. Die Abgeordneten haben ihre Amtszeit einfach bis Ende 2014 verlängert, zum ersten Mal seit Ende des Bürgerkriegs.
Der Abend bricht herein am Martyrs‹ Square, dem Platz des Aufstands, der einmal der kosmopolitischste Ort Beiruts war. Im Bürgerkrieg wurde er natürlich komplett zerstört, das Gelände liegt brach. Die Statue der libanesischen Nationalisten aus dem Ersten Weltkrieg steht einsam in der Dämmerung. Die Gesichter scheinen flehend in den Himmel zu schauen, von Einschusslöchern übersät. Hinter dem Platz leuchtet die Al-Hamim-Moschee in die Dunkelheit. Das alte Opernhaus ist heute ein Virgin Mega Store.
Als 2005 Premierminister al-Hariri ermordet wurde, kamen die Menschen auf dem Martyrs‹ Square zu Großdemonstrationen gegen die syrischen Besatzer zusammen. Am 14. März standen hier eine Million Menschen und skandierten »horriyeh, siyadeh, istiqlal«: Freiheit, Souveränität, Unabhängigkeit. Syrien musste gehen.
Der große Nachbar habe sich immer schon als Schutzmacht aufgeführt, erklärt Ronny. Der wortgewandte Libanese wird nachdenklich, da ist es schon komplett finster. »Normally, the region becomes unstable because of Lebanon«, sagt er. »This time the region falls apart and Lebanon is stable.« Das sei doch irgendwie ziemlich verrückt, vielleicht ein bisschen zu sehr. Wer weiß, was noch passieren wird?
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Hi,
eine Frage: Es ist bereits eine geraume Zeit seit dem Schreiben des Artikels vergangen. Auf diversen Seiten von Regierungen wird von einer Reise in den Libanon abgeraten. Dennoch würde ich gern wissen, ob sich deiner Meinung nach, oder der Meinung von etwaigen libanesischen Freunden von dir, die Sicherheitslage im gesamten Land so zugespitzt hat, dass man das Land generell nicht bereisen sollte, oder mit dem Auslassen bestimmer Regionen man sich einigermaßen problemlos im Land eine Woche lang aufhalten könnte. Danke!
LG
SebastianHallo Sebastian,
das kann ich dir leider nicht gut beantworten. Ich habe im Moment keinen direkten Kontakt ins Land. Frag doch mal bei den Leuten von »Walk Beirut« an (http://www.bebeirut.org/walk.html). Ich würde davon ausgehen, dass man Beirut momentan schon noch besuchen kann, aber das ist immer schwer zu sagen: Jeder hat seine persönliche Schwelle, aber der er sich unwohl fühlt und eine Reise nicht mehr genießen kann.
Viele Grüße!
Hallo Philipp,
habe den Reisebericht mit viel Vergnügen (wegen der tollen Schreibe) und großem Interesse (weil ich in ein paar Tagen selbst nach Beirut fliege) gelesen. Danke!!!
Gibt es eine Möglichkeit, so einen Guide wie Ronny vorab zu kontaktieren und zu buchen? Evtl. direkt bei der AUB?
Herzliche Grüße
KristinaHallo Kristina,
du kannst hier eine Tour vorab ausmachen: http://www.bebeirut.org/walk.html
Kann ich nur empfehlen!
Liebe Grüße,
Philipp
Hallo Philipp,
danke für den persönlichen, ja fast intimen Text. Und den spannenden Ansatz, sich mit nicht funktionierendem Mobiltelefon und einigen Fremden einfach in das Nachtleben einer wahrlich herausfordernden Stadt zu werfen. Spannend.
Herzliche Grüße
Susanne&DirkWow!
Phantastischer Beitrag. Vielen Dank.Ich danke. Und gutes Gelingen in der Türkei und Ostafrika!
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