Blauäugig nach Pakistan (1): Reise nach Islamabad

Es könn­te der Titel einer Doku­men­ta­ti­on über jenes Land sein, in dem Osa­ma bin Laden einst auf­ge­spürt wur­de. Doch es ist der Titel unse­rer eige­nen Rei­se: eine Rei­se nach Paki­stan mit zwei Kin­dern, die zwar, wie ich, Wur­zeln in die­sem Land haben, aber deren blon­de Haa­re und blau­en Augen sie zu Exo­ten in der Men­schen­men­ge machen. Ihre Bli­cke tref­fen auf tief­brau­ne Augen, ihr hel­les Haar hebt sich ab von den dunk­len Locken der Kin­der, die hier zu Hau­se sind.

Paki­stan ist ein Land der Gegen­sät­ze. Reich an Geschich­te, Kul­tur und einer über­wäl­ti­gen­den Gast­freund­schaft – aber eben­so vol­ler Cha­os, Lärm und Staub. Für uns ein Kul­tur­schock in sei­ner reins­ten Form.

Die Rei­se beginnt lan­ge vor dem eigent­li­chen Abflug. Wel­che Unter­künf­te ent­spre­chen unse­ren west­li­chen Stan­dards? Wo gibt es sau­be­res Essen? Und wo bleibt der Strom nicht plötz­lich weg? All das sind Fra­gen, die uns als Eltern umtrei­ben. Doch so akri­bisch wir uns auch vor­be­rei­ten – es wird nicht alles nach Plan lau­fen. Das wer­den wir schnel­ler ler­nen, als uns lieb ist.

Ein Abenteuer beginnt: Die Reise mit PIA

Das Aben­teu­er beginnt nicht erst in Paki­stan, son­dern bereits beim Boar­ding unse­res Flu­ges. Wir flie­gen mit Paki­stan Inter­na­tio­nal Air­lines, einer Air­line, die jah­re­lang aus dem euro­päi­schen Luft­raum ver­bannt war – aus Sicher­heits­grün­den. Ein ungu­tes Gefühl beglei­tet uns, als wir das 21 Jah­re alte Flug­zeug betre­ten. Die Sit­ze? Teil­wei­se defekt. Die Bild­schir­me? Zei­gen kei­ne Flug­zeit an. Die Toi­let­ten? Nur im Not­fall eine Opti­on.

Doch Paki­stan ist ein Land, das Regeln und Pro­zes­se mit einer gewis­sen Läs­sig­keit betrach­tet. Das macht sich bereits beim Boar­ding bemerk­bar: Schlan­gen exis­tie­ren nur in der Theo­rie, Drän­geln ist die Norm, und neben dem Hand­ge­päck wer­den gern auch mal Bett­de­cken für die Fami­lie mit an Bord genom­men. Wer Struk­tur sucht, wird schnell eines Bes­se­ren belehrt.

War­um also flie­gen wir mit PIA? Ganz ehr­lich: Direkt­flug, güns­ti­ger Preis und das Gan­ze in nur sie­ben Stun­den ab Paris. Die Herz­lich­keit gibt’s als Bonus dazu. Die Flug­be­glei­ter zwin­kern den Kin­dern zu, alte Damen strei­cheln ihre Wan­gen, und Pas­sa­gie­re erkun­di­gen sich inter­es­siert nach unse­rer Her­kunft. Man fühlt sich will­kom­men, noch bevor man das Land betritt. Und mit einer Flug­zeit von nur sie­ben Stun­den ab Paris ist die Rou­te zumin­dest zeit­tech­nisch erträg­lich.

Ankunft im Land der Gastfreundschaft

Es ist erst 7 Uhr mor­gens, als wir den New Islam­abad Inter­na­tio­nal Air­port errei­chen. Nach der Pass­kon­trol­le geht es durch die gro­ßen Schie­be­tü­ren ins Freie. Und dann trifft es uns mit vol­ler Wucht: die Wär­me, das Stim­men­ge­wirr, der Geruch nach Gewür­zen, Abga­sen und Aben­teu­er.

Tau­send Men­schen ste­hen dicht gedrängt hin­ter der Absper­rung. Man­che hal­ten Schil­der hoch, ande­re haben Blu­men­ket­ten in den Hän­den, eini­ge wer­fen Rosen­blät­ter in die Luft. Es wird gelacht, geweint, geju­belt.

Dann sehen wir sie: die Män­ner, die nach Jah­ren har­ter Arbeit in den Emi­ra­ten end­lich für ein paar Wochen nach Hau­se dür­fen. Ihre Fami­li­en emp­fan­gen sie mit Trä­nen in den Augen, umar­men sie minu­ten­lang, als woll­ten sie die ver­lo­re­ne Zeit auf­ho­len. Hier, mit­ten in die­ser Men­schen­men­ge, wird klar: Paki­stan ist mehr als sei­ne Kli­schees. Es ist ein Land, in dem Fami­lie alles bedeu­tet, in dem Gast­freund­schaft kei­ne Flos­kel, son­dern eine Lebens­wei­se ist. Und wir? Wir sind mit­ten­drin.

Der erste Tag in Islamabad: Ein Weckruf durch ein Erdbeben

Paki­stan ist ein Land extre­mer geo­gra­fi­scher Viel­falt – von den höchs­ten Ber­gen der Welt über frucht­ba­re Ebe­nen bis hin zu Küs­ten­ab­schnit­ten am Ara­bi­schen Meer. Doch dass wir bereits am ers­ten Tag so unmit­tel­bar mit der Natur­ge­walt die­ses Lan­des kon­fron­tiert wür­den, hät­ten wir nicht erwar­tet.

In der Nacht wird Islam­abad von einem Erd­be­ben der Stär­ke 4,8 erschüt­tert. Ich spü­re nichts, hal­te die Vibra­tio­nen für das Getram­pel spie­len­der Kin­der im Apart­ment über uns. Doch mei­ne Frau reißt panisch die Augen auf, ihr Instinkt sagt ihr sofort: Das war ein Erd­be­ben. Ein Blick aus dem Fens­ter bestä­tigt ihre Ahnung – auf der Stra­ße sam­meln sich Men­schen, beten laut und bit­ten Allah um Schutz.

Der ers­te Mor­gen in Paki­stan beginnt mit einem spä­ten Früh­stück. Doch kaum set­zen wir uns, wer­den wir mit einer ande­ren, nicht min­der erschüt­tern­den Rea­li­tät kon­fron­tiert: Am Stra­ßen­rand steht ein klei­nes Mäd­chen. Ihre Klei­dung ist zer­schlis­sen, ihre Füße sind nackt. Die­ses Bild wer­den wir noch oft sehen, aber es trifft uns immer wie­der mit der glei­chen Wucht – beson­ders als jun­ge Eltern.

Beim Früh­stück dau­ert es nicht lan­ge, bis wir ange­spro­chen wer­den: „Mas­hal­lah, eure Babys sind aber hübsch.“ Unse­re Kin­der, fast zwei und fast fünf Jah­re alt, wer­den bewun­dert, als wären sie Pup­pen. Es hat gedau­ert, bis wir die­se Rei­se zu ihren paki­sta­ni­schen Wur­zeln antre­ten konn­ten – Coro­na sei Dank.

Am Abend besu­chen wir das SOS-Kin­der­dorf in Islam­abad, das ein klei­nes Fest für die Kin­der ver­an­stal­tet. Wir sind die ein­zi­gen Euro­pä­er und ste­chen her­aus, doch heu­te sind alle Kin­der her­aus­ge­putzt, bereit für ihren gro­ßen Tag. Eine Hüpf­burg wird zum Mit­tel­punkt des inter­kul­tu­rel­len Aus­tauschs. Wäh­rend unse­ren Kin­dern die Unter­schie­de nicht auf­fal­len, bemer­ken die paki­sta­ni­schen Kin­der sie sofort: blond, blau­äu­gig und irgend­wie exo­tisch.

Doch im Spiel zählt das nicht. Es gibt nichts Ehr­li­che­res als Kin­der, die ein­an­der ohne Wor­te ver­ste­hen. Unse­re Kin­der sind ruhi­ger als die, die im SOS-Kin­der­dorf oder gene­rell in Paki­stan auf­wach­sen. Doch wenn sie hin­fal­len, sind sofort hel­fen­de Hän­de da. Es wird gelacht, gesprun­gen und – ein Ritu­al, das uns am Ende der Rei­se tat­säch­lich zu viel wird – in die Wan­gen geknif­fen.


Antworten

  1. Avatar von Shakil
    Shakil

    Wun­der­bar 😊

  2. Avatar von Isabel Carballal
    Isabel Carballal

    Mehr davon!!!! 😍😍😍

  3. Avatar von Manuel Fink

    Vie­len Dank Nele und Malik für das »Mit­neh­men« auf eure span­nen­de Rei­se nach Paki­stan! Wie so oft, habe ich durch dich Malik wie­der etwas ler­nen dür­fen und wür­de mich freu­en, wenn dies der Auf­takt für vie­le wei­te­re Rei­se­be­rich­te aus fer­nen Län­dern ist! Freund­schaft­li­che Grü­ße Manu­el

  4. Avatar von J.
    J.

    Span­nend!

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