Spuren suchen im Schnee

Schnee­schuh­wan­dern ist ein­fa­cher, stil­ler und natur­scho­nen­der Win­ter­sport. Abseits von über­teu­er­ten Lif­ten und vol­len Pis­ten öff­net sich eine ent­schleu­nig­te Welt, in der jeder Schritt dem Schnee ein sanf­tes Knir­schen ent­lockt. Das gleich­mä­ßi­ge Gehen ver­lei­tet zum Träu­men und schafft ein Gefühl, mit der Land­schaft im Rhyth­mus zu sein. Ich habe am Feld­berg im Hoch­schwarz­wald eine Schnee­schuh-Tour getes­tet, die zeigt, wie nah Aben­teu­er und Acht­sam­keit bei­ein­an­der­lie­gen kön­nen.

Es geht steil berg­auf. Der Schnee blitzt wie ein Meer aus Dia­man­ten. Nur ein paar Zir­rus­wol­ken zeich­nen Fäden in den Win­ter­him­mel. Mein Ober­kör­per ist vor­ge­beugt. Gleich­mä­ßig und par­al­lel soll ich die Schrit­te set­zen, hat Manu­el gera­ten. Um kurz nach neun Uhr mor­gens haben wir uns an der Nord­sei­te des Feld­bergs getrof­fen. Der erfah­re­ne „Gui­de“ führt Schnee­schuh-Tou­ren auf den mit 1493 Metern höchs­ten Berg des Schwarz­walds. Ich bin zum ers­ten Mal auf Schnee­schu­hen und fra­ge mich: Wird es anstren­gend? Ist es kom­pli­ziert? Wie viel Spaß macht es?

Der Gedanke

Win­ter­sport, das ist klir­ren­de Käl­te, war­mer Jager­tee, Fun und Fit­ness in herr­li­cher Natur. Rodeln, Cur­ling und Schlitt­schu­he aber sind mir zu lang­wei­lig. Nor­di­scher Lang­lauf ver­langt Tech­nik und Top-Equip­ment, damit es rich­tig Spaß macht. Ski- und Snow­board­fah­ren wie­der­um belas­ten die Natur, der kon­ven­tio­nel­le Win­ter­sport-Tou­ris­mus pro­du­ziert erheb­li­che öko­lo­gi­sche Kos­ten: Für Pis­ten, Lift­an­la­gen und Park­plät­ze wer­den Wäl­der gero­det, Böden pla­niert, Kunst­schnee mit wert­vol­lem Was­ser erzeugt. Zudem gehört Ski­fah­ren laut dem Gesamt­ver­band der Ver­si­che­rer (GDV) zu den Sport­ar­ten, bei denen man sich am häu­figs­ten ver­letzt. Bleibt Schnee­schuh­wan­dern als eine Alter­na­ti­ve.

Der Sport fas­zi­niert mich, denn das Gerät ist uralt. In Süd­ti­rol am Gurg­ler Eis­joch wur­de 2003 ein Schnee­schuh aus Bir­ke gefun­den, mit dem wohl vor rund 6000 Jah­ren ein Mensch der Jung­stein­zeit zwi­schen dem heu­ti­gen Ita­li­en und Öster­reich den Alpen­kamm bezwin­gen woll­te. Um nicht im Win­ter­weiß zu ver­sin­ken, schnall­ten die Berg­be­woh­ner des Kau­ka­sus in Arme­ni­en frü­her eben­so „Ten­nis­schlä­ger“ unter ihre Füße wie die Inu­it in den ark­ti­schen Regio­nen rund um den Nord­pol oder die indi­ge­nen Stäm­me Nord­ame­ri­kas. Mei­ne Gedan­ken fol­gen Jägern und Fähr­ten­su­chern, die in Fel­len ver­mummt durch die Win­ter­wild­nis von Alas­ka stapf­ten. Das gleich­mä­ßi­ge Gehen am Berg ver­lei­tet zum Träu­men rund um die Welt: von ver­schnei­ten Tälern in Colo­ra­do, Bergtrek­king im Hima­la­ya, ver­eis­ten Seen in Japans nörd­lichs­ter Prä­fek­tur Hok­kai­do. Jedem Schritt folgt ein sanf­tes Knir­schen, das den Rhyth­mus vor­gibt, wäh­rend der Atem fei­ne Wölk­chen in die Luft malt. Mit jedem Meter ver­liert der All­tag an Gewicht, Gedan­ken lösen sich, tan­zen wie Schnee­flo­cken davon.

Beim Schnee­schuh­wan­dern auf dem Feld­berg geht es bis zu 25 Pro­zent hoch (© Mat­thi­as Kutz­scher)

Der Aufstieg

Die grell-pin­ke Ski­ho­se von Sabri­na vor mir holt mich zurück ins deut­sche Mit­tel­ge­bir­ge. Wäh­rend ich mich berg­auf arbei­te, scheint die 29-Jäh­ri­ge wie ihre Freun­de Denis, Vivia­ne und Jan den eisi­gen Hang hoch­zu­glei­ten. „Ich mer­ke die Schu­he gar nicht“, sagt Sabri­na, holt dyna­misch mit Armen und Bei­nen aus und schießt vor­wärts. Lau­fen mit Schnee­schu­hen, in denen ganz nor­ma­le Wan­der­stie­fel fest­ge­zurrt sind, unter­schei­det sich kaum von nor­ma­ler Fort­be­we­gung. Der Schritt ist nur aus­la­den­der, da typi­sche Schu­he bei etwa 60 Zen­ti­me­tern Län­ge zwi­schen 20 und 30 Zen­ti­me­ter breit sind. Die Regel gilt: Je mehr der Trä­ger wiegt, des­to grö­ßer soll­te die Flä­che des Schnee­schuhs sein.

Das Team aus Land­au in der Pfalz um Sabri­na, halb in Jeans und win­ter­ty­pi­scher Out­door-Mode geklei­det, macht im Trek das Tem­po. Sie bre­chen den Weg. Ihre Tel­ler drü­cken eine Rin­ne in den Schnee. Wir ande­ren set­zen die Schrit­te in die Ver­tie­fung, fol­gen der Linie wie an der Schnur gezo­gen. Jeder Abdruck gibt mir Halt, ver­hin­dert Ein­sin­ken und spart Kraft. Gut so, den­ke ich. Wer weiß, was noch kommt. Wir zie­hen fast laut­los durch die wei­ße Land­schaft. Mit Schnee­schu­hen lau­fen, das sei wie Trep­pen­stei­gen, erklärt Gui­de Manu­el, der zwi­schen Dezem­ber und Ende März mehr­mals in der Woche auf den Feld­berg führt: zum Son­nen­auf­gang, mit Hund, für Genie­ßer. Wir sehen trotz Kai­ser­wet­ter kaum ande­re Wan­de­rer. Im Som­mer ver­läuft auf den schrof­fen Alm­wei­den der nahen Bal­den­we­ger Hüt­te ein Natur­lehr­pfad. Im Win­ter wirkt die Anhö­he mit ihren weni­gen Tan­nen und Fich­ten wie der kah­le Rücken eines ver­stei­ner­ten Rie­sen. Steil fällt er nach Wes­ten, Nor­den, Osten in die Täler von Zast­ler­bach und See­bach ab.

Berg­wan­der­füh­rer Manu­el Kogl­bau­er führt zwi­schen Dezem­ber und Ende März auf den Feld­berg (© Mat­thi­as Kutz­scher)

Das Panorama

Wir mar­schie­ren den Buckel gemäch­lich in Bögen hoch. Ein­zel­ne Pas­sa­gen haben bis zu 25 Pro­zent Stei­gung. Je schrä­ger das Ter­rain, des­to wei­ter aus­ein­an­der set­zen wir die Kur­ven. Zwei fit­te Typen spu­ren fünf­zig Meter über uns einen eige­nen Trail, der lan­ge nicht so durch das Gelän­de schweift wie unse­rer. Ich lin­se hoch und bestau­ne die „Enten-Tech­nik“ der erfah­re­nen Wan­de­rer, bei der man die Füße nach außen stellt, um beson­ders schrä­ge Pas­sa­gen Kraft scho­nend zu meis­tern. Es sieht fast mühe­los aus. Denn die Kral­len der Sport­ge­rä­te bei­ßen sich in den Schnee. Tie­fer Unter­grund oder Eis­plat­ten sind rein tech­nisch kein Pro­blem. Nur rück­wärts­ge­hen, das funk­tio­niert nicht. Wer wen­den will, muss einen Kreis beschrei­ben.

Immer wie­der stop­pen wir, heben die Köp­fe in die präch­ti­ge Fern­sicht. Am Hori­zont schim­mert der gesam­te Alpen­bo­gen. Aus der grau­blau­en Zacken­land­schaft ragen die mäch­ti­gen Gip­fel von Sän­tis, Zug­spit­ze und Mont Blanc her­aus, der etwa 240 Kilo­me­ter weit ent­fernt ist. Nach zwei Stun­den errei­chen wir den Gip­fel des Feld­bergs. Ein paar Snow­boar­der jagen mit Kites vor­bei. „Käfer“ gegen For­mel-1-Boli­de, den­ke ich. Der Wind fegt Eis­wol­ken über das wei­te Pla­teau, auf dem ein Aus­sichts­turm steht; man kann sich dar­in trau­en las­sen oder im Som­mer das Schin­ken-Muse­um besu­chen. Wir ver­zie­hen uns in die uri­ge St. Wil­hel­mer Hüt­te auf 1.400 Metern, schlür­fen Johan­nis­beer­schor­le, essen Ein­topf und Schwarz­wäl­der Kirsch­tor­te. Ordent­lich Ener­gie für die gut 1,5 Stun­den lan­ge Tour run­ter. An einem Schup­pen neben der Hüt­te ste­hen zwei Dut­zend Schnee­schu­he. Drin­nen wer­fen sich Wild­frem­de ver­schwö­re­ri­sche Bli­cke zu. Wir könn­ten auch Moun­tain-Biker sein oder Orni­tho­lo­gen, ein Hob­by, eine Lei­den­schaft, das ver­bin­det.

Auf dem Feld­berg-Pla­teau steht ein Aus­sichts­turm, in dem man sich trau­en las­sen kann. Bei schö­nem Wet­ter ist der Alpen­bo­gen mit den mäch­ti­gen Gip­feln von Sän­tis, Zug­spit­ze und Mont Blanc zu sehen (© Mat­thi­as Kutz­scher)

Die Philosophie

Man könn­te anmer­ken: Nor­we­gen, Vail in den Rocky Moun­ta­ins oder das Punak­ha-Tal in Bhu­tan sind die per­fek­ten Win­ter­desti­na­tio­nen. Viel Schnee und traum­haf­te Trails dürf­ten den Luxus­ur­laub für Schnee­wan­de­rer dort sicher unver­gess­lich machen. Aber muss das sein? Fich­tel­ge­bir­ge, Harz, Sau­er­land, Erz­ge­bir­ge, Schwarz­wald sowie die Alpen lie­gen doch (fast) vor der Haus­tür. Fällt Schnee, bie­ten die hei­mi­schen Regio­nen nach­hal­ti­ge Zie­le. Und die Anrei­se mit Bahn oder Bus ver­rin­gert den öko­lo­gi­schen Fuß­ab­druck. Im Hoch­schwarz­wald sei­en Tou­ren oft noch bis in den frü­hen April mach­bar, sagt Tour­gui­de Manu­el.

Ent­spannt und umwelt­scho­nend unter­wegs sein, das zieht. Tou­ren­ak­ti­vi­tä­ten im win­ter­li­chen Gebir­ge haben in den letz­ten Jah­ren stark zuge­nom­men, bestä­tigt der Deut­sche Alpen­ver­ein. Doch wer mit Schnee­schu­hen läuft, berührt natür­lich sen­si­ble Berei­che, in denen Tie­re über­win­tern. „Jeder soll­te sich daher an Regeln hal­ten“, sagt Manu­el Kogl­bau­er, der aus Öster­reich stammt, und „schon immer irgend­wie im Gebir­ge gekra­xelt“ ist. Der Berg­wan­der­füh­rer der Schnee­schuh Aka­de­mie in Hin­ter­zar­ten zeigt auf ein Ver­bots­schild und sagt: „Man muss auf Wild­schutz­ge­bie­te und Ruhe­zo­nen ach­ten und auf einer Rou­te blei­ben, statt ziel­los hin- und her­zu­wan­dern.“ Pflan­zen und Tie­re wür­den sonst stark belas­tet. Der Feld­berg ist ein Natur­schutz­ge­biet, in dem Auer­häh­ne, Rot­wild oder auch Spech­te leben.

Schup­pen neben der St. Wil­hel­mer Hüt­te; sie ist die höchst­ge­le­ge­ne bewirt­schaf­te­te Alm­hüt­te in Baden-Würt­tem­berg und liegt an der West­sei­te des Feld­bergs auf 1380 Meter Höhe (© Mat­thi­as Kutz­scher)

Der Abstieg

Kaum einer redet berg­run­ter. Stun­den­lang auf einer ova­len Plas­tik­schei­be stap­fen und dabei 500 Höhen­me­ter machen, dass schlaucht doch ein wenig mehr als ein­fach nur wan­dern. Jetzt muss ich leicht in die Rück­la­ge gehen und die Schrit­te ver­län­gern. Das soll den Kör­per ent­las­ten. Manu­el erzählt, dass sei­ne Feld­berg-Run­den meist aus­ge­bucht sei­en und „die Teil­neh­mer immer jün­ger wer­den“. Auch im Schwarz­wald liegt Schnee­schuh­wan­dern im Trend: „Weil es gesund, span­nend, güns­tig ist“, sagt Manu­el. Mit rund 200 Euro kos­ten die Schu­he im Ver­gleich zu einer Ski­aus­rüs­tung wenig. Wer nur gele­gent­lich los will, kann sich das Mate­ri­al lei­hen. In fast jedem Win­ter­sport­ge­biet in Deutsch­land, Öster­reich oder Ita­li­en sind mitt­ler­wei­le Kur­se und geführ­te Tou­ren buch­bar. „Ihr könnt jetzt glei­ten, wie beim Aqua­pla­ning“, ruft Manu­el. Das ver­su­che ich aller­dings nur ein­mal, weil es mich nach vor­ne schleu­dert. Lachend rei­he ich mich wie­der in den Trek ein. Als die „Tel­ler“ nach fast fünf Stun­den wie­der neben mir lie­gen, steht fest: Das wird nicht die letz­te Schnee­schuh-Erfah­rung.

Informationen zum Schneeschuhwandern

Tour-Anbie­ter im Hoch­schwarz­wald

Aus­rüs­tung

  • Beklei­dung – Funk­ti­ons­un­ter­wä­sche, Ski- oder Trek­king-Hose, Wan­der­so­cken und ‑jacke sowie Hand­schu­he hal­ten Näs­se und Käl­te ab. Dabei gilt das Zwie­bel­prin­zip: Wer sich Schicht für Schicht cle­ver anzieht, schwitzt weni­ger.
  • Gama­schen – Als Ersatz für eine was­ser­dich­te Ski- oder Wan­d­er­ho­se hal­ten Gama­schen den Schnee aus den Schu­hen fern.
  • Schnee­schu­he – Auf dem Markt gibt es „Ori­gi­nals“ mit Holz­rah­men, „Clas­sics“ mit Alu­rah­men und Kunst­stoff­be­span­nung sowie „Moderns“ aus fle­xi­blem Plas­tik. Wich­tig bei der Aus­wahl sind Ein­satz­ge­biet, Schuh­ge­wicht, Kör­per­ge­wicht, Har­sch­eisen sowie Bin­dung.
  • Stö­cke – Tele­skop­stö­cke mit gro­ßen Win­ter­tel­lern sind am bes­ten geeig­net.
  • Ruck­sack – Geträn­ke, Rie­gel oder Obst soll­ten auf jeder Tour dabei sein.
  • Lawi­nen­aus­rüs­tung – Bei alpi­nen Tou­ren muss pas­sen­des Mate­ri­al mit. Dazu gehö­ren Lawi­nen­ver­schüt­te­ten­ge­rät (LVS), Schau­fel und Son­de.
  • Navi­ga­ti­on – Da Schnee­schuh­wan­dern abseits von Wegen statt­fin­det, sind Kar­ten­ma­te­ri­al, GPS-Gerät oder Smart­phone mit Wan­der-App und GPS-Signal sinn­voll.

Kuli­na­ri­sche Tipps rund um den Feld­berg

  • St. Wil­hel­mer Hüt­te – rus­ti­ka­le Lecker­bis­sen auf der höchst­ge­le­ge­nen Alm­hüt­te (1380m) in Baden-Würt­tem­berg
  • Reim­ar­ti­hofale­man­ni­sche Gast­lich­keit seit 1892 mit tol­ler Schwarz­wald-Stu­be
  • Hotel Son­ne Post – badi­sche Spe­zia­li­tä­ten bei einem tra­di­ti­ons­rei­chen Fami­li­en­be­trieb
  • Zum Engel – in der gemüt­li­chen Gast­stu­be gibt es neben badi­schen Schman­kerln auch viel Vege­ta­ri­sches

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